Die gegenwärtige Aufnahmesituation von unbegleiteten minderjährigen ausländischen Kindern und Jugendlichen ist in einigen Kommunen derzeit nicht tragbar. Die bestehenden Platzkapazitäten reichen zur Aufnahme unter dem Primat der Jugendhilfe nicht mehr aus. Dadurch ist die durchgängige Einhaltung von Kinderrechten für nach Deutschland geflüchtete Kinder und Jugendliche nicht mehr garantiert. Dieser Zustand korrespondiert mit einer angespannten Versorgungssituation in den aufnehmenden Kommunen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege hat unter der Überschrift „Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge schützen, begleiten und beteiligen!“ im Diskurs um die geplante Umverteilung bereits im März 2015 den Vorschlag unterbreitet, ein anderes System der Zuständigkeit und Kostenerstattung gesetzlich zu verankern. Mit der grundsätzlichen Verlagerung der sachlichen Zuständigkeit auf den überörtlichen Träger der Kinder- und Jugendhilfe wäre es aus Sicht der BAGFW möglich, den Auf- und Ausbau von Kompetenzzentren für Schutz, Förderung und Beteiligung der jungen Flüchtlinge und damit die Wahrung ihrer Rechte effizient sicher zu stellen. Die BAGFW begrüßt die Bestrebungen von Bund, Ländern und Kommunen, die Situation von unbegleiteten minderjährigen ausländischen Kindern und Jugendlichen auf gesetzlichem Weg zu verbessern, bedauert aber, dass dieser Vorschlag im vorliegenden Gesetzentwurf keine Berücksichtigung gefunden hat. Aus Sicht der BAGFW braucht es eine umfassende Aufnahmestrategie, die der aktuellen Situation gerecht wird. Diese muss auf den Bedarfen der in Deutschland ankommenden Kinder und Jugendlichen gründen und das Kindeswohl vorrangig berücksichtigen. Der vorliegende Gesetzentwurf soll diese Zielsetzungen umsetzen. Damit wird das Primat der Kinder- und Jugendhilfe für unbegleitete minderjährige ausländische Kinder und Jugendliche ausdrücklich bekräftigt. Dies begrüßt die BAGFW und hält es für unabdingbar, um Europäischem Recht gerecht werden zu können und das avisierte Ziel des Gesetzes, eine Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung der hier ankommenden jungen Menschen, zu erreichen.
Über diese grundlegende Ausrichtung hinaus enthält der Entwurf sowohl positiv zu bewertende Elemente als auch Bestimmungen, die dem formulierten Ziel aus Sicht der BAGFW nicht förderlich sind. Zu ausgewählten Punkten nimmt die BAGFW im Folgenden detailliert Stellung.
Artikel 1 Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch
§6 Abs. 2 Geltungsbereich
Sachstand
In Abs. 2 werden die Voraussetzungen, unter denen ausländische Kinder und Jugendliche Zugang zu den Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe erhalten, konkretisiert. Demnach können sie nun unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus Leistungen aus dem Leistungsspektrum des SGB VIII erhalten. Diese Regelung stellt die Rechtslage klar, wie sie sich bereits jetzt aus dem Völkerrecht ergibt. Dieser Zugang ausländischer Kinder und Jugendlicher zu den Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe gilt mit dem Zeitpunkt ihrer Einreise.
Bewertung
Die BAGFW begrüßt diese Klarstellung, die den Zugang zu bedarfsgerechten Leistungen sichert und damit einen Beitrag zur Chancengerechtigkeit für alle in Deutschland lebenden Kinder und Jugendlichen leistet.
§42a Vorläufige Inobhutnahme von ausländischen Kindern und Jugendlichen nach Einreise
Sachstand
Mit Abs. 1 wird das Primat der Jugendhilfe für die Unterbringung, Versorgung und Betreuung des ausländischen Kindes oder Jugendlichen sichergestellt.
