Stellungnahme der BAGFW zum Konsultationspapier „Überprüfung bestehender MwSt-Rechtsvorschriften zu öffentlichen Einrichtungen und Steuerbefreiungen für dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten“

Die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) zu- sammenarbeitenden Spitzenverbände begrüßen das Konsultationsverfahren der Europäischen Kommission über die Zukunft der Mehrwertsteuer sowie über Reformen zu einem einfacheren und effizienteren Mehrwertsteuersystem.

"Freie Wohlfahrtspflege" ist die Gesamtheit aller sozialen Hilfen, die auf freigemein- nütziger Grundlage und in organisierter Form in der Bundesrepublik Deutschland ge- leistet werden. Freie Wohlfahrtspflege unterscheidet sich einerseits von gewerblichen

- auf Gewinnerzielung ausgerichteten - Angeboten und andererseits von denen öf- fentlicher Träger. Das Miteinander öffentlicher und freier Wohlfahrtspflege in der Bundesrepublik Deutschland ist einmalig in der Welt. Die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege sind aufgrund ihrer Leistungen für das Gemeinwesen ein wichtiger Bestandteil des Sozialstaates. Das soziale Netz würde zerreißen, wenn es ihre Arbeit nicht gäbe: In den Einrichtungen und Diensten der Wohlfahrtsverbände sind rund 1,4

Millionen Menschen hauptamtlich beschäftigt; schätzungsweise 2,5 bis 3 Millionen leisten ehrenamtlich engagierte Hilfen in Initiativen, Hilfswerken und Selbsthilfegrup- pen. Die Wohlfahrtsverbände sind föderalistisch strukturiert, d. h. die Gliederungen und Mitgliedsorganisationen sind überwiegend rechtlich selbstständig. Sie haben

sich in sechs Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege zusammengeschlossen. Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege sind geprägt durch unterschiedliche welt- anschauliche oder religiöse Motive und Zielvorstellungen. Gemeinsam ist allen, dass sie unmittelbar an die Hilfsbereitschaft und an die Solidarität der Bevölkerung an- knüpfen.

 

Personengruppen, die voll oder teilweise auf die Unterstützung der Gesellschaft an- gewiesen sind, wie z.B. arme, kranke, behinderte, pflegebedürftige, arbeitslose, ob- dachlose, Asyl suchende oder sozial ausgegrenzte Menschen, haben oft keine oder nur geringe Möglichkeiten, ihren Vorstellungen zur Lösung der sie bedrängenden Nöte und Probleme Gehör zu verschaffen. Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege setzen sich für die Belange benachteiligter und hilfebedürftiger Menschen ein und vertreten deren Interessen in der öffentlichen Diskussion.

 

Wir begrüßen daher die Möglichkeit, im Interesse unserer Dienste und Einrichtungen, insbesondere aber auch im Interesse der betroffenen Menschen eine Stellungnahme zur Neuausrichtung des Mehrwertsteuer-Systems abgeben zu dürfen, da diese als Endverbraucher von Neuerungen direkt oder indirekt betroffen sind.

 

 

Zu Frage F1: Allgemeine Bewertung der geltenden Vorschriften (siehe Punkt 3):

 

Die geltenden Vorschriften erlauben gewisse Umsatzsteuerermäßigungen und

-befreiungen für bestimmte, dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten. Diese sollten aus der Sicht der Freien Wohlfahrtsverbände unbedingt beibehalten werden.

 

Umsatzsteuerbefreiungen

 

Insbesondere Artikel 132 Richtlinie 2006/112/EG Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie

(i.F.: MwStSystRL) sieht Steuerbefreiungen für bestimmte, dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten vor, wie beispielsweise Krankenhausbehandlungen und ärztliche Heilbe- handlungsleistungen, eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbun- dene Dienstleistungen, Leistungen der Kinder- und Jugendbetreuung/-erziehung oder Schul- und Hochschulunterricht. Darüber hinaus werden nach Artikel 132 Abs. 1

Buchstabe f und k der MwStSystRL auch die Leistungen von umsatzsteuerbefreiten Personenzusammenschlüssen sowie die Personalgestellung durch religiöse und welt- anschauliche Einrichtungen für Tätigkeiten im Bereich der Heilbehandlung, der Sozial- fürsorge sowie der Kinder- und Jugendbetreuung/ -erziehung von der Umsatzsteuer befreit.

 

Eine Abschaffung der Umsatzsteuerbefreiung von dem Gemeinwohl dienenden Tä- tigkeiten hätte aus Sicht der Freien Wohlfahrtspflege aller Wahrscheinlichkeit nach für soziale Leistungen aufgrund des hohen Anteils von Personalkosten eine Erhö- hung der Preise bis zum reduzierten Umsatzsteuersatz bzw. sogar bis zum Regel- steuersatz von in Deutschland derzeit 19 % zur Folge.

