Kurzfassung des Strategischen Grundsatzpapiers vom Dezember 2013
Selbstverständnis
Bürgerschaftliches Engagement spielt seit Gründung der Wohlfahrtsverbände eine zentrale Rolle für deren Selbstverständnis und Aufgabenwahrnehmung. Ohne den Einsatz der vielen Menschen, die sich auf allen Ebenen einmischen, beteiligen und mitmachen, ist das breite Angebot der gemeinnützigen Verbände nicht vorstellbar. Bürgerschaftliches Engagement war und ist Kernelement unserer Verbände und wesentliches Moment unseres Handelns. Heute engagieren sich Millionen Bürge- rinnen und Bürger in über 100.000 Diensten und Einrichtungen der Verbände der BAGFW. Bürgerschaftliches Engagement ist ein wichtiger innovativer Impuls. Es bringt Beteiligung und Transparenz in die soziale Arbeit und stellt über die Verknüp- fung von bürgerschaftlichem Engagement und Hauptamt eine eigene Qualität her.
Bürgerschaftliches Engagement äußert sich in vielfältigen Formen:
• das Ehrenamt, das oft eine enge Identifikation mit dem Verband umfasst und ein verbindliches Tätigsein oder auch eine Mitgliedschaft bedingt,
• das freiwillige Engagement, das geprägt ist durch punktuelle, themenbezogene und zeitlich begrenzte Tätigkeiten,
• die Freiwilligendienste als eine besondere Form des bürgerschaftlichen Enga- gements,
• die Selbsthilfe, die zum Ziel hat, für sich und andere Lösungen für konkrete An- liegen zu suchen bzw. abzusichern.
Das bürgerschaftliche Engagement der Bürgerinnen und Bürger entwickelt sich wei- ter; neue Technologien, Individualisierung, Pluralisierung der Lebensstile und Globa- lisierung bringen Veränderungen mit sich.
Leitlinien
Gewährleistung von Grundrechten
Die Zivilgesellschaft basiert auf individuellen und kollektiven Freiheitsrechten. Um Möglichkeiten für gesellschaftliche Teilhabe und Inklusion zu eröffnen, ist bürger- schaftliches Engagement daher als ein Grundrecht für alle zu verstehen.
Bewahrung von Eigensinn und Freiwilligkeit
Bürgerschaftliches Engagement in den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege or- ganisiert sich von der Basis aus und kann nicht „von oben“ verordnet werden. Es ist eigensinnig und vom Grundsatz her bestimmt durch die Prinzipien der Freiwilligkeit und Unentgeltlichkeit.
Etablierung einer Ermöglichungskultur
Ziel von Engagementpolitik muss die Ermöglichung des Engagements in seiner Viel- falt sein, nicht seine Steuerung.
Stärkung von Selbstverantwortung und Selbstbefähigung
Demokratie basiert auf einer aktiven Zivilgesellschaft. Die Wahrung der Subsidiarität als Vorrang des Handelns der freien Individuen und Initiativen vor dem staatlichen Handeln, ist einer der wesentlichen Ausgangspunkte bürgerschaftlichen Engage- ments.
Organisation von Gemeinsinn und sozialem Zusammenhalt
Wir ermöglichen den Bürgerinnen und Bürgern in unseren historisch gewachsenen Organisationsformen die Teilhabe in drei wesentlichen Bereichen: soziales Handeln, politische Verantwortung und wirtschaftliche Beteiligung.
Gestaltung des Gemeinwesens
Die Freie Wohlfahrtspflege bietet ein Fundament für das Engagement im Gemeinwe- sen und vernetzt aktive Bürgerinnen und Bürger. Dabei haben wir auch das Ziel, Freiräume jenseits von Marktlogik und staatlicher Einflussnahme zu bewahren.
Stärkung zivilgesellschaftlicher Kooperationen und Vernetzung
Die Verbände kooperieren auf vielen Ebenen mit lokalen Vereinen und Initiativen, Kirchengemeinden und religiösen Gemeinschaften, Migrantenorganisationen, Kultur- vereinigungen, Sport- und Umweltverbänden und Unternehmen.
