Die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege danken für die Gelegenheit zur Stellung- nahme zum vorliegenden Gesetzentwurf des Bundesinnenministeriums im Rahmen der Ver- bändebeteiligung.
Einige der im Entwurf geplanten Neuregelungen im Bereich der Aufenthaltsbeendigung wer- den zu weitreichenden Veränderungen bei der Abschiebungshaft, bei dem Erlass einer Sperrwirkung und im Ausweisungsrecht führen. Sie erscheinen jedoch aus Sicht der in der BAGFW zusammengeschlossenen Verbände für die erklärte Zielerreichung des Gesetzent- wurfes, Defizite beim Vollzug der Ausreisepflicht abzubauen, entweder nicht geeignet oder führen zu unverhältnismäßigen Auswirkungen. So werden Zwangs- und Sanktionsmaßnah- men eingeführt, die die Vollzugshemmnisse voraussichtlich nicht abbauen werden, jedoch viele potenziell Bleibeberechtigte treffen. Besonders kritisch sehen wir die folgenden Punkte:
Die Neuregelungen sehen eine erhebliche Ausweitung der Möglichkeit vor, Ausländer in Abschiebungshaft zu nehmen. Diese Ausweitung der Haftgründe ist aus Sicht der BAGFW weder erforderlich noch angemessen. Zu befürchten ist, dass aufgrund der sehr weit ge- fassten neuen gesetzlichen Definition der (erheblichen) Fluchtgefahr in § 2 Abs. 14 Auf- enthG-E, eine Inhaftierung von Asylsuchenden und Ausländern nicht nur im Rahmen des Dublin-Verfahrens erheblich zunehmen könnte.
Weiter wird die geplante Ausweitung der Möglichkeit, eine Sperrwirkung nach § 11 Auf- enthG-E (Einreise-, Aufenthalts- und Erteilungsverbot für den gesamten Schengenraum) zu erlassen, zu unverhältnismäßigen Folgen für die betroffenen Personen führen.
Nicht nachvollziehbar ist für uns insbesondere die vorgesehene Neuregelung, nach der ein
Einreise und Aufenthaltsverbot verhängt werden kann, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass die Person in das Bundesgebiet eingereist ist, um öffentliche Leistungen zu beziehen. Indem von allen Asylsuchenden, deren Asylantrag als unzulässig, unbeachtlich oder offensichtlich unbegründet eingestuft angenommen wird, dass sie einge- reist seien, um Sozialleistungen zu beziehen, träfe ein solches Verbot unserer Auffassung nach eine sehr große Zahl der Asylsuchenden. Die Regelung könnte auch dazu führen,
dass es für diesen Personenkreis zukünftig keine Möglichkeit gäbe, aus humanitären Grün- den eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Damit würde auch die Bleiberechtsregelung kon-
terkariert und es wäre zu befürchten, dass die Zahl der Personen, die dauerhaft mit einer
Duldung leben müssen, weiter ansteigt.
Ferner leidet die Neufassung des Ausweisungsrechts unter den beiden nicht miteinander zu vereinbarenden Zielen des Vorhabens, einerseits der Rechtsprechung der obersten Gerich- te Rechnung zu tragen und Interessen von hier lebenden Ausländerinnen und Ausländern stärker als nach dem geltenden Recht zu berücksichtigen und andererseits dem Ziel, Aus- weisungen zu erleichtern.
Grundsätzlich zu begrüßen sind die geplanten Neuregelungen der Aufenthaltsgewährung für gut integrierte Jugendliche und Heranwachsende (§ 25 a AufenthG-E) sowie die im Koaliti- onsvertrag vereinbarte Einführung eines stichtagsunabhängigen Bleiberechts bei wirtschaft- licher Integration (§ 25 b AufenthG-E). Der Anwendungsbereich beider Regelungen wird jedoch durch geplante Regelungen bei der Einreise- und Aufenthaltssperre nach § 11 Abs.6 und 7 AufenthG E zum Teil erheblich wieder eingeschränkt, da nach § 11 Abs.1 AufenthG kein Aufenthaltstitel erteilt werden darf, wenn ein Einreise- und Aufenthaltsverbot erteilt wird, selbst dann nicht, wenn ein Anspruch auf die Erteilung besteht.
Hinsichtlich der angestrebten Bleiberechtsregelung ist zudem anzumerken, dass damit nicht
– wie im Koalitionsvertrag vereinbart – die im Bundesrat am 22.3.2013 verabschiedete Re- gelung (Drucksache 505/12) umgesetzt wird. Eine vollständige Umsetzung des Bundes- ratsbeschlusses ist daher anzumahnen.
Sowohl die Aufenthaltsgewährung bei wirtschaftlicher Integration als auch der Abbau von Vollzugshemmnissen bei der Ausreisepflicht soll die Zahl der geduldeten Personen reduzie- ren. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot verbunden mit einer Erteilungssperre beseitigt je- doch keine Ausreise- oder Abschiebehindernisse, verhindert allerdings die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aufgrund wirtschaftlicher Integration. Im Ergebnis wird die Zahl der Geduldeten dadurch voraussichtlich steigen.
Des Weiteren ist die Möglichkeit der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis für Opfer von Menschenhandel nach ihrer Mitwirkung in einem Strafprozess in § 25 Abs. 4a AufenthG-E grundsätzlich positiv. Um die Situation von Opfern von Menschenhandel oder Arbeitsaus- beutung zu verbessern, wären aber weitere Maßnahmen nötig. Begrüßenswert ist auch die Einführung einer eigenständigen Bestimmung für Personen, die im Zuge des Resettlements nach Deutschland kommen und deren Gleichstellung beim Familiennachzug mit anerkann- ten Flüchtlingen.
Im Ergebnis enthält der Entwurf trotz Verbesserungen und der Umsetzung von Rechtspre- chung und europäischem Recht vorwiegend Regelungen, die nach unserer Auffassung dem Ziel der Bundesregierung, in Deutschland grundsätzlich eine Willkommenskultur zu etablie- ren, entgegenstehen.
Wir würden uns freuen, wenn unsere Überlegungen und Anregungen in den weiteren Ge- setzgebungsprozess Eingang finden.
Zu folgenden Änderungen möchten wir im Detail Stellung nehmen:
1. Ausdehnung der Haftgründe für schutzsuchende Flüchtlinge nach § 2 Abs. 14 Auf- enthG-E (Art. 1 Nr. 2 i.V.m. Nr. 31 a)aa)
Nach der Neuregelung in § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 und 6 AufenthG-E ist ein Ausländer in Zu- kunft auch in Haft zu nehmen, wenn gemäß Nr. 5 Fluchtgefahr oder gemäß Nr. 6 Anhalts- punkte dafür vorliegen, dass ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asyl- verfahrens zuständig ist, ein Auf- oder Wiederaufnahmeverfahren eingeleitet wird und eine erhebliche Fluchtgefahr besteht.
In den Begriffsdefinitionen in § 2 Abs. 14 AufenthG-E werden die Rechtsbegriffe „Fluchtge- fahr“ und „erhebliche Fluchtgefahr“ erstmals im Aufenthaltsgesetz bestimmt. Laut Gesetzes- begründung soll mit der Begriffsbestimmung den Vorgaben der EU-Rückführungsrichtlinie (2008/115/EG) und der Dublin-III-Verordnung (Verordnung (EU) Nr. 604/2013) Rechnung getragen werden. Nach Vorgaben beider europäischer Rechtsakte bezeichnet „Fluchtge- fahr“ das Vorliegen von Gründen im Einzelfall, die auf objektiven, gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zu der Annahme Anlass geben, dass sich ein Drittstaatsangehöriger einem Rückkehr- oder Überstellungsverfahren durch Flucht entziehen könnte.
Bewertung:
"Fluchtgefahr" besteht nach der Neuregelung im Gesetzentwurf (§ 2 Abs. 14 Satz 1 Auf- enthG-E), wenn der begründete Verdacht besteht, dass sich der Ausländer der Abschiebung entziehen will. Diese Definition entspricht dem bisherigen § 62 Abs. 3 Nr. 5 AufenthG. Maß- geblich ist hiernach daher weiterhin die sich aus entsprechenden Erklärungen oder aus dem Verhalten des Ausländers ergebende Entziehungsabsicht. Gründe im Einzelfall, die auf ob- jektiven, gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen, so wie es die europäischen Rechtsakte fordern, werden hierdurch jedoch nicht festgelegt. Der Haftgrund der „Fluchtgefahr“ wird weiterhin nicht bestimmt.