Abs. 2 regelt die Maßnahmen, die im Rahmen einer vorläufigen Inobhutnahme durchgeführt werden sollen. Das beschriebene Screening dient der Klärung einer eventuellen Kindeswohlgefährdung durch eine Verteilung sowie eine ärztliche Untersuchung, welche die Reisefähigkeit des unbegleiteten minderjährigen jungen Menschen prüfen und insbesondere eine Ansteckungsgefahr für andere Personen ausschließen soll. Ferner soll während der vorläufigen Inobhutnahme geklärt werden, ob sich verwandte Personen im Inland aufhalten und ob die Verteilung gemeinsam mit anderen Kindern und Jugendlichen erfolgen sollte. Für die vorläufige Inobhutnahme sind sieben Werktage vorgesehen, das Clearing zur Klärung des Jugendhilfebedarfs soll erst nach der Verteilung am Zuweisungsort erfolgen.
Abs. 3 enthält die Verpflichtung des Jugendamtes, notwendige Entscheidungen im Interesse des Kindes oder des Jugendlichen zu treffen sowie einen Vormund zu bestellen, wenn innerhalb von sieben Werktagen keine Verteilung erfolgt ist.
Abs. 4 regelt die Meldepflichten des aufnehmenden Jugendamtes im Rahmen der Verteilung, während
Abs. 5 die konkreten Bedingungen einer Verteilung sichert. Hierzu gehört die Begleitung und Übergabe des jungen Menschen zum aufnehmenden Jugendamt durch eine geeignete Person ebenso wie die Verpflichtung zur Übermittlung der notwendigen Daten. Der Absatz schließt mit der Klarstellung, dass die unbegleiteten minderjährigen ausländischen Kinder und Jugendlichen angemessen zu beteiligen sind.
Bewertung
Unbegleitete minderjährige ausländische Kinder und Jugendliche haben vielfach traumatisierende Erfahrungen im Herkunftsland und auf der Flucht hinter sich gebracht. Die Sicherstellung des Primats der Kinder- und Jugendhilfe für die Unterbringung, Versorgung und Betreuung ist notwendig und angemessen, um dieser Situation Rechnung zu tragen und entsprechende Hilfemaßnahmen einleiten zu können.
Grundsätzlich erkennt die BAGFW an, das eine Verteilung der jungen Menschen im Kontext der Überlastung einzelner Kommunen notwendig sein kann. Die konkrete Einzelfallentscheidung muss jedoch nachweisbar dem Kindeswohl dienen, ein Vorrang anderer Gründe ist an dieser Stelle abzulehnen. Die Formulierung im aktuellen Gesetzentwurf, die lediglich auf eine Gefährdungseinschätzung fokussiert, hält die BAGFW für unzureichend, da der Gesetzentwurf damit hinter den völkerrechtlichen Vereinbarungen der Bundesregierung und den europarechtlichen Verpflichtungen aus Art. 23 Abs. 1 EU-2013/33/EU (Aufnahmerichtlinie) zurück bleiben würde. Sie schlägt deshalb für Abs. (2) 1. folgende Formulierung vor:
1. ob dem Wohl des Kindes oder Jugendlichen durch die Verteilung gedient würde,
Die Berücksichtigung bereits in Deutschland lebender Verwandter der jungen Menschen bei der Umverteilungsentscheidung wird von der BAGFW ausdrücklich begrüßt. Zu prüfen wäre aus ihrer Sicht jedoch, inwieweit der dort genutzte Verwandtschaftsbegriff auch Bezugspersonen einschließt, zu denen es zwar keine direkte verwandtschaftliche Beziehung, wohl aber bereits persönliche Bindungen gibt. Aus Sicht der BAGFW sind solcherart bereits bestehende Bindungen auch im Kontext einer Verteilung zu berücksichtigen, da in diesen Fällen zwar in der Regel keine direkte Unterbringung bei den benannten Bezugspersonen möglich ist, eine Prüfung dieser Möglichkeit vor Ort jedoch dem Kindeswohl dienen kann. Dazu muss jedoch der Wohnort der Bezugsperson bei der Wahl des Zuweisungsortes Berücksichtigung finden können. In diesem Zusammenhang begrüßt die BAGFW ausdrücklich die Berücksichtigung von Bindungen unter den Kindern und Jugendlichen, die während der Flucht entstanden sind. Durch eine gemeinsame Verteilung kann die individuell möglicherweise empfundene Härte einer Verteilungsentscheidung deutlich gemildert werden.
