Die BAGFW beteiligt sich seit dem Jahre 2004 intensiv an der Diskussion über die Alt- mark-Kriterien und die Entwicklung und Umsetzung der Beihilfenentscheidung. In diesem Zusammenhang möchten wir auf folgende Beiträge hinweisen:
- Beitrag zur Konsultation über die Beihilfevorschriften zu Diensten von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse vom 09.09.2010,
- Gemeinsames Positionspapier mit den kommunalen Spitzenverbänden vom Juni
2010 für die Intergroup „Öffentliche Dienste“,
- Antwort auf den Fragebogen des Sozialschutzausschusses vom September 2008,
- Vorschläge zum Umsetzungsbericht der Bundesregierung vom Dezember 2008.
Die BAGFW begrüßt deshalb die Vorlage der Mitteilung vom 23.03.2011, deren Grundla- ge die Berichte der Mitgliedstaaten sowie Beiträge, die verschiedene Stakeholder, so auch die BAGFW, im Rahmen einer Konsultation eingereicht haben, sind.
Mit dieser Mitteilung wird ein weiterer Schritt in Sachen Überarbeitung der für die Da- seinsvorsorge geltenden Vorschriften des europäischen Beihilfenrechts unternommen und die politische Debatte über die anstehende Überprüfung der Beihilfevorschriften er- öffnet. Ziel ist eine Überarbeitung der Vorschriften zum Ende dieses Jahres.
Allgemeine Bewertung
Insgesamt bewerten die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege die Mitteilung und die Überlegungen der Kommission gerade auch für den Bereich der sozialen Dienste zu Tei- len als hilfreich. Auch wenn sich die KOM bisher noch nicht auf konkrete Maßnahmen festgelegt hat, so benennt sie doch einige Reformvorhaben, die den Anliegen der Ver- bände der Freien Wohlfahrtspflege entgegen kommen. Dies bezieht sich sowohl auf die Überlegungen zur Schaffung von mehr Klarheit als auch auf die Überlegungen im Hin- blick auf die Vielschichtigkeit, Verhältnismäßigkeit und die Vereinfachung der Vorschrif- ten.
Besonders die Überlegungen für eine stärkere Unterscheidung zwischen den großen (netzgebundenen) Sektoren (Post, Energie, Telekommunikation, ÖPNV) auf der einen und lokalen und sozialen Diensten auf der anderen Seite sind hilfreich und können zu weiteren Lösungsansätzen führen. Diese Sektoren sind hinsichtlich der Größe, der Un- ternehmensstrukturen und dem öffentlichen Auftrag differenziert zu betrachten. In aller Regel bieten lokale und soziale Dienste, insbesondere im Vergleich zu den vorgenannten Sektoren, kaum Potential für Wettbewerbsverfälschungen auf dem Binnenmarkt, denn
sie stellen kein „ernsthaftes Risiko“ hierfür dar.
Kritisch werden die Ausführungen zur Effizienz gesehen. Die Verknüpfung des Effizienz- kriteriums mit der Gewährung von Beihilfen führt zur Aufgabe der Kostenneutralität des Beihilfenpakets. Mit den Beihilfevorschriften sollen Wettbewerbsverzerrungen verhindert werden. Eine Beurteilung der Effizienz hinsichtlich des Wirtschaftens des begünstigten Unternehmens würde darüber hinaus gehen. Ferner sind soziale Dienstleistungserbrin- ger in der Regel durch mitgliedstaatliche Rechtsvorschriften zur wirtschaftlichen Leis- tungserbringung verpflichtet.