Erst die „erhebliche Fluchtgefahr“ in § 2 Abs. 14 Satz 2 AufenthG-E legt in Bezug auf Art. 28
Abs. 2 EU-Verordnung 604/2013 (Dublin-III-Verordnung)der Begriffsbestimmung objektive
Kriterien zugrunde. Laut Gesetzesbegründung handelt es sich nicht um eine abschließende
Aufzählung, so dass auch hier offenbar weitere Gründe in Betracht gezogen werden könn- ten, die bislang unbestimmt sind. Eine „erhebliche Fluchtgefahr“ ist laut Gesetzestext insbe- sondere dann anzunehmen, wenn „konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Ausländer
1. einen Mitgliedstaat verlassen hat, bevor ein dort laufendes Verfahren zur Prüfung eines
Antrags auf internationalen Schutz abgeschlossen wurde,
2. bereits früher in Deutschland oder in einem anderen Mitgliedstaat untergetaucht ist,
3. unter Umgehung einer Grenzkontrolle eingereist ist,
4. sich verborgen hat, um sich der polizeilichen Kontrolle zu entziehen,
5. über seine Identität getäuscht hat, insbesondere durch Unterdrückung oder Vernichtung von Identitäts- oder Reisedokumenten, oder das Vorgeben einer falschen Identität,
6. Mitwirkungshandlungen zur Feststellung der Identität verweigert oder unterlassen hat
oder
7. in Bezug auf den Reiseweg oder einen Asylantrag eindeutig unstimmige oder falsche
Angaben gemacht hat.“
Es ist zunächst nicht ersichtlich, worin die Steigerung bei der erheblichen Fluchtgefahr ge- genüber der einfachen Fluchtgefahr besteht, da die einfache Fluchtgefahr bislang nicht kon- kretisiert wurde. Vielmehr könnte es beispielsweise im Einzelfall auch durchaus sein, dass in einem Überstellungsverfahren nach der Dublin-III-Verordnung festgestellt wird, dass der Flüchtling zwar "unter Umgehung einer Grenzkontrolle eingereist" (erhebliche Fluchtgefahr) sein kann, jedoch konkret "kein begründeter Verdacht besteht, dass sich der Ausländer der Abschiebung entziehen will" (einfache Fluchtgefahr). Hier würde aktuell sogar eine einfache Fluchtgefahr verneint, rückblickend jedoch eine erhebliche Fluchtgefahr angenommen wer- den müssen.
Sinn und Zweck der europarechtlichen Vorgaben ist es, Inhaftnahmen in Dublin-III- Verfahren erst dann zu ermöglichen, wenn eine gegenüber einer einfachen Fluchtgefahr gesteigerte, also eine erhebliche Fluchtgefahr in Betracht kommt. Nach Art. 28 Abs. 2 Ver- ordnung (EU) Nr. 604/2013 dürfen Mitgliedstaaten die entsprechende Person nur in dem Falle in Haft nehmen, dass die Haft verhältnismäßig ist, und sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen. Art. 28 Abs. 1 der Verordnung stellt klar, dass Flüchtlinge nicht allein deshalb in Haft genommen werden dürfen, weil sie dem in der Ver-
ordnung festgelegten Verfahren unterliegen. Aus dem Umstand, dass jemand einen anderen zuständigen EU-Staat verlässt und in einen anderen Dublin-III-Staat in Unkenntnis der Dub- lin-Regelungen reist, darf nach unserer Auffassung nicht automatisch geschlossen werden, dass er sich der Überstellung in den zuständigen Dublin-Staat entziehen will.
Eine Inhaftnahme muss daher strengen Anforderungen bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung unterliegen. Die alleinige Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen der Haftgründe genügt nicht. Die Inhaftnahme muss aus verfassungsrechtlicher Sicht geeignet, erforderlich und angemessen sein. Die Erforderlichkeit und die Angemessenheit einer Inhaftnahme auf- grund des Fluchtgrundes "erhebliche Fluchtgefahr" in der Begriffsbestimmung, wie sie in § 2
Abs. 14 Satz 2 AufenthG-E ihren Niederschlag gefunden hat, wird von den in der BAGFW
zusammengeschlossenen Verbänden daher ausdrücklich in Frage gestellt. Die dort genann- ten Regelbeispiele stellen hinsichtlich des Verdachtes einer Entziehungsabsicht seitens des Ausländers ausnahmslos auf eine rückblickende Betrachtungsweise ab. Die in § 62 Abs. 3
AufenthG bislang geregelten Haftgründe, die nun aufgrund der weitreichenden Definition der
„erheblichen Fluchtgründe“ erweitert werden sollen, befassen sich jedoch hauptsächlich mit dem Zeitraum der tatsächlichen Abschiebung. Die faktische Ausweitung der Haftgründe des
§ 62 Abs. 3 AufenthG durch die in der Begriffsbestimmung der erheblichen Fluchtgefahr
vorgesehenen Regelbeispiele stellt daher eine atypische Ergänzung von Fluchtgründen dar, die nach Auffassung der BAGFW im Widerstreit mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stehen, der hinsichtlich der Geeignetheit des angewandten Mittels in § 62 Abs. 1 AufenthG ausdrücklich normiert ist und auch laut Gesetzentwurf in der Neufassung so geregelt sein soll.
Bei einer oftmals schnell erforderlichen Entscheidung eines Haftrichters besteht zudem die Gefahr, dass im Erst-Recht-Schluss zukünftig immer dann auch die einfache Fluchtgefahr bejaht wird, wenn eines der in § 2 Abs. 14 Satz 2 AufenthG-E vorgesehenen Regelbeispiele vorliegt. Damit könnte nahezu bei jedem Asylsuchenden eine Inhaftnahme nach § 62 Abs. 3
Nr. 5 AufenthG-E angeordnet werden.
Die in § 2 Abs. 14 Satz 2 AufenthG-E vorgesehenen Regelbeispiele lassen den Schluss zu, dass bereits aufgrund der bloßen Asylantragstellung im Dublin-III-Verfahren inhaftiert wer- den kann, da beispielsweise eine Vielzahl der Asylsuchenden den Inhaftierungsgrund der
„Umgehung einer Grenzkontrolle“ erfüllt. Asylbewerber reisen auf dem Landweg regelmäßig unter Umgehung der Grenzkontrollen an den Außengrenzen ein, da es keine legalen Einrei-
sewege in die Europäische Union gibt. Die „illegale“ Einreise gehört gerade zu den fluchtty- pischen Begleitumständen und darf als solche nicht mit einer Inhaftierung sanktioniert
werden.
Der Gesetzentwurf sieht ferner vor, dass einerseits „konkrete Anhaltspunkte“ für eine erheb- liche Fluchtgefahr vorliegen müssen, andererseits jedoch lediglich „Anhaltspunkte“ (§ 62
Abs. 3 S. 1 Nr. 6 AufenthG-E) in Bezug auf die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates für die Durchführung des Asylverfahrens ausreichen sollen. Hier ist zu fragen, ob nicht zu-
mindest ein Eurodac-Treffer vorliegen muss, oder ob ein anderer Anhaltspunkt wie die
wahrscheinliche Einreise aus einem Nachbarstaat Deutschlands tatsächlich ausreichend sein soll. Ein solcher Maßstab wäre aus Sicht der BAGFW angesichts der Eingriffstiefe beim
Freiheitsentzug jedenfalls unverhältnismäßig.
Handlungsempfehlung:
Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege sind der Ansicht, dass Asylsuchende grundsätz- lich nicht in Abschiebungshaft genommen werden sollen. Für die Fälle, in denen bei Rück- überstellungen dies doch als notwendig angesehen wird, sollten bei der Bestimmung der Fluchtgefahr europarechtskonform Gründe im Einzelfall, die auf objektiven Kriterien beru- hen, gesetzlich festgelegt werden. Hinsichtlich der Bestimmung der erheblichen Fluchtgefahr sollten ebenso nur Gründe, die auf objektiven Kriterien beruhen, festgelegt werden, jedoch
müssen diese eine Steigerung gegenüber den Gründen für die Bestimmung der einfachen
Fluchtgefahr erkennen lassen und dem Verhältnismäßigkeitsgebot entsprechen.
2. Keine Erteilung paralleler Aufenthaltstitel § 4 Abs.1 Satz 2 AufenthG-E (Art. 1 Nr. 3)
In § 4 Abs. 1 AufenthG-E soll die parallele Erteilung von Aufenthaltstiteln ausgeschlossen werden, sofern das Gesetz nichts anderes bestimmt. Dies soll dann nur für die Niederlas- sungserlaubnis und den Daueraufenthalt-EU gelten. So soll künftig beispielsweise ein Ne- beneinander eines humanitären Aufenthaltstitels und eines Titels als Ehegatte nicht mehr möglich sein.
Bewertung:
Die geplante Regelung widerspricht der Lebenswirklichkeit und führt dazu, dass ein mögli- cher Anspruch im Fall einer Aufenthaltsverfestigung (aus EMRK-Rechten, dem Schutz der Ehe und Familie, etc.) aus einem verweigerten Aufenthaltstitel verwehrt wäre. Das Recht auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels darf nicht genommen werden, weil gleichzeitig auch ein Recht auf einen anderen Titel besteht. Die geplante Regelung stellt nach Auffassung der BAGFW eine unzulässige Beschneidung von Rechten der Betroffenen dar. Sinn und Zweck einer solchen Regelung sind bereits in Frage zu stellen und angesichts der Eingriffstiefe insgesamt als unverhältnismäßig abzulehnen.
Handlungsempfehlung:
Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege empfehlen, auf diese Regelung zu verzichten.
3. Sperrwirkung (Einreise- u. Aufenthaltsverbot sowie Erteilungsverbot auch bei Anspruch auf einen Aufenthaltstitel) bei nicht-freiwilliger Ausreise innerhalb der Aus- reisefrist u. OU-Ablehnungen-/Folgeantragsfällen (Art. 1 Nr. 8 i.V.m. Nr. 25 und Nr.
40)
3. a. Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots
In § 11 AufenthG-E wird das Einreise- und Aufenthaltsverbot, das damit für den gesamten
Schengenraum gilt, neu geregelt.
Befristung
Zu begrüßen ist, dass eine Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nun nicht mehr von einem Antrag abhängig gemacht wird, sondern in korrekter Umsetzung der Richt- linie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) von Amts wegen erfolgen soll.
Dauer der Frist
In § 11 Abs. 3 AufenthG-E wird bestimmt, dass die Frist von fünf Jahren überschritten wer- den kann, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder, wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Diese Regelung entspricht derjenigen des derzeit geltenden § 11
Abs. 1 Satz 4 AufenthG.
