Stellungnahme der BAGFW zum Entwurf des Nationalen Sozialberichts 2015

Die BAGFW begrüßt die auch im aktuellen Sozialbericht dokumentierte Sichtweise der Bundesregierung, wonach die Wohlfahrtsverbände einen bedeutenden Beitrag zur Umsetzung der Ziele der OMK Soziales und der Strategie 2020 leisten.


Einleitung


Die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) vertretenen Wohlfahrtsverbände nutzen die Gelegenheit zur gemeinsamen Stellungnahme.

Die BAGFW begrüßt die auch im aktuellen Sozialbericht dokumentierte Sichtweise der Bundesregierung, wonach die Wohlfahrtsverbände einen bedeutenden Beitrag zur Umsetzung der Ziele der OMK Soziales und der Strategie 2020, insbesondere in den Bereichen der sozialen Eingliederung und Armutsvermeidung leisten. Hiervon ausgehend bekräftigen die Wohlfahrtsverbände ihr Anliegen einer zukünftig verbindlichen Mitwirkung der zivilgesellschaftlichen Akteure und der Bürgerinnen an der OMK Soziales. Wie dies auch bei der Ausgestaltung und Umsetzung der Europäischen Strukturfonds gilt, sollte das Partnerschaftsprinzip verpflichtend sein und in einem Verhaltenskodex Regeln für die partnerschaftliche Zusammenarbeit von Sozialpartnern und Nichtregierungsorganisationen festgelegt werden. Im Rahmen dieser partnerschaftlichen Zusammenarbeit sollte der Nationale Sozialbericht einen eigenständigen Berichtsteil der Nichtregierungsorganisationen enthalten. Zumindest sollten die eingeholten Stellungnahmen der Nichtregierungsorganisationen gemeinsam mit dem Bericht veröffentlicht werden. Dies ist auch deshalb erforderlich, weil in dem Entwurf des Nationalen Sozialberichts nicht kenntlich gemacht worden ist, inwieweit die im Vorfeld eingeholten Stellungnahmen zu gewünschten Themen und Schwerpunkten konkret berücksichtigt worden sind.

Die Wohlfahrtsverbände erkennen die Bemühungen des Bundesarbeitsministeriums an, den Konsultationsprozess zum Nationalen Sozialbericht angesichts des gerade in diesem Jahr sehr engen Zeitplans frühzeitig zu starten und gleichzeitig mehrere Beteiligungsschritte einzuhalten. Die für diese schriftliche Stellungnahme gegebene Frist von 8 Werktagen ist jedoch sehr kurz bemessen.

 

In dieser Stellungnahme konzentrieren sich die Wohlfahrtsverbände auf Themen des Nationalen Sozialberichts, zu denen gemeinsam abgestimmte und ausreichend differenzierte Positionen vorliegen. Infolgedessen können in dieser Stellungnahme nicht alle relevanten Sozialreformen des Berichtszeitraums, etwa die Einführung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns oder die Rentenreformen kommentiert werden.

Das Bundesarbeitsministerium betont einleitend die gute Arbeitsmarktsituation und verweist auf den Zuwachs an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung und die rückläufige registrierte Arbeitslosigkeit. Bei dieser Gesamtschau bleibt die Problematik der hohen und verfestigten Langzeitarbeitslosigkeit ebenso wie das Ausmaß des verfestigten Langzeitleistungsbezugs in der Grundsicherung für Arbeitsuchende unerwähnt, obwohl diese Probleme im Berichtszeitraum bundespolitisch und auch in der Öffentlichkeit intensiv diskutiert worden sind. Ganz unbestritten gibt es nach wie vor eine strukturelle Arbeitslosigkeit. Trotz einer insgesamt rückläufigen Zahl der Arbeitslosen ist die Zahl der Langzeitarbeitslosen zuletzt auf über 1,3 Mio. Menschen angestiegen. Als erwerbsfähig gelten derzeit über 3 Millionen Langzeit-Leistungsbeziehende. Die Hälfte von diesen lebt mit weiteren Personen, die nicht als erwerbsfähig gelten (zu 95 Prozent Kinder) in Bedarfsgemeinschaften. Besonders kritisch ist auch der Umstand zu werten, dass Ende 2012 zwei Drittel der mehr als 4 Mio. erwerbsfähigen Leistungsberechtigten bereits über zwei Jahre im Leistungsbezug waren; jede(r) vierte sogar durchgängig seit 2005.