 

Insbesondere die Krankenhaus- und Heilbehandlungsleistungen, Pflegeleistungen oder Leistungen der Sozialfürsorge werden in Deutschland durch die Sozialversiche- rung und zum Teil auch aus öffentlichen Kassen bezahlt. Die Abschaffung der Um- satzsteuerbefreiung und eine Besteuerung zum Regelsteuersatz hätte allein in Deutschland bezogen auf das Jahr 2014 für die gesetzliche Kranken-, Pflege-, Ren- ten-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung Mehrkosten in Höhe von 34 Mrd. Euro bzw. eine Steigerung der Beitragssätze um mehr als 3 Prozentpunkte zur Folge1. Eine derart signifikante Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge wird jedoch poli- tisch kaum realisierbar sein, denn die Beitragslast ist bereits hoch, und eine weitere Erhöhung würde zu einer zusätzlichen Steigerung der Lohnnebenkosten führen. Wahrscheinlicher ist, dass mittelfristig das Leistungsniveau der Sozialversicherung und der Sozialfürsorge abgesenkt wird. Dies hätte jedoch massive negative Auswir- kungen auf den Lebensstandard von benachteiligten und/oder hilfebedürftigen Men- schen.

 

 

 

 

 

 

 

1 „Europäische Mehrwertsteuerreform: Sanierung des Staatshaushalts auf Kosten der Beitragszahler? Finanzielle Auswirkungen eines Wegfalls der Steuerbefreiung von bzw. Steuerermäßigung auf Leistungen der deutschen gesetzlichen Sozialversicherung im Rahmen des Reformvorhabens der Europäischen Union zur Mehrwertsteuer“

Stellungnahme der Deutschen Sozialversicherung, AOK-Bundesverband, BKK Dachverband, Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, Deutsche Rentenversicherung Bund, IKK e.V., Knappschaft, Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau, Verband der Ersatzkassen e.V., GKV-Spitzenverband (vorgelegt am  27.Mai 2013)

 

 

Bei Selbstzahlern ergeben sich in Abhängigkeit von der Einkommenshöhe und der Personenzahl eines Haushalts bei einer Steuererhöhung um bis zu 19 % - Punkte gravierende Folgen für die Lebenshaltungskosten. Insbesondere Haushalte mit nied- rigem Einkommen sowie Haushalte mit Kindern wären von entsprechenden Steuer- erhöhungen (z.B. im Bereich der Betreuung und Bildung) überproportional betroffen. Dies könnte durch Transferzahlungen des Staates, wenn überhaupt, nur mit einem zusätzlichen bürokratischen Aufwand und auch nur zeitlich verzögert kompensiert werden.

 

Eine Abschaffung der Umsatzsteuerbefreiungen für dem Gemeinwohl dienende Tä- tigkeiten hätte zwar eine breitere Bemessungsgrundlage für die Erhebung der Um- satzsteuer zur Folge. Ob aber im Gegenzug der Regelsteuersatz abgesenkt wird, ist angesichts der angespannten Haushaltslage vieler europäischer Länder fraglich. Auch ist nicht mit einer die sozialpolitischen Auswirkungen kompensierenden oder abfedernden Absenkung anderer Steuerarten oder mit entsprechenden Transferleis- tungen zu rechnen. Ferner dürfte die Abschaffung der Mehrwertsteuerbefreiungen künftige Erhöhungen des Mehrwertsteuer-Regelsatzes kaum verhindern. Jede Erhö- hung des Regelsteuersatzes hätte jedoch eine überproportionale Belastung der So- zialkassen bzw. von Bevölkerungsgruppen mit niedrigem Einkommen und von Familien mit Kindern zur Folge.

 

Die Steuerbefreiungen nach Artikel 132 Abs. 1 Buchstabe f und k der MwStSystRL sind ebenfalls beizubehalten, da hierdurch das Zusammenwirken umsatzsteuerbe- freiter Organisationen gefördert wird. Ohne eine solche Steuerbefreiung wären be- triebswirtschaftlich sinnvolle Kooperationen und Zusammenschlüsse zwar möglich, praktisch aber nicht durchführbar. Die Umlage der angefallenen Kosten, insbesonde- re der Personalkosten, würde mit Umsatzsteuer belegt, die auf Ebene des umsatz- steuerbefreiten Leistungsempfängers mangels Vorsteuerabzug als Aufwand verbleiben würde. Darüber hinaus sollte die Umsatzsteuerbefreiung nach Artikel 132

Abs. 1 Buchstabe k der MwStSystRL nicht nur auf unmittelbare Personalgestellungen in den genannten Bereichen beschränkt sein, sondern auf alle Tätigkeiten in den umsatzsteuerbefreiten Bereichen ausgeweitet werden, denn hierdurch ließen sich wirtschaftlich sinnvolle Synergieeffekte bei Kooperationen/Zusammenschlüssen (z.B. im Bereich der Verwaltung) noch effizienter nutzen.

 

Abschließend fordern die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege ausdrücklich die Beibehaltung der Umsatzsteuerbefreiung nach Artikel 132 Abs. 1 Buchstabe l der MwStSystRL. Nach dieser Vorschrift sind Leistungen, die Einrichtungen ohne Ge- winnstreben, welche politische, gewerkschaftliche, religiöse, weltanschauliche, phi- lanthropische oder staatsbürgerliche Ziele verfolgen, an ihre Mitglieder in deren gemeinsamen Interesse gegen einen satzungsgemäß festgelegten Beitrag erbrin- gen, von der Umsatzsteuer befreit. Diese Vorschrift hat in Deutschland eine weitrei- chende Bedeutung, denn bürgerschaftliches Engagement findet vielfach in ertragssteuerbegünstigten, gemeinnützigen Vereinen statt, die ihre dem Gemeinwohl dienenden Aufgaben in der Regel über Mitgliedsbeiträge finanzieren. Werden diese Beiträge nun der Umsatzsteuer unterworfen, könnte dies die Motivation der oft eh- renamtlich Tätigen nachhaltig dämpfen. Ferner könnten kleinere Organisationen mit den anfallenden Pflichten im Zuge der Umsatzsteuererhebung, insbesondere mit der damit verbundenen zusätzlichen Bürokratie, schnell überfordert sein.

