Stellungnahme der BAGFW zum Grünbuch über die Modernisierung der europäischen Politik im Bereich des öffentlichen Auftragswesens - Wege zu einem effizienteren europäischen Markt für öffentliche Aufträge

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) begrüßt das Konsultationsverfahren zum Grünbuch über die Modernisierung der europäischen Politik im Bereich des öffentlichen Auftragswesens, das die Möglichkeit gibt, frühzeitig Erfahrungen mit der gegenwärtigen Vergabepraxis und Anregungen für deren künfti- ge Gestaltung einzubringen. Vor diesem Hintergrund weisen wir darauf hin, dass das im deutschen Sozialrecht verankerte Modell der Leistungsabwicklung zwischen den öffentlich-rechtlichen Leistungsträgern, den Leistungsberechtigten und privatrechtlich organisierten Leistungsanbietern (sozialrechtliches Dreiecksverhältnis) rechtlich be- trachtet die Merkmale des öffentlichen Auftrages nicht erfüllt und deshalb auch einem Vergabeverfahren nicht zugänglich ist.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) begrüßt das Konsultationsverfahren zum Grünbuch über die Modernisierung der europäischen Politik im Bereich des öffentlichen Auftragswesens, das die Möglichkeit gibt, frühzeitig Erfahrungen mit der gegenwärtigen Vergabepraxis und Anregungen für deren künfti- ge Gestaltung einzubringen. Vor diesem Hintergrund weisen wir darauf hin, dass das im deutschen Sozialrecht verankerte Modell der Leistungsabwicklung zwischen den öffentlich-rechtlichen Leistungsträgern, den Leistungsberechtigten und privatrechtlich organisierten Leistungsanbietern (sozialrechtliches Dreiecksverhältnis) rechtlich be- trachtet die Merkmale des öffentlichen Auftrages nicht erfüllt und deshalb auch einem Vergabeverfahren nicht zugänglich ist.

 

Allerdings gibt es daneben einige Fälle, in denen der Gesetzgeber die Durchführung von Vergabeverfahren im Sozialgesetzbuch ausdrücklich verankert hat (derzeit vor allem die Dienstleistungen zur Integration Arbeitsloser in den Arbeitsmarkt). In diesen Fällen ist auch die BAGFW als Zusammenschluss von Verbänden, in denen gemein- nützige Anbieter sozialer Dienstleistungen zusammenarbeiten, intensiv mit Vergabe- recht befasst.

 

Unabhängig von den leistungserbringungsrechtlichen Rahmenbedingungen zeichnen sich soziale Dienstleistungen durch folgende Merkmale aus, die sie von den üblichen Vorgängen eines klassischen Beschaffungsvorgangs unterscheiden:

 

Soziale Dienstleistungen erbringt ein Auftragnehmer üblicherweise nicht gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber, sondern gegenüber einem Dritten. Dabei sind soziale Dienstleistungen von einer besonderen Personenbezogenheit geprägt. Diese Perso- nenbezogenheit führt zum einen dazu, dass mit zunehmendem Umfang der wahrzu- nehmenden Aufgaben und dem Wachsen der leistungsberechtigten Personenkreise auch der Personaleinsatz größer wird. Vor allem aber verlangen diese Dienstleistun- gen häufig und über einen längeren Zeitraum hinweg eine enge Begleitung. Entspre- chende Bedeutung kommt deshalb der Kontinuität der Ansprechpartner zu. Gerade wenn der Hilfebedarf der betroffenen Menschen längerfristig besteht, führt ein ständi- ger Wechsel der Ansprechpartner, die sich immer erneut in den Fall einarbeiten müs- sen, dazu dass auch die Hilfebedürftigen immer wieder „von vorn beginnen müssen“. Ähnlich verhält es sich mit den Kontakten zu regionalen Unternehmen und Verwal-

 

tung, auf die die Leistungserbringer gerade bei der Vermittlung Arbeitsloser angewie- sen sind. Genau diese Diskontinuität im Verhältnis zu Leistungsberechtigten und Kon- taktpersonen ist aber geradezu ein Markenzeichen des Vergaberechts mit seinen be- grenzten Vertragslaufzeiten. Diese sind bei dem auf einmaligen Leistungsaustausch konzentrierten Beschaffungswesen unschädlich oder sogar wünschenswert. Für den Erfolg sozialer Dienstleistungen hingegen ist es kontraproduktiv und führt zu einer unnötigen Belastung aller Beteiligten.

