Die BAGFW hat sich an der Erarbeitung der Zwischenergebnisse an verschiedenen Stellen aktiv eingebracht und trägt den Zwischenbericht als Darstellung des derzeitigen Diskussionsstands mit.
Aus Sicht der BAGFW sind folgende Punkte bedeutsam für die weiteren Beratungen des Runden Tischs:
Abstimmung der Ergebnisse des Runden Tischs mit den Betroffenen
Die Forderungen der von sexueller Gewalt in Institutionen Betroffenen fließen über die Tagungen und Anhörungen mit den Betroffenen, über ihre Stellungnahmen und über die Berichte der Unabhängigen Bundesbeauftragten in die Arbeit des Runden Tischs ein. Die BAGFW fordert, dass die Ergebnisse des Runden Tischs vor ihrer Verabschiedung mit den Betroffenen abgestimmt werden. Dies ist auch eine Form der Anerkennung ihres Leidens und der in ihrem Einsatz um Wahrheit und Gerechtigkeit erworbenen Expertise.
Umsetzung der Standards zur Prävention und Intervention nun auch in Schulen, Gesundheitsfürsorge und Behindertenhilfe absichern
Aus Sicht der BAGFW sollen die Standards zur Prävention und Intervention bei Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt in Institutionen als Empfehlungen und Orientierung für arbeitsfeldbezogene Vereinbarungen zur Sicherung des Kinderschutzes dienen, nicht zuletzt für Rahmenverträge auf Ebene der Bundesländer oder für ähnliche Vereinbarungen.
Die BAGFW weist darauf hin, dass mit den angekündigten neuen Regelungen im Bundeskinderschutzgesetz nur der Kinderschutz in der Kinder- und Jugendhilfe angesprochen werden wird.
In der kommenden Phase muss der Runde Tisch jedoch auch prüfen und Vorschläge erarbeiten, mit welchen Maßnahmen insbesondere in den Schulen, aber ebenso für die Einrichtungen der Behindertenhilfe und der Gesundheitsversorgung und anderer Felder, in denen mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet wird, sichergestellt wird, dass Kinderschutzstandards auch dort Anwendung finden.
Die Träger der Freien Wohlfahrtspflege haben schon verbandsspezifische Leitlinien und Checklisten erarbeitet oder sind derzeit dabei, dies zu tun.
Erweitertes Führungszeugnis
Das erweiterte Führungszeugnis für haupt- und nebenberuflich Beschäftigte in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen wird von der BAGFW befürwortet.
In Bezug auf das erweiterte Führungszeugnis für Ehrenamtliche wenden sich die BAGFW-Verbände angesichts der Unschärfe des Begriffs Ehrenamt und der Vielfalt der Einsatzformen und Einsatzanlässe gegen eine gesetzliche Vorgabe und plädieren stattdessen für eine aufgabenbezogene Handhabung. Diese könnte verankert werden durch einen Standard, dass bei jedem Träger eine Richtlinie vorliegt, die vorgibt, welche Ehrenamtlichen in welchen Aufgaben das erweiterte Führungszeugnis vorlegen müssen. Ein solcher Standard sollte unterstützt werden durch eine Handreichung für die Träger und Einrichtungen, die ihnen Gesichtspunkte an die Hand gibt für die Entscheidung, in welchen Fällen Ehrenamtliche, die mit Schutzbefohlenen arbeiten, das erweiterte Führungszeugnis vorlegen müssen.
Beratung für Prävention und bei Vorfällen: Sicherung einer ausreichenden Infrastruktur
Eine bedarfsdeckende Infrastruktur zur Beratung von Kindern, Jugendlichen und erwachsenen (möglicherweise) Betroffenen von sexueller Gewalt ist aus Sicht der BAGFW eine grundlegende Bedingung für Prävention und fachgerechte Intervention.
Aus Sicht der BAGFW sollte die Beratung von Institutionen durch in Kinderschutzfragen erfahrene Fachkräfte („insoweit erfahrene Fachkraft“ nach § 8a SGB VIII) finanziell abgesichert sein. Sofern auf die Kinder- und Jugendhilfe die neue Aufgabe zukommen sollte, für Schulen, Einrichtungen der Eingliederungshilfe, das Gesundheitswesen und etwa Sportvereine Fachberatung zur Verfügung zu stellen, muss diese neue Aufgabe im Dritten Kapitel SGB VIII, das "Andere Aufgaben der Jugendhilfe" regelt, normiert werden. In der Folge sollte diese andere Aufgabe in § 76 SGB VIII ("Beteiligung anerkannter Träger der freien Jugendhilfe an der Wahrnehmung anderer Aufgaben") als Aufgabe bestimmt werden, an der die Freien Träger beteiligt werden können, bzw. die an die Freien Träger übertragen werden kann.
