I. Einführung
Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz hat einen Gesetzentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuches und zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung vorgelegt. Darin ist eine Reform der §§ 177 ff. StGB vorgesehen, die die sexuelle Nötigung, Vergewaltigung und sexuellen Missbrauch sogenannter „widerstandsunfähiger Personen“ unter Strafe stellen. Der Gesetzentwurf soll Schutzlücken schließen, die bspw. dadurch entstehen, dass nach derzeitiger Rechtslage der Tatbestand von § 177 StGB nicht alle nicht einvernehmlichen sexuellen Handlungen unter Strafe stellt. Daher unterliegen aktuell bestimmte Fallkonstellationen, in denen sich Opfer ausdrücklich gegen sexuelle Handlungen ausgesprochen haben oder dies konkludent zu verstehen gegeben haben, es aber trotzdem zu sexuellen Handlungen kam, nicht dem Tatbestand von § 177 StGB. Als Beispiele können hier die sogenannten „Überrumpelungsfälle“, Fälle in denen Opfer „starr vor Angst“ sind und sich deshalb nicht wehren
oder Fälle, in denen Opfer nicht in der Lage sind, ihren entgegenstehenden Willen zu äußern, genannt werden. Kommen Auffangtatbestände in Betracht, ist die Strafandrohung meist wesentlich geringer. Die Strafnormen §§ 177 ff. StGB, in denen ein finaler Zusammenhang zwischen der Gewaltanwendung und der sexuellen Nötigung tatbestandlich erfüllt sein muss, wurden durch den Bundesgerichtshof stets sehr restriktiv ausgelegt.
Art. 3 und 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention verpflichten die europäischen Vertragsstaaten, für eine effektive Strafverfolgung von Sexualstraftaten zu sorgen. Das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vom 5. November 2011 (Istanbul-Konvention) regelt dazu in Art. 36, dass die Vertragsstaaten gehalten sind, vorsätzliche nicht einverständliche sexuelle Handlungen mit einer anderen Person unter Strafe zu stellen. Art. 36 Ziff. 2 führt hierzu aus: „Das Einverständnis muss freiwillig als Ergebnis des freien Willens der Person, der im Zusammenhang der jeweiligen Begleitumstände beurteilt wird, erteilt werden.“ Dieser vertraglichen Verpflichtung muss die Bundesrepublik Deutschland nachkommen und die nationalen Gesetze daraufhin überprüfen, ob sie mit der Istanbul-Konvention übereinstimmen.
Die BAGFW stimmt mit der Annahme des BMJV überein, dass die gegenwärtige Rechtslage im Bereich des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung unzureichend ist. Der Versuch, mit dem vorgelegten Entwurf die nicht einvernehmlichen sexuellen Handlungen, bei denen sich Strafbarkeitslücken gezeigt haben, künftig strafrechtlich zu erfassen, wird ausdrücklich begrüßt. Die Istanbul-Konvention verlangt jedoch, dass alle Formen vorsätzlicher, nicht einverständlicher sexueller Handlungen unter Strafe gestellt werden. Es soll nicht darauf ankommen, ob das Opfer dem Täter gegenüber tatsächlich Widerstand leistet. Dieser Forderung wird mit dem Gesetzentwurf nicht umfassend entsprochen. Nach wie vor sieht der Entwurf vor, dass im Strafverfahren bewiesen werden muss, dass das Opfer zum Widerstand unfähig bzw. im Falle einer Widerstandshandlung bei der Tat ein empfindliches Übel zu befürchten habe. Damit greift der Entwurfstext deutlich zu kurz und geht nach wie vor davon aus, dass das „normale“ Opfer sich bei sexuellen Übergriffen wehren muss. Ein „Nein“ reicht nicht aus.
Eine notwendige und umfassende Reform des Sexualstrafrechts sollte dazu genutzt werden, eine konsistente und umfassende Regelung zu schaffen, die alle sexuellen Handlungen, die gegen den Willen einer Person vorgenommen werden, unter Strafe stellt. Eine solche Reform trüge zu Recht den Titel „Stärkung des Schutzes zur sexuellen Selbstbestimmung“. Die BAGFW fordert deshalb, dass die vom BMJV bereits eingesetzte Reformkommission diese Perspektive aufgreift und Vorschläge macht, dieses Anliegen der Istanbul-Konvention stimmig und widerspruchsfrei in das deutsche Strafrecht einzufügen.