 

Eine weitere Besonderheit sozialer Dienstleistungen gegenüber dem klassischen Be- schaffungswesen liegt darin, dass es vor allem die Einrichtungsträger sind, die auf- grund ihrer fachlichen Qualifikationen Impulse für die konzeptionelle Entwicklung ei- nes öffentlichen Auftrages einbringen können. Von daher stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten das Vergaberecht bieten kann, diese Impulse aus der Praxis in die Ausgestaltung der jeweils zu erbringenden Leistung einzubringen.

 

Schließlich wissen sich die Träger der Freien Wohlfahrtspflege einem doppelten Auf- trag verpflichtet: über die Vertretung von Belangen der Einrichtungsträger hinaus se- hen sie sich auch als Anwälte der sozial Benachteiligten. Von daher weisen sie darauf hin, dass eine reibungslose Abwicklung eines Vergabewettbewerbes kein Zweck an sich ist, sondern letztlich dazu beitragen muss, qualitativ abgesicherte und nachhalti- ge Hilfe für Personen in sozialen Problemlagen zu bewerkstelligen. Aus diesem Auf- trag heraus treten sie zudem für ein sozial aber auch ökologisch verantwortliches Be- schaffungswesen ein. Als bedeutender Nachfrager trägt die öffentliche Hand auch Verantwortung für die Gestaltung ihres Beschaffungswesens. Rechtliche Impulse, die es ermöglichen, diese Verantwortung auch im Rahmen des Vergaberechtes umzu- setzen, hält die BAGFW deshalb für sinnvoll und wichtig.

 

Aus diesem Grund leistet die BAGFW gern einen Beitrag zur weiterführenden Aus- gestaltung des Vergaberechtes und nehmen zu den einzelnen Fragen des Grünbu- ches wie folgt Stellung:

 

Einzelfragen

 

Sozialwesen

 

Nr. 97:       Sollten die EU-Vorschriften für das Beschaffungswesen die besonde- ren Merkmale des Sozialwesens Ihrer Ansicht nach umfassender wi- derspiegeln? Falls ja, wie sollte sich dies gestalten?

 

Die EU-Vorschriften für das Beschaffungswesen sollten die besonderen Merkmale des Sozialwesens umfassender spiegeln, indem alternative Mo- delle zur diskriminierungsfreien Sicherstellung von sozialen Dienstleistun- gen als europarechtskonform anerkannt werden. Es muss klargestellt wer- den, dass kein Raum für die Anwendung des Vergaberechts ist, wenn Dienste im Rahmen des sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses erbracht werden.

 

Demgegenüber geht das Leistungserbringungsrecht im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis von einer Anbietervielfalt aus. Eine Angebotssteuerung durch den Sozialleistungsträger erfolgt nicht. Vielmehr steht der Wettbe-

 

werb für soziale Dienstleistungen im Anwendungsbereich des sozialrechtli- chen Dreiecksverhältnisses allen potentiellen Leistungserbringern offen. Dabei bedarf es aber nicht des öffentlichen Auftragsrechts, um die europa- rechtlichen Wettbewerbsgrundsätze zu verwirklichen und diesen Wettbe- werb im Interesse aller Beteiligten chancengerecht und transparent zu ges- talten. Im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis findet, anders als in der öf- fentlichen Auftragsvergabe, zwischen den verschiedenen Anbietern sozia- ler Dienstleistungen ein permanenter Wettbewerb um die Nutzer statt.

 

97.1.     Finden Sie, dass bestimmte Aspekte der Auftragsvergabe im Sozial- wesen stärker auf EU-Ebene geregelt werden sollten, um die Qualität dieser Dienste weiter zu verbessern?