Die Arbeitsgruppe I hat in ihrem Arbeitspapier „Hilfen für Betroffene – Weiterentwicklung des Beratungsnetzwerks“ empfohlen, einen eigenen Rechtsanspruch für Kinder und Jugendliche auf Beratung im SGB VIII zu verankern –und zwar auch in Gefährdungssituationen und nicht nur in Not- und Krisensituationen. Die hieran anknüpfenden Fragen müssen im jetzt anstehenden Gesetzgebungsverfahren zum Bundeskinderschutzgesetz, in den Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe und ggf. in der zweiten Phase des Runden Tischs noch einmal aufgegriffen werden, um die Hindernisse, die nach Rechtsauffassung des BMFSFJ das verfassungsrechtlich geschützte Erziehungsrecht der Eltern für einen solchen Rechtsanspruch darstellt, durch geeignete gesetzgeberische Maßnahmen aufzuheben.
Da Kindeswohlgefährdung sehr oft mit Interessenkonflikten zwischen Eltern und Kindern einhergeht, darf ein Beratungsbedarf des Minderjährigen nicht einfach mit dem verfassungsrechtlichen Vorrang des Erziehungsrechts der Eltern beantwortet werden. Dies würde auch dem in der UN-Kinderrechtskonvention festgelegten Recht des Kindes auf Information und darauf, sich eine eigene Meinung zu bilden, widersprechen. Wenn das Grundgesetz hier dem Kindeswohl im Wege steht, muss dies Anlass sein, die Frage der Aufnahme der Kinderrechte in das Grundgesetz zu diskutieren.
Anzeigepflicht
Die BAGFW teilt die Haltung der Arbeitsgruppe II gegen eine strafbewehrte Anzeigepflicht der Einrichtungen bei Hinweisen auf sexuelle Gewalt. Die BAGFW spricht sich stattdessen für eine Handreichung für Einrichtungen und Träger aus, nach welchen Gesichtspunkten dazu eine Entscheidung zu treffen und zu verfahren ist. Im Kern geht es dabei um die Berücksichtigung und um die Abwägung verschiedener Interessen: Denen des möglicherweise von sexueller Gewalt betroffenen jungen Menschen, der durch eine Anzeige gegen seinen Willen und allen weiteren Folgemaßnahmen möglicherweise re-traumatisiert wird. Potentielle weitere Opfer müssen vor möglichen Taten geschützt werden. Dem Beschuldigten gegenüber hat die Einrichtung hingegen eine Fürsorgepflicht als Arbeitgeber.
Der BAGFW ist es ein besonderes Anliegen, dass in der zweiten Phase des Runden Tischs die verschiedenen Diskussionsstränge des Runden Tischs zusammengeführt werden und eine einheitliche Handlungsempfehlung zum Umgang mit Hinweisen auf sexuellen Kindesmissbrauch in Institutionen entwickelt wird.
Eine solche einheitliche Handlungsempfehlung des gesamten Runden Tischs gilt es in Bezug auf die Frage der Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden noch herzustellen. Schutz auf der einen Seite und die Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden auf der anderen Seite müssen als Bestandteile eines in sich stimmigen Vorgehens betrachtet werden.
Nur solche Handlungskonzepte werden die Akzeptanz unserer Verbände finden, in denen die Rechte und das Wohl des betroffenen jungen Menschen vorrangig berücksichtigt werden.
Einbeziehen der Strukturen der Kinder und Jugendhilfe in Forschung und Fortbildung
Mit Blick auf die angekündigten Forschungsprojekte zu Ursachen, Folgen, Prävention und Therapie bei Missbrauch, Vernachlässigung und Gewalt und ebenso auf die bundesweite Fortbildungsoffensive zur Verhinderung sexualisierter Gewalt fordert die BAGFW die angemessene Einbeziehung der Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe in Konzipierung und Umsetzung.