Sorge bereitet auch die Entwicklung des Armutsrisikos. Gesamtwirtschaftlicher Erfolg und die Zunahme privaten Reichtums führen nicht mehr dazu, dass das Armutsrisiko in Deutschland geringer wird; sondern das Armutsrisiko und Ungleichheit nehmen zu. Der Ausschuss für Sozialschutz hat den Nationalstaaten zur Erstellung ihrer Strategischen Sozialberichterstattung empfohlen, Daten zur Sozialen Situation heranzuziehen, die aktueller als die der EU-SILC sind. Nach der Auswertung des Mikrozensus ergibt sich dieses Bild: Die Armutsrisikoquote ist seit dem Jahr 2006 – mit Unterbrechungen in den Jahren 2010 und 2012 auf einen Wert von 15,5 Prozent im Jahr 2013 angestiegen. Rund 12,5 Millionen Menschen waren damit in diesem Jahr in Deutschland vom Risiko der Einkommensarmut betroffen. Dabei haben sich die Arbeitslosenzahlen und Armutsrisikoquoten in ihrer Entwicklung nicht nur abgekoppelt, sondern sich entgegengesetzt entwickelt. Während die Armutsrisikoquote seit 2006 relativ kontinuierlich um 10,7 Prozent angestiegen ist – von 14 Prozent auf 15,5 Prozent – ist die Arbeitslosenquote mit Ausnahme des Krisenjahres 2009 ebenso kontinuierlich um 36,1 Prozent (von 10,8 Prozent auf 6,9 Prozent) gesunken.

Die Bundesregierung erklärt, dass die Altersarmut trotz eines leichten Anstiegs in den letzten Jahren nach wie vor klein sei und kein verbreitetes Problem darstellt. Die BAGFW weist darauf hin, dass die 65-Jährigen und Älteren in 2013 mit einer Quote von 14,3 Prozent noch genauso unterdurchschnittlich vom Armutsrisiko betroffen waren wie die Gruppe der Rentner und Pensionäre mit einer Armutsrisikoquote von 15,2 Prozent. Allerdings gibt es starke Zuwächse seit 2006. Seitdem nahm das Armutsrisiko unter den 65-jährigen und Älteren um 37,5 Prozent und das der Rentner und Pensionäre um sogar 47 Prozent zu. Dabei ist die Armutsrisikoquote von Frauen im Seniorenalter um einige Prozentpunkte höher als die von Männern. Sie sind überdurchschnittlich von Armut bedroht. Es gibt derzeit keinerlei Anzeichen dafür, dass dieser Trend gestoppt wird. Die BAGFW merkt kritisch an, dass im vorliegenden Bericht keine Pläne der Bundesregierung zur Bekämpfung von Altersarmut dargestellt werden.

Die Bundesregierung will bei der Ausgestaltung der Sozialleistungen Leistungs- und Beschäftigungsanreize gewahrt sehen und die finanziellen Belastungen für die Sozialversicherungen und öffentlichen Finanzen in Grenzen halten.

Gerade bei der Umsetzung der Grundsicherung für Arbeitssuchende können die Wohlfahrtsverbände keine nennenswerte Problematik fehlender Leistungs- und Beschäftigungsanreize erkennen. Die Probleme liegen anders. Nach den massiven Kürzungen der Mittel für die aktive Arbeitsmarktförderung seit 2010 ist die Unterstützung und Förderung Arbeitsloser stark eingeschränkt worden. Gleichzeitig haben sich am deutschen Arbeitsmarkt prekäre Beschäftigungsverhältnisse und solche im Niedriglohnsektor stark ausgebreitet. Eine Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, die aus der Grundsicherung für Arbeitssuchende herausführt, ist oft nur sehr kurz. Etwa jede/r Zweite fällt innerhalb von sechs Monaten wieder in den Leistungsbezug zurück. Trotz leicht rückläufiger SGB-II-Gesamtempfängerzahlen ist die Zahl derjenigen, die Erwerbseinkommen erzielen und dennoch Leistungen nach dem SGB II erhalten (sog. Aufstocker) mit rund 1,3 Mio. nach wie vor hoch.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege bekräftigt deshalb ihre Position, dass die Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht zur Disposition stehen darf. Bei der Bemessung der Regelbedarfe sind deutliche Korrekturen nötig.

Beiträge zur Erreichung der Ziele der Strategie Europa 2020 im Bereich der Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung

Die BAGFW sieht weiterhin Korrekturbedarf an der Stelle, an der die Bundesregierung ihren Erfolg bei der die Verminderung von Armut und sozialer Ausgrenzung innerhalb der EU-2020-Strategie primär über die Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit misst. Die Bundesregierung hat sich im Bereich „soziale Inklusion“ die Senkung der Zahl der Langzeitarbeitslosen um 20 Prozent gegenüber 2008 vorgenommen. Dieses Ziel ist erreicht. Die Europäische Kommission hat Deutschland aber in den länderspezifischen Empfehlungen von 2013 und 2014 unzureichende Fortschritte bei der Integration von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt, bei der Anhebung des Bildungsniveaus benachteiligter Gruppen sowie bei der Umwandlung von atypischen Beschäftigungsverhältnissen, wie Minijobs, in nachhaltigere Beschäftigungsformen bescheinigt.[1] Die Bundesregierung sollte sich dafür einsetzen, dass zusätzlich zu dem Indikator „Langzeitarbeitslosigkeit“ auch andere Indikatoren, wie z. B. die „materielle Deprivation“ berücksichtigt werden. Beim Indikator Langzeitarbeitslosigkeit ist überdies zu beachten, dass die Langzeitarbeitslosigkeit qua Definition nicht nur durch die Aufnahme einer Erwerbsarbeit, sondern auch durch kurzzeitige Unterbrechungen wie z. B. Krankheitsphasen, Zeiten der Teilnahme an einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme u.a. unterbrochen wird.