Bewertung:
Art. 11 Abs. 2 der EU-Rückführungsrichtlinie (2008/115/EG) regelt, dass die maximale Dau- er von fünf Jahren nur aufgrund einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Sicher- heit, die öffentliche Ordnung oder die nationale Sicherheit überschritten werden darf. Straftäterinnen und Straftäter sind vom Regelungsbereich der Rückführungsrichtlinie ausge- nommen. Es erscheint jedoch unverhältnismäßig, wenn die Wiedereinreisesperre von 5 Jah- ren bei einer Ausweisung bereits aufgrund einer beliebigen Straftat – ohne dass sie ähnlich einer schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit, öffentliche Ordnung oder natio- nale Sicherheit wirkt - überschritten werden kann.
Handlungsempfehlung:
Die Regelung für die strafrechtliche Verurteilung ist aus Sicht der BAGFW-Verbände daher anzupassen oder zu streichen.
3. b. Einreise- und Aufenthaltsverbot bei Ausreisepflicht
§ 11 Abs. 6 AufenthG-E sieht künftig vor, dass gegen einen Ausländer, der seiner Ausreise- pflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden kann.
Bisher steht die Sperrwirkung (Einreise- und Aufenthaltsverbot sowie Erteilungsverbot auch bei Anspruch auf einen Aufenthaltstitel aus anderen Gründen, z.B. Familiennachzug, Bleibe- recht, etc.) der legalen Einreise und Erteilung des Aufenthaltstitels nur entgegen, wenn eine Person zurück- oder abgeschoben oder ausgewiesen wurde, jedoch nicht bei einer freiwilli- gen Ausreise, bei der lediglich die Ausreisefrist nicht eingehalten wurde. Dieser Grundsatz wird nunmehr verlassen.
Bewertung:
Ein Einreise- u. Aufenthaltsverbot kann nun allein aufgrund der Tatsache erteilt werden, dass die Ausreisefrist abgelaufen ist. Dies kann grundsätzlich alle Asylbewerber betreffen, deren Asylantrag abgelehnt wurde und die trotz der mit der eine Androhung der Abschie- bung verbundenen Ausreisefrist von einer bzw. vier Wochen nicht fristgerecht ausreisen. Eine Klärung weiterer aufenthaltsrechtlicher Perspektiven nach abgelehntem Asylantrag und Bemühungen um einen anderen Aufenthaltstitel sind allein aufgrund der Kürze der Zeit in einer Vielzahl der Fälle dann nicht möglich.
Diese Regelung kann ebenso darüberhinaus nahezu alle geduldeten Personen treffen, da sie im Regelfall ihrer Ausreisepflicht gerade nicht nachgekommen sind, ihnen die Ausreise tatsächlich oder rechtlich innerhalb der Ausreisefrist nicht möglich ist.
Es gibt weder im Gesetzestext noch in der Begründung Anhaltspunkte, wie die Ausländer- behörde in diesen Fällen ihr Ermessen ausüben soll. Es bleibt der meist unterschiedlichen Verwaltungspraxis in den Bundesländern überlassen, ob sie nach Ablauf der Ausreisefrist nahezu regelmäßig ein Einreise- und Aufenthaltsverbot verhängt und damit ein Erteilungs- verbot auch bei Anspruch auf einen Aufenthaltstitel aus anderen Gründen bewirkt oder nur in bestimmten Einzelfällen.
Ist ein solches Verbot verhängt, ist es der Ausländerbehörde innerhalb der Frist auch bei Anspruch auf einen Aufenthaltstitel aus anderen Gründen nicht möglich, einen Aufenthaltsti- tel zu erteilen. Das gleiche gilt für die Erteilung eines Aufenthaltstitels aufgrund wirtschaftli- cher Integration. Damit droht die ebenfalls mit diesem Gesetzentwurf vorgesehene Regelung zur Aufenthaltsgewährung bei wirtschaftlicher Integration (Art. 2 Nr. 14 – Stichtagfreies Blei- berecht) leerzulaufen, darüber hinaus jedoch auch die bereits bestehenden Regelungen §
18 und § 25a AufenthG.
Eine solche Regelung würde daher zu vermehrten Duldungen führen und aufgrund der Dauer eines Einreiseverbots insbesondere zu Kettenduldungen. Für die betroffenen Perso- nen ist dies sehr problematisch, da alle Lösungsmöglichkeiten und damit Perspektiven ver- stellt werden, gerade wenn sie das Ausreise- oder Abschiebungshindernis nicht selbst zu vertreten haben.
Handlungsempfehlung:
Die Möglichkeit einer Sanktionierung allein des Fristversäumnisses mit einem Einreise- und
Aufenthaltsverbot ist aus Sicht der in der BAGFW zusammengeschlossenen Verbände als unverhältnismäßig einzustufen und sollte gestrichen werden.
3. c. Einreise und Aufenthaltsverbot bei Einreise, „um öffentliche Leistungen in Anspruch zu nehmen“
Gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG-E soll die Ausländerbehörde oder zukünftig auch das Bun- desamt (nach Art. 2 Nr. 37) ein Einreise- und Aufenthaltsverbot verhängen, wenn "tatsächli- che Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen", dass die Person "in das Bundesgebiet eingereist ist, um öffentliche Leistungen zu beziehen, die der Sicherung des Lebensunter- haltes dienen". § 11 Abs. 7 Satz 4 AufenthG-E sieht vor, dass die Einreise regelmäßig als zum Zwecke des Bezugs von öffentlichen Leistungen getätigt gilt, wenn ein Asylantrag als unzulässig, unbeachtlich oder offensichtlich unbegründet abgelehnt wird oder wenn ein Fol- ge- oder Zweitantrag nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens führt.
Bewertung:
Aufgrund der geplanten gesetzlichen Vermutungsregelungen, dass eine Einreise „regelmä- ßig als zum Zwecke des Bezugs von öffentlichen Leistungen getätigt“ gilt, „wenn ein Asylan- trag als unzulässig (Zuständigkeit eines anderen Mitgliedsstaates für die Durchführung des Asylverfahrens), unbeachtlich (Einreise über einen sicheren Drittstaat) oder offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde oder nach einem einfach abgelehntem Asylantrag ein Folge- antrag nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens führt“, wird die geplante Rege- lung nahezu alle abgelehnten Asylbewerber betreffen.
Die Annahme, dass alle Personen, die die hohen Hürden eines Asylverfahrens nicht erfolg- reich überwunden haben, allein zum Zwecke des Bezugs öffentlicher Leistungen eingereist seien, entspricht aus unserer Praxiserfahrung nicht der Realität. Im letzten Jahr wurden zwei Drittel der Ablehnungen als offensichtlich unbegründet eingeschätzt. Angesichts der weitrei- chenden gesetzlichen Regelungen im Asylverfahrensgesetz, wann ein Antrag als offensicht- lich unbegründet abzulehnen ist, können Personen ein Einreise- und Aufenthaltsverbot verbunden mit einem Erteilungsverbot auch bei Anspruch auf einen Aufenthaltstitel aus an- deren Gründen erhalten, obwohl sie schutzbedürftig sind. Dies betrifft zum Beispiel die Ab- lehnung als offensichtlich unbegründet, wenn der Asylantrag gemäß § 30 Abs. 3 S. 1 Nr. 1
AsylVfG in wesentlichen Punkten nicht substantiiert oder in sich widersprüchlich ist oder gemäß Nr. 4 ein Asylantrag erst bei drohender Aufenthaltsbeendigung gestellt wird.
Aus der Erfahrung unserer Flüchtlingsberatungsstellen wissen wir, dass es unterschiedliche nachvollziehbare Gründe gibt, warum ein Asylvortrag in einer Weise gehalten wird, sodass er nicht substantiiert oder in sich widersprüchlich erscheint oder beispielsweise aufgrund einer psychischen Belastung oder Traumatisierung erst bei einer drohenden Aufenthaltsbe- endigung gestellt wird, obwohl die betreffende Person tatsächlich schutzbedürftig ist. Daher ist zu befürchten, dass hier besonders schutzbedürftige Flüchtlinge getroffen werden, denn gerade sie sind oftmals nicht in der Lage, die hohen Anforderungen eines Asylverfahrens zu erfüllen.
Personen, deren Asylanträge als unzulässig abgelehnt werden, sind in der Hoffnung einge- reist, dass ihr Asylantrag in Deutschland zumindest geprüft wird. Sie fliehen in den meisten Fällen aufgrund von Verfolgung aus ihren Herkunftsländern und in der Hoffnung auf Schutz. Es darf nicht aufgrund der Tatsache, dass ein anderer Staat für die Durchführung des Asyl- verfahrens zuständig ist pauschal unterstellt werden, dass sie mit dem Motiv, Sozialleistun- gen zu erlangen, in die Bundesrepublik einreisen. Bereits aus dem Leistungssystem des SGB XII ist bekannt, dass es kaum Fälle gibt, in denen jemand eingereist ist allein aus dem prägenden Motiv, öffentliche Leistungen in Anspruch zu nehmen.
Die vorgesehene gesetzliche Vermutung des Motivs, eingereist zu sein, um Sozialleistungen zu beziehen, hätte noch weitere Folgen: So wäre laut § 33 Abs. 1 BeschVO regelmäßig ein Beschäftigungsverbot zu verhängen - auch unabhängig davon, ob die Ausländerbehörde ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 7 AufenthG-E erteilt. Eine wirtschaftliche
Integration im Sinne der eigenständigen Lebensunterhaltssicherung wäre damit nicht mehr möglich, um eventuell in eine Aufenthaltsverfestigung gelangen zu können. Vielmehr wären Personen, denen vorgeworfen wird, zum Bezug von Sozialleistungen eingereist zu sein, allein auf Sozialleistungen verwiesen.