 

 

Ermäßigter Umsatzsteuersatz

 

Aus Sicht der Freien Wohlfahrtspflege ist die Anwendung eines ermäßigten Steuer- satzes insbesondere auf Gegenstände des täglichen Bedarfs wie Lebensmittel und gesundheitliche Bedarfe grundsätzlich sinnvoll. Die reduzierten Mehrwertsteuersätze erleichtern die Deckung von grundlegenden Bedarfen der Bürgerinnen und Bürger, die an oder unterhalb der nationalen Armutsrisikogrenze von 60 % des Medianein- kommens leben.

 

Die jährlichen Steuermindereinnahmen der Bundesrepublik Deutschland aufgrund des ermäßigten Umsatzsteuersatzes liegen bei ca. 23 Mrd. Euro. Der weitaus größte Teil der Steuermindereinnahmen, d.h. knapp 75 %, entfällt auf den reduzierten Um- satzsteuersatz bei Nahrungsmitteln, Milch und Trinkwasser (ca. 17 Mrd. Euro)2. Die Beibehaltung des reduzierten Umsatzsteuersatzes bei Nahrungsmitteln, Milch und Trinkwasser ist aus sozialpolitischen Gründen unabdingbar. Zu diesem Ergebnis kommt auch ein vom Bundesministerium der Finanzen in Auftrag gegebenes Gut- achten3. Hiervon profitieren vor allem Bevölkerungsgruppen mit geringem Einkom- men sowie Familien mit Kindern bezogen auf ihre Lebenshaltung in besonderem Maße. Bei diesen Bevölkerungsgruppen haben aufgrund der relativ hohen Konsum- quote bereits geringe Preissteigerungen einen großen Einfluss auf die Lebenshal- tung. Darum sollte für Gegenstände des täglichen Bedarfs weiterhin und grundsätzlich der ermäßigte Mehrwertsteuersatz gelten.

 

Eine Erhöhung des Umsatzsteuersatzes auf grundlegende Bedarfe würde zu einer Unterdeckung von grundlegenden Bedarfen insbesondere bei Transferleistungsbe- ziehern und anderen Personengruppen mit geringem Einkommen führen. Haushalte, die an oder unterhalb der Armutsrisikogrenze leben haben sehr große Probleme, ihre täglichen Bedarfe zu decken. Würde in diesen Fällen der Mehrwertsteuersatz erhöht, würde diese Problematik noch weiter verschärft. Zudem ist kaum zu erwarten, dass der Regelsteuersatz bei Abschaffung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für jegli- che Sachverhalte insgesamt soweit abgesenkt würde, dass eine Mehrbelastung der Bevölkerung ausgeschlossen ist. Auch Einkommensteuersenkungen könnten dies nicht kompensieren, da Haushalte an oder unterhalb der Armutsrisikogrenze weitge- hend von Einkommensteuerzahlungen befreit sind oder aber gar kein Erwerbsein- kommen erzielen.

 

Aus sozialpolitischen Gründen ist es des Weiteren zu begrüßen, dass nach der der- zeitigen Kategorie 15 des Anhangs III der MwStSystRL die Lieferung von Gegen- ständen und die Erbringung von Dienstleistungen durch von den Mitgliedstaaten anerkannte gemeinnützige Einrichtungen für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit, soweit sie nicht gemäß den Artikeln 132, 135 und 136 von der Steuer befreit sind, einem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterworfen werden. Diese Regelung hat in Deutschland u. a. Bedeutung für die Besteuerung von Werkstätten für Menschen mit Behinderung und von Integrationsprojekten. Werkstätten für Men- schen mit Behinderung dienen in erster Linie der sinnvollen Beschäftigung der be- treuten Menschen und sind nach SGB IX Kapitel 5 Teil 1 und § 136 Abs. 1 Satz 1

 

 

2 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung: Chancen für einen stabilen Aufschwung, Jahresgutachten 2010/2011, S. 214

3 Ismer R., Kaul A., Reiß W., Rath S.: Analyse und Bewertung der Strukturen von Regel- und ermäßigten Sätzen bei der Umsatzbesteuerung unter sozial-, wirtschafts-, steuer- und

haushaltspolitischen Gesichtspunkten, Saarbrücken 2010

 

SGB IX Einrichtungen zur Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben und zur Eingliederung in das Arbeitsleben. Erst die Besteuerung von Werkstätten und Integ- rationsprojekten zu einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz ermöglicht es, für die im Rahmen der Betreuung hergestellten Produkte und Dienstleistungen auch Abnehmer zu finden und die gemeinnützige Einrichtung sowie die Arbeitsentgelte an die Men- schen mit Behinderung zumindest teilweise selbst zu finanzieren.

 

Die Freie Wohlfahrtspflege spricht sich deshalb grundsätzlich für die Beibehaltung

der reduzierten Mehrwertsteuersätze insbesondere in den benannten Bereichen aus.