Zu einzelnen Vorschlägen
1. Mehr Klarheit (S. 8)
Bei der Schaffung von mehr Klarheit geht es insbesondere um die Vermittlung des Ver- ständnisses der Kommission bezüglich der einschlägigen EuGH-Rechtsprechung, ihrer Auslegung der Beihilfevorschriften, aber auch um die Überprüfung der bislang vermittel- ten Informationen und ihrer etwaigen Klarstellung. Die BAGFW begrüßt es, dass die Kommission sieben Punkte aufgreift, von deren Erfüllung sie sich mehr Klarheit ver- spricht. Hierzu gehören u. a. der mitgliedstaatliche Ermessensspielraum bei der Einstu- fung einer wirtschaftlichen Tätigkeit als DAWI; beihilferechtliche Anforderungen, die an eine Betrauung gestellt werden; Voraussetzungen, unter denen ein Ausgleich keine Bei- hilfe darstellt; Kohärenz zwischen Beihilfe- und Vergabevorschriften sowie die Wechsel- wirkung mit anderen sektorspezifischen Beihilfevorschriften. Auch aus Sicht der BAGFW sind diese Punkte wichtig und klärungsbedürftig; sie betont, dass es sich um eine nicht abschließende Aufzählung handelt. Zu weiteren Punkten möchten wir erste Hinweise geben:
• die beihilferechtliche Unterscheidung zwischen wirtschaftlichen und nichtwirtschaftli- chen Tätigkeiten und die Einstufung bestimmter Einrichtungen als Unternehmen;
Als Anknüpfungspunkt lässt sich an dieser Stelle die Ziffer 3.1.2 des Leitfadens der Kommission vom 07.12.2010 zitieren, der zufolge alle Einrichtungen, die zur Verbesse- rung des Umfelds von sozialem Wohnungsbau errichtet werden, wirtschaftlicher Natur sein sollen. Unverständlich ist in diesem Zusammenhang die Einordnung zum Beispiel von Orten der Religionsausübung und von Schulen als Einrichtungen wirtschaftlicher Na- tur. Hier bedarf es weiterer Ausführungen in Bezug auf die konkrete Anwendung des Un- ternehmensbegriffs und die Einstufung als wirtschaftlicher Tätigkeit.
• die Voraussetzungen, unter denen der Ausgleich für bestimmte lokale Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse den Handel zwischen Mitgliedstaaten be- einträchtigt, so dass er in den Anwendungsbereich der Beihilfevorschriften fällt;
Diese Frage verfolgt die BAGFW schon seit Längerem, und sie setzt sich für folgende Voraussetzungen zur Klarstellung des lokalen Charakters eines sozialen Dienstes von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse ein. Beispielsweise wurden in der gemeinsam mit der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände am 21.06.2010 veröffentlich- ten Stellungnahme die Betroffenheit des örtlichen Wirkungskreises und die Erbringung
für die ortsansässigen Bürger als Indizien für eine mögliche Abgrenzung lokaler Dienste vorgeschlagen.
Folgende Kriterien könnten nach Ansicht der BAGFW für das Vorliegen eines den grenz- überschreitenden Handel nicht beeinträchtigenden (sozialen) Dienstes von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse heran gezogen werden:
a) die Nutzer, Dienstleistungserbringer, Freiwillige, kommunale Behörde, ggf. örtliche Kirchengemeinde und andere örtliche Vereine und Organisationen sind an dem Konzept des sozialen Dienstes beteiligt;
b) der Einzugsbereich des Dienstleistungserbringers ist überwiegend regional begrenzt und es sind keine Nutzer aus grenzüberschreitender Herkunft zu erwarten;
c) die Dienstleistung ist in keiner Weise einzigartig für die Region, bzw. den Mitglied- staat und wird nicht über die Region hinaus beworben;
d) die Erbringung der Dienstleistung ist nur erfolgversprechend, wenn dem Anbieter der lokale Kontext bzw. die örtlichen Gegebenheiten vertraut sind. Typisch für die Erbringung einer sozialen Dienstleistung ist die persönliche Zuwendung und zwi- schenmenschliche Verbindung zwischen den Mitarbeiter/innen der sozialen Arbeit und den Nutzer/innen. Diese kann erfahrungsgemäß am besten in Kenntnis der Sprache, örtlichen Mentalität, ethischen und religiösen Grundsätze und lokalen Strukturen erfüllt werden, folglich von örtlichen Dienstleistungsanbietern.
Die BAGFW setzt sich im Zuge der Überarbeitung der Vorschriften für diese, überwie- gend von kleinen und mittleren Einrichtungen und Diensten erbrachten, lokalen Dienst- leistungen für eine Gruppenfreistellungsverordnung ein (siehe unter 3.).
