Workshop zum 2. Engagementbericht und 7. Altenbericht am 23.09.2014 bei der BFS in Berlin

Am 23.09.2014 fand ein BAGFW-interner Workshop statt, der sich mit den Inhalten des 2. Engagementberichts und des 7. Altenberichts der Bundesregierung befasste. Die Freie Wohlfahrtspflege wollte sich einbringen in die Debatte, in der Begriffe wie Subsidiarität, Daseinsvorsorge, bürgerschaftliches Engagement und sorgende Gemeinschaft im Mittelpunkt stehen.
Workshop der BAGFW zum 2. Engagementbericht und 7. Altenbericht am 23.9.2014 bei der BFS in Berlin
 


Frau Loheide begrüßt als Vorsitzende der Sozialkommission II die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der BAGFW an diesem Workshop und insbesondere die Herren Professoren Klie und Heinze. Sie weist darauf hin, dass dieser Workshop zurückgehe auf eine Einladung von Herrn Professor Klie in die Sitzung der Sozialkommission II im März 2014. Dort habe er der Sozialkommission II den 2. Engagementbericht der Bundesregierung inhaltlich näher gebracht und das weitere Verfahren dargestellt. Insbesondere die Rolle der Freien Wohlfahrtspflege, Begrifflichkeiten wie Subsidiarität, Daseinsvorsorge, bürgerschaftliches Engagement und sorgende Gemeinschaften stünden in diesem Kontext im Mittelpunkt der Debatte. Die Freie Wohlfahrtspflege wolle sich einbringen in die Arbeiten sowohl des 2. Engagementberichts als auch in die des 7. Altenberichts. Die Freie Wohlfahrtspflege verstehe sich als sozialpolitischer Akteur, der die soziale Wirklichkeit gestalte und Präsenz im sozialen Nahraum zeige. Sie habe den Spagat zu beachten zwischen ihrer Rolle als Akteur und Anbieter von sozialen Dienstleistungen als auch als Anwalt für die Betroffenen. Sie weist darauf hin, dass die sorgende Arbeit zurzeit oft in Familien geleistet werde. Die Familien stoßen indes an Grenzen und bedürften der Unterstützung. Insoweit stehe die Gesellschaft vor großen Herausforderungen, was sowohl finanzielle als auch personelle Ressourcen erfordere. Sie weist noch einmal auf das Strategiepapier der BAGFW zum bürgerschaftlichen Engagement hin und darauf, dass das bürgerschaftliche Engagement ein Kernelement der Freien Wohlfahrtspflege darstelle. Die Engagementförderung brauche Freiwilligenmanagement. Frau Loheide gibt ihrer Hoffnung Ausdruck, dass die Expertise der BAGFW und der Verbände auch in den Arbeiten der Berichtskommissionen Berücksichtigung finden möge.

 

Im Folgenden trägt Herr  Dr. Rock einen Problemaufriss zum Selbst- und Rollenverständnis der Freien Wohlfahrtspflege vor. Der Beitrag von Herrn Dr. Rock „Wohlfahrtsverbände im sozialen Wandel“ ist als Dokument beigefügt.

 

Herr  Prof. Klie berichtet aus der Arbeit der Engagementsberichtskommission. Er stellt den Auftrag der Engagementkommission dar und erläutert die relevanten Fragen und Erwartungen. Abgabe des Kommissionsberichts sei im Sommer 2015, eine Befassung im Deutschen Bundestag sei für Januar 2016 vorgesehen. Er skizziert die Arbeitsweise der Kommission und stellt die schwerpunktmäßigen Inhalte dar. Als relevante Diskussionslinien greift er die Themen Vielfalt des Engagements, Zivilgesellschaft und lokale Politiken auf. Die Wohlfahrtsverbände skizziert er in diesem Kontext als intermediäre Instanzen mit Regiefunktion und Kompetenz für Welfaremix, mit Hybridität als Organisationsmerkmal, als kulturelle und manageriale Unterstützung und Steuerung von Gemeinschaften in Sorge sowie Attraktivität des zivilen und politischen Leitbildes einer Caring Community.

Sein Vortrag ist als PPT angefügt.