Handlungsbedarf sehen die Verbände bei der Regelbedarfsermittlung. Die BAGFW bewertet die vorgenommene Abgrenzung der Referenzgruppen und die Herausnahme einzelner Konsumausgaben und ihre Einstufung als nicht verbrauchsrelevant nach wie vor kritisch. Dringenden Handlungsbedarf sehen die Verbände bei der Berechnung der Kinderregelbedarfe. Viele der für Kinder und Jugendliche als relevant festgeschriebenen Verbrauchsausgaben sind aufgrund der geringen Stichprobenfälle der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe statistisch nicht hinreichend signifikant oder werden wie beim Teilhabedarf zweckgebunden unter abschließender Aufzählung der Teilhabemöglichkeiten mit einer Pauschale berücksichtigt. Knapp dreieinhalb Jahre nach Inkrafttreten der Regelungen liegen zahlreiche empirische Befunde zum Bildungs- und Teilhabepaket (BuT) vor. Diese zeigen, dass die Inanspruchnahme der BuT-Leistungen – mit Ausnahme der Leistungen für den Schulbedarf, die automatisch ohne Antrag gewährt werden – nach wie vor verbesserungswürdig sind und mit dem BuT bei Weitem nicht alle Kinder und Jugendlichen erreicht werden. Die BAGFW ist der Auffassung, dass das Reformvorhaben zur „Rechtsvereinfachung im SGB II“ dazu genutzt werden sollte, Verbesserungen bei den Leistungen für Bildung und Teilhabe nach § 28 SGB II auf den Weg zu bringen. Zumindest sollten die Leistungen des BuT gleichzeitig mit dem ALG II (Globalantrag) beantragt werden können. Die Wohlfahrtsverbände würden es außerdem begrüßen, wenn die Bundesregierung Ausführungen in den Nationalen Sozialbericht aufnehmen würde, wie sie den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts aus seinem Urteil vom 23. Juli 2014 zur Bemessung der Regelbedarfe im SGB II und XII nachkommen will, auch um eine zügige Umsetzung der angemahnten Korrekturen anzuzeigen.

In der strategischen Sozialberichterstattung wird Deutschland seitens der EU insbesondere nach der Zugänglichkeit zu sozialen Dienstleistungen – auch der Arbeitsverwaltung – befragt. Die Wohlfahrtsverbände sehen insbesondere bei der Umsetzung des Leistungsrechts in der Grundsicherung für Arbeitsuchende Handlungsbedarf, um die Organisation der Leistungsträger und Verfahrensabläufe kundenfreundlicher auszugestalten. So gelingt es oftmals nicht, dass für Antragsteller ein/e feste/r Ansprechpartner/-in zur Verfügung steht, die/der das Antrags- und Bewilligungsverfahren einer Bedarfsgemeinschaft kontinuierlich begleitet. Ein weiteres Problem ist nach wie vor die Gestaltung der Leistungsbescheide und ihrer Begründungen, die oft für den Durchschnittsbürger unverständlich formuliert sind. Der Verwaltungsaufwand und die Reibungsverluste sind größer, wenn Fragen nicht unbürokratisch geklärt werden können. Die Wohlfahrtsverbände plädieren deshalb für mehr Kontinuität bei den Ansprechpartnern und eine deutlichere Erkennbarkeit nach außen. Ein weiterer Ansatz zur besseren Verständlichkeit des Behördenhandelns kommt bei wechselnden Leistungshöhen in Betracht. Mitteilungen über die Höhe des tatsächlich ausgezahlten Betrags (einschließlich einer Auflistung noch offener Aufrechnungen, Forderungen, Sanktionen, die in Abzug gebracht werden) erhöhen ohne großen Aufwand die Transparenz und die Nachvollziehbarkeit über das Verwaltungshandeln.

Die Wohlfahrtsverbände begrüßen die Einrichtung des Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen (EHAP) und die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit der Freien Wohlfahrtspflege bei seiner Ausgestaltung. Der Hilfsfonds ist auf die Zielgruppen EU-Zuwanderer und ihre Kinder und Wohnungslose fokussiert. Die BAGFW hat sich dafür eingesetzt, dass darüber hinaus weitere benachteiligte nationale Zielgruppen, wie z.B. Suchterkrankte, Straffällige von Armut betroffen und jetzt oder zukünftig in einem solchen Programm zu berücksichtigen sind.