 

Eine stärkere Regelung auf EU-Ebene hält die BAGFW nicht für erforder- lich. Erbringer sozialer Dienstleistungen erleben in der Praxis, dass Verga- beverfahren im Sozialwesen überwiegend zur Kostensenkung genutzt werden. Öffentliche Auftraggeber lassen zu oft ihren möglichen Spielraum ungenutzt und stellen im Widerspruch zu den bestehenden rechtlichen Vorgaben ausschließlich auf den Preis der Dienstleistung als Zuschlagskri- terium ab. Im Bereich sozialer Dienstleistungen kann das günstigste Ange- bot jedoch nicht das ausschlaggebende Kriterium sein. Das Kriterium der Wirtschaftlichkeit kommt nicht als transparente Relation von Preis und Qualität zum Tragen, sondern wird mit dem Ziel den billigsten Anbieter zu finden, zum reinen Preiswettbewerb degradiert.

 

Die Entwicklung und Verbesserung von Qualität sozialer Dienstleistungen wird durch Wettbewerb und offenen Marktzugang sowie durch dafür vorge- sehene Verhandlungen mit den Kostenträgern wesentlich beeinflusst.

 

Insbesondere:

 

97.1.1.       Sollten die Richtlinien das Zuschlagskriterium des niedrigsten Prei- ses untersagen/die Verwendung des Preiskriteriums einschrän- ken/das Gewicht, das der öffentliche Auftraggeber dem Preis verlei- hen darf, verringern/zusätzlich zum Kriterium des niedrigsten Preises und des wirtschaftlich günstigsten Angebots ein drittes Zuschlagskri- terium einführen?

 

Ja, nach Auffassung der BAGFW sollten die Richtlinien das Zuschlagskrite- rium des niedrigsten Preises untersagen. Dieses Kriterium fördert nicht qualitativ hochwertige Leistungen, sondern einen Preiswettbewerb auf Kos- ten der Leistungsqualität. Dessen Leidtragende sind in erster Linie die Nut- zer von sozialen Dienstleistungen. Im Einzelnen vgl. Frage 70.

 

 

97.1.2.       Sollten die Richtlinien die Möglichkeit vorsehen, Verträge im Sozial- wesen gemeinnützigen Organisationen vorzubehalten/sollten solche Organisationen bei der Vergabe von Verträgen im Sozialwesen an- derweitig privilegiert werden?

 

Nach Ansicht der BAGFW sollte es den Mitgliedstaaten überlassen blei- ben, entsprechend den nationalen Strukturen über die Privilegierung ge- meinnütziger Organisationen zu entscheiden. Im Übrigen ist darauf hinzu- weisen, dass die Erbringung sozialer Dienstleistungen oftmals im Rahmen eines sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses erfolgt und mangels des Vor- liegens eines öffentlichen Auftrags Vergaberecht keine Anwendung findet.

 

97.1.3.       Eine Lockerung der Zuschlagskriterien oder die ausschließliche Zu- teilung von Aufträgen an bestimmte Arten von Organisationen könn- ten das Ziel der Vergabeverfahren, solche Dienste zu den geringsten Kosten für die Gemeinschaft zu erwerben, in Gefahr bringen und ber- gen das Risiko, dass die Verträge staatliche Beihilfen beinhalten. Tei- len Sie diese Bedenken?

 

Die BAGFW teilt diese Bedenken nicht. Jedenfalls im Bereich sozialer Dienstleistungen können Kosten für die Auftragsvergabe nicht entschei- dend sein, sondern es muss das Zusammenspiel von Qualität und Nutzer- orientierung gesichert werden.

 

Nr. 15:    Meinen Sie, dass die Verfahren der derzeitigen Richtlinien den öffent- lichen Auftraggebern die Erzielung bestmöglicher Auftragsvergabe- ergebnisse ermöglichen? Wenn nicht: Wie sollten die Verfahren ver- bessert werden, um die Verwaltungslasten und die Transaktionskos- ten zu senken, die Verfahrensdauer zu verkürzen und gleichzeitig zu garantieren, dass die öffentlichen Auftraggeber ein optimales Preis-

/Leistungs-Verhältnis erzielen?