Zudem ist höchst bedenklich, dass eine Wiedereinreise für das gesamte Schengengebiet gesperrt wäre. Bei einem Einreise- und Aufenthaltsverbot aufgrund der gesetzlichen Vermu- tung bei unzulässigen Anträgen würde dies für einen Flüchtling, der bereits in einem ande- ren Schengenstaat anerkannt ist, auch ein Einreise- und Aufenthaltsverbot in diesem Schengenstaat bedeuten. Ein in Malta anerkannter Schutzberechtigter könnte also nach der Verhängung des Aufenthaltsverbotes in Deutschland nicht mehr nach Malta zurückkehren, sondern lediglich in ein Land außerhalb des Schengenraums. Für Staatsangehörige von Serbien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Albanien und Montenegro würde dies bedeu- ten, dass sie aufgrund ihrer Insellage in der Europäischen Union ihr Land nicht verlassen können.
Die Regelungen nach § 11 Abs. 6 und 7 AufenthG-E begegnen überdies auch verfassungs- rechtlichen Bedenken, da die aufgrund der Rechtsprechung geplante Abwägungs- Systematik der Ausweisungsregeln in §§ 53 ff AufenthG-E keinen Niederschlag finden und damit faktisch außer Kraft gesetzt würden. Diese Regelungen sind im Übrigen mit der Sys- tematik der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie), die festlegt, wann eine Auswei- sung und Wiedereinreisesperre erfolgen darf und wann nicht, nach unserer Auffassung nicht vereinbar.
Im Übrigen wird die Verhängung der Sperrwirkung etwa nach einer Ablehnung eines Asylan- trages als solche zwar kaum höheren Verwaltungsaufwand erfordern, es wird jedoch erwart- bar zu vermehrten Rechtstreitigkeiten über die Erteilung und den Fristlauf eines solchen Einreise- und Aufenthaltsverbotes kommen, gerade bei Betroffenen, die aus den europäi- schen Drittstaaten visafrei einreisen können. In Bezug auf die Erteilung einer Sperrwirkung nach § 11 Abs.7 AufenthG-E soll darüberhinaus künftig auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zuständig sein, § 75 Nr. 12 AufenthG-E. Angesichts der bereits bestehenden hohen Belastung des Bundesamtes sollte hier keine Aufgabenerweiterung stattfinden.
Handlungsempfehlung:
Aus den vorstehend genannten Gründen setzen sich die die Verbände der Freien Wohl- fahrtspflege dafür ein, § 11 Abs. 3 AufenthG-E entsprechend zu ändern und die Absätze 6
und 7 des genannten Paragraphen insgesamt ersatzlos zu streichen.
4. Resettlement/Humanitäre Aufnahme (Art. 1 Nr. 11)
Nach der geplanten Neuregelung sollen im Rahmen von Resettlement ausgewählte Flücht- linge einen Aufenthaltstitel nach § 23 Abs. 4 AufenthG-E erhalten. Gleichzeitig soll für die- sen Personenkreis die Familienzusammenführung unter erleichterten Bedingungen ermöglicht und damit an die Regelungen für Asylberechtigte und reguläre Flüchtlinge ange- glichen werden.
Bewertung:
Flüchtlinge, die künftig einen Aufenthaltstitel nach § 23 Abs. 4 AufenthG-E erhalten, werden von UNHCR vorab bereits als Flüchtlinge registriert und von UNHCR für das Resettlement- Verfahren nur vorgeschlagen, wenn ihnen dauerhaft weder der Verbleib im Erstaufnahme- land noch eine Rückkehr in das Herkunftsland zugemutet werden kann. Auch werden die Flüchtlinge mit der Zusage aufgenommen, dass ihnen eine dauerhafte Perspektive in Deutschland ermöglicht wird. Vor dem Hintergrund, dass sich diese Flüchtlinge in der glei- chen Situation befinden wie Flüchtlinge, die in Deutschland ein Asylverfahren erfolgreich durchlaufen haben, ist nicht nachvollziehbar, warum die beiden Flüchtlingsgruppen dennoch
nach der Neuregelung nicht vollumfänglich gleichgestellt werden.
Daher ist nicht nachvollziehbar, warum der Gesetzentwurf nicht vorsieht, dass Personen mit Aufenthalt nach § 23 Abs. 4 AufenthG-E auch einen Anspruch auf Teilnahme an einem In- tegrationskurs haben.
Mit dem neuen § 23 Abs. 4 kann nach einem Aufenthalt von sieben Jahren eine (unbefriste- te) Niederlassungserlaubnis beantragt werden. Dies setzt jedoch u. a. einen gesicherten Lebensunterhalt, mindestens über 60 Monate hinweg gezahlte Altersvorsorgeleistungen mindestens eines Ehepartners und in der Regel ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache voraus (§ 26 Abs. 4 AufenthG). Anerkannten Flüchtlingen wird, sofern die Verfol- gungssituation unverändert fortbesteht, bereits nach drei Jahren eine Niederlassungser- laubnis erteilt. Hierfür werden weder die Sicherung des Lebensunterhalts noch erbrachte Altersvorsorgeleistungen vorausgesetzt.
Personen mit einem Aufenthalt nach § 23 Abs. 4 genießen im Gegensatz zu Asylberechtig- ten und Flüchtlingen keinen besonderen Ausweisungsschutz (in Zukunft besonders schwer wiegendes Bleibeinteresse gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG-E).
Mit der Ergänzung des § 6 der Aufenthaltsverordnung ist nach unserer Einschätzung beab- sichtigt, dass Personen mit Aufenthalt nach § 23 Abs. 4 ein Reisepass ausgestellt werden soll und regelmäßig davon ausgegangen werden soll, dass die Erlangung von Pass und Passersatz nicht zumutbar ist. Die Neuregelung ist nur schwer nachvollziehbar. Wir regen deshalb eine klare Formulierung an, die sicherstellt, dass die betroffenen Flüchtlinge einen Reisepass erhalten.
Handlungsempfehlung:
Aus den genannten Gründen setzen sich die Verbände der BAGFW dafür ein, dass im
Rahmen von Resettlement aufgenommene Flüchtlinge alle in der Genfer Flüchtlingskonven- tion verbrieften Rechte erhalten. Insbesondere muss ihnen ein Anspruch auf Zugang zu In- tegrationskursen ermöglicht werden. Daneben sollte die Niederlassungserlaubnis unter erleichterten Bedingungen vorgesehen und ein besonderer Ausweisungsschutz gewährt werden.
5. Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis für Opfer von Menschenhandel nach § 25
Abs. 4a AufenthG-E (Art.1 Nr. 12 a)
Es ist geplant, für die Aufenthaltserlaubnis für Opfer von Menschenhandel eine Möglichkeit der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis einzuführen (§ 25 Abs. 4a S. 3 AufenthG-E). Sie kann verlängert werden, solange humanitäre oder persönliche Gründe oder öffentliche Inte- ressen die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet erfordern.
Bewertung:
Die Möglichkeit, eine Aufenthaltserlaubnis für Opfer von Menschenhandel zu verlängern, ist zu begrüßen.
Wünschenswert wäre, die gleiche Regelung auch für die Aufenthaltserlaubnis nach § 25
Abs. 4b zu schaffen. Bisher kann diese Aufenthaltserlaubnis nur verlängert werden, wenn der Lohnanspruch nicht zumutbar vom Ausland aus durchgesetzt werden kann. Auch bei
Opfern von Arbeitsausbeutung sollten aber humanitäre oder persönliche Gründe eine Ver-
längerung des Aufenthaltstitels möglich machen und § 25 Abs. 4b entsprechend ergänzt werden.
Die Verbände der BAGFW sahen es schon bei der Einführung der Regelung als problema-
tisch an, dass die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4a von der Aussagebe- reitschaft der Opfer, darüber hinaus, der Erforderlichkeit der Aussage für das Strafverfahren abhängt. Notwendig ist aber, dass diesen Menschen, die Opfer schwerster Menschenrecht- verletzungen und häufig traumatisiert sind, eine Aufenthaltserlaubnis unabhängig davon
erteilt werden kann, ob Bereitschaft zur Aussage besteht und die Staatsanwaltschaft diese
Aussage benötigt.
Handlungsempfehlung:
Daher empfehlen wir, das aktuelle Gesetzgebungsverfahren zu nutzen, um § 25 Abs. 4a und 4b entsprechend zu ändern.
6. Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG bei Vorliegen einer Wiedereinreisesperre (Art.1 Nr. 12 b)
Zur Beendigung der Kettenduldungen wurde mit Einführung des Aufenthaltsgesetzes die Regelung des § 25 Abs. 5 AufenthG geschaffen, sodass eine Aufenthaltserlaubnis aus hu- manitären Gründen erteilt werden kann, wenn ein Ausländer vollziehbar ausreisepflichtig ist, die Ausreise aber aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit
dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Diese Aufent- haltserlaubnis konnte bisher abweichend von dem Vorliegen eines Einreise- und Aufent- haltsverbot nach § 11 AufenthG erteilt werden. Im vorliegenden Gesetzentwurf sollen die Wörter „abweichend von § 11 Abs.1“ jedoch gestrichen werden.