Vor dem Hintergrund der verfestigten und hohen Langzeitarbeitslosigkeit und des andauernden Hilfebezugs im SGB II sieht die BAGFW die Initiative der Arbeitsministerin „Chancen eröffnen – soziale Teilhabe sichern“ positiv. Die Verbände loben ausdrücklich das Vorhaben, ein Angebot zur Sozialen Teilhabe durch Erwerbsarbeit für ansonsten vom Arbeitsmarkt ausgeschlossene Personen mit öffentlich geförderter sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung zu unterbreiten. Das Programm kann dazu ein erster wichtiger Schritt sein. Da die tatsächlichen Unterstützungsbedarfe weit über die angedachte Förderung von 10.000 Personen hinausgehen, fordert die BAGFW zusätzliche Mittel bereitzustellen und das Programm mit einer Erprobung des sog. Passiv-Aktiv-Transfers (PAT) zu verknüpfen.

Außerdem sind Ziele des Programms und daran anknüpfende Erfolgsindikatoren klar zu definieren. Das Programm soll primär die soziale Teilhabe fördern und die soziale Situation der Geförderten und ihrer Bedarfsgemeinschaft, insbesondere der darin lebenden Kinder, verbessern. Folglich darf der Erfolg der Förderung nicht allein an Übergängen in ungeförderte Beschäftigung gemessen werden.

Das Konzept der Bundesarbeitsministerin sieht außerdem vor, die im Zuge des Bundesprogramms „Perspektive 50plus“ entwickelten Konzepte und Strukturen weiterzuführen und für die Förderung von Langzeitarbeitslosen nutzbar zu machen. Nach Einschätzung der BAGFW haben v.a. eine intensivierte Betreuung und engagierte Förderung mit Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktförderung und Gesundheitsförderung zum Erfolg geführt. Die Jobcenter sollten jedoch nicht nur für programmspezifisch ausgewählte Zielgruppen, sondern für alle Leistungsberechtigten mit einer ausreichend Anzahl an qualifiziertem Personal und verfügbaren Maßnahmen der Arbeitsförderung ausgestattet werden, so dass ein intensiver Kontakt mit den Arbeitssuchenden ermöglicht und ihnen auch Zugang zu individuell passgenauen Maßnahmen der Arbeitsförderung, zu psychosozialen Hilfen und Angeboten der Gesundheitsförderung gewährt wird.

Darüber hinaus spricht sich die BAGFW grundsätzlich für den Ausbau der psychosozialen Hilfen und Teilhabeangebote für Leistungsberechtigte in der Grundsicherung aus. Die BAGFW weist hierbei ebenfalls darauf hin, dass der Erfolg sozialer Teilhabeleistungen an der Verbesserung der sozialen Situation der Betreffenden gemessen werden muss und nicht allein an arbeitsmarktpolitischen Kennzahlen.

Die Mittel für Verwaltung der Jobcenter und die Eingliederungsmittel müssen nach den drastischen Kürzungen der Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik in den Jahren 2010 bis 2013 hierfür jedoch dringend aufgestockt werden. 2013 flossen aus dem Topf für „Eingliederung in Arbeit" 445 Mio. Euro in das Verwaltungsbudget, weil die Jobcenter ihre steigenden Verwaltungsausgaben anderweitig nicht mehr decken konnten. Die massiven Mittelkürzungen – die Mittel für Eingliederungsleistungen der Jobcenter im SGB II wurden von noch 6,6 Milliarden Euro im Jahr 2010 auf 3,9 Milliarden Euro im Jahr 2013 gekürzt – sind mitentscheidend für einen drastischen Rückbau der arbeitsmarktpolitischen Instrumente. Langzeitarbeitslose sind in der aktiven Arbeitsförderung mittlerweile unterrepräsentiert. Nicht einmal jeder Zehnte der insgesamt 1,05 Mio. Langzeitarbeitslosen hatte in 2013 die Möglichkeit bekommen, an einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme teilzunehmen, bei allen Arbeitslosen bekam zumindest fast jede/r Fünfte ein Maßnahmenangebot.

Die BAGFW regt darüber hinaus dringend eine gesetzliche Novellierung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente im Zuge des bevorstehenden Neunten SGB-II-Änderungsgesetzes an. An einigen Stellen fehlen die passenden Förderinstrumente für Langzeitarbeitslose. Der Reformbedarf betrifft u.a. die Arbeitsgelegenheiten. Arbeitsgelegenheiten sind sinnvoll, um sehr arbeitsmarktferne Menschen (z.B. wohnungslose Menschen, psychisch beeinträchtigte Personen) sozial zu stabilisieren und ihre Beschäftigungsfähigkeit schrittweise zu verbessern. Die derzeitige Begrenzung der Förderdauer auf zwei Jahre innerhalb von fünf Jahren ist aufzuheben, da sie zum Ausschluss gerade derjenigen Leistungsberechtigten führt, die längerfristige Unterstützung benötigen, und die Wirkung dieses Instruments auf diese Weise ins Leere läuft. Bei den Arbeitsgelegenheiten muss es zukünftig wieder möglich sein, sozialpädagogische Begleitung oder arbeitsbegleitende Qualifizierung direkt mit dem Instrument zu verknüpfen, ohne diese begleitenden Angebote umständlich zukaufen zu müssen.