 

Gerade das europarechtliche Wettbewerbs- und Vergaberecht ist entstan- den, um im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe mehr Rechtssicher- heit und Chancengleichheit für Bieter zu gewährleisten. Deshalb kann es bei einer Vergaberechtsvereinfachung nicht allein um Gesichtspunkte der verwaltungsinternen Effizienz gehen. Vielmehr muss der Maßstab für alle Verfahrensvereinfachungen sein, ob diese nach wie vor diesen Bieter- schutz sicherstellen können.

 

Nr. 19:       Würden Sie mehr Verhandlungen bei den öffentlichen Auftragsverga- beverfahren und/oder einen generellen Rückgriff auf Verhandlungs- verfahren mit vorheriger Bekanntmachung einer Ausschreibung be- fürworten?

 

Dies scheint sinnvoll, wenn es bei der ausgeschriebenen Leistung maß- geblich auf die Konzeptionsentwicklung der Anbieter ankommt, die die Auf- traggeber selber nicht leisten können.

 

Nr. 20:       Im letzteren Fall: Sollte diese Möglichkeit Ihrer Meinung nach für alle Arten von Aufträgen / öffentlichen Auftraggebern oder nur unter be- stimmten Umständen bestehen?

 

Bei Dienstleistungen scheinen solche Konstellationen öfter gegeben zu sein als bei Lieferaufträgen. Insbesondere sollte eine solche Regelung für alle öffentlichen Auftraggeber gelten, die derartige Aufträge ausschreiben.

 

Nr. 21:       Teilen Sie die Auffassung, dass ein genereller Rückgriff auf das Ver- handlungsverfahren bestimmte Risiken des Missbrauchs / der Dis- kriminierung in sich birgt? Wären Ihrer Meinung nach zusätzlich zu den in den Richtlinien für das Verhandlungsverfahren bereits vorge- sehenen Schutzmaßnahmen zusätzliche Vorkehrungen zur Gewähr- leistung von Transparenz und Nichtdiskriminierung erforderlich, um den größeren Ermessensspielraum zu kompensieren? Wenn ja, wie könnten diese zusätzlichen Schutzmaßnahmen aussehen?

 

Eine Korruptionsgefahr erscheint nicht ersichtlich. Soweit dennoch zusätz- liche Regelungen zur Gewährleistung von Transparenz und Leistungskon- trolle notwendig erscheinen, müssen diese aber die Grundlagen der verga- berechtlichen Rollenverteilung berücksichtigen.

 

Zum Beispiel in Deutschland hat die Bundesagentur für Arbeit ihre Öffnung für freiere Gestaltungen der Angebote mit einer Malus-Regelung oder nied- rig festgelegten Abnahmequoten (70 % der zugesagten Plätze) kompen- siert. In der Praxis verkehrt sich dabei die für das Vergaberecht typische Risikoverteilung zwischen dem Auftraggeber und dem Auftragnehmer be- denklich zu Lasten der Letzteren. Denn letztlich verlagert die Bundesagen- tur als Auftraggeber auf diese Weise das an sich von ihr als der Auftragge- berin zu tragende Risiko, ob sich die „beschafften“ Dienstleistungen loh- nen, auf den Auftragnehmer, der somit gleichzeitig die vergaberechtlichen und die sozialrechtstypischen Belastungen zu tragen hat.

 

Nr. 25:       Sollte die Richtlinie ausdrücklich die Berücksichtigung früherer Er- fahrungen mit einem oder mehreren Bietern gestatten? Wenn ja, wel- che Schutzmaßnahmen wären zur Verhinderung diskriminierender Praktiken erforderlich?

 

Ja. Bei neuen Bietern besteht oft Unsicherheit über deren nachhaltige Leis- tungsfähigkeit. Als Vorkehrung gegenüber Korruptionsgefahren erscheint

es angemessen, von Neubewerbern in einer Region Referenzen über ein- schlägige Vorerfahrung mit den ausgeschriebenen Leistungen zu verlan- gen.