 

Darüber hinaus sollte Kategorie 15 des Anhangs III der MwStSystRL dahingehend präzisiert werden, dass auch Lieferungen und Leistungen, die quasi als „Nebenpro- dukt“ im Bereich der sozialen Sicherheit anfallen, mit einem ermäßigten Mehrwert- steuersatz belegt werden können.

 

Aufgrund der unterschiedlichen Rahmenbedingungen in den Mitgliedstaaten der EU (z.B. Sozialversicherung, steuerfinanzierte Sozialleistungen, Höhe der Regelsteuer- sätze) sollte auf der Ebene der EU nur ein allgemeiner Rahmen für die Festlegung der reduzierten Mehrwertsteuersätze vorgegeben werden. Die Festsetzung der kon- kreten Höhe des reduzierten Mehrwertsteuersatzes hat auf der Ebene der National- staaten zu erfolgen.

 

 

 

Zu Frage F2: Wettbewerbsverzerrungsklausel:

 

Aus Sicht der Freien Wohlfahrtspflege kommt es bei den im Sozialgesetzbuch gere- gelten Bereichen zu keinen signifikanten Wettbewerbsverzerrungen, da in Deutsch- land das Umsatzsteuerrecht weitgehend der Sozialgesetzgebung folgt. Die Umsatzsteuerbefreiung bestimmt sich nach der Art der erbrachten Leistung und nicht nach dem rechtlichen Status des Leistungserbringers. Damit werden gemeinnützige und gewinnorientierte Leistungserbringer weitgehend gleichgestellt.

 

Grundsätzlich steht es Körperschaften außerdem frei, gegen (vermeintliche) Wettbe- werbsverzerrungen den Rechtsweg z.B. in Form einer Konkurrentenklage zu be- schreiten.

 

 

 

Zu Frage F3: Reformmaßnahmen (siehe Punkt 5):

 

Option 1 – Vollbesteuerung öffentlicher Einrichtungen

 

Dieses Modell ist aus verteilungspolitischen Gründen abzulehnen. Durch die Einbe- ziehung öffentlicher Leistungen und sozialer Dienstleistungen in die Umsatzsteuer werden insbesondere Menschen mit geringem Einkommen und auch Familien über- proportional belastet, während eine etwaige Reduzierung des Regelsteuersatzes al- len Bevölkerungsgruppen zu Gute kommt. Getoppt wird diese negative Verteilungs- wirkung noch durch die Einbeziehung von bisher gratis gewährten öffentlichen Leis- tungen (sog. fiktive Leistungen, z.B. Polizei oder Feuerwehr) in die Umsatzsteuerbe- messungsgrundlage. Die Verteilungswirkungen des Modells sind oben unter F1 detailliert dargestellt und bewertet.

 

 

Option 2 – Erstattungssystem

 

Die gemeinnützigen Verbände der Freien Wohlfahrtspflege würden es in hohem Ma- ße begrüßen, wenn zukünftig die entrichtete Vorsteuer aus der Staatskasse erstattet würde. Bisher sind soziale Dienstleistungen trotz der bestehenden Steuerbefreiun- gen nur partiell von der Umsatzsteuer entlastet, da Vorleistungen in der Regel mit Vorsteuer in Rechnung gestellt werden, diese aber bisher nicht geltend gemacht werden kann.

 

Angesichts der für Option 2 geschätzten Kosten in der EU von rund 134 Mrd. Euro stellt sich jedoch die Frage, wie diese zusätzliche Belastung der Staatshaushalte fi- nanziert werden soll. Eine Gegenfinanzierung im Rahmen der Umsatzsteuer hätte letztendlich eine Anhebung des Umsatzsteuersatzes zur Folge, was wiederum zu den unter F1 darstellten negativen Verteilungswirkungen führen würde. Option 2 wä- re folglich nur dann eine Alternative, wenn die Gegenfinanzierung nicht zu einer Be- lastung armer oder benachteiligter Menschen führt.

 

Option 3 – Streichung von Artikel 13 bei gleichzeitiger Beibehaltung von Steu- erbefreiungen für dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten

 

Bei diesem Reformmodell ist zu begrüßen, dass die Umsatzsteuerbefreiungen des Artikels 132 der MwStSystRL auch zukünftig beibehalten werden sollen. Argumente für die Beibehaltung sowie Vorschläge zur Überarbeitung der Befreiungstatbestände wurden bereits oben unter F1 dargestellt.

 

Option 4 – Sektorale Reform

 

Wie bereits mehrfach ausgeführt, sprechen sich die Verbände der Freien Wohl- fahrtspflege für eine Beibehaltung der Umsatzsteuerbefreiungen in Artikel 132 der MwStSystRL aus.

 

Die Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen zwischen öffentlichen, privat gewerb- lichen und freigemeinnützigen Anbietern sozialer Dienstleistungen lässt sich auch durch die Ausrichtung einer Steuerbefreiung an der erbrachten Tätigkeit erreichen, indem unabhängig vom Leistungserbringer der ganze Sektor von der Umsatzsteuer befreit wird. In Deutschland ist dies insofern bereits verwirklicht, als im Bereich sozia- ler Dienste und Einrichtungen das Umsatzsteuerrecht weitgehend der Sozialgesetz- gebung folgt (s. o. F2).