Die in den Förderleistungen enthaltenen Tätigkeiten müssen entsprechend den Fähigkeiten der unterstützten Person so ausgestaltet sein, dass sie die Betroffenen in ihrer persönlichen Entwicklung unterstützen und ihre individuellen Fähigkeiten fördern. Die derzeit geltenden Kriterien der Zusätzlichkeit, des öffentlichen Interesses und der Wettbewerbsneutralität wirken in ihrer Gesamtheit jedoch kontraproduktiv. Sie sind nicht geeignet, um zentral definiert zu werden. Es sollten die lokalen Akteure des Arbeitsmarktes im örtlichen Beirat Verantwortung für die Ausgestaltung erhalten.

Die sogenannte freie Förderung ist als echte Erprobungsklausel im SGB II auszugestalten. Aufgrund bestehender Restriktionen können Jobcenter das Instrument der freien Förderung nicht wie intendiert nutzen, um neue Lösungsansätze, etwa zur Förderung von sonst nicht erreichbaren Jugendlichen oder verfestigt Langzeitarbeitslosen anzubieten. Um die dauerhafte Überwindung der Hilfebedürftigkeit durch die Stabilisierung des Arbeits- oder Ausbildungsverhältnisses sichern zu können, sollte zukünftig außerdem eine nachgehende Begleitung von Leistungsberechtigten und Arbeitgebern ermöglicht werden.

Darüber hinaus spricht sich die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege dafür aus, die laufende Reform des Vergaberechts zur Umsetzung der EU-Richtlinie zur öffentlichen Auftragsvergabe[2] zu nutzen, um die Zugänglichkeit der sozialen Dienstleistungen in der Arbeitsförderung zu verbessern. Damit die Maßnahmen zielgenauer am Bedarf der Arbeitslosen eingesetzt werden können und mehr Innovationskraft in der Arbeitsförderung zur Entfaltung kommen kann, sollte eine Vielfalt unterschiedlicher Verfahren gegenüber der heute dominant eingesetzten öffentlichen Ausschreibung möglich sein.


Jüngste Reformen und politische Initiativen im Bereich der sozialen Inklusion

Bei der Reform des Asylbewerberleistungsgesetzes begrüßen die Wohlfahrtsverbände insbesondere die Regelung, dass nunmehr nach längstens 3 Monaten vorrangig Barleistungen und nicht Sachleistungen zu gewähren sind. Dies ist neben weiteren Änderungen für die soziale Teilhabe der Leistungsberechtigten ein großer Fortschritt. Allerdings setzen sich die Wohlfahrtsverbände weiterhin für eine vollständige Aufhebung dieses Sondergesetzes ein. Asylsuchende, geduldete Personen und andere Personengruppen, die bisher unter das AsylbLG fallen sollte der Zugang zu den allgemeinen Sozialgesetzbüchern von Anfang an direkt und vollumfänglich eröffnet werden. Besonders dringlich müssen die nach wie vor bestehenden Einschränkungen bei der medizinischen Versorgung Asylsuchender und geduldeter Personen entfallen. Das Bundesverfassungsgericht hatte am 12. Juli 2012 festgestellt: „Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren“. Damit entfällt die Rechtfertigung für das Asylbewerberleistungsgesetz, das im Grundsatz darauf zielt, die Zahl der Leistungsbezieher nach AsylbLG in Deutschland zu steuern und zu begrenzen. Zudem bleiben mehr als die Hälfte der Asylsuchenden längerfristig, teils dauerhaft in Deutschland. Unter ihnen befinden sich zahlreiche anerkannte international Schutzberechtigte, also anerkannte Flüchtlinge oder zumindest subsidiär Schutzberechtigte. Daher ist es sinnvoll, Integration von Anfang an zu ermöglichen. Die Neuregelung beim Arbeitsmarktzugang, die den Betroffenen nunmehr nach 15 Monaten und nicht erst nach 48 Monaten einen gleichberechtigten Arbeitsmarktzugang eröffnet, begrüßen die Verbände in diesem Sinne ebenfalls, da die betroffenen Menschen bessere Chancen haben, ihren Lebensunterhalt eigenständig zu bestreiten und damit ihre Teilhabe besser verwirklichen können. Sinnvoller wäre jedoch ein gleichberechtigter Arbeitsmarktzugang bereits nach 3 Monaten. Nicht nachvollziehbar ist, dass Personen, denen vorgehalten wird, sie seien zum Zwecke des Sozialleistungsbezuges eingereist, ein Beschäftigungsverbot erteilt werden kann mit der Folge, dass sie auf den Bezug auf Sozialleistungen gerade angewiesen sind. Da Arbeitsuchende mit deutschen Sprachkenntnissen eine deutlich höhere Chance auf dem hiesigen Arbeitsmarkt haben, sollten Asylsuchende und Geduldete wie auch Unionsbürger einen Anspruch auf Integrationskurse haben. Als problematisch sehen die Wohlfahrtsverbände die Einstufung von Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien als sichere Herkunftsstaaten an. Das betrifft vor allem Minderheitenangehörige, insbesondere Roma, die in den genannten Ländern unstreitig verschiedenen Formen der Diskriminierung ausgesetzt sind. Ein besonderes Schutzbedürfnis für viele Menschen aus diesen Ländern ist nicht zu bestreiten und kann auch asylrelevant sein. Nach wie vor können Menschen, die sich nicht legal und ohne Duldung in Deutschland aufhalten, teilweise ihre menschenrechtlichen Ansprüche insbesondere in Bezug auf gesundheitliche Versorgung aufgrund der Übermittlungspflichten staatlicher Stellen effektiv nicht geltend machen.