 

Ein Gesichtspunkt dieser Nachhaltigkeit ist im Bereich der Arbeitsförderung nach dem 3. Buch SGB auch der gute Kontakt der Leistungserbringer zur ortsansässigen Wirtschaft. Dieser lässt sich nicht ad hoc aufbauen, ist aber für die erfolgreiche Weitervermittlung von Maßnahmeteilnehmern unab- dingbar. Von daher dient das Anknüpfen und Bewahren örtlicher Netz- werkstrukturen den Belangen der Maßnahmeteilnehmer.

 

Nr. 34:       Befürworten Sie generell eine stärkere Zusammenführung der Nach- frage / eine umfangreichere gemeinsame Auftragsvergabe? Was sind Ihrer Auffassung nach die Vor- bzw. Nachteile?

 

Grundsätzlich ist dies sinnvoll. Allerdings hat die Praxis und die Erfahrung der frei gemeinnützigen Ausschreibungsteilnehmer mit den dezentral von den Regionalen Einkaufszentren der Bundesagentur für Arbeit gestalteten Ausschreibungen mehrfach gezeigt, dass die dezentrale Ausschreibung den Sozialraumstrukturen, der Wirtschaftlichkeit und dem Arbeitsmarkt nicht immer ausreichend Rechnung trägt. Bevor man eine solche Dezent-

ralisierung deshalb weiter festschreibt, sollte eine Evaluation feststellen, wo die bestehende Praxis insoweit verbesserungsbedürftig ist.

 

Nr. 49:       Befürworten Sie eine Lösung, bei der nur die in die engere Auswahl gekommenen Bewerber / erfolgreichen Bieter Nachweise liefern müs- sen?

 

Nein. Das bietet letztlich keine weitere Sicherheit über die Eignung des Bieters. Zudem verengt es vorzeitig die Auswahl auf besonders „auffällige“ Angebote, hinter denen dann aber ggf. kein solider Bieter steht. Sollte sich das erst in den letzten Stufen des Auswahlverfahrens herausstellen, ist der Aufwand einer neuerlichen Auslese von geeigneten Angeboten weitaus größer, als wenn man wie bislang eine schrittweise Auslese vornimmt.

 

Nr. 50:       Sind Eigenerklärungen Ihrer Ansicht nach ein geeigneter Weg, um die Verwaltungslasten aufgrund der Nachweise zu den Auswahlkriterien zu verringern oder reichen sie nicht aus, um Bescheinigungen zu er- setzen? In Bezug auf welche Themen sind Eigenerklärungen (insbe- sondere Angaben zum Unternehmen selbst) geeignet und in Bezug auf welche nicht?

 

Eigenerklärungen sind eine geeignete Grundlage für die Prüfung der Bie- ter. Dies gilt um so mehr als aus der Praxis berichtet wird, dass es für die Bieter nicht immer leicht ist, im Anschluss an eine erbrachte Maßnahme eine entsprechende Bescheinigung ihres Auftraggebers zu erhalten.

 

Nr. 53:       Sind Sie der Ansicht, dass das öffentliche Beschaffungswesen be- deutende Auswirkungen auf die Marktstrukturen haben kann und die Auftraggeber ihre Beschaffungsstrategien, sofern möglich, anpassen sollten, um wettbewerbswidrige Marktstrukturen zu bekämpfen?

 

Für die Erbringung sozialer Dienstleistungen haben Ausschreibungsverfah- ren in der Tat eine erhebliche Auswirkung auf die „Marktstrukturen“ vor Ort. Sie setzen einen Auslese- und Verdrängungswettbewerb in Gang, der bin- nen kurzer Zeit „marktbereinigend“ wirkt. Ein solcher Effekt entspricht aber weder den Zielen des Sozialrechtes noch denjenigen des Vergaberechts. Zudem wird auch das grundgesetzlich garantierte Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten verletzt.