Die BAGFW nimmt zu dem Gesetzentwurf wie folgt Stellung:
II. Art. 1: Änderung des Strafgesetzbuches
1. § 177 – Sexuelle Nötigung, Vergewaltigung
Sexuelle Übergriffe werden im deutschen Strafrecht nur dann als Sexualdelikt strafrechtlich verfolgt, wenn sie die nach § 184g StGB erforderliche „Erheblichkeit“ aufweisen. Unklar bleibt nach wie vor, wann das genau erreicht ist. Ist die Erheblichkeitsschwelle aus Sicht des Gerichts nicht überschritten und liegt daher keine Sexualstraftat vor, kommt nur eine Strafbarkeit als Nötigung nach § 240 StGB in Betracht.
Selbst wenn die Erheblichkeitsschwelle überschritten ist, muss die erhebliche sexuelle Handlung durch eine andere gewaltsame Handlung oder durch eine erhebliche Drohung des Täters ermöglicht worden sein.
Weiterhin setzen also § 177 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB ein zweiaktiges Geschehen voraus, das sich aus zwei unterschiedlichen Handlungen des Täters zusammensetzt: der Einwirkung des Täters auf die Willensbildung des Opfers und der sexuellen Handlung, die nicht von einem Einverständnis getragen ist. Diese Zweistufigkeit entspricht nicht mehr dem heutigen Verständnis vom Recht auf sexuelle Selbstbestimmung im Sinne eines Abwehrrechts gegenüber ungewollten Sexualkontakten. Vorausgegangene Gewalt oder Drohungen sollten vielmehr als Begleitumstände gewertet werden, die, wenn sie vorliegen, das Unrecht der Tat erhöhen, ohne unrechtskonstitutiv zu sein. Denn eine erhebliche Verletzung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung liegt u.E. bereits dann vor, wenn sexuelle Handlungen am Körper vorgenommen werden, die nicht von einer wirksamen Zustimmung aller Beteiligten umfasst sind.[1]
Darüber hinaus ist für eine Strafverfolgung nach § 177 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB n.F. weiterhin Voraussetzung, dass das Rechtsgut aktiv verteidigt wird. In vielen Fällen wird aber bereits der sexuelle Übergriff als ein massiver Angriff auf die Integrität des Opfers erlebt, ohne dass weitere Gewalt ausgeübt oder eine Drohung ausgesprochen werden muss. Wir verweisen insoweit auch auf den UN-Fachausschuss zur Frauenrechtskonvention (CEDAW-Ausschuss), der mehrfach darauf hingewiesen hat, dass das Erfordernis von „Gewalt“ eine unangemessene Anforderung und ein Vergewaltigungsmythos ist, der die Täter begünstige.[2]
Der Unterschied, der sich durch das Abstellen auf eine aktive Abwehr seitens des Opfers ergibt, kommt besonders deutlich und durchaus auch belastend für Menschen mit Beeinträchtigungen zum Tragen. Sie werden aufgrund ihrer Beeinträchtigung oft als „widerstandsunfähig“ eingestuft. Da es nicht auf den subjektiven Willen der Betroffenen, sondern ausschließlich auf eine aktive Abwehr ankommt, zu der Opfer aufgrund ihrer Beeinträchtigung nicht immer imstande sind, erfüllen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Menschen mit Beeinträchtigungen nicht § 177 StGB, sondern können nur mit dem geringeren Strafrahmen des § 179 StGB geahndet werden. Diese unterschiedliche Bewertung des zugefügten Leides wird von Betroffenen als Diskriminierung wahrgenommen.
2. § 179 - Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung besonderer Umstände
Die Neuregelung des § 179 StGB-E versucht einige der bekannten Schutzlücken zu schließen.