Die Unterbringung von Schutzsuchenden ist zunehmend eine Herausforderung für die Kommunen. Dazu bedarf es geeigneten Wohnraums. Die Bundesregierung hat den Ländern Unterstützung zugesagt. Die Verbände sehen mit großer Sorge insbesondere die Unterbringung von Flüchtlingen in Gemeinschaftsunterkünften mit teils hunderten Bewohnerinnen und Bewohnern, für die es keine bundesweit verbindlichen und überprüfbaren Standards gibt. Aus Sicht der Verbände sollten Flüchtlinge, insbesondere Familien mit Kindern, vorrangig in Wohnungen untergebracht werden. Insofern sich die Bundesregierung an der Unterbringung von Flüchtlingen beteiligt, muss sichergestellt sein, dass bundesweite Standards menschenwürdig sind. Notwendig sind kleine Wohneinheiten, die die Privatsphäre sicherstellen und Möglichkeiten zur Integration und Teilhabe gewährleisten. Die Erleichterung von Bauvorhaben zur Unterbringung von Flüchtlingen in Gewerbegebieten wie mit der Änderung des Baurechts im Herbst 2014 ermöglicht, lehnen die Verbände ab.


Unterstützung Jugendlicher beim Berufseinstieg

Die Wohlfahrtsverbände sehen wie auch die Bundesregierung noch großen Handlungsbedarf bei der Unterstützung Jugendlicher am Übergang von Schule und Beruf. Nach wie vor sind rund 1,4 Mio. junge Menschen zwischen 20 und 29 Jahren ohne Berufsausbildung. Im Berichtszeitraum des Berufsbildungsberichts 2014 ist die Zahl der Ausbildungsverträge – sowohl der betrieblichen als auch der außerbetrieblichen – zurückgegangen. Die demographische Entwicklung lässt dies nicht begründen, da nach wie vor eine große Zahl unversorgter Jugendlicher zu verzeichnen ist. Immer noch gelangen jährlich rund 270.000 Schulabgänger/innen in Maßnahmen des Übergangsystems. Die Wohlfahrtsverbände unterstützen deshalb die Bemühungen der Bundesregierung, die im Koalitionsvertrag verankerte „Ausbildungsgarantie“ rasch umzusetzen und hierfür u.a. zügig mit der Assistierten Ausbildung zu starten. Letztlich muss es im Zuge der Ausbildungsgarantie gelingen, mehr Ausbildungsplätze – betriebliche und außerbetriebliche – bereitzustellen, damit allen Jugendlichen ein Angebot zur Ausbildung unterbreitet werden kann.

Die Wohlfahrtsverbände sehen es zugleich mit Sorge, dass Jugendliche im SGB II-Leistungsbezug in der Förderung zusehends ins Hintertreffen geraten. Die mit Inkrafttreten der Hartz-Reformen initiierte intensive Förderung von Jugendlichen ist mittlerweile aufgegeben worden. Vor zehn Jahren wollte man verhindern, dass sich Jugendliche an den Bezug von Sozialleistungen gewöhnen und hat sie deshalb einem gegenüber Erwachsenen schärferen Sanktionen und einer verbindlichen Förderlogik unterworfen. In den ersten Jahren des SGB II haben die Jobcenter die Förderung von Jugendlichen kontinuierlich aufgebaut, so dass im Jahr 2008 knapp 37 Prozent aller Jugendlichen eine Förderung erhalten haben (wobei Arbeitsgelegenheiten hierbei eine große Rolle eingenommen haben). Heute sind es nur noch 25 Prozent der Jugendlichen. Die Verbände fordern, das Förderangebot auszubauen und qualitativ hochwertig (in Richtung qualifizierender Maßnahmen und gemeinsamer Angebote mit den Trägern der Jugendhilfe) auszugestalten. Im Zuge des bevorstehenden Neunten SGB II-Änderungsgesetzes müssen die besonderen Sanktionsregelungen für Jugendliche abgeschafft werden. Sie haben sich für eine gute Förderung nicht bewährt, sondern im Gegenteil einige Jugendliche ins soziale Abseits gedrängt.