 

Herr Prof. Heinze stellt in seinem Vortrag zum Altenbericht Thesen zur Neufassung des Subsidiaritätsprinzips, der sorgenden Gemeinschaft und der Rolle der Wohlfahrtsverbände dar. Er geht auf eine neue Debatte um Subsidiarität ein und stellt die Verbände in den Kontext von Subsidiarität. Er erläutert das Modell der unterstützenden Netzwerke (sorgende Gemeinschaften) und kennzeichnet die besonderen Herausforderungen, vor denen die Freie Wohlfahrtspflege steht. Er weist kritisch auf Legitimationsverluste der Freien Wohlfahrtspflege hinsichtlich ihrer Fähigkeit, Mitgliedschaft und Engagament zu binden hin und plädiert dafür, den Herausforderungen der Vermarktlichung durch geeignete Gegenmodelle zu begegnen und sich nicht auf die Sicherung von Privilegien zu beschränken.  Professor Heinze geht weiterhin auf die sorgenden Gemeinschaften als die Leitvorstellung der Altenhilfe ein und stellt die Vernetzung als zentrale Aufgabe dar. Er spricht sich dafür aus, das „Silodenken“ zu verlassen. Der Sozialraum gewinne als sozialräumliche Dimension immer mehr an Bedeutung. Auch die Wohlfahrtsverbände seien aufgefordert, nicht nur ihre Organisationsinteressen zu verfolgen, sondern dem „Silodenken“ aktiv zu begegnen. Das direkt sozialräumliche Umfeld werde angesichts sich verändernder Familienstrukturen weiter an Bedeutung gewinnen. Entscheidende Aufgabe sei eine Quartiers- und Wohnraumgestaltung, die Angehörige, Nachbarn und Ehrenamtliche motiviere und unterstütze, sich in sozialen Netzwerken, in denen ältere Menschen eingebunden sind, zu engagieren. Es gelte entsprechende Gelegenheit und Ermöglichkeitsstrukturen zu schaffen. Für die Freie Wohlfahrtspflege läge hier eine besondere Zukunftsaufgabe, für deren Bewältigung er grundsätzlich ein großes Potential sieht. Herr Prof. Heinze zieht abschließend ein Fazit zur Subsidiarität und stellt das Schnittstellenmanagement als Herausforderung der Zukunft dar.

Der Vortrag von Herrn Prof. Heinze ist als PPT beigefügt.

 

Herr Dr. Timm dankt den Vortragenden für ihre interessanten Beiträge und eröffnet die Diskussion.

 

Auf die Frage nach dem Begriff der integrierten Versorgung, der eigentlich ein Begriff aus dem Gesundheitsbereich sei, stellt Herr Prof. Heinze dar, dass er den Begriff der integrierten Versorgung gleichwohl verwende, in den auch die Bereiche Pflege und Wohnen einfließen. Die sektorale Trennung müsse überwunden, der Begriff mit Leben gefüllt werden.

 

Angesprochen auf die zentrale Rolle der Kommunen und deren Steuerungs- und Initiativfunktionen erläutert Herr Prof. Heinze, dass auf die Rolle der Kommunen im Rahmen der Berichterstattung sehr genau geschaut werde. Generell sei festzustellen, dass beispielsweise die süddeutschen Kommunen wegen ihrer finanziellen Ressourcen mehr Handlungsmöglichkeiten hätten als z. B. Kommunen in NRW. Einige Kommunen seien nicht in der Lage, ihre Steuerungs- oder Initiativfunktionen wahrzunehmen und hätten auch den Altenhilfebereich nicht im Griff. Dies sei regional indes sehr unterschiedlich. Kommunen könnten im Zusammenhang mit den sorgenden Gemeinschaften sog. „Spinnen im Netz“ sein, müssten aber als wichtige zu beteiligende Akteure auch entsprechend ausgestattet sein. In einem Wohlfahrtsmix seien nicht nur die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege die Akteure, sondern auch z. B. Kirchengemeinden und Kommunen. Herr Prof. Klie ergänzt, dass die Kommunen stets ein zentrales Thema bildeten und eine wichtige Rolle spielten. Oft würden zu große Kreise gebildet, was dazu führe, dass es keine Identifikationsräume gebe. Die kommunale Handlungsebene müsse weiter gestärkt werden. Es ließen sich indes nicht alle Kommunen gleichermaßen motivieren. Dadurch sei aber auch die Freie Wohlfahrtspflege in gewisser Weise blockiert. Die Freie Wohlfahrtspflege müsse ihre Stärken nutzen, in dem sie sich vernetze und z. B. Nachbarschaften mit einbeziehe in die Quartiersentwicklung. Herr Prof. Klie wünscht sich eine Freie Wohlfahrtspflege auch mit strategischer Dynamik und dass sich die Freie Wohlfahrtspflege kommunal-politisch mehr einbringt. Auch pflegepolitische Fragen könnten aktiv vor Ort beraten werden. Die Selbstverwaltung in der Pflege hält er für eher kontraproduktiv. Ordnungspolitisch müsse der Bereich Pflege, Bildung, Umwelt so gestaltet werden, dass die Kommunen gestärkt werden können. Die Freie Wohlfahrtspflege müsse sich dazu klar positionieren und auch politisch zu Wort melden. Freie Wohlfahrtspflege habe auch die Rolle, die Kommunen „zu treiben“ und initiativ zu werden.