 

 

Hauptursache für diese „Marktbereinigung“ ist das Nachfragemonopol der öffentlichen Sozialleistungsträger in einem Bereich, in dem es keine selbst- zahlenden Maßnahmeteilnehmer gibt. Hinzu kommt, dass die Bieter wegen der hohen Anforderungen an die vorzuhaltende Infrastruktur und die Ver- netzung mit örtlichen Arbeitgebern an einen bestimmten Standort gebun- den sind. Hieraus ergeben sich eine hohe Abhängigkeit vom Auftraggeber, geringe Bereitschaft der Bieter, sich trotz offenkundiger Verfahrensmängel zur Wehr zu setzen und geringe Aussichten, den Betrieb ohne einen Zu- schlag aufrecht zu erhalten. Diese Marktbereinigung wiederum hat unmit- telbare Auswirkungen auf den regionalen Arbeitsmarkt, da mit der Be- triebsaufgabe oder dem Auslaufen eines Vertrages ohne Folgevertrag die bislang beschäftigten Mitarbeiter ihrerseits arbeitslos werden.

 

Nr. 54:       Finden Sie, dass Vergaberegeln und Vergabepolitik der EU (fakultati- ve) Instrumente zur Förderung wettbewerbsfreundlicher Beschaf- fungsstrategien vorsehen sollten? Falls ja, welche Instrumente wür- den Sie vorschlagen?

 

Hier muss man genauer differenzieren, welche Form von Wettbewerb es zu fördern gilt. Neben dem vergaberechtstypischen Wettbewerb um die Aufträge der öffentlichen Hand, sieht das Sozialrecht ein eigenständiges Wettbewerbssystem vor. Ausgehend davon, dass das Verfahren zur Orga- nisation des Wettbewerbs dessen Ziele fördern und nicht hindern soll, müssten Vergaberegeln Spielraum für die Rahmenbedingungen des sozial- rechtlichen Wettbewerbs lassen (Trägerpluralität, Autonomie i.S.v. Eigen- verantwortung der Nutzer). Insbesondere bedeutet dies, dass das Verfah- ren nicht nur die nachhaltige Qualität der Leistungen sondern auch Träger- pluralität sicherstellen muss.

 

Nr. 60:       Kann die Erteilung von Ausschließlichkeitsrechten Ihrer Ansicht nach den fairen Wettbewerb auf den Beschaffungsmärkten in Gefahr brin- gen?

 

Ja, vgl. die Ausführungen zu Fragen Nr. 53 und 54 sowie das beigefügte

Positionspapier der BAGFW zu Dienstleistungskonzessionen.

 

Nr. 67:       Können Sie sich Fälle vorstellen, in denen eine Beschränkung auf lo- kale oder regionale Lieferanten durch legitime und objektive Gründe, die sich nicht allein auf ökonomische Erwägungen gründen, berech- tigt sein könnten?

 

Ja, wenn es z.B. um die Förderung des sozialen Zusammenhalts und der sozialen Integration geht, wie etwa im Bereich integrativer Betriebe, die leistungsgeminderte Personen beschäftigen. Im Übrigen vgl. Frage 25.

 

 

Nr. 68:       Glauben Sie, dass die Anwendung des Verhandlungsverfahrens mit vorheriger Veröffentlichung einer Bekanntmachung als Standardver- fahren es einfacher machen würde, politikrelevante Überlegungen (z. B. Umwelt-, Sozial- und Innovationspolitik) besser zu berücksichti- gen? Würde dies zu einem zu hohen Risiko von Diskriminierung und Wettbewerbsbeschränkung führen?

 

Ja, dabei sollte man das Verfahren in der Weise vereinfachen, dass zu- nächst eine Vorabprüfung stattfindet, ob der konkrete Auftrag politikrele- vante Gesichtspunkte aufweist. Wenn dies nicht der Fall ist, ist der Weg für das normale Verfahren einschlägig; andernfalls ist zu erörtern, wie die je- weiligen Aspekte in der Leistungsbeschreibung zu verankern sind.

 

Nr. 70:       Das Kriterium des wirtschaftlich günstigsten Angebots scheint am besten geeignet, um auch andere politische Ziele zu verfolgen. Wäre es im Hinblick auf eine bestmögliche Berücksichtigung dieser politi- schen Ziele Ihrer Auffassung nach nützlich, die bestehenden Vor- schriften (für bestimmte Vertragsarten/bestimmte Sektoren/unter be- stimmten Umständen) zu ändern, um

 

70.1.1.:      das ausschließliche Kriterium des niedrigsten Preises zu eliminieren?