Im Entwurf des Nationalen Sozialberichts fehlt ein Hinweis auf den im Koalitionsvertrag angekündigten flächendeckenden Aufbau von „Jugendberufsagenturen“, obwohl im Berichtszeitraum auch unter Beteiligung der Bundesregierung schon ein intensiver Diskussionsprozess begonnen hat. Die damit intendierte Zusammenarbeit von Jugendhilfe, Grundsicherung und Arbeitsförderung ist für eine gute Förderung von Jugendlichen sehr wichtig. Die Zuständigkeiten für die berufliche und soziale Förderung von Jugendlichen sind auf die Sozialgesetzbücher II, III und VIII und den dort verankerten Akteure verteilt. Viele Jugendliche erhalten deshalb kein passendes Angebot oder verlieren den notwendigen Anschluss an eine Förderung. Die BAGFW schließt sich den Forderungen des Kooperationsverbundes Jugendsozialarbeit zum verbindlichen Aufbau einer Zusammenarbeit der Akteure in den Jugendberufagenturen an. Die Bundesregierung sollte in Abstimmung mit Ländern, Kommunalen Spitzenverbänden und den auf Bundesebene vertretenen freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe konzeptionelle Eckpunkte für die Etablierung der „Jugendberufsagenturen“ vorlegen und eine gesetzliche Verpflichtung zur rechtskreisübergreifenden Zusammenarbeit anstreben.

Verbesserung der Teilhabe von Menschen mit Behinderung

Die Bundesregierung beschreibt den Nationalen Aktionsplan als Instrument zur systematischen Umsetzung der UN-BRK. Die BAGFW begrüßt ausdrücklich das Bekennen der Bundesregierung zur UN-BRK, das Vorlegen des Nationalen Aktionsplans (NAP), die Verankerung der Gesamtsteuerungsverantwortung im BMAS und das kontinuierliche Arbeiten an der Umsetzung. Ziel eines jeden Reformvorhabens, jeglicher Maßnahmen und Aktivitäten der Bundesregierung muss nach Ansicht der BAGFW die volle, gleichberechtigte und wirksame Teilhabe aller Menschen mit Behinderungen sein, mit gleichen Wahlmöglichkeiten wie andere Menschen in der Gemeinschaft zu leben. Dies muss sich in den Beteiligungs-, Verfahrens- und Arbeitsstrukturen abbilden. Aus Sicht der BAGFW enthielt der NAP Umsetzungsdefizite, die beispielsweise auch auf fehlende Analysen zu förderlichen bzw. hinderlichen Inklusionsfaktoren bzw. Hochrechnungen zur Finanzierung inklusiver Strukturen im Vorfeld des Inkrafttretens der Konvention zurückzuführen waren. Die BAGFW begrüßt es, dass die Bundesregierung den NAP durch ein unabhängiges Institut wissenschaftlich evaluieren lässt.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege begrüßt auch den aktuellen Beteiligungsprozess zur Erarbeitung eines Bundesteilhabegesetzes. Vorrangiges Ziel einer Teilhaberechtsreform muss sein, die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen zu verbessern. Zur Umsetzung der UN Behindertenrechtskonvention ist eine umfassende Teilhaberechtsreform erforderlich. Aus Sicht der BAGFW sind für ein modernes Teilhaberecht v.a. diese Aspekte wesentlich: Eine zukünftige leistungsrechtliche Begriffsdefinition muss den erweiterten sozialen Behinderungsbegriff im Sinne der UN-BRK aufgreifen und die Wechselwirkungen mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren berücksichtigen. Menschen mit Behinderung müssen barrierefreie, kostenlose und niederschwellige Beratungsangebot erhalten, damit sie ihre Interessen wahrnehmen und die aus ihrer Sicht benötigten Assistenz- und Unterstützungsleistungen auswählen können. Für die Ausgestaltung der Leistung ist eine Bedarfsfeststellung nach bundeseinheitlichen Kriterien nötig. Individuelle und partizipative Zugänge zu den Leistungen sind zu sichern. Das Prinzip der individuellen Bedarfsdeckung ist im Rahmen der Weiterentwicklung des Leistungsrechtes beizubehalten und darf weder durch eine Altersgrenze noch durch das Ausmaß einer Behinderung begrenzt werden. Das Bundesteilhabegesetz muss einen teiloffenen Leistungskatalog enthalten, der sicherstellt, dass keine Leistungslücken entstehen. Das Wunsch- und Wahlrecht für eine selbstbestimmte Lebensführung und der Rechtsanspruch auf Teilhabe in allen Lebensbereichen für Menschen mit Behinderungen müssen gewahrt bleiben. Dafür ist der bestehende Mehrkostenvorbehalt zu prüfen und darf nicht dazu dienen, die berechtigte Teilhabeunterstützung zu reduzieren. Die Wohlfahrtsverbände vertreten zudem die Auffassung, dass das in einem Bundesleistungsgesetz zu verankernde Prinzip des Nachteilsausgleichs nicht mehr mit dem in der Sozialhilfe geltenden Bedürftigkeitsprinzip vereinbar ist. Insofern sollen weder der Leistungsberechtigte noch sein Ehepartner und/ oder seine Angehörigen mit seinem/ihrem jeweiligen Einkommen und Vermögen zu den Teilhabeleistungen herangezogen werden können.