Die Ermittlung des Gesundheitszustandes des jungen Menschen ist ebenfalls ausdrücklich zu begrüßen. Unzureichend erscheint jedoch die Reduzierung dieser Untersuchung auf eine Maßnahme des Seuchenschutzes. Die BAGFW hinterfragt an dieser Stelle die in Abs. (2) 4. formulierte Frist von 14 Werktagen, innerhalb derer eine Verteilung aus Gründen des Seuchenschutzes ausgeschlossen sein soll. Da bis zu einem Monat nach der Erstaufnahme verteilt werden kann, bleibt hier unklar, welche Konsequenz die gesetzte Frist für den betroffenen jungen Menschen hat. Gerade wenn man die Entscheidung über die Verteilung am Kindeswohl ausrichtet, muss es aus Sicht der BAGFW bei der ärztliche Untersuchung um eine Klärung des gesundheitlichen Allgemeinzustandes und damit auch um die Frage der Transportfähigkeit gehen sowie, soweit bereits möglich, beispielsweise um die Feststellung eines Verdachts auf eventuelle Traumatisierungen oder Behinderungen, um dem bei der Auswahl eines geeigneten Zuweisungsjugendamtes Rechnung tragen zu können.
Aus Sicht der BAGFW ist es nicht sinnvoll, die rechtliche Vertretung eines unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings und die Entscheidung über eine Verteilung in eine Hand zu geben, da hier die Gefahr eines Interessenskonfliktes für das zuständige Jugendamt besteht. Daher spricht sich die BAGFW nachdrücklich für die unverzügliche Bestellung eines gesetzlichen Vertreters aus, der eine effektive Vertretung des betroffenen jungen Menschen gewährleisten kann. Die in Abs. 3 formulierte 7-Tage-Regelung ist an dieser Stelle nicht nachvollziehbar. Die BAGFW ist sich darüber bewusst, dass die Bestellung eines Vormunds den Familiengerichten obliegt. Die Vormundbestellung ist für die Vertretung des Minderjährigen von großer Bedeutung. Das sieht der Gesetzentwurf auch vor, in dem die Vertretung des Minderjährigen auf den Vormund übergehen soll. Warum dies allerdings erst nach sieben Tagen erfolgen soll, erschließt sich nicht in Anbetracht der Tatsache, dass die Bestellung in der Regel sehr lange dauert und damit weiter verzögert würde. Dementsprechend sollte die Bestellung des Vormunds sofort nach der vorläufigen Inobhutnahme eingeleitet werden. Soweit das oft langfristige Verfahren nicht allein durch administrative Maßnahmen verkürzt werden kann, könnte es auch erheblich beschleunigt werden, wenn im Falle unbegleiteter minderjähriger ausländischer Kinder und Jugendlicher grundsätzlich vom Ruhen der elterlichen Sorge ausgegangen würde. Die BAGFW spricht sich an dieser Stelle im Interesse der betroffenen jungen Menschen für eine solche Regelung aus.
Die in Abs. 5 formulierten Maßgaben zur konkreten Umsetzung der Verteilung sind grundsätzlich zu begrüßen. Sowohl die Begleitung durch eine geeignete Person zum Aufnahmeort als auch die Verpflichtung zur Übermittlung notwendiger Daten sind im Interesse der Kinder und Jugendlichen und dem weiteren Hilfeprozess förderlich.
Im Blick auf die abschließend benannten Beteiligungsrechte der Kinder und Jugendlichen stellt die BAGFW fest, dass es grundsätzlich notwendig ist, sie über den Verlauf des Verfahrens und ihre Rechte und Pflichten im Verfahren in angemessener Weise aufzuklären. Nur so ist es möglich, ihren Willen in angemessener Weise zu berücksichtigen. Dazu ist sowohl die Hinzuziehung von Sprachmittlern notwendig als auch, solange noch kein Vormund verfügbar ist, eine Instanz, die die Verantwortung für die Wahrung der Interessen der jungen Menschen übernimmt. Obwohl das zuständige Jugendamt hier grundsätzlich in der Pflicht ist, darf der oben beschriebene Interessenkonflikt nicht außer Acht gelassen werden. Die BAGFW empfiehlt daher die verpflichtende Einrichtung von Ombudsstellen vorrangig an den Orten, die nach aktueller Datenlage Verteilungsentscheidungen zu treffen haben, um den Anforderungen von § 8b sowie §45 Abs. 2, 3. SGB VIII im Blick auf die Situation unbegleiteter minderjähriger ausländischer Kinder und Jugendlicher mit den notwendigen spezifischen Qualifikationen gerecht werden zu können. Damit könnte dem Interessenkonflikt des örtlichen Jugendamtes im Rahmen der Verteilungsentscheidung und gleichzeitig der Informationsverpflichtung angemessen begegnet werden.