a. § 179 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 StGB
Kritisch bewertet die BAGFW die konkrete Ausgestaltung von § 179 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 StGB. In § 179 Abs. 1 Nr. 1 StGB-E soll derjenige bestraft werden, der unter Ausnutzung einer Lage, in der eine andere Person aufgrund ihres körperlichen oder psychischen Zustands zum Widerstand unfähig ist, sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt
oder an sich von dieser Person vornehmen lässt. Dadurch sollen auf objektiver Ebene künftig neben Menschen, die aufgrund einer Behinderung oder Krankheit zum Widerstand unfähig sind, auch Menschen, die aufgrund ihres altersbedingten Zustandes keinen Widerstand leisten können, wie Kleinstkinder oder alte Menschen, von der Vorschrift mitumfasst werden. Gerade der körperliche oder psychische Zustand muss dazu führen, dass eine andere Entscheidung, eine körperliche Abwehr oder eine Flucht nicht wahrgenommen werden. Der Zustand muss kausal für die Widerstandsunfähigkeit sein. Dies muss der Täter auch subjektiv erkennen und sich zu Nutze machen. Es ist zu befürchten, dass der erforderliche Zusammenhang zwischen der sexuellen Handlung und der Lage, in der das Opfer „widerstandsunfähig“ ist, in der Praxis zu Unklarheit und unterschiedlichen Entscheidungen führen wird.
Zudem sollte der in der Gesetzesbegründung angeführte Begriff der Geisteskrankheit gestrichen werden, da er eine Behinderung völlig unzeitgemäß an einem medizinischen Defizitdenken orientiert.[3] Menschen mit Behinderung werden in unserer Gesellschaft schnell als „widerstandsunfähig“ abgestempelt und diskriminiert. Nach Art. 12 der UN-Behindertenkonvention haben Menschen mit Behinderungen jedoch das Recht, überall als Rechtssubjekt anerkannt zu werden. Sie genießen gleichberechtigt mit anderen in allen Lebensbereichen Rechts- und Handlungsfähigkeit. Insoweit muss ein grundsätzlicher Perspektivwechsel stattfinden und auch Ausdruck in der Gesetzesbegründung finden. Mit individueller Assistenz und Unterstützung kann jeder Mensch mit Behinderung seinen Willen kundtun und auch seinen Widerstand gegenüber sexuellen Handlungen zum Ausdruck bringen. Es darf nicht sein, dass allein eine Behinderung bereits den Tatbestand des § 179 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 StGB erfüllt.
Wie auch in der Istanbul-Konvention ausgeführt, muss der freie Wille einer Person mit oder ohne Behinderung im Zusammenhang der jeweiligen Begleitumstände beurteilt werden.[4]
Im Zusammenhang mit der Schutzwürdigkeit von Kindern stellt sich eine weitere Frage. Wenn es nach der Begründung auf deren objektive, altersbedingte Unfähigkeit zum Widerstand ankommt, stellt sich die Frage, ob dieser Schutz des § 179 mit Erreichen eines bestimmten Entwicklungsstandes endet und ob danach von ihm ein Widerstand i.S.v. § 177 StGB erwartet wird. Gerade wenn man berücksichtigt, dass viele sexuelle Übergriffe im unmittelbaren Umfeld des Kindes stattfinden, würde der Entwurf mit einer solchen Ausrichtung die emotionalen Bindungen vernachlässigen, die gerade in diesem Umfeld bestehen und Kinder im Zweifel davon abhalten, einen solchen tatbestandsrelevanten Widerstand zu leisten. Ebenfalls stellt sich die Frage, ob die Tatbestände des Missbrauchs von Minderjährigen die relevanten Fallgruppen erfassen, in denen Täter gerade die emotionale Bindung und das Vertrauen der Kinder für ihre Handlungen ausnutzen.
Beim Strafmaß von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe wird der im Vergleich zu § 177 StGB (Strafrahmen nicht unter einem Jahr) geringere Strafrahmen von § 179 Abs. 1 StGB-E dadurch begründet, dass der Täter bei § 177 StGB zusätzlich einen entgegenstehenden Willen des Opfers durch Zwang beugen muss und die Nötigung gem. § 240 StGB auch zu einer Mindestfreiheitsstrafe zu einem Jahr führe. Die Begründung des Gesetzentwurfs, dass der Täter bei § 179 Abs. 1 und 2 StGB „lediglich die Schutzlosigkeit des zum Widerstand nicht fähigen Opfers“ ausnutze,[5] vermag nicht zu überzeugen. Zwar ist in § 179 Abs. 3 StGB die Strafbarkeit besonders schwerer Fälle geregelt, jedoch sind die aufgelisteten Regelbeispiele nicht eindeutig und können zu Abgrenzungsschwierigkeiten führen. Insbesondere stellt sich die Frage, warum bei der Bewertung des Unwertgehalts neben der Behinderung einer Person (§ 179 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 2 StGB), nicht noch weitere Beispiele für zum Widerstand unfähige Personen benannt werden, bzw. nicht eine Formulierung gewählt wurde, die sämtliche Fallkonstellationen, in denen ein objektiv feststellbarer höherer Unwertgehalt besteht, abdeckt. Die vorgeschlagene Formulierung kann zu neuen Schutzlücken führen, die aus Sicht der BAGFW nur durch eine klarstellende Regelung vermieden werden können.