 

Option 5 – Punktuelle Änderungen der geltenden Vorschriften

 

Die aus Sicht der Freien Wohlfahrtspflege notwendigen punktuellen Reformen wur- den bereits oben unter F1 dargelegt.

ommission über die Zukunft der Mehrwertsteuer sowie über Reformen zu einem einfacheren und effizienteren Mehrwertsteuersystem.

 

 

"Freie Wohlfahrtspflege" ist die Gesamtheit aller sozialen Hilfen, die auf freigemein- nütziger Grundlage und in organisierter Form in der Bundesrepublik Deutschland ge- leistet werden. Freie Wohlfahrtspflege unterscheidet sich einerseits von gewerblichen

- auf Gewinnerzielung ausgerichteten - Angeboten und andererseits von denen öf- fentlicher Träger. Das Miteinander öffentlicher und freier Wohlfahrtspflege in der Bundesrepublik Deutschland ist einmalig in der Welt. Die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege sind aufgrund ihrer Leistungen für das Gemeinwesen ein wichtiger Bestandteil des Sozialstaates. Das soziale Netz würde zerreißen, wenn es ihre Arbeit nicht gäbe: In den Einrichtungen und Diensten der Wohlfahrtsverbände sind rund 1,4

Millionen Menschen hauptamtlich beschäftigt; schätzungsweise 2,5 bis 3 Millionen leisten ehrenamtlich engagierte Hilfen in Initiativen, Hilfswerken und Selbsthilfegrup- pen. Die Wohlfahrtsverbände sind föderalistisch strukturiert, d. h. die Gliederungen und Mitgliedsorganisationen sind überwiegend rechtlich selbstständig. Sie haben

sich in sechs Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege zusammengeschlossen. Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege sind geprägt durch unterschiedliche welt- anschauliche oder religiöse Motive und Zielvorstellungen. Gemeinsam ist allen, dass sie unmittelbar an die Hilfsbereitschaft und an die Solidarität der Bevölkerung an- knüpfen.

 

Personengruppen, die voll oder teilweise auf die Unterstützung der Gesellschaft an- gewiesen sind, wie z.B. arme, kranke, behinderte, pflegebedürftige, arbeitslose, ob- dachlose, Asyl suchende oder sozial ausgegrenzte Menschen, haben oft keine oder nur geringe Möglichkeiten, ihren Vorstellungen zur Lösung der sie bedrängenden Nöte und Probleme Gehör zu verschaffen. Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege setzen sich für die Belange benachteiligter und hilfebedürftiger Menschen ein und vertreten deren Interessen in der öffentlichen Diskussion.

 

Wir begrüßen daher die Möglichkeit, im Interesse unserer Dienste und Einrichtungen, insbesondere aber auch im Interesse der betroffenen Menschen eine Stellungnahme zur Neuausrichtung des Mehrwertsteuer-Systems abgeben zu dürfen, da diese als Endverbraucher von Neuerungen direkt oder indirekt betroffen sind.

 

 

Zu Frage F1: Allgemeine Bewertung der geltenden Vorschriften (siehe Punkt 3):

 

Die geltenden Vorschriften erlauben gewisse Umsatzsteuerermäßigungen und

-befreiungen für bestimmte, dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten. Diese sollten aus der Sicht der Freien Wohlfahrtsverbände unbedingt beibehalten werden.

 

Umsatzsteuerbefreiungen

 

Insbesondere Artikel 132 Richtlinie 2006/112/EG Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie

(i.F.: MwStSystRL) sieht Steuerbefreiungen für bestimmte, dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten vor, wie beispielsweise Krankenhausbehandlungen und ärztliche Heilbe- handlungsleistungen, eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbun- dene Dienstleistungen, Leistungen der Kinder- und Jugendbetreuung/-erziehung oder Schul- und Hochschulunterricht. Darüber hinaus werden nach Artikel 132 Abs. 1

Buchstabe f und k der MwStSystRL auch die Leistungen von umsatzsteuerbefreiten Personenzusammenschlüssen sowie die Personalgestellung durch religiöse und welt- anschauliche Einrichtungen für Tätigkeiten im Bereich der Heilbehandlung, der Sozial- fürsorge sowie der Kinder- und Jugendbetreuung/ -erziehung von der Umsatzsteuer befreit.

 

Eine Abschaffung der Umsatzsteuerbefreiung von dem Gemeinwohl dienenden Tä- tigkeiten hätte aus Sicht der Freien Wohlfahrtspflege aller Wahrscheinlichkeit nach für soziale Leistungen aufgrund des hohen Anteils von Personalkosten eine Erhö- hung der Preise bis zum reduzierten Umsatzsteuersatz bzw. sogar bis zum Regel- steuersatz von in Deutschland derzeit 19 % zur Folge.

 

Insbesondere die Krankenhaus- und Heilbehandlungsleistungen, Pflegeleistungen oder Leistungen der Sozialfürsorge werden in Deutschland durch die Sozialversiche- rung und zum Teil auch aus öffentlichen Kassen bezahlt. Die Abschaffung der Um- satzsteuerbefreiung und eine Besteuerung zum Regelsteuersatz hätte allein in Deutschland bezogen auf das Jahr 2014 für die gesetzliche Kranken-, Pflege-, Ren- ten-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung Mehrkosten in Höhe von 34 Mrd. Euro bzw. eine Steigerung der Beitragssätze um mehr als 3 Prozentpunkte zur Folge1. Eine derart signifikante Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge wird jedoch poli- tisch kaum realisierbar sein, denn die Beitragslast ist bereits hoch, und eine weitere Erhöhung würde zu einer zusätzlichen Steigerung der Lohnnebenkosten führen. Wahrscheinlicher ist, dass mittelfristig das Leistungsniveau der Sozialversicherung und der Sozialfürsorge abgesenkt wird. Dies hätte jedoch massive negative Auswir- kungen auf den Lebensstandard von benachteiligten und/oder hilfebedürftigen Men- schen.