Altersfestsetzung
Die Festsetzung der Minderjährigkeit ist die Grundvoraussetzung für die Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe. Um Unsicherheiten für die betroffenen jungen Menschen zu minimieren, sollte die am Ort der Einreise vorgenommene Einschätzung durch Inaugenscheinnahme von einer pädagogischen Fachkraft maßgeblich für das weitere Verfahren sein. Die BAGFW fordert bereits an dieser Stelle, die Frage der Altersfestsetzung anhand eindeutiger Kriterien und Standards gesetzlich zu sichern und in Zweifel im Interesse des Kindeswohls grundsätzlich den Angaben des unbegleiteten minderjährigen ausländischen Kindes oder Jugendlichen zu folgen und von dessen Minderjährigkeit ausgehen.
§42b Verfahren zur Verteilung unbegleiteter ausländischer Kinder und Jugendlicher
Sachstand
Hier wird das Verfahren geregelt, indem Fristen und Verantwortlichkeiten festgelegt werden.
Bewertung
Nachdem im §42a ausführlich die Kriterien benannt sind, die neben der Aufnahmequote für eine Verteilung berücksichtigt werden müssen, scheint nicht nachvollziehbar, warum in §42b Abs. 1 lediglich die Aufnahmequote benannt wird. Hier sollte die Bedeutung unterstrichen werden, die dem Screening nach §42a gerade in diesem Zusammenhang zukommt. Die BAGFW votiert deshalb für eine entsprechende Klarstellung in Abs. 1:
(1) (…) Maßgebend dafür ist die Aufnahmequote nach § 42c sowie die Kriterien nach § 42a Abs. 2.
Abs. 2 regelt die regionale Verteilung. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass im Rahmen der Quote innerhalb des Bundeslandes und erst nach Erfüllung der Aufnahmequote in anliegende Bundesländer verteilt wird. Die vorgelegte Formulierung in Abs. 2, Satz 1, wird dieser Vorgabe nicht gerecht; hier bedarf es eines nachdrücklichen Verweises auf die Aufnahmequote: Die BAGFW empfiehlt daher folgende Formulierung:
(2) Im Rahmen der Aufnahmequote nach §42c wird das Land benannt (…).
Die BAGFW begrüßt das Vorhaben des Bundes, die Verteilung der unbegleiteten minderjährigen ausländischen Kinder und Jugendlichen bundesweit nach fachlichen Kriterien zu steuern. Die in Abs. 3 Satz 1 auf Dauer festgeschriebene Zuständigkeit des aufnehmenden Jugendamtes stellt jedoch im Blick auf ggf. später auftretende Bedarfe der Betroffenen oder eine Familienzusammenführung an einem entfernten Ort einen erheblichen Mangel an Flexibilität dar. Aus Sicht der BAGFW muss es Regelungen geben, die den Kindern und Jugendliche den Wechsel an einen geeigneten Ort mit gleichzeitigem Zuständigkeitswechsel des Jugendamtes ermöglichen. Für die BAGFW ist außerdem nicht nachvollziehbar, warum das aufnehmende Jugendamt lediglich geeignet sein soll. Allerdings hält sie es für unabdingbar zu konkretisieren, worauf sich diese Eignung bezieht, in diesem Fall die Unterbringung, Versorgung und Betreuung unbegleiteter minderjähriger ausländischer Kinder und Jugendlicher. Die Verbände der BAGFW sind sich darüber im Klaren, dass im Blick auf die fachliche Eignung zur Unterbringung, Versorgung und Betreuung unbegleiteter minderjähriger ausländischer Kinder und Jugendlicher bundesweit noch erheblicher Qualifizierungsbedarf besteht. Im Interesse der betroffenen jungen Menschen fordert sie an dieser Stelle trotzdem eine verbindlichere Regelung im Gesetzestext und schlägt folgende Formulierung vor:
(3) (…) Das Jugendamt, dem das Kind oder der Jugendliche zugewiesen wird, muss für die Unterbringung, Versorgung und Betreuung unbegleiteter minderjähriger ausländischer Kinder geeignet sein. (…)
Die BAGFW verweist in diesem Zusammenhang auf die „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen“ der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter vom Mai 2014. Die dort formulierten Kriterien bilden eine gute Grundlage für Ausbau und Qualifizierung von Jugendämtern im Kontext der Umverteilung.