Bewertung:
Zunächst ist grundsätzlich festzustellen, dass die Regelung des § 25 Abs. 5 AufenthG ihre Wirkung nach unserer Auffassung weitgehend verfehlt hat aufgrund der Vorgabe, dass die Ausreise und nicht nur die Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmög- lich sein muss. Dadurch wurde nun die Regelung eines Aufenthaltsrechtes
bei wirtschaftlicher Integration erforderlich.
Auch § 25 Abs. 5 AufenthG-E wird aber ebenso wie § 25a und § 25b AufenthG-E fak-
tisch leerlaufen, wenn die abweichende Geltung von § 11 Abs. 1 gestrichen wird, und allein das Verstreichen der Ausreisefrist gemäß § 11 Abs. 6 AufenthG-E oder bei über § 11 Abs. 7
die Stellung eines als unzulässig, unbeachtlich oder offensichtlich unbegründet abgelehn-
ten Asylantrages zu einem Einreise- und Aufenthaltsverbot führen kann. Gleichwohl ist § 25
Abs. 5 nicht aufgrund der neuen Regelung bei wirtschaftlicher Integration überflüssig, da sie einen anderen Wirkungskreis hat. Die Regelung hat erst durch die Rechtsprechung nach Art
8 EMRK eine nennenswerte Wirkung entfalten können. Hier geht es regelmäßig um die Fra- ge, ob rechtliche Ausreisehindernisse aufgrund einer Verwurzelung im Bundesgebiet vorla-
gen. Eine Verwurzelung kann unabhängig davon stattfinden, ob Gründe für die Gewährung von Asyl, Flüchtlingsstatus oder subsidiärem Schutz vorlagen.
Handlungsempfehlung:
Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege dringen darauf, in § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG
von der Streichung der Wörter „ abweichend von § 11 Abs.1“ Abstand zu nehmen.
.
7. Umsetzung des Bundesratsbeschlusses zu § 25a AufenthG-E (Art. 1 Nr. 13)
Mit dieser Regelung soll ein Teil des Bundesratsbeschlusses (Drucksache 505/12 (B) vom
März 2013 umgesetzt werden.
Bewertung:
Die Verbände begrüßen die nahezu vollständige Umsetzung des Bundesratsbeschlusses.
Mit Nachdruck verweisen wir auf unsere Stellungnahme vom 06.05.2013, Aufenthaltsgewäh- rung bei nachhaltiger Integration (Gesetzesentwurf - BT-Drs. 505/12 (B).
Handlungsempfehlung:
Aus Sicht der Verbände sollte festgelegt werden, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen ein Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis besteht. Auch sollte geregelt werden,
dass den minderjährigen Geschwistern des begünstigten Jugendlichen oder Heranwach- senden, ebenso wie den eigenen Kindern als auch seinen Eltern, wenn diese ih-
ren Lebensunterhalt überwiegend sichern können, regelmäßig eine
Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.
Unbegleiteten Minderjährigen, die selbst einen Asylantrag gestellt haben, der als offensicht- lich unbegründet abgelehnt wurde, sollte ein Aufenthaltsrecht gewährt werden. Der derzeit für sie geltende Ausschluss nach § 10 Abs. 3 AufenthG ist nicht sachgerecht, da auch hier die Gründe für ein Asylverfahren mit einer Aufenthaltsgewährung aufgrund von Integration inhaltlich in keiner Weise verbunden sind und gerade Jugendliche oft die Tragweite eines Asylantrages ohne ausreichende Aussicht auf Erfolg nicht erkennen können.
8. Einführung einer Aufenthaltsgewährung bei wirtschaftlicher Integration in § 25b
AufenthG-E (Art. 1 Nr. 14)
Laut Koalitionsvertrag hat sich die Bundesregierung auf die Umsetzung einer stichtagfreien Regelung bei wirtschaftlicher Integration (auf Grundlage der Bundesrats-Drucksache 505/12 (B)) vom 22. März 2013 verständigt.
Bewertung:
Die Einführung einer stichtagsunabhängigen Bleiberechtsregelung bei erfolgreicher wirt- schaftlicher Integration wird von den Verbänden der BAGFW grundsätzlich sehr begrüßt. Damit wird einer langjährigen Forderung der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege entsprochen.
Allerdings werden im vorliegenden Gesetzentwurf wichtige Aspekte des Beschlusses des Bundesrats nicht umgesetzt. Die „Soll“-Pflicht zur Regelerteilung der Aufenthaltserlaubnis wird nur noch zu einer reinen Ermessensvorschrift („kann“). Dies stellt einen wesentlichen Rückschritt dar. Aus Sicht der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege sollte bei Vorliegen der Mindestkriterien ein Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis bestehen.
Die Abstufung einer Regelvorschrift zu einer Ermessenvorschrift überlässt es letztendlich der Praxis in den Ländern, inwieweit die Regelung überhaupt angewandt wird. Wozu die
Ausländerbehörden bei Vorliegen der Mindestvoraussetzungen ein zusätzliches Ermessen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis benötigen, ist nicht einsichtig. Den Behörden ist
bereits bei der Prognose für die Lebensunterhaltssicherung gemäß § 25b Abs. 1 Nr. 3 Auf- enthG-E ein Ermessen eröffnet.
Jedoch bedarf es aus Sicht der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege eines Ermessens für die Ausländerbehörden in den Fällen, in denen einzelne Voraussetzungen nicht vollständig erfüllt werden, um im Rahmen einer Gesamtschau in besonderen Konstellationen dennoch
eine Aufenthaltserlaubnis erteilen zu können. Dies kann beispielsweise sein, wenn zum Bei- spiel aufgrund der Arbeitsmarktsituation die Lebensunterhaltssicherung nicht überwiegend
gesichert ist, aber sich der Geduldete durch bürgerschaftliches Engagement intensiv in das
Gemeinwesen einbringt.
In Bezug auf die Lebensunterhaltssicherung war im Bundesratsbeschluss festgelegt worden, dass der Bezug von Wohngeld unschädlich sein soll. Dies ist im vorliegenden Referenten- entwurf gestrichen worden.
Besonders gravierend erscheint die Wechselwirkung der vorliegenden Regelung zum Ein- reise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 6 und 7 AufenthG-E, wenn eine Sperrwirkung schon dann verhängt wird, wenn ein Ausländer innerhalb der Ausreisefrist nicht „freiwillig“ ausgereist ist (siehe oben unter Nr. 3). Dann wäre auch die Erteilung einer Aufenthaltser- laubnis gem. § 25a und § 25b nicht mehr möglich. Dadurch droht diese Regelung leerzulau- fen. Es ist nicht nachvollziehbar, warum in § 25b Abs. 5 ein Aufenthaltstitel abweichend von
§ 10 Abs. 3 nach Ablehnung eines Asylantrages als offensichtlich unbegründet erteilt wer-
den kann, aber über die Erteilung eines Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 7 dieses wieder ausgeschlossen wird. Selbst wenn hier vorgeschrie- ben wäre, dass abweichend von § 11 Abs. 1 ein Aufenthaltstitel erteilt werden kann, steht dem entgegen, dass die geduldeten Personen über § 11 Abs. 7 nach § 33 Abs. der Besch- VO keine Beschäftigungserlaubnis erhalten und dadurch ihren Lebensunterhalt nicht sichern könnten.
Problematisch ist, dass nach § 25b Abs. 2 Nr. 2 AufenthG-E kein öffentliches Ausweisungs- interesse nach § 54 AufenthG-E bestehen darf. Der Beschluss des Bundesrates sah dem- gegenüber aus Sicht der Verbände mit gutem Grund vor, dass nicht § 5 Abs. 1 Nr. 2 zur Anwendung kommt. Ausschlussgrund sollten nur vorsätzliche Straftaten sein, wobei auch diese außer Betracht bleiben sollten, wenn das Strafmaß unter 50 oder 90 Tagessätzen we- gen Straftaten lag, die nach dem Aufenthalts- oder Asylverfahrensgesetz nur von Auslän- dern begangen werden können.
Durch den pauschalen Verweis auf das öffentliche Ausweisungsinteresse in § 54 AufenthG- E ist auch unklar, wie bei Täuschungsverhalten verfahren werden soll. § 25b Abs. 2 Nr. 1 bezieht sich auf gegenwärtiges Verhalten, während nach § 54 Abs. 2 Nr. 4 AufenthG-E auch vergangenes Verhalten zum Ausschluss führen würde. Laut Bundesratsbeschluss sind Per- sonen ausschließlich aufgrund gegenwärtigen Verhaltens vom Aufenthaltstitel ausgeschlos- sen, da frühere falsche Angaben einer Integration, die hier zum Aufenthaltsrecht führen soll, nicht entgegenstehen. Hierin ist eine weitere Einschränkung des Bundesratsbeschlusses zu sehen.
Handlungsempfehlung:
Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege dringen darauf, den Beschluss des Bundesrates eins zu eins umzusetzen.
9. Aufenthalt aus familiären Gründen (Art. 1 Nr. 16-18, Nr. 20 und Nr. 39)
9a. Resettlementflüchtlinge
Beim Recht auf Familienzusammenführung sollen Flüchtlinge, die im Rahmen des Resett- lement in Deutschland aufgenommen werden, mit Asylberechtigten und anerkannten GFK- Flüchtlingen gleichgestellt werden (Art. 1 Nr. 16 a) aa)).
Bewertung und Handlungsempfehlung:
Die Gleichstellung der Familienangehörigen wird von den Verbänden der BAGFW begrüßt. Resettlementflüchtlinge sollten jedoch auch in allen anderen Bereichen rechtlich ebenfalls anerkannten GFK-Flüchtlingen gleichgestellt werden (siehe oben unter 4.).