 

 

 

 

 

 

 

1 „Europäische Mehrwertsteuerreform: Sanierung des Staatshaushalts auf Kosten der Beitragszahler? Finanzielle Auswirkungen eines Wegfalls der Steuerbefreiung von bzw. Steuerermäßigung auf Leistungen der deutschen gesetzlichen Sozialversicherung im Rahmen des Reformvorhabens der Europäischen Union zur Mehrwertsteuer“

Stellungnahme der Deutschen Sozialversicherung, AOK-Bundesverband, BKK Dachverband, Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, Deutsche Rentenversicherung Bund, IKK e.V., Knappschaft, Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau, Verband der Ersatzkassen e.V., GKV-Spitzenverband (vorgelegt am  27.Mai 2013)

 

 

Bei Selbstzahlern ergeben sich in Abhängigkeit von der Einkommenshöhe und der Personenzahl eines Haushalts bei einer Steuererhöhung um bis zu 19 % - Punkte gravierende Folgen für die Lebenshaltungskosten. Insbesondere Haushalte mit nied- rigem Einkommen sowie Haushalte mit Kindern wären von entsprechenden Steuer- erhöhungen (z.B. im Bereich der Betreuung und Bildung) überproportional betroffen. Dies könnte durch Transferzahlungen des Staates, wenn überhaupt, nur mit einem zusätzlichen bürokratischen Aufwand und auch nur zeitlich verzögert kompensiert werden.

 

Eine Abschaffung der Umsatzsteuerbefreiungen für dem Gemeinwohl dienende Tä- tigkeiten hätte zwar eine breitere Bemessungsgrundlage für die Erhebung der Um- satzsteuer zur Folge. Ob aber im Gegenzug der Regelsteuersatz abgesenkt wird, ist angesichts der angespannten Haushaltslage vieler europäischer Länder fraglich. Auch ist nicht mit einer die sozialpolitischen Auswirkungen kompensierenden oder abfedernden Absenkung anderer Steuerarten oder mit entsprechenden Transferleis- tungen zu rechnen. Ferner dürfte die Abschaffung der Mehrwertsteuerbefreiungen künftige Erhöhungen des Mehrwertsteuer-Regelsatzes kaum verhindern. Jede Erhö- hung des Regelsteuersatzes hätte jedoch eine überproportionale Belastung der So- zialkassen bzw. von Bevölkerungsgruppen mit niedrigem Einkommen und von Familien mit Kindern zur Folge.

 

Die Steuerbefreiungen nach Artikel 132 Abs. 1 Buchstabe f und k der MwStSystRL sind ebenfalls beizubehalten, da hierdurch das Zusammenwirken umsatzsteuerbe- freiter Organisationen gefördert wird. Ohne eine solche Steuerbefreiung wären be- triebswirtschaftlich sinnvolle Kooperationen und Zusammenschlüsse zwar möglich, praktisch aber nicht durchführbar. Die Umlage der angefallenen Kosten, insbesonde- re der Personalkosten, würde mit Umsatzsteuer belegt, die auf Ebene des umsatz- steuerbefreiten Leistungsempfängers mangels Vorsteuerabzug als Aufwand verbleiben würde. Darüber hinaus sollte die Umsatzsteuerbefreiung nach Artikel 132

Abs. 1 Buchstabe k der MwStSystRL nicht nur auf unmittelbare Personalgestellungen in den genannten Bereichen beschränkt sein, sondern auf alle Tätigkeiten in den umsatzsteuerbefreiten Bereichen ausgeweitet werden, denn hierdurch ließen sich wirtschaftlich sinnvolle Synergieeffekte bei Kooperationen/Zusammenschlüssen (z.B. im Bereich der Verwaltung) noch effizienter nutzen.

 

Abschließend fordern die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege ausdrücklich die Beibehaltung der Umsatzsteuerbefreiung nach Artikel 132 Abs. 1 Buchstabe l der MwStSystRL. Nach dieser Vorschrift sind Leistungen, die Einrichtungen ohne Ge- winnstreben, welche politische, gewerkschaftliche, religiöse, weltanschauliche, phi- lanthropische oder staatsbürgerliche Ziele verfolgen, an ihre Mitglieder in deren gemeinsamen Interesse gegen einen satzungsgemäß festgelegten Beitrag erbrin- gen, von der Umsatzsteuer befreit. Diese Vorschrift hat in Deutschland eine weitrei- chende Bedeutung, denn bürgerschaftliches Engagement findet vielfach in ertragssteuerbegünstigten, gemeinnützigen Vereinen statt, die ihre dem Gemeinwohl dienenden Aufgaben in der Regel über Mitgliedsbeiträge finanzieren. Werden diese Beiträge nun der Umsatzsteuer unterworfen, könnte dies die Motivation der oft eh- renamtlich Tätigen nachhaltig dämpfen. Ferner könnten kleinere Organisationen mit den anfallenden Pflichten im Zuge der Umsatzsteuererhebung, insbesondere mit der damit verbundenen zusätzlichen Bürokratie, schnell überfordert sein.