 

Herr Prof. Klie plädiert zudem dafür, vorrangig die Rechte des Einzelnen zu sehen. Von rein betriebswirtschaftlichen Betrachtungen müsse man wegkommen. Der Quartiersbezug müsse Vorrang erhalten. Herr Prof. Heinze moniert, dass die Krankenkassen nur die Kostenfrage sähen; die Verbände seien in diesem Kontext oft defensiv. Hilfreich wären auch z. B. bei den Budgets klare Positionen der Wohlfahrtsverbände. Aus dem Teilnehmerkreis wird argumentiert, gerade im Sozialraum stießen die Verbände auf eine starke institutionelle Fragmentierung. Schon auf dieser Ebene wüssten die einen Akteure nichts von den anderen. Insofern erhoffe man sich von den Berichten der Kommissionen, dass dort aufgezeigt werde, wo vor Ort die Hindernisse lägen. Die Rolle und das Verhältnis Freier Wohlfahrtspflege zu den Kommunen sei differenzierter zu betrachten. Lediglich finanzielle Probleme in den Vordergrund zu stellen, sei zu kurz gedacht. Die Selbstverwaltung in der Pflege, die Herr Prof. Klie für gescheitert halte, könne auch als Ausdruck der Subsidiarität gewertet werden. Selbstverwaltung sei immer noch besser als staatliche Steuerung. Herr Prof. Klie entgegnet, die Erfahrungen in der Selbstverwaltung der Pflege sprächen dem entgegen. Vielmehr müssten die Verantwortlichkeiten auf die kommunale Ebene verlagert werden. Aus dem Teilnehmerkreis wird eingeräumt, dass die Selbstverwaltung in der Pflege nicht optimal, aber ein wichtiger Zwischenschritt gewesen sei, um Qualität festzustellen.

 

Aus dem Kreis der Workshopteilnehmenden wird betont, die angesprochene Versäulung sei auch das Ergebnis politischer Reformen. Es wird gefragt, ob es Kommunen gebe, die die Fragmentierung hätten überwinden und gute Versorgung sicherstellen können, obwohl die Finanzlage angespannt sei. Nach Ansicht von Herrn Prof. Heinze sei die Datenlage dazu sehr schlecht; auch werde dies nicht transparent gemacht. Er regt an, positive Beispiele, auch mit Lerneffekten für andere Kommunen, in die Altenberichtskommission einzubringen, um auch Wege aufzuzeigen, wie es funktionieren könne. Laut Herrn Klie werde der Engagementbericht einen Anhang haben mit Best-Practice-Beispielen. Anregungen können an die Geschäftsstelle des Engagementberichts gegeben werden. Dies stelle auch eine Würdigung der Arbeit vor Ort dar. Nachweisbar sei, dass gerade gute Beispiele auf lokaler Ebene viel bewegen könnten. Präventive Sozialarbeit senke nachweislich die Fallzahlen. Es werde wohl kaum nachweisbar sein, dass Prävention letztlich billiger sei, da „längeres Leben mehr koste“. Insoweit seien Argumente der Ökonomisierung nicht immer hilfreich.

 

Weiterhin wird auf das Thema Bildung und Inklusion eingegangen. Aus dem Kreis der Teilnehmenden wird darauf hingewiesen, dass Inklusion der Umgang mit Vielfalt in verschiedenen Bereichen sei; Inklusion sei Menschenrecht. Die Freie Wohlfahrtspflege leiste dort einen wichtigen Beitrag. Es sei Pionierarbeit zu leisten insoweit, als an der Auflösung der Versäulung zu arbeiten ist.