Globales Lernen ermöglichen
Europäische Prozesse, internationale Zusammenarbeit in den Verbänden und Globa- lisierung führen dazu, dass wir Engagement auch über den lokalen und nationalen Kontext hinaus betrachten und ermöglichen wollen.
Herausforderungen
Auswirkungen des demographischen Wandels
Im Fokus von Engagementpolitik muss die Aufrechterhaltung und Ermöglichung von Teilhabe im Gemeinwesen stehen. Hierfür werden eigenständige Infrastrukturen be- nötigt, vor allem für die wachsende Zahl aktiver Seniorinnen und Senioren. Bürger- schaftliches Engagement darf jedoch nicht zur Kompensation für fehlende Fachkräfte oder zur Kostensenkung in gemeinnützigen sozialen Organisationen missbraucht werden.
Armut verfestigt sich
Menschen, die in Armut und prekären Lebenslagen leben, ziehen sich häufig aus sozialen Netzwerken zurück. Gesellschaftliche Teilhabe durch bürgerschaftliches
Engagement spielt hier eine besondere Rolle und muss durch besondere Zugänge
zu und gleichberechtigte Teilhabe an verschiedenen Aktivitäten im Kreis der anderen
Engagierten unterstützt werden.
Veränderung der Arbeitswelt
Die Arbeitswelt unterliegt zunehmender Flexibilisierung und der Verdichtung der Ar- beit. Mangel an Zeit ist für Erwerbstätige ein zentrales Hindernis für ein längerfristi- ges und verbindliches Engagement.
Veränderungen in Schule und Ausbildung
Die Verdichtung der Schul- und Ausbildungszeiten führt zu einem Rückgang an frei verfügbarer Zeit und erschweren freiwilliges Engagement. Junge Menschen an bür- gerschaftliches Engagement und Erfahrungen der Selbstwirksamkeit heranzuführen, fördert die Bereitschaft für weiteres Engagement im Lebensverlauf.
Gestaltung von Inklusion
Inklusive Engagementpolitik heißt, einen Perspektivwechsel zu vollziehen: Menschen mit Behinderung, Menschen in prekären Lebenslagen oder sozial und kulturell mar- ginalisierten Gruppen ist bürgerschaftliches Engagement zu ermöglichen.
Neue Aufgabenverteilung bei der Erbringung sozialer Dienstleistungen
Soziale und gesundheitliche Dienste und Hilfen werden in allen Arbeitsfeldern der Wohlfahrtspflege im Zusammenwirken von unterschiedlichen Bereichen, Ressourcen und Kompetenzen erbracht. Den Einsatz von Engagierten nicht primär unter Kosten- gesichtspunkten zu planen, ihre besonderen Ressourcen zu berücksichtigen, ihnen Entscheidungs- und Mitgestaltungsspielräume zu öffnen und damit den Eigensinn
des bürgerschaftlichen Engagements zu wahren, gehört zu unseren Herausforde- rungen.
Bürgerschaftliches Engagement von Unternehmen weiterdenken
In privatwirtschaftlichen Unternehmen und Stiftungen, aber auch in Teilen der Wohl- fahrtspflege findet eine Diskussion um zivilgesellschaftliche Mitverantwortung der Wirtschaft statt. Kernbegriffe sind Corporate Citizenship und Corporate Social Responsibility. In der zu intensivierenden Debatte muss es auch darum gehen, Stan- dards zu etablieren, um bürgerschaftliches Engagement von reinen Marketing- Instrumenten unterscheidbar zu halten.
Weiterentwicklung einer Engagementpolitik
Engagementpolitik findet auf der Ebene der Kommunen, Länder und des Bundes, aber auch Europas statt. Ihr fehlt es allerdings noch an hinreichender Koordination und Kohärenz. Bürgerschaftliches Engagement braucht gute Rahmenbedingungen, ressortübergreifendes Denken und Handeln. Ziel muss es sein, zur Gewährleistung gleicher Lebensverhältnisse und im Sinne des Rechts auf Teilhabe eine nachhaltige engagementfördernde Infrastruktur zu etablieren.