9.b. Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten
Seit der Änderung des § 29 AufenthG durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie
2011/95/EU vom 28.8.2013 sind die Nachzugsregelungen zu subsidiär Schutzberechtigten inkonsistent: §§ 29 Abs. 2 S. 1, 30, 32 und 36 Abs. 1 AufenthG sehen die Gleichstellung
subsidiär Schutzberechtigter beim Familiennachzug mit Asylberechtigten und anerkannten
Flüchtlingen vor. Nach § 29 Abs. 3 AufenthG setzt der Familiennachzug jedoch weiterhin voraus, dass dieser aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen erfolgt. Die Privilegie-
rung nach § 29 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 AufenthG (Absehen von den Voraussetzungen der Le-
bensunterhaltssicherung und des ausreichenden Wohnraums bei Antragsstellung auf
Familienzusammenführung innerhalb von drei Monaten nach bestandskräftiger Anerken- nung) gilt auch nach der jetzigen Gesetzeslage nicht für subsidiär Schutzberechtigte.
Nun sollen §§ 29 Abs. 2, 30, 32 und 36 Abs. 1 AufenthG dahingehend geändert werden, dass die Voraussetzungen der Familienzusammenführung zu subsidiär Schutzberechtigten auf den Stand vor der letzten Gesetzesänderung vom 01.12.2013 zurückgesetzt werden.
Laut Gesetzesbegründung soll damit ein redaktionelles Versehen beseitigt werden.
Bewertung:
Mit der Neufassung wesentlicher Richtlinien und Verordnungen der Europäischen Union zur Erreichung eines gemeinsamen europäischen Asylsystems wurde in den letzten Jahren klargestellt, dass subsidiär Schutzberechtigte den gleichen Schutzanspruch haben wie an- erkannte Flüchtlinge und ihnen deshalb auch weitestgehend die gleichen Rechte zugestan- den werden sollen (Richtlinie 2011/95/EU, Richtlinie 2013/33/EU, Richtlinie 2013/32/EU, Verordnung (EU) Nr. 604/2013). Die Situation der subsidiär Schutzberechtigten und der Asylberechtigten und anerkannten Flüchtlinge ähnelt sich vor allem darin, dass sie nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren können. Ein gemeinsames Leben mit ihren Familienangehö-
rigen ist ihnen deshalb im Herkunftsland nicht möglich. Sie haben nach Art. 8 EMRK und Art.
6 GG ein Recht auf Achtung ihres Familienlebens. Bei Asylberechtigten und anerkannten
Flüchtlingen wird dieser Situation, die sie von anderen Drittstaatsangehörigen unterscheidet, Rechnung getragen, indem die Voraussetzungen zum Familiennachzug erleichtert sind. Dieselbe Erleichterung muss auch für subsidiär Schutzberechtigte gelten.
Mit ihren Leitlinien zur Anwendung der EU-Familienzusammenführungsrichtlinie bestätigte auch die Europäische Kommission im April diese Jahres, dass sich die humanitären Schutz-
bedürfnisse von Personen, die subsidiären Schutz genießen, nicht von denen der Flüchtlin- ge unterscheiden, und fordert die Mitgliedstaaten deshalb auf, Vorschriften zu erlassen, die
Flüchtlingen und Personen, die subsidiären Schutz genießen, ähnliche Rechte in Bezug auf den Familiennachzug gewähren (Nr. 6.2 Richtlinie 2003/86/EG). Eine erste Erleichterung für subsidiär Schutzberechtigte wurde nach Gesetzeswortlaut mit dem Gesetz zur Umsetzung
der Richtlinie 2011/95/EU am 1. Dezember 2013 eingeführt. Es erscheint nicht nachvoll- ziehbar und verstößt unserer Auffassung nach gegen das Diskriminierungsverbot des Art.
14 EMRK, diese Erleichterungen wieder zurückzunehmen. Vielmehr sollten die Erleichte- rungen beim Nachzug von Ehegatten und Kindern auch auf das Absehen von der Lebens- unterhaltssicherung und des ausreichenden Wohnraums in den ersten drei Monaten nach
Zuerkennung des subsidiären Schutzes ausgeweitet werden.
Handlungsempfehlung:
Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege fordern, den Familiennachzug von subsidiär
Schutzberechtigten anerkannten Flüchtlingen gänzlich gleichzustellen.
9.c. Familienbegriff
Bei der Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EG haben sich die Mitgliedstaaten verpflichtet, im Einklang mit dem Übereinkommen der Vereinten Nationen von 1989 über die Rechte des Kindes vorrangig das „Wohl des Kindes“ zu berücksichtigen (Erwägung 18). Minderjährige auf der Flucht bedürfen besonders der familiären Unterstützung. Deshalb soll bei ihnen ein weiterer Familienbegriff zugrunde gelegt werden. Demnach muss der "Begriff ‚Familienan- gehöriger‘ (...) ausgeweitet werden, wobei den unterschiedlichen besonderen Umstän-
den der Abhängigkeit Rechnung zu tragen und das Wohl des Kindes besonders zu berücksichtigen ist“ (Erwägung Nr. 19).
Auch im Übrigen sieht es die Richtlinie für erforderlich an, verwandtschaftliche Beziehungen
besonders zu berücksichtigen. Dies ergibt sich auch aus der Erwägung 36 der Richtli- nie. Weiter können gemäß Art 23 Abs. 5 der Richtlinie auch andere nahe Verwandte, die
von der Person, der internationaler Schutz zuerkannt wurde, abhängig sind, einbezogen
werden.
Handlungsempfehlung:
Es sollten Möglichkeiten dafür geschaffen werden, dass ein anderer volljähriger Angehöriger eines minderjährigen unbegleiteten Kindes (Onkel, Tante, Großeltern) in den Familienschutz mit einbezogen wird, wenn es dem Wohl des Kindes dient.
9.d. Aufenthaltserlaubnis für Familienangehörige während eines Widerrufsverfahrens Mit § 79 Abs. 3 AufenthG-E soll durch die Einleitung eines Verfahrens durch das Bundes- amt, welches zum Erlöschen oder zur Unwirksamkeit des Aufenthaltstitels des Stammbe- rechtigten führen kann, ein Antrag auf Familienzusammenführung bis zum Abschluss des Widerrufverfahrens ausgesetzt werden. Ziel der Regelung ist, zu verhindern, dass seitens eines Asylberechtigten oder anerkannten Flüchtlings kein anderes Aufenthaltsrecht durch den Familiennachzug entstehen kann (Gesetzesbegründung S. 54).
Bewertung:
Mit dieser Regelung würde – unabhängig vom Ergebnis des Widerrufverfahrens - der Fami- liennachzug blockiert und kann sich in der Praxis um mehrere Jahre verzögern. Diese lan- gen Wartezeiten sind für die Betroffenen nicht hinnehmbar, da sie dem Schutz von Ehe und Familie zuwiderlaufen. Als Grund, das familiäre Zusammenleben für einen längeren Zeit- raum zu unterbinden, vermag das angestrebte Ziel nicht zu überzeugen. Im Übrigen führt
nur ein verschwindend geringer Anteil der angelegten Widerrufsverfahren zum tatsächlichen Widerruf. Die Verzögerungen beträfen jedoch alle, die ihren Familiennachzug bis dahin nicht vollzogen haben.
Handlungsempfehlung:
Der geplante § 79 Abs. 3 AufenthG-E sollte daher aus Sicht der Verbände ersatzlos gestri- chen werden.
10. Die Neufassung des Ausweisungsrechts (Art. 1 Nr. 27)
Das Ausweisungsrecht soll vollständig neu gefasst werden. Damit soll zum einen der Tatsa- che Rechnung getragen werden, dass durch die Rechtsprechung insbesondere des EGMR, des EuGH, des BVerfG und des BVerwG die Regeln zur Ist- und zur Sollausweisung kaum noch zur Anwendung kommen können. Weiter wird das Ziel verfolgt, die Ausweisung (wie- der) zu erleichtern (Begründung S. 44).
10.a. Die Abwägung zwischen öffentlichen Ausweisungs- und privaten Bleibeinteres- sen
Ausgewiesen werden kann in Zukunft, wenn ein Ausländer eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt. Es muss bei jeder Ausweisung zwischen diesem öffentli- chen Interesse und den privaten Bleibeinteressen abgewogen werden (§ 53 AufenthG-E). Der Abwägungsprozess wird gerichtlich voll überprüfbar. Damit kann in der Tatsachenin- stanz eine gerichtliche Entscheidung den Abwägungsprozess der Behörde ersetzen.
Das öffentliche Ausweisungsinteresse wird abgestuft nach besonders schwer wiegenden Interessen und schwer wiegenden Interessen (§ 54 AufenthG-E). Hier werden im Grundsatz die Ausweisungsgründe nach dem geltenden Recht übernommen. Bei dem Ausweisungsin- teresse aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ist anders als bisher bei den Auswei- sungsgründen der zwingenden und der Regelausweisung keine "Mindesthöhe" vorgesehen, ab wann es sich um ein besonders schweres oder schweres Interesse handelt.
Zugunsten des Ausländers sollen die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftli- chen und sonstigen Bindungen sowie die Folgen einer Ausweisung auf Familienangehörige generell berücksichtigt werden (§ 53 Abs. 2). Diese privaten Bleibeinteressen werden eben- falls gewichtet. Es gibt eine Abstufung nach besonders schwer und schwer wiegenden Bleibeinteressen (§ 55 Abs. 1 und 2 AufenthG-E), aber auch eine Regelung, wann diese Interessen als von geringem Gewicht anzusehen sind (§ 55 Abs. 3 AufenthG-E).