2. Vereinfachung (S. 10)
Unter diesem Stichwort anerkennt die Kommission „eine Reihe von Besonderheiten“ der sozialen Dienste, was „ihre Finanzierungsstruktur und Zielsetzung angeht“. Außerdem verweist dieser Abschnitt auf viele DAWI mit einem nur „begrenzten Umfang“. Die Kom- mission will deshalb die Voraussetzungen der De-Minimis Verordnung überprüfen, na- mentlich hinsichtlich der „Voraussetzungen und Umstände“ bestimmter Beihilfen.
Die BAGFW begrüßt eine solche Überprüfung. Sie hat selbst vorgeschlagen, dass die De-Minimis Schwellen – zumindest für Sozialdienstleistungen - auf 500.000 EUR wäh- rend eines Dreijahreszyklus angehoben werden sollen. Dies würde zu enormen Erleich- terungen für die, in aller Regel kleinen und mittelgroßen, häufig nicht-gewinnorientierten Anbieter von Diensten führen, deren Angebote überwiegend lokal und regional ausge-
richtet sind und die in der Regel aufgrund ihrer Satzung und ihres Auftrags nicht grenz- überschreitend tätig werden.
Eine weitere Möglichkeit der Vereinfachung bietet sich aus Sicht der BAGFW im Zuge
der Kontrolle der Überkompensation. Hier sollte bei mehrjährigen Verträgen eine Kontrol- le nicht, wie bisher vorgeschrieben jährlich, sondern nur einmal zum Ende des jeweiligen Vertrages erfolgen. Damit wäre gewährleistet, dass über die gesamte Vertragsdauer ge- sehen Überkompensationen vermieden werden, ohne dass die Dienstleistungserbringer jedes Jahr mit den hohen bürokratischen Anforderungen der Nachweis- und Dokumenta- tionspflichten belastet wären.
3. Diversität und Verhältnismäßigkeit (S. 9)
Die Kommission beabsichtigt, „deutlicher zwischen verschiedenen Arten von Dienstleis- tungen zu unterscheiden“. Dies halten wir für einen äußerst hilfreichen Ansatz.
Hier könnte überlegt werden, eine eigene sektorspezifische Entscheidung (im Sinne einer Gruppenfreistellungsverordnung) im Rahmen eines neuen Beihilfe-Pakets nur für lokale und soziale Dienste zu entwickeln. Eine grundsätzliche Befreiung von der Notifizierungs- pflicht würde zu einer deutlichen Entlastung der Anbieter von lokalen und sozialen Dienstleistungen führen.
Daneben sollten aber auch – analog zum sozialen Wohnungsbau und zu den Kranken- häusern – alle sozialen Dienstleistungen, unabhängig von der Einhaltung von Schwel- lenwerten, in den Anwendungsbereich der Freistellungsentscheidung einbezogen
werden. Dies wäre vor allem deshalb zu erwägen, weil die Abgrenzung von Gesundheits- und Sozialdienstleistungen oftmals schwierig ist.
Aus Sicht der BAGFW könnte z. B. die Definition der Dienstleistungsrichtlinie in Art. 2
Abs. 2 j zu Grunde gelegt werden. Danach könnte die Entscheidung gelten für
„Ausgleichzahlungen für soziale Dienstleistungen, die im Zusammenhang mit (Sozial- wohnungen,) der Kinderbetreuung und der Unterstützung von Familien und dauerhaft oder vorübergehend hilfsbedürftigen Personen, die vom Staat, durch von ihm beauftragte Dienstleistungserbringer oder durch von ihm als gemeinnützig anerkannte Einrichtungen erbracht werden;“.
Bereits 2004 hatte die BAGFW einen Vorschlag zum Geltungsbereich unter Art. 2 Abs.
1a der Freistellungsentscheidung eingebracht. Danach könnte die Entscheidung gelten für Ausgleichzahlungen an Unternehmen, die gesundheitliche und soziale Leistungen erbringen, welche über Sozialversicherungssysteme oder aus Steuermitteln finanziert werden, soweit diese Leistungen wirtschaftlicher Natur sind und soweit – wie im Falle von Deutschland – den Leistungserbringern im Rahmen des mitgliedstaatlichen Sozialrechts eine eigenständige sozialstaatliche Aufgabenwahrnehmung zugestanden wird.