Strategien zur Förderung
Rahmenbedingungen verbessern
Für eine starke Zivilgesellschaft sind die Rahmenbedingungen für bürgerschaftliches
Engagement kontinuierlich zu prüfen und weiterzuentwickeln. Gesellschaftliche Be-
teiligung muss verbessert, engagementhemmende Bürokratie abgebaut werden. Ei- ne solidarische Sozialpolitik ist eine Grundbedingung für eine lebendige Bürgerge- sellschaft.
Beteiligung ermöglichen
Wir setzen uns dafür ein, dass bürgerschaftliches Engagement Menschen offen steht, die von Armut, Krankheit, Behinderung oder Ausgrenzung betroffen sind. Uns ist es wichtig, Menschen mit Migrationshintergrund für bürgerschaftliches Engage- ment zu gewinnen.
Gemeinschaft organisieren
Über Freiwilligen-Zentren und -Agenturen, internetbasierte Freiwilligenbörsen und Netzwerke bringen wir Engagierte und Engagementwillige mit sozialen Einrichtungen zusammen. Bürgerschaftliches Engagement unterstützen wir durch ein professionel- les Freiwilligenmanagement und Maßnahmen zur Qualifizierung und Qualitätsent- wicklung.
Innovation fördern
Bürgerschaftliches Engagement fördert die Innovation der Praxis und Theorie sozia- ler Arbeit. Fast jede Form sozialer Hilfe und Unterstützung ist zunächst von bürger- schaftlich Engagierten entwickelt worden.
Engagement anerkennen
Bürgerschaftliches Engagement braucht Anerkennung auf der persönlichen Ebene, in den Organisationen und durch die Gesellschaft. Wir setzen uns für eine stärkere Anerkennung des Engagements ein.
Bildung gestalten
Im bürgerschaftlichen Engagement finden vielfältige informelle und non-formale Lernprozesse statt. Diesen Bildungscharakter des Engagements gilt es auch künftig hervorzuheben und zu gestalten.
Rahmenbedingungen
Professionelles Freiwilligenmanagement und Infrastrukturen zur Engagementförde- rung sind langfristig und nachhaltig zu fördern. Eine Abkehr von einer Engagement- politik der „Projektruinen“ ist notwendig.
Das neue gesellschaftliche Interesse an Beteiligung und Transparenz muss aufge- griffen werden. Demokratie und neue Partizipationsmöglichkeiten sind weiterzuent- wickeln.
Die zunehmende Auszahlung von pauschalen Aufwandsentschädigungen führt zu einem Trend der Monetarisierung des Engagements. Diese Entwicklungen bedürfen der näheren Untersuchung. Bürgerschaftliches Engagement als Austauschbeziehung auf Basis von Geld widerspricht unserem Leitbild und reduziert Engagement auf ei- nen Dienstleistungscharakter.
Deregulierende Maßnahmen und Abbau von Bürokratie sind nötig, um das Engage- ment gerade in kleinen Vereinen, Jugendverbänden und Selbsthilfegruppen zu stär- ken.
Unterschiedliche Zielgruppen und ihre Motive und Bedürfnisse müssen bei der För- derung des bürgerschaftlichen Engagements stärker berücksichtigt werden.
Eine ermöglichende Engagementpolitik des Bundes in Abstimmung mit den Ländern ist elementar, um Rahmenbedingungen wie Finanzierung, Rechtsentwicklung und Klärung föderaler Zuständigkeiten zu gewährleisten.
Die Fortführung der Engagementberichte und Freiwilligensurveys des Bundes ist notwendig. Die Gesellschaft benötigt fundierteres Wissen über die Zugänge und Hürden, Motive, Bedürfnisse und Erwartungen von Engagierten, um daraus wichtige Handlungsempfehlungen für die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements ableiten zu können. Dem Bereich der Engagementforschung muss daher in den kommenden Jahren verstärkte Aufmerksamkeit zukommen.
Die angesprochenen gesellschaftlichen Trends und Zukunftsfragen sind unserer Ein- schätzung nach so wichtig, dass eine breit angelegte Debatte im Rahmen einer wei- teren Enquete-Kommission unter Beteiligung aller Parteien, Verbände und Sektoren nötig ist.