 

 

Ermäßigter Umsatzsteuersatz

 

Aus Sicht der Freien Wohlfahrtspflege ist die Anwendung eines ermäßigten Steuer- satzes insbesondere auf Gegenstände des täglichen Bedarfs wie Lebensmittel und gesundheitliche Bedarfe grundsätzlich sinnvoll. Die reduzierten Mehrwertsteuersätze erleichtern die Deckung von grundlegenden Bedarfen der Bürgerinnen und Bürger, die an oder unterhalb der nationalen Armutsrisikogrenze von 60 % des Medianein- kommens leben.

 

Die jährlichen Steuermindereinnahmen der Bundesrepublik Deutschland aufgrund des ermäßigten Umsatzsteuersatzes liegen bei ca. 23 Mrd. Euro. Der weitaus größte Teil der Steuermindereinnahmen, d.h. knapp 75 %, entfällt auf den reduzierten Um- satzsteuersatz bei Nahrungsmitteln, Milch und Trinkwasser (ca. 17 Mrd. Euro)2. Die Beibehaltung des reduzierten Umsatzsteuersatzes bei Nahrungsmitteln, Milch und Trinkwasser ist aus sozialpolitischen Gründen unabdingbar. Zu diesem Ergebnis kommt auch ein vom Bundesministerium der Finanzen in Auftrag gegebenes Gut- achten3. Hiervon profitieren vor allem Bevölkerungsgruppen mit geringem Einkom- men sowie Familien mit Kindern bezogen auf ihre Lebenshaltung in besonderem Maße. Bei diesen Bevölkerungsgruppen haben aufgrund der relativ hohen Konsum- quote bereits geringe Preissteigerungen einen großen Einfluss auf die Lebenshal- tung. Darum sollte für Gegenstände des täglichen Bedarfs weiterhin und grundsätzlich der ermäßigte Mehrwertsteuersatz gelten.

 

Eine Erhöhung des Umsatzsteuersatzes auf grundlegende Bedarfe würde zu einer Unterdeckung von grundlegenden Bedarfen insbesondere bei Transferleistungsbe- ziehern und anderen Personengruppen mit geringem Einkommen führen. Haushalte, die an oder unterhalb der Armutsrisikogrenze leben haben sehr große Probleme, ihre täglichen Bedarfe zu decken. Würde in diesen Fällen der Mehrwertsteuersatz erhöht, würde diese Problematik noch weiter verschärft. Zudem ist kaum zu erwarten, dass der Regelsteuersatz bei Abschaffung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für jegli- che Sachverhalte insgesamt soweit abgesenkt würde, dass eine Mehrbelastung der Bevölkerung ausgeschlossen ist. Auch Einkommensteuersenkungen könnten dies nicht kompensieren, da Haushalte an oder unterhalb der Armutsrisikogrenze weitge- hend von Einkommensteuerzahlungen befreit sind oder aber gar kein Erwerbsein- kommen erzielen.

 

Aus sozialpolitischen Gründen ist es des Weiteren zu begrüßen, dass nach der der- zeitigen Kategorie 15 des Anhangs III der MwStSystRL die Lieferung von Gegen- ständen und die Erbringung von Dienstleistungen durch von den Mitgliedstaaten anerkannte gemeinnützige Einrichtungen für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit, soweit sie nicht gemäß den Artikeln 132, 135 und 136 von der Steuer befreit sind, einem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterworfen werden. Diese Regelung hat in Deutschland u. a. Bedeutung für die Besteuerung von Werkstätten für Menschen mit Behinderung und von Integrationsprojekten. Werkstätten für Men- schen mit Behinderung dienen in erster Linie der sinnvollen Beschäftigung der be- treuten Menschen und sind nach SGB IX Kapitel 5 Teil 1 und § 136 Abs. 1 Satz 1

 

 

2 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung: Chancen für einen stabilen Aufschwung, Jahresgutachten 2010/2011, S. 214

3 Ismer R., Kaul A., Reiß W., Rath S.: Analyse und Bewertung der Strukturen von Regel- und ermäßigten Sätzen bei der Umsatzbesteuerung unter sozial-, wirtschafts-, steuer- und

haushaltspolitischen Gesichtspunkten, Saarbrücken 2010

 

SGB IX Einrichtungen zur Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben und zur Eingliederung in das Arbeitsleben. Erst die Besteuerung von Werkstätten und Integ- rationsprojekten zu einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz ermöglicht es, für die im Rahmen der Betreuung hergestellten Produkte und Dienstleistungen auch Abnehmer zu finden und die gemeinnützige Einrichtung sowie die Arbeitsentgelte an die Men- schen mit Behinderung zumindest teilweise selbst zu finanzieren.

 

Die Freie Wohlfahrtspflege spricht sich deshalb grundsätzlich für die Beibehaltung

der reduzierten Mehrwertsteuersätze insbesondere in den benannten Bereichen aus.