Abs. 5 regelt die gemeinsame Verteilung von Geschwisterkindern sowie Kindern, die während der Flucht Bindungen zueinander aufgebaut haben und konkretisiert damit die Regelung in §42a (2). Die BAGFW votiert an dieser Stelle entsprechend ihrer Ausführungen zu §42a (2) dafür, den Absatz wie folgt zu ändern:
(5) Unbegleitete ausländische Kinder und Jugendliche werden im Rahmen der Aufnahmequote nach §42c gemeinsam verteilt und nach §42 in Obhut genommen, wenn es dem Kindeswohl dient. (…)
§42c Aufnahmequote
Sachstand
Hier werden die Aufnahmequote in Anlehnung an den Königsteiner Schlüssel sowie die Möglichkeit zur Aufnahme über die Quote hinaus geregelt.
Bewertung
Die BAGFW hält den Königsteiner Schlüssel nicht für das richtige Instrument zur Verteilung der minderjährigen unbegleiteten ausländischen Kinder und Jugendlichen, begrüßt aber, dass mit der Festlegung der Möglichkeit einer Aufnahme von jungen Menschen über die Quote hinaus der Situation in den Ländern Rechnung getragen werden soll, die ihre Aufnahmekapazitäten in den vergangenen Jahren ausgebaut haben und die Zuwanderung unbegleiteter Minderjähriger z.B. im Kontext des demografischen Wandels offensiv begleiten. Kritisch zu hinterfragen ist an dieser Stelle aus Sicht der BAGFW, welchen Anreiz der Bund im Rahmen der Kostenerstattung für den Erhalt vorhandener Kapazitäten zu geben bereit ist. Es ist nicht davon auszugehen, dass im Rahmen einer Quotenregelung Länder und Kommunen ohne entsprechenden Kostenausgleich bereit sind, über die Quote hinaus Kapazitäten bereit zu. Aufnahmen über die Quote hinaus sollten deshalb grundsätzlich auf die Quote angerechnet werden mit der Konsequenz, dass im Nachgang ein Ausgleich erfolgen kann.
§99 Erhebungsmerkmale (Kinder- und Jugendhilfestatistik)
Sachstand
Zur Verbesserung der Datenlage zur Situation unbegleiteter ausländischer minderjähriger Kinder und Jugendlicher sollen die Erhebungsmerkmale der Kinder- und Jugendhilfestatistik um Daten zu deren Unterbringung, Versorgung und Betreuung erweitert werden.
Bewertung
Die beabsichtigte Regelung stellt eine folgerichtige Erweiterung dar, um die Folgen der Gesetzesänderungen zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder- und Jugendlicher evaluieren und ggf. nicht intendierte Gesetzesfolgen korrigieren zu können.
Die BAGFW begrüßt die Regelung, weist aber vorsorglich darauf hin, dass der geplante Umfang der Datenerhebung nicht ausreichen wird, um die Situation der betroffenen jungen Menschen angemessen darzustellen.
Artikel 2 Änderung des Aufenthaltsgesetzes
§ 80 Handlungsfähigkeit
Sachstand
Die formulierte Änderung fixiert die Anhebung der Altersgrenze zur Begründung der Handlungsfähigkeit in asyl- und ausländerrechtlichen Verfahren auf das Datum der Volljährigkeit gesetzlich.