Die öffentlichen und privaten Interessen sind nicht abschließend, es sind auch nicht aus- drückliche benannte Interessen denkbar und dann in die Abwägung einzubeziehen (Be- gründung zu § 53, S. 44).
Das Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses vermag nach dem neuen Recht für sich allein eine Ausweisung nicht zu begründen. Es muss vielmehr immer abgewogen werden, ob die privaten Interessen überwiegen (Begründung S. 45).
Ist ein besonders schwer wiegendes Bleibeinteresse festgestellt, kann nur aus schwerwie- genden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden (§ 55 Abs. 1
S. 2 AufenthG-E). Ausweisungsinteressen unterhalb dieser Schwelle können nicht zur Aus- weisung führen können. Hier orientiert sich das neue Ausweisungsrecht an den Regelungen
zum besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG.
Sofern es auf die Dauer des Aufenthalts ankommt, wird nur die Dauer des rechtmäßigen, nicht aber des geduldeten Aufenthalts berücksichtigt.
Bewertung und Handlungsempfehlung:
Es ist zu begrüßen, dass die zwingende und die Regel-Ausweisung abgeschafft werden und künftig generell nur noch spezialpräventiv ausgewiesen werden kann, wenn die Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung die individuellen Bleibeinteressen überwiegt.
Die Rechtsprechung der obersten Gerichte, der hier Rechnung getragen werden soll, hatte zum Ziel die Interessen von Ausländer(innen) stärker als nach dem geltenden Recht zu be-
rücksichtigen. Dieses Ziel lässt sich aber nicht mit dem Ziel des Gesetzentwurfs vereinba-
ren, Ausweisungen zu erleichtern.
Leitgedanke des künftigen Ausweisungsrechts muss es sein, wie von der Rechtsprechung gefordert, Ausweisungen nur dann zu verfügen, wenn von einem Ausländer zum Zeitpunkt der Entscheidung eine tatsächliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus- geht und dessen Bleibeinteressen bzw. die Interessen seiner Angehörigen das Auswei- sungsinteresse nicht überwiegen.
Weiter ist zu begrüßen, dass nachträglich zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte ein Recht auf Wiederkehr ausgesprochen werden kann (§ 54 Abs. 4 AufenthG-E). Dies darf aber keinesfalls dazu führen, dass bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung ein anderer Maßstab angelegt werden kann als ohne diese Regelung. Eine ordnungsgemäße Abwägung der öf- fentlichen und der privaten Interessen kann nicht, wie in der Gesetzesbegründung darge- stellt (dort S. 45), durch eine Entscheidung zugunsten einer Ausweisung ersetzt werden,
weil es ja ggf. ein Recht auf Wiederkehr gibt.
Es muss klargestellt werden, dass bei verbleibenden Zweifeln am Überwiegen der öffentli- chen Interessen nicht ausgewiesen werden darf.
10.a.1. Öffentliches Ausweisungsinteresse gem. § 54 AufenthG-E
Es wird in den künftigen Entscheidungsprozessen darauf zu achten sein, dass die als schwerwiegend aufgezählten Ausweisungsinteressen nicht (wie bisher) schematisch als ausreichende Gründe für eine Ausweisung behandelt werden, sondern künftig immer die gesetzlich geforderte Abwägung im Einzelfall mit einer Gefahrenprognose stattfinden muss.
Bewertung:
Die Gesetzesbegründung dafür, dass ein besonders gewichtiges oder schwer wiegendes Ausweisungsinteresse bei einer Straftat unabhängig von der Höhe der Strafzumessung zu bejahen sei, weil sich allein durch die Verurteilung „manifestiert, dass der Ausländer nicht willens ist, konform mit dem geltenden Recht in Deutschland zu leben“ (Begründung S. 46) oder dass seine „rechtsfeindliche Gesinnung zum Ausdruck“ käme (Begründung S. 47) ist uns nicht nachvollziehbar. Das Vorliegen eines Ausweisungsinteresses wie z.B. die Verurtei- lung wegen einer Straftat allein genügt eben nicht, um eine hinreichende Gefahr für die öf-
fentliche Sicherheit und Ordnung festzustellen. Auch nach geltendem Recht genügt eine Verurteilung wegen einer Straftat allein noch nicht, um eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu bejahen.1 Das gilt unseres Erachtens erst recht für das künftige Ausweisungsrecht.
In der Gesetzesbegründung zu einem schwer wiegenden Ausweisungsinteresse wegen ei- ner strafrechtlichen Verurteilung (§ 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG-E), wird scheinbar auf die Ver- urteilung zu einer Freiheitsstrafe abgestellt („ohne Bewährung“, Begründung S. 47). Der Wortlaut der Norm stellt aber allgemein auf die Verurteilung wegen vorsätzlicher Straftaten ab, also auch bei Geldstrafen. Damit werden auch Straftaten erfasst, die nicht von der Er- heblichkeit sind, von der die Gesetzesbegründung spricht. Hier bedarf es einer Klarstellung. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels hängt bisher regelmäßig davon ab, dass kein Auswei- sungsgrund vorliegt. Künftig darf kein Ausweisungsinteresse gegeben sein. Es ist bisher nicht Voraussetzung, dass eine ermessensfehlerfreie Abwägung auch tatsächlich zur Aus- weisung führen kann. Die Argumentation, es seien keine Strafzumessungsgrenzen nötig,
um den Grad des Ausweisungsinteresses zu bestimmen, da ja in jedem Fall abgewogen würde, ist für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach unserer Auffassung nicht zutreffend.
Handlungsempfehlung:
Wir empfehlen daher zu präzisieren, welche Ausweisungsinteressen die Erteilung eines
Aufenthaltstitels hindern.
Um zu verdeutlichen, dass ein besonders gewichtiges oder schwer wiegendes Auswei- sungsinteresse nicht allein auf Grund wenig schwerwiegender Taten vorliegen kann, sollten wie bisher Strafzumessungsgrenzen in § 54 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 AufenthG-E die Abgrenzung erleichtern. Es erscheint uns ferner sinnvoll, § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG-E da- hingehend zu ändern, dass nur Verurteilungen zu einer Freiheitsstrafe berücksichtigt wer- den.
10.a.2. Privates Bleibeinteresse gem. § 55 AufenthG-E
Bewertung:
Nicht hinreichend berücksichtigt ist aus Sicht der Verbände der BAGFW die Rechtsprechung zum Schutz des Privatlebens und des Familienlebens. Die besonders schwer wiegenden Bleibeinteressen gehen nicht über den bisher geltenden Ausweisungsschutz hinaus. Dieser hat sich aber als unzureichend erwiesen – was ein Grund für die dem Gesetzentwurf zu- grundeliegenden Änderungsbedarfe ist (Begründung S. 44). Auch wenn laut Gesetzesbe- gründung Interessen berücksichtigt werden können, die in § 55 AufenthG-E nicht genannt sind, macht diese Aufzählung doch deutlich, welche Interessen aus Sicht des Gesetzgebers besondere Bedeutung haben – und welche nicht.
§ 55 Abs. 1 S. 3 AufenthG-E stellt laut Gesetzesbegründung eine gesetzliche Vermutung auf, wann schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die privaten Interessen überwiegen (S. 49). Das erscheint uns vom Wortlaut der Norm nicht zutreffend und wäre auch contra legem. Das Ergebnis der Abwägung kann nicht antizipiert werden.
In § 55 Abs. 3 AufenthG-E werden Gründe aufgeführt, wann das private Bleibeinteresse "weniger schwer wiegt" bzw. "geringeres Gewicht" haben soll. Diese Norm überzeugt weder konzeptionell noch in ihrer konkreten Ausgestaltung. Einige Aspekte, die hier genannt wer- den, können nach der Rechtsprechung in den Abwägungsprozess einbezogen werden. Es ist aber nicht zulässig, diesen Abwägungsprozess vorwegzunehmen und das Gewicht priva- ter Interessen generell zu mindern, zumal eine solche Regelung auf der Seite des öffentli- chen Ausweisungsinteresses nicht geplant ist.
So enthält beispielsweise das im Gesetzentwurf als Begründung für diese Regelung heran- gezogene Urteil des EGMR (Nr. 47017/09) eine Rechtsauffassung, das nach unserem Ver-
ständnis in Gegensatz zu § 55 Abs. 3 AufenthG-E steht: Obwohl sich das Familienleben
1 Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, München 2013, § 56 AufenthG, Rn. 4 f.
während eines Zeitraums entwickelt hatte, in welchem den beteiligten Personen aufgrund
der ausländerrechtlichen Bestimmungen bewusst war, dass die Aufrechterhaltung des Fami- lienlebens nicht sicher war, entschied das Gericht, dass wegen der starken Bindung an das Aufnahmeland eine Ausweisung eine Verletzung von Artikel 8 EMRK darstellen würde.
Auch im zweiten zur Begründung dieser Norm herangezogenen Fall kommt der EGMR (Nr.
55597/09) zu einem Ergebnis, das im Gegensatz zu § 55 Abs. 3 AufenthG-E steht: Die
Ausweisung wegen schwerwiegender Verstöße gegen Einreise und Aufenthaltsbestimmun- gen wurde wegen unzureichender Berücksichtigung des Kindeswohls für unvereinbar mit
Art. 8 EMRK erklärt. Für die in der Gesetzesbegründung genannte „Herabstufung“ des priva- ten Interesses, sofern es sich bei den betroffenen Angehörigen um Doppelstaatlerinnen oder Doppelstaatler handelt (Begründung S. 49 f.), lässt nach Auffassung der BAGFW schon der
vorgeschlagene Gesetzeswortlaut keinen Raum. Im Übrigen kann dies zu einer nicht be- gründbaren Ungleichbehandlung von deutschen Staatsangehörigen führen.