 

Ja, s. o.

 

70.1.2.:      die Zugrundelegung des Preiskriteriums bzw. des Gewichts, das öf- fentliche Auftraggeber dem Preis verleihen können, zu beschränken?

 

Ja, s. o.

 

70.1.3.:      Zusätzlich zum Kriterium des niedrigsten Preises und des wirtschaft- lich günstigsten Angebots eine dritte Kategorie von Zuschlagskrite- rien einzuführen? Falls ja, welches alternative Kriterium würden Sie vorschlagen, das es sowohl ermöglicht, andere politische Zielsetzun- gen wirksamer zu verfolgen, als auch gewährleistet, dass gleiche Wettbewerbsbedingungen und ein fairer Wettbewerb zwischen den europäischen Unternehmen gegeben sind?

 

Im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung und einer Preis- Leistungsrelation soll nach Auffassung der BAGFW dem niedrigsten Preis keine entscheidende Bedeutung für den Zuschlag zukommen. Genauso wenig bedarf es aber auch eines weiteren separaten Abwägungsgesichts- punkts, der allein auf soziale oder Umweltkriterien abstellt. Sinnvollerweise muss die soziale oder ökologische Verträglichkeit der Leistung regulärer Gesichtspunkt bzw. Bestandteil der Leistungsbeschreibung werden. Dies erscheint zielführender, um die nachgefragte Leistung von ihrer Beschrei- bung her in einen Gesamtzusammenhang verantwortlicher Beschaffungs- politik zu stellen.

 

Nr. 72:       Glauben Sie, dass die Möglichkeit, ökologische oder soziale Kriterien in der Zuschlagsphase anzulegen, verstanden und genutzt wird? Soll- te die Richtlinie Ihrer Meinung nach diesbezüglich expliziter sein?

 

Im Bereich ökologischer Kriterien scheint die Umsetzung bereits zur An- wendung zu kommen. Die schleppende Umsetzung im Bereich der sozia- len Kriterien scheint weniger auf mangelndes Verständnis als vielmehr auf eine generelle Zurückhaltung im Umgang mit diesen Gestaltungsmitteln zu- rückzuführen sein. Da eine stärkere Berücksichtigung sozialer Kriterien in Vergabeverfahren erreicht werden sollte, sollte eine Neuregelung das Er- messen für die Anwendung dieser Kriterien einschränken und Art. 26 der Richtlinie zu einer Sollregel umformulieren. Als Beispiele können genannt werden: Das Abstellen auf die Beschäftigung von Menschen mit Behinde- rung oder Frauenquoten.

 

Nr. 76:       Sollten bestimmte allgemeine Klauseln für die Auftragsausführung, insbesondere in Bezug auf Beschäftigung und Arbeitsbedingungen der an der Ausführung beteiligten Arbeitnehmer, bereits auf EU- Ebene spezifiziert werden?

 

Das erscheint nicht sinnvoll. Die Vorgaben reichen aus und es sollte den Mitgliedstaaten Spielraum verbleiben, um die einzelnen Vorgaben im Ein- klang mit den Gegebenheiten und Wertungen ihres eigenen Staates zu bestimmen. Hinzu kommt die Notwendigkeit, bei der Anwendung und In- terpretation, Vorgaben und Zielsetzungen der einzelnen EU-Vorschriften in einen stimmigen Zusammenhang zu bringen.

 

Wie schwierig diese Auslegung sein kann, beweist die Rüffert- Entscheidung des EuGH vom 20. September 2007 (C-346/06), bei der der EuGH die Frage nach der Zulässigkeit von Tarifbindungsklauseln aus- schließlich auf der Grundlage der Arbeitnehmerentsende-Richtlinie geprüft hat, ohne dabei die Bedeutung sozialer Kriterien in die Abwägung einzube- ziehen.