Bewertung
Die geplante Gesetzesänderung setzt die Koalitionsvereinbarung von SPD und CDU/CSU um. Sie stellt eine Anpassung des Asyl- und Ausländerrechts an das Kinder- und Jugendhilferecht dar und stellt sicher, dass die Kinder- und Jugendhilfe auch bei unbegleiteten Jugendlichen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, Vorrang hat.
Die BAGFW hat die Anhebung der Altersgrenze seit langem gefordert und begrüßt die geplante Änderung im Aufenthaltsgesetz ausdrücklich. Gleichzeitig stellt sie fest, dass diese Änderung im Blick auf die geplanten Neuregelungen im SGB VIII zu Problemen in der praktischen Umsetzung führen könnte, wenn die jungen Menschen nicht zeitnah nach ihrer Inobhutnahme einen Rechtsbeistand erhalten, der sie im Blick auf die Asylantragstellung qualifiziert berät bzw. den Antrag für sie stellt.
Fazit
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege erkennt die Notwendigkeit an, die Kommunen an den Transitrouten zu entlasten und unbegleitete minderjährige ausländische Kinder und Jugendliche zum eigenen Wohl gerechter zu verteilen. Nach Auffassung der BAGFW muss eine Verteilung in erster Linie dem Wohl der bereits durch die Fluchterfahrung hoch belasteten jungen Menschen dienen. Das Primat der Kinder- und Jugendhilfe, gesichert durch die Unterbringung, Versorgung und Betreuung in geeigneten Einrichtungen, sowie die unverzügliche Bestellung eines Vormunds sind dazu aus Sicht der BAGFW unerlässlich.
Bei einer Verteilung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge ist zudem sicherzustellen, dass am Zuweisungsort die für die geeignete Unterbringung, Versorgung und Betreuung erforderlichen Bedingungen gewährleistet sind. Dies geht weit über die reine Kapazitätsfrage hinaus und umfasst Sprachmittler_innen, eine fachärztliche Versorgung und das Vorhandensein qualifizierter Vormünder bzw. Ergänzungspfleger_innen mit fundierten Kenntnissen im Asyl- und Aufenthaltsrechts. Letztendlich bedarf es der Entwicklung verbindlicher Standards für die Arbeit mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen.
Um zu vermeiden, dass die jungen Menschen gleichmäßig auf über 600 Jugendamtsbezirke verteilt werden, von denen die weit überwiegende Mehrheit bisher keinerlei Erfahrungen im Umgang mit unbegleiteten minderjährigen ausländischen Kindern und Jugendlichen und deren Bedarfen hat, bekräftigt die BAGFW ihren bereits im März 2015 formulierten Vorschlag zur Schaffung von Kompetenzzentren[1] hiermit noch einmal. Die Einrichtung neuer und die Weiterentwicklung bereits vorhandener Kompetenzzentren kann aus Sicht der BAGFW nur durch die Verlagerung der sachlichen Zuständigkeit von örtlichen Trägern auf den überörtlichen Träger sachgerecht im Sinne dieser Stellungnahme gewährleistet werden. Generell sollten aus Sicht der BAGFW bereits bestehende Kompetenzen in den bisher in diesem Arbeitsfeld erfahrenen Bundesländern ausgebaut werden. Dazu ist es unerlässlich, einen gerechten finanziellen Ausgleich zu schaffen. Hier lediglich auf das Prinzip der Freiwilligkeit zu bauen und keine Regelungen zu treffen, die die Refinanzierung der Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen ausländischen Kindern und Jugendlichen über die verpflichtende Kapazität des jeweiligen Landes hinaus sichern, ist unverantwortlich und konterkariert die bisherigen Bemühungen einzelner Länder um eine dem Kindeswohl entsprechende Unterbringung, Versorgung und Betreuung der dort ankommenden jungen Menschen. Die Möglichkeiten und Grenzen der noch „unerfahrenen Bundesländern“ sollten berücksichtigt werden, denn nur ein sukzessiver, prozesshafter Aufbau von Strukturen kann eine Qualität der Arbeit im besten Interesse des Kindes sichern.
[1] Vgl. „Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge schützen, fördern und beteiligen! Ein Vorschlag der BAGFW für eine geänderte Zuständigkeitsregelung“, Berlin, 10.3.2015.