Die Verbände der BAGFW begrüßen die Initiative des Ministeriums, mit den geplanten Gesetzesänderungen den Schutz der Opfer von Nachstellungen bzw. Stalking im Sinne des § 238 StGB zu stärken und halten diese für grundsätzlich geeignet, bestehende Schutzlücken zu schließen.
Insbesondere begrüßt die BAGFW die Streichung des § 238 StGB aus dem Katalog der Privatklagedelikte (§ 374 StPO).
Derzeit kann die Staatsanwaltschaft Verfahren wegen Nachstellungen mit Verweis auf den Privatklageweg gemäß §§ 170 Abs. 2, 374 StPO einstellen. Mit der Streichung sollen Belastungen für Betroffene reduziert werden und es soll den Opfern erspart werden, selbst ein Verfahren gegen den Täter anstrengen zu müssen. Zudem spricht auch die "Täter-Opfer-Konstellation" gegen den Verweis auf den Privatklageweg, da es den Verletzten nicht weiter zugemutet werden soll, selbst die Verfolgung des Täters anstrengen zu müssen - zumal Betroffene derzeit auch das Kostenrisiko einschließlich der notwendigen Auslagen des Täters, wie beispielsweise Anwaltskosten, tragen.
Darüber hinaus bedarf es aus Sicht der BAGFW bestimmter Ergänzungen bzw. Änderungen des Gesetzentwurfes:
1. Den unbestimmten Rechtsbegriff der objektiven Geeignetheit zu schwerwiegenden Beeinträchtigungen der Lebensgestaltung der Betroffenen konkretisieren.
Derzeit ist § 238 StGB (Nachstellung) als sogenanntes Erfolgsdelikt ausgestaltet und setzt voraus, dass die Handlung des Täters zu einer gravierenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers führt. Mit der Reform soll die Strafbarkeit jedoch nicht mehr von einem Erfolgseintritt abhängig gemacht werden, sondern es soll bereits zur Tatbestandsverwirklichung ausreichend sein, dass die Handlung des Täters objektiv dazu geeignet ist, die Lebensgestaltung der Betroffenen gravierend zu beeinträchtigen. Dadurch soll der Opferschutz effektiver gewährleistet und dem Unrechtsgehalt der so genannten Stalking-Fälle besser Rechnung getragen werden.
Die Verbände der BAGFW begrüßen, dass durch die Umgestaltung des Nachstellungstatbestandes von einem Erfolgs- zu einem Eignungsdelikt eine tatsächliche Unterwerfung des Opfers unter den Druck des Täters nicht mehr erforderlich ist, um eine Täter-Handlung strafrechtlich zu verfolgen.
In der Gesetzesbegründung könnte jedoch noch die Geeignetheit genauer ausgelegt werden: Es ist nämlich denkbar, dass der unbestimmte Rechtsbegriff der Geeignetheit in Bezug auf die Beeinträchtigung zu neuen Rechtsunsicherheiten führen könnte. In der Gesetzesbegründung wird auf eine objektive Geeignetheit abgestellt. Maßgeblich ist demnach eine Einschätzung der objektiven Geeignetheit der Tat hinsichtlich der Herbeiführung einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensumstände beim Opfer (S. 1 des Referentenentwurfs). Indizien sollen die Häufigkeit, Kontinuität und Intensität der Handlung sein. Im Rahmen dieser objektivierenden Beurteilung kommt in erster Linie dem Grad des psychischen Drucks, den der Täter mit seinem Verhalten erzeugt, Bedeutung zu (S. 11 des Referentenentwurfs). Dieser Druck kann bei verschiedenen Opfern unterschiedlich ankommen. Es ist also auch zu prüfen, ob das Opfer beispielsweise unter psychischen Beeinträchtigungen leidet und die Tathandlung insoweit eher geeignet ist, die Lebensführung zu beeinträchtigen. Es muss aus unserer Sicht in der Begründung deutlicher zum Ausdruck kommen, dass auch im Rahmen einer objektiven Beurteilung die Spezifität des Einzelfalles und die möglichen psychischen und körperlichen Folgen auf das jeweilige Opfer Berücksichtigung finden. Es ist zwar richtig, dass die Bewertung losgelöst von individuellen Befindlichkeiten stattfinden muss. Gerade deswegen muss es aber auch dann zu einer Strafbarkeit kommen, wenn das Opfer darlegt, dass man sich von einer tatsächlich subjektiven Beeinträchtigung durch das Täterverhalten freihalten konnte. Es geht also um die Objektivierbarkeit einer subjektiven Situation.