 

Nr. 79:     Einige Beteiligte schlagen vor, die obligatorische Verknüpfung der Anforderungen des öffentlichen Auftraggebers an den Auftragsge- gen-stand abzuschwächen oder sogar ganz fallen zu lassen (dann könnte beispielsweise verlangt werden, dass die Bieter bei der Ein- stellung von Personal die Gleichstellung der Geschlechter gewähr-

leisten oder eine Quotenpolitik für bestimmte Personenkategorien wie Arbeitssuchende, Personen mit Behinderungen usw. verfolgen). Stimmen Sie diesem Vorschlag zu? Welche Vor- oder Nachteile hätte Ihrer Meinung nach eine Lockerung oder Abschaffung der Verknüp- fung mit dem Auftragsgegenstand?

 

Das halten wir nicht für sinnvoll, denn es schränkt die Privatautonomie der

Bieter zu sehr ein. Es muss weiterhin die Freiheit bestehen, im Rahmen

der allgemeinen Rechtsnormen, insb. der Antidiskriminierungsrichtlinie und ihrer Umsetzungsnormen die jeweilige Mitarbeiterschaft nach eigenen Vor-

 

stellungen auszuwählen und Richtlinien für die Zusammenarbeit selbstän- dig zu bestimmen.

 

Nr. 81:       Könnten KMU Ihrer Auffassung nach Probleme mit der Einhaltung der verschiedenen Anforderungen haben? Falls ja, wie sollte damit Ihrer Meinung nach umgegangen werden?

 

Das lässt sich nicht verallgemeinern. Vielmehr stehen neben überforderten zahlreiche andere KMUs, die es gezielt zu ihrer Aufgabe machen, sozial und ökologisch verantwortlich zu arbeiten. Es wäre ein wichtiges Signal, wenn ein solches Engagement auch im Rahmen des Vergaberechtes An- erkennung findet, anstatt sich als Wettbewerbsnachteil auszuwirken.

 

Nr. 92:       Schafft der wettbewerbliche Dialog Ihrer Auffassung nach einen aus- reichenden Schutz für Rechte des geistigen Eigentums und innovati- ve Lösungen, um zu gewährleisten, dass die Bieter nicht der Möglich- keit beraubt werden, aus ihren innovativen Ideen einen Gewinn zu ziehen?

 

Der wettbewerbliche Dialog ist ein guter Ansatz, aber die Gefahr lässt sich nicht von der Hand weisen, dass sich hierbei Konkurrenten unbefugt die Ideen eines Mitbewerbers zueigen machen und diesen dann mit einem günstigeren Angebot „ausstechen“. Hier bedürfte es einer angemessenen Sanktion für nachweisbare Verletzungen geistigen Eigentums (z. B. Aus- schluss von Dialogen im Vorfeld weiterer Aufträge).

 

Nr. 109:    Sollte es spezifische EU-Bestimmungen für den Umgang mit Vorteilen geben, über die bestimmte Bieter aufgrund ihrer Beteiligung an der Konzeption des Projekts, das Gegenstand der Ausschreibung ist, ver- fügen? Welche Sicherheitsvorkehrungen würden Sie vorschlagen? Hier kommt eine modifizierte Projektantenregelung in Betracht, die es für Interessenten attraktiv macht, innovative Ideen einzubringen und den damit verbundenen Verzicht auf die eigene aktive Teilnahme am Wettbewerb an- gemessen ausgleicht. Ein solcher Ausgleich sollte in einem vom Auftrags- wert abhängigen Honorar und einer fachlichen Anerkennung der Projektan- ten bestehen (z. B. Verwendbarkeit dieses Beitrages im Rahmen einer Ei- generklärung, vgl. Frage 50).

 

Nr. 114:    Geben Sie bitte eine Rangordnung der Bedeutung der verschiedenen in diesem Grünbuch angesprochenen Themen an und teilen Sie uns mit, welche sonstigen Themen Sie für wichtig halten. Wenn Sie drei vorrangige Themen angeben könnten, die zuerst angegangen werden sollen, welches wären diese?

 

Im Bereich sozialer Dienstleistungen sollten Alternativen zum Vergabe- recht, die bereits auf nationaler Ebene bestehen, nicht durch europarechtli- che Vorgaben verhindert werden.