Dies wird dadurch umso deutlicher, dass der Gesetzentwurf eine Behinderung mit einer „dauerhaft bestehenden Widerstandsunfähigkeit“ gleichsetzt und bei dem „nur temporär“ widerstandsunfähigen Opfer „kein erhöhtes Maß an Skrupellosigkeit“ auf Seiten des Täters verwirklicht sieht.[6] Für die BAGFW ist nicht verständlich, warum der Gesetzgeber auf der einen Seite den Personenkreis der möglichen Opfer erweitert, bei der Bewertung des Tatunrechts hingegen wieder eine Differenzierung der zu schützenden Personen vornimmt. In diesem Zusammenhang stellt sich bspw. die Frage, ob bei der von der Norm neuaufgenommenen Fallgruppe der Kleinstkinder grundsätzlich kein besonders schwerer Fall vorliegen können soll, da sie der Begründung des Gesetzentwurfs nach zu urteilen, weder unter § 179 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 2 StGB fallen.
b. § 179 Abs. 1 Nr. 2 StGB
Der Gesetzentwurf soll zusätzliche Begehungsformen des Missbrauchs erfassen, wie z.B. Überraschungsangriffe oder der nicht vorhersehbare Griff zwischen die Beine in einer überfüllten U-Bahn. Die Voraussetzungen einer Nötigungshandlung müssen nicht mehr vorliegen.
Allerdings werden sexuelle Übergriffe strafrechtlich nur verfolgt, wenn die nach § 184g StGB erforderliche „Erheblichkeit“ gegeben ist. Dies wird unterschiedlich ausgelegt und führt damit wieder zu Unsicherheiten bei der Strafverfolgung. Im Rahmen der bereits erwähnten umfassenden Reform des Sexualstrafrechts ist damit gerade auch dieses in § 184g StGB enthaltene Erforderlichkeitskriterium und seine Auswirkung in der Auslegungspraxis der Gerichte zu bewerten und zu hinterfragen.
c. § 179 Abs. 1 Nr. 3 StGB
§ 179 Abs. 1 Nr. 3 StGB-E bestimmt, dass sich derjenige strafbar macht, der unter Ausnutzung einer Lage, in der eine andere Person im Fall ihres Widerstandes ein empfindliches Übel befürchtet, sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder an sich von dieser vornehmen lässt. Dadurch wirft der Gesetzentwurf ein mit der Ausgestaltung der Norm einhergehendes Problem auf, dass Fälle, in denen das Opfer beispielsweise aus Scham keinen Widerstand leistet, nicht von der Regelung umfasst wären. Die BAGFW spricht sich daher dafür aus, die Norm so auszugestalten, dass auch die eben genannten Fallkonstellationen abgedeckt sind, da der Täter auch in diesen Fällen die Lage des Opfers ausnutzt, um sexuelle Handlungen an ihm zu begehen.