Jedoch bleibt das Problem der Nachweisbarkeit nach wie vor bestehen, da sich weder aus dem Gesetzestext noch aus der Gesetzesbegründung objektive Anknüpfungspunkte entnehmen lassen, wann der Tatbestand im Einzelfall verwirklicht sein soll.
2. Keine Streichung der Generalklausel sondern verfassungskonforme Anpassung
Die Generalklausel in § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB ermöglicht die Erweiterung der in den Nummern 1 bis 4 aufgeführten Tatbestände. Um einer zu weit gehenden Strafbarkeit vorzubeugen, soll die Streichung der Generalklausel erfolgen.
Gegen die Streichung bestehen erhebliche Bedenken. Auch die vorliegende Begründung, dass damit einer zu weit gehenden Strafbarkeit vorgebeugt werden soll, kann diese Bedenken nicht ausräumen. Mit der dann eintretenden abschließenden Aufzählung der Tatalternativen innerhalb des § 238 StGB können diverse Straftatbestände, wie z.B. §§ 123, 303 StGB, die erfahrungsgemäß ebenfalls im Rahmen von Stalking-Handlungen einschlägig sind, zukünftig nicht mehr berücksichtigt werden. Diese Einzelstraftaten unterstreichen die Intensität der Nachstellung zu Lasten der Opfer. Es besteht die Gefahr, dass die Bündelung eines zusammenhängenden Sachverhaltes aufgrund der in den verschiedenen Sachgebieten der Kriminalkommissariate und der in den Staatsanwaltschaften vorhandenen einzelnen Dezernate zukünftig erschwert wird.[1] Zusätzlich kann eine abschließende Aufzählung keine neuen Tatsachverhalte aufnehmen. Stalkingtäter zeichnen sich insbesondere darüber aus, immer wieder neue Handlungen zu kreieren, um ihren Opfern nachzustellen. Der „Vielgestaltigkeit des Phänomens“, welches sich einer exakten Bestimmung entzieht, den technischen Entwicklungen und möglichen „neuen Formen“ könnten nicht Rechnung getragen werden.[2]
Die Verbände der BAGFW fordern daher eine Beibehaltung der Generalklausel gemäß § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB, um den Opferschutz umfänglich aufrechtzuerhalten. Verfassungsrechtliche Bedenken (Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG) hinsichtlich der Unbestimmtheit der Generalklausel muss der Gesetzgeber durch entsprechende Anpassungen ausräumen.
3. Regelhafte Prüfung einer möglichen gerichtlichen Bestätigung und Festlegung der Strafbewehrung im Vergleich
Zukünftig sollen auch Vergleiche, die in Gewaltschutzverfahren geschlossen werden, bei Verstößen gemäß § 4 GewSchG strafbewehrt sein. Derzeit trifft dies lediglich auf Verstöße gegen eine gerichtliche Gewaltschutzanordnung zu. Hierzu bedarf es neben der Ergänzung von § 4 GewSchG auch einer Änderung des FamFG, die zukünftig eine Bestätigung des Vergleichs durch das Familiengericht vorsieht (§ 214a FamFG-E). Dies folgt aus dem Bestimmtheitsgebot, da nicht von den Beteiligten selbst festgelegt werden kann, welche Verhaltensweise strafbewehrt sein soll. Allerdings ist dies nur möglich, wenn bestimmte Voraussetzungen, wie die Antragstellung durch die verletzte Person und das Vorliegen einer Tathandlung im Sinne von § 1 Abs. 1 oder § 1 Abs. 2 GewSchG vorliegen. Zudem ist es erforderlich, dass die vom Täter übernommene Verpflichtung aus dem Vergleich hinreichend bestimmt und verhältnismäßig ist.
Die Verbände der BAGFW begrüßen die Einführung der Bestätigung und fordern, dass die Vergleiche regelhaft von Amts wegen hinsichtlich der sonstigen Voraussetzungen für eine Bestätigung gerichtlich geprüft und die Strafbewehrung der geschlossenen Vergleiche somit regelhaft mitgedacht und bei Vorliegen der Voraussetzungen umgesetzt werden.
[1] Vgl. Stellungnahme der LAG der Interventionsstellen gegen häusliche Gewalt und Stalking Mecklenburg-Vorpommern zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes gegen Nachstellung, Rostock, 29.03.2016.
[2] vgl. Fischer 61. Aufl. 2014, StGB, § 238, Rn.17.