 

Des Weiteren wird von einer Diskutantin festgestellt, es sei ermutigend, dass Herr Prof. Klie und Herr Prof. Heinze die Potentiale der Freien Wohlfahrtspflege grundsätzlich erkennen und diese in die Berichte mit aufnehmen wollen. Die Freie Wohlfahrtspflege könne sehr wohl Prozesse anstoßen, obwohl es im Detail schwierig sein, da Strukturen und Räume fehlten, um in den Dialog zu gehen.

 

Aus dem Kreis der Diskutierenden wird darauf hingewiesen, dass die Freie Wohlfahrtspflege ein „ressourcenorientierter Reparaturbetrieb“ sei, der zurzeit stark versäult arbeite. Es sei erforderlich, auf den Bedarf zu schauen und sowohl kreativ als auch innovativ vorzugehen. Ein Systemwechsel weg von der Versäulung müsse auch im Denken propagiert werden.

 

Herr Prof. Klie bestätigt, die Fragmentierung der Freien Wohlfahrtspflege sei fatal in der Wirkung. Freie Wohlfahrtspflege müsse sich politisch und strukturell mehr zu Wort melden. Die Freie Wohlfahrtspflege sei sehr heterogen und verstehe sich teilweise als Anwalt, teilweise als Dienstleister. Herr Prof. Heinze ergänzt, dass die Politik oft Dinge fordere, die nicht zu finanzieren seien. Die Freie Wohlfahrtspflege äußere sich dazu oft fragmentarisch. Die Freie Wohlfahrtspflege sollte öfter übergeordnete Interessen vertreten, politischer auftreten und nicht nur für einzelne Bereiche sprechen. Ihr täte eine solche Debatte gut auch für die Einrichtungen und Organisationen. Er sehe darin perspektivisch eine große Chance für die Freie Wohlfahrtspflege. Er verweist noch einmal auf die Veranstaltung von Engagementsberichtskommission und Altenberichtskommission am 24.11.2014 in Berlin, zu der die Vorankündigung verteilt wird.

 

Frau Döcker fasst in ihrem Ausblick die Diskussion kurz zusammen. Sie weist darauf hin, dass Ziel der Veranstaltung gewesen sei, mit Prof. Klie und Prof. Heinze in einen breiten Diskurs zu kommen. Nicht in sämtlichen Positionen habe Einigkeit erzielt können, aber der Prozess des voneinander Lernens sei positiv. Freie Wohlfahrtspflege sei vielfältig und beweise, dass man auch ohne viel Mittel und Ressourcen innovativ sein könne. Die Kommunen müssten in die Arbeit mit eingebunden werden. Die Freie Wohlfahrtspflege habe sehr viel in der Arbeit vor Ort vorzuweisen. Sie verweist dazu aktuell auf das Gespräch mit Bundesministerin Barbara Hendricks, die die Freie Wohlfahrtspflege dafür gelobt habe, dass sie in der Lage sei, durch Projekte vor Ort Mittel auch abzurufen. Der begonnene Diskurs dürfe nicht mit dieser Veranstaltung zu Ende sein, vielmehr müssten weitere folgen. Deutlich sei geworden, dass es nicht die Freie Wohlfahrtspflege gebe, sondern dass sie zahlreiche Gesichter habe und sich durch Vielfalt und Heterogenität auch vor Ort auszeichne. Dies erfülle die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Verbände auch mit einem gewissen Stolz, denn an vielen Orten könnte mit kleinen innovativen Ideen viel bewirkt werden. Auch sei Freie Wohlfahrtspflege nicht der „Oligarch“, sondern ein verlässlicher Partner mit bewährten Strukturen und gleichwohl Veränderungsbereitschaft. Auch auf BAGFW-Ebene werde der Diskurs geführt und fortgesetzt. Insbesondere mit der Wissenschaft sollten weitere Diskussionen folgen, damit alle voneinander lernen.

 

Frau Döcker dankt insbesondere den Akteuren Herrn Dr. Rock, Herrn Prof. Klie und Herrn Prof. Heinze für ihre hilfreichen Beiträge. Dieser positiven Veranstaltung sollten weitere folgen.

 

Herr Dr. Timm schließt mit einem Dank an alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer und an die Akteure diesen Workshop.