 

Darüber hinaus sollte Kategorie 15 des Anhangs III der MwStSystRL dahingehend präzisiert werden, dass auch Lieferungen und Leistungen, die quasi als „Nebenpro- dukt“ im Bereich der sozialen Sicherheit anfallen, mit einem ermäßigten Mehrwert- steuersatz belegt werden können.

 

Aufgrund der unterschiedlichen Rahmenbedingungen in den Mitgliedstaaten der EU (z.B. Sozialversicherung, steuerfinanzierte Sozialleistungen, Höhe der Regelsteuer- sätze) sollte auf der Ebene der EU nur ein allgemeiner Rahmen für die Festlegung der reduzierten Mehrwertsteuersätze vorgegeben werden. Die Festsetzung der kon- kreten Höhe des reduzierten Mehrwertsteuersatzes hat auf der Ebene der National- staaten zu erfolgen.

 

 

 

Zu Frage F2: Wettbewerbsverzerrungsklausel:

 

Aus Sicht der Freien Wohlfahrtspflege kommt es bei den im Sozialgesetzbuch gere- gelten Bereichen zu keinen signifikanten Wettbewerbsverzerrungen, da in Deutsch- land das Umsatzsteuerrecht weitgehend der Sozialgesetzgebung folgt. Die Umsatzsteuerbefreiung bestimmt sich nach der Art der erbrachten Leistung und nicht nach dem rechtlichen Status des Leistungserbringers. Damit werden gemeinnützige und gewinnorientierte Leistungserbringer weitgehend gleichgestellt.

 

Grundsätzlich steht es Körperschaften außerdem frei, gegen (vermeintliche) Wettbe- werbsverzerrungen den Rechtsweg z.B. in Form einer Konkurrentenklage zu be- schreiten.

 

 

 

Zu Frage F3: Reformmaßnahmen (siehe Punkt 5):

 

Option 1 – Vollbesteuerung öffentlicher Einrichtungen

 

Dieses Modell ist aus verteilungspolitischen Gründen abzulehnen. Durch die Einbe- ziehung öffentlicher Leistungen und sozialer Dienstleistungen in die Umsatzsteuer werden insbesondere Menschen mit geringem Einkommen und auch Familien über- proportional belastet, während eine etwaige Reduzierung des Regelsteuersatzes al- len Bevölkerungsgruppen zu Gute kommt. Getoppt wird diese negative Verteilungs- wirkung noch durch die Einbeziehung von bisher gratis gewährten öffentlichen Leis- tungen (sog. fiktive Leistungen, z.B. Polizei oder Feuerwehr) in die Umsatzsteuerbe- messungsgrundlage. Die Verteilungswirkungen des Modells sind oben unter F1 detailliert dargestellt und bewertet.

 

 

Option 2 – Erstattungssystem

 

Die gemeinnützigen Verbände der Freien Wohlfahrtspflege würden es in hohem Ma- ße begrüßen, wenn zukünftig die entrichtete Vorsteuer aus der Staatskasse erstattet würde. Bisher sind soziale Dienstleistungen trotz der bestehenden Steuerbefreiun- gen nur partiell von der Umsatzsteuer entlastet, da Vorleistungen in der Regel mit Vorsteuer in Rechnung gestellt werden, diese aber bisher nicht geltend gemacht werden kann.

 

Angesichts der für Option 2 geschätzten Kosten in der EU von rund 134 Mrd. Euro stellt sich jedoch die Frage, wie diese zusätzliche Belastung der Staatshaushalte fi- nanziert werden soll. Eine Gegenfinanzierung im Rahmen der Umsatzsteuer hätte letztendlich eine Anhebung des Umsatzsteuersatzes zur Folge, was wiederum zu den unter F1 darstellten negativen Verteilungswirkungen führen würde. Option 2 wä- re folglich nur dann eine Alternative, wenn die Gegenfinanzierung nicht zu einer Be- lastung armer oder benachteiligter Menschen führt.

 

Option 3 – Streichung von Artikel 13 bei gleichzeitiger Beibehaltung von Steu- erbefreiungen für dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten

 

Bei diesem Reformmodell ist zu begrüßen, dass die Umsatzsteuerbefreiungen des Artikels 132 der MwStSystRL auch zukünftig beibehalten werden sollen. Argumente für die Beibehaltung sowie Vorschläge zur Überarbeitung der Befreiungstatbestände wurden bereits oben unter F1 dargestellt.

 

Option 4 – Sektorale Reform

 

Wie bereits mehrfach ausgeführt, sprechen sich die Verbände der Freien Wohl- fahrtspflege für eine Beibehaltung der Umsatzsteuerbefreiungen in Artikel 132 der MwStSystRL aus.

 

Die Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen zwischen öffentlichen, privat gewerb- lichen und freigemeinnützigen Anbietern sozialer Dienstleistungen lässt sich auch durch die Ausrichtung einer Steuerbefreiung an der erbrachten Tätigkeit erreichen, indem unabhängig vom Leistungserbringer der ganze Sektor von der Umsatzsteuer befreit wird. In Deutschland ist dies insofern bereits verwirklicht, als im Bereich sozia- ler Dienste und Einrichtungen das Umsatzsteuerrecht weitgehend der Sozialgesetz- gebung folgt (s. o. F2).

 

Option 5 – Punktuelle Änderungen der geltenden Vorschriften

 

Die aus Sicht der Freien Wohlfahrtspflege notwendigen punktuellen Reformen wur- den bereits oben unter F1 dargelegt.