III. Fragen des BMJV
1. Stellungnahme zum Vorschlag § 179 Abs. 1 Nr. 2 StGB als relatives Antragsdelikt auszugestalten, damit Taten, die eventuell erst deutlich später (zum Beispiel im Rahmen einer Beziehungsbeendigung) angezeigt werden, nur bei Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses der Strafverfolgung unterliegen
Die BAGFW spricht sich aus mehreren Gründen gegen die Ausgestaltung von § 179 Abs. 1 Nr. 2 StGB als relatives Antragsdelikt aus. Hier mögen die hohe Strafandrohung und die rechtlichen Konsequenzen für einen Beschuldigten den Hintergrund dieser Überlegungen darstellen. Jedoch ist es aus Sicht der BAGFW problematisch, innerhalb einer Norm verschiedene Anforderungen an die Strafverfolgung zu stellen. Weitere Bedenken bestehen hinsichtlich der Voraussetzungen an einen Strafantrag. So kann der Strafantrag nur vom Opfer selbst (§ 77 Abs. 1 StGB) und förmlich bei einem Gericht oder der Staatsanwaltschaft gestellt werden (§ 158 Abs. 2 StPO). Zwar kann die Staatsanwaltschaft bei relativen Antragsdelikten auch ohne Antrag des Verletzten und sogar gegen dessen Willen Straftaten verfolgen, wenn für den konkreten Einzelfall ein besonderes öffentliches Interesse besteht und sie ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält.[7] Dennoch erachtet es die BAGFW für erforderlich, auch § 179 Abs. 1 Nr. 2 StGB als Offizialdelikt auszugestalten, um Ungleichbehandlungen von Betroffenen zu vermeiden und die Hürden nicht zu hoch zu setzen. Gerade vor dem Hintergrund, dass der Gesetzentwurf die Strafbarkeit einer sexuellen Handlung nicht mehr vom Vorliegen eines Nötigungsmittels abhängig machen will, erscheint es fraglich, die Strafverfolgung für die Fälle des § 179 Abs. 1 Nr. 2 StGB herabzusetzen. Eine Rechtsverletzung ist bereits dann verwirklicht, wenn sexuelle Handlungen am Körper vorgenommen werden, die nicht von einer wirksamen Zustimmung umfasst sind.[8] Daher sollte die Frage nach der Strafverfolgung auch nicht von der Art der Begehung abhängig gemacht werden.
2. Werden für § 179 Abs. 1 Nr. 3 StGB-E zusätzliche, den Tatbestand verengende Tatbestandvoraussetzungen für nötig erachtet?
Zur Frage nach der Ausgestaltung von § 179 Abs. 1 Nr. 3 StGB verweist die BAGFW auf die bereits geäußerten Bedenken hinsichtlich der Schaffung neuer Strafbarkeitslücken und spricht sich aus diesem Grund gegen die Verengung, jedoch für eine Konkretisierung des Tatbestandes aus.
IV. Fazit
Die sexuelle Selbstbestimmung genießt durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs.1 GG iVm Art. 1 Abs. 1 GG grundgesetzlichen Schutz. Die BAGFW begrüßt aus diesem Grund den Gesetzentwurf, da er einen ersten Schritt darstellt, um bestehende Regelungslücken zu schließen und den Schutz besser gewährleisten zu können. Die BAGFW setzt sich darüber hinaus für einen umfassenden Schutz der sexuellen Selbstbestimmung vor den Angriffen Dritter ein, der durch den vorgelegten Entwurf noch nicht erreicht werden wird. Die Prüfung durch die vom BMJV eingesetzte „Reformkommission zur Überarbeitung des 13. Abschnitts des Besonderen Teils des StGB“, ob es über den Gesetzentwurf hinausgehenden Änderungsbedarf gibt und ob ein neuer Grundtatbestand geschaffen werden soll, wird ausdrücklich befürwortet. Die BAGFW erbittet in diesem Zusammenhang einen transparenten Umgang hinsichtlich konkreter Arbeitsabläufe und
-ergebnisse der Kommission. Denn nach wie vor ist es aus Sicht der BAGFW notwendig, die Vorgaben aus Art. 36 der Istanbul-Konvention konsequent umzusetzen und alle sexuellen Handlungen, die ohne das Einverständnis der Beteiligten vorgenommen werden, unter Strafe zu stellen.
[1] Vgl. auch Tatjana Hörnle in ZIS 4/2015 S. 209
[2] CEDAW-Ausschuss, Communication No. 34/2011 vom 21.02.2014, CEDAW/C/57/D/34/2011, tbinternet.ohchr.org/_layouts/treatybodyexternal/Download.aspx; CEDAW-Ausschuss, Communication No. 18/2008 vom 16.07.2010, CEDAW/C/46/D/18/2008, daccess-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/GEN/N10/545/58/PDF/N1054558.pdf;
[3] Vgl. Referenten-E vom 14.07.2015, S. 14 „Der Begriff erfasst auch sogenannte Geisteskrankheiten, also etwa die angeborene Intelligenzminderung.“
[4] Vgl. Art. 36 Ziff. 2 Istanbul-Konvention
[5] Vgl. Referenten-E vom 14.07.2015, S. 15.
[6] Vgl. Referenten-E vom 14.07.2015, S. 18.
[7] Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch | StGB § 230 Rn. 28.
[8] Vgl. Hörnle, ZIS 4/2015, 206 (209).