Handlungsempfehlung:
In § 55 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG-E sollte ein „insbesondere“ eingefügt werden. Weiter sollten die Regelbeispiele ergänzt werden. Besonders schwer wiegen beispielsweise auch die Interessen von Kindern mit ausländischer Staatsangehörigkeit2 und nicht nur die von Ehe- und Lebenspartner(inne)n, die in § 55 Abs. 1 Nr. 4 Berücksichtigung finden. Ein weite-
res schwer wiegendes Interesse kann beispielsweise das Umgangsrecht von ausländischen Vätern sein, auch wenn kein familiäres Zusammenleben besteht.3 § 55 Abs. 1 AufenthG-E ist entsprechend zu ergänzen.
§ 55 Abs. 3 AufenthG-E sollte gestrichen werden.
10.b. Die Befristung der Ausweisung
Nach § 53 Abs. 3 AufenthG-E ist die Wirkung der Ausweisung gem. § 11 zu befristen.
Bewertung:
Die Regelung soll eine Klarstellung sein, dass das mit der Ausweisung verknüpfte Einreise- und Aufenthaltsverbot zu befristen ist. Allerdings erfolgt eine Befristung gem. § 11 Abs. 2
AufenthG-E von Amts wegen. Damit trägt § 53 Abs. 3 AufenthG-E eher zu Verwirrung bei, da eine Parallelregelung zu § 11 Abs. 2 AufenthG-E geschaffen wird.
Handlungsempfehlung:
§ 53 Abs. 3 AufenthG-E sollte daher gestrichen werden.
11. Abschiebungshaft (Art. 1 Nr. 31)
11.a. Erweiterung der sog. kleinen Sicherungshaft
Durch den Zusatz in § 62 Abs. 3 S.2 AufenthG-E "Unabhängig von den Voraussetzungen von S.1" wird bestimmt, dass die sog. kleine Sicherungshaft für die Dauer von längstens 2
Wochen auch unabhängig vom Nachweis eines Haftgrundes verhängt werden kann, wenn die Ausreisefrist abgelaufen ist und feststeht, dass die Abschiebung stattfinden kann. Gleichzeitig wird mit § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG-E der bisherige § 62 Abs. 3 S. 3 AufenthG
gestrichen. Dieser beinhaltet, dass von der Anordnung der Sicherungshaft abgesehen wer- den kann, wenn der Ausländer glaubhaft macht, dass er sich der Abschiebung nicht entzie-
hen will.
Bewertung:
Bei der Neuregelung handelt es sich um eine Ausweitung der Sicherungshaft ohne ausrei- chende Kriterien. In der Gesetzesbegründung wird darauf abgestellt, dass sich die Haft-
2 BVerfG, 2 BvR 588/08 vom 10.5.2008
3 EGMR, 20578/07,Urteil vom 21.12.2010
höchstdauer von zwei Wochen als geringfügig darstelle und deshalb eine solche Haft als verhältnismäßig anzusehen sei. Die BAGFW-Verbände widersprechen dieser Auffassung jedoch nachdrücklich, da eine bloße Ausreisepflicht nicht als ausreichender Grund für eine Inhaftnahme anzusehen ist. Es bedarf vielmehr auch hier einer strengen Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Der Begründung zur Streichung des Satzes 3 mit dem Erfor- dernis der Normenklarheit können wir daher nicht folgen, da der Möglichkeit zur Glaubhaft- machung, dass sich der Ausländer nicht entziehen will, bei der erweiterten Sicherungshaft besondere Bedeutung zukommt.
Handlungsempfehlung:
Der Verbände dringen darauf, von der geplanten Erweiterung der kleinen Sicherungshaft
Abstand zu nehmen.
11.b. Fortbestand der Haftanordnung bei Scheitern der Abschiebung
Gemäß § 62 Abs. 4 a AufenthG-E soll eine Haftanordnung bestehen bleiben, auch wenn eine Abschiebung scheitert, der Inhaftierte das Scheitern jedoch nicht zu verantworten hat. Zudem soll dies künftig auch für die Vorbereitungshaft und die kleine Sicherungshaft gelten.
Bewertung und Handlungsempfehlung:
Es ist nach bisheriger Rechtsprechung eine zwingende Voraussetzung, dass die Abschie- bung durchführbar ist, um Abschiebungshaft zu verhängen. Die verbände der Freien Wohl- fahrtspflege wenden sich daher gegen eine solche Ausweitung. Die Durchführbarkeit der Abschiebung stellt eine notwendige Bedingung für die Abschiebungshaft dar.
11.c. Abschiebungshaft ohne vorherige richterliche Anordnung
Gemäß § 62 Abs. 5 Satz 1 AufenthG-E kann eine vorläufige Ingewahrsamnahme auch ohne richterliche Anordnung erfolgen. Diese Regelung entspricht im Wesentlichen der geltenden Regelung des § 62 Abs. 5 Satz 1 AufenthG. Neu ist, dass bei begründetem Verdacht, dass sich der Ausländer der Anordnung der Sicherungshaft entziehen will, dies nicht mehr ohne vorherige richterliche Anordnung geschehen kann. Neu ist allerdings auch, dass bei der sog. "Administrativhaft" die richterliche Entscheidung nicht unverzüglich herbeizuführen ist, wenn die Herbeiführung voraussichtlich längere Zeit in Anspruch nehmen würde, als zur Durchfüh- rung der Maßnahme erforderlich wäre.
Bewertung:
Eine solche Regelung, die auf die richterliche Entscheidung aus Zeitgründen verzichtet, ver- stößt aus unserer Sicht gegen den Grundsatz des Richtervorbehalts nach Art. 104 des Grundgesetzes.
Handlungsempfehlung:
Die BAGFW-Verbände empfehlen daher, von dieser Regelung Abstand zu nehmen.
12. Vollzug der Abschiebungshaft (Art. 1 Nr. 32 b)
In § 62a Abs.4 AufenthG-E sollen die Wörter „auf deren Wunsch hin“ gestrichen werden, damit können Besuche in Abschiebungshaft durch Organisationen auch unabhängig von einem Antrag der Betroffenen stattfinden.
Bewertung:
Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege begrüßen, dass der Zugang von "einschlägig tätigen Organisationen" zu Abschiebehaftanstalten durch nunmehr korrekte Umsetzung der Richtlinie 2008/115/EG nicht mehr vom Wunsch des Inhaftierten abhängig gemacht wird, sondern diese Organisationen eigeninitiativ ihre Beratung zur Verfügung stellen können.
Handlungsempfehlung:
Die Änderung sollte jedoch auch gleichzeitig zum Anlass genommen werden, das Antragser- fordernis für Hilfs- und Unterstützungsorganisationen zu streichen.
13. Übermittlungspflichten bei Sozialleistungsempfang § (Art. 1 Nr. 41b)
§ 87 AufenthG-E soll dahingehend ergänzt werden, dass öffentliche Stellen es der Auslän- derbehörde melden müssen, wenn sie von „dem aufenthaltsrechtlich relevanten Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts“ nach SGB II, VIII oder XII Kenntnis erlan- gen.
Dadurch soll sichergestellt werden, dass Ausländerbehörden frühzeitig von der Möglichkeit
Gebrauch machen können, die Geltungsdauer einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 7 Abs. 2
AufenthG zu verkürzen.
Bewertung:
Durch den Wegfall § 55 Abs. 2 Nr. 7 AufenthG ist der Bezug von Leistungen nach SGB VIII
aufenthaltsrechtlich für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 35 Abs. 3 Auf- enthG relevant. Da es sich hier um die Erteilung eines Aufenthaltstitels handelt, prüft die
Ausländerbehörde das Vorliegen aller Voraussetzungen und bedarf keiner Vorabinformati-
on. Insoweit ist diese Regelung überflüssig, führt aber dennoch zur Übermittlung einer Viel- zahl an Daten. Im Übrigen können Leistungen zur Lebensunterhaltssicherung im Rahmen der Vollzeitpflege oder nach § 39 SGB VIII ausländerrechtlich relevant sein. Beim Bezug derartiger Leistungen befinden sich die Betroffenen jeweils in einer Notsituation. Eine Auf- enthaltsbeendigung aus diesem Grund wird im Interesse des Kindeswohls in der Regel nicht zulässig sein. Auch für diese Fälle bedeutet die Neuregelung also vor allem einen übermä- ßigen Verwaltungsaufwand und Datenfluss.
Im Übrigen werden die meisten öffentlichen Stellen nicht bewerten können, ob es sich im Einzelfall tatsächlich um „aufenthaltsrechtlich relevanten Bezug von Leistungen“ handelt. Diese gesetzliche Beschränkung wird also nicht dazu führen, dass wirklich nur derartige Leistungsbezüge gemeldet werden. Es ist zu befürchten, dass „sicherheitshalber“ alle Fälle des Leistungsbezugs gemeldet werden. Um einige wenige Aufenthaltsverkürzungen durch- führen zu können, werden also die Daten einer Vielzahl von Ausländerinnen und Ausländern weitergegeben. Aus Sicht der Verbände der BAGFW stellt das einen unverhältnismäßigen und damit ungerechtfertigten Eingriff in den Datenschutz dar. Daneben wird dies bei den Ausländerbehörden zu einem erhöhten Aufwand führen.
Handlungsempfehlung:
Aus Sicht der Verbände der BAGFW sollte § 87 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AufenthG-E aus dem Ge- setzentwurf gestrichen werden.