Die Kommunen sind in Folge eines Bundesleistungsgesetzes aufgefordert, den Inklusionsansatz der UN-BRK als Querschnittsaufgabe in der kommunalen Daseinsvorsorge zu verankern und hierfür im Rahmen einer vernetzten kommunalen Sozialplanung geeignete Instrumente und Verfahren zu entwickeln. Mitten in der Gesellschaft angekommen sind Menschen mit Behinderungen, wenn sie als Bürger(innen), Nachbar(innen) und Mitwirkende beim Aufbau und Erhalt einer inklusiven Gesellschaft anerkannt sind und Teilhabe und Chancengleichheit selbstverständlich für alle Menschen gelten. Die dafür erforderlichen Investitionen in eine offene und inklusive Gesellschaft durch weitgehende Barrierefreiheit und bestmögliche Zugänglichkeit für alle Bürgerinnen und Bürger sind unabhängig von Beeinträchtigungen und Funktionsstörungen sowie durch individuell bedarfsdeckende Teilhabeleistungen für Menschen mit Behinderungen solidarisch von allen Mitgliedern der Gesellschaft zu tragen. Für diese umfassende Aufgabe sind die Kommunen finanziell auszustatten.


Investitionen in Kinder

Unzweifelhaft ist die Einführung des Rechtsanspruchs auf Förderung für alle Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr ab August 2013 als wichtiger Bildungs-, Sozial- und Familienpolitischer Schritt zu bewerten. Bund, Länder, Kommunen und Träger haben in den vergangenen Jahren enorme Anstrengungen unternommen, um den hierfür notwendigen bedarfsgerechten Ausbau der Kindertagesbetreuung sicherzustellen. Zum Stichtag 1. März 2014 standen für Kinder unter drei Jahren 660.750 Plätze in einer Kindertageseinrichtung oder bei einer Tagesmutter bzw. einem Tagesvater zur Verfügung. Das entspricht einer Betreuungsquote von 32,3 Prozent für diese Altersklasse in Deutschland. Die Betreuungsquote stieg damit im Vergleich zu März 2013 noch einmal um 3 Prozentpunkte. Zwei Drittel dieser Plätze werden von freien Trägern angeboten.

Ungeachtet dieser guten quantitativen Ausbauzahlen ist eine steigende Nachfrage an Betreuungsplätzen insbesondere in den großen deutschen Ballungsgebieten zu beobachten. So geht das Deutsche Jugendinstitut nach einer Elternbefragung in 2014 von einem Betreuungsbedarf von rund 41,5 Prozent für Kinder unter drei Jahren aus. Die bestehende Lücke beim Betreuungsangebot muss in den nächsten Jahren noch geschlossen werden. Um die Ausbaubemühungen auch weiterhin zu unterstützen hat die Bundesregierung seit 2007 insgesamt 5,4 Mrd. Euro in den Ausbau investiert. Zusätzlich beteiligt sich der Bund dauerhaft mit rund 845 Mio. Euro jährlich an den laufenden Betriebskosten.

Dem gegenüber stehen die Ausgaben der öffentlichen Hand. Diese gab 2013 rund 23 Mrd. Euro für die Kindertagesbetreuung aus. Werden die rund 1,6 Mrd. Euro Einnahmen gegengerechnet, so wurde netto rund 21,4 Mrd. Euro für die Kindertagesbetreuung aufgewendet. Im Vergleich zum Vorjahr entspricht das einer Steigerung von 13,2 Prozent. Diese Ausgaben werden angesichts des weiterhin bestehenden Ausbaubedarfs allerdings noch steigen. Dabei sind die notwendigen Kosten für die dringend gebotene Verbesserung der Qualität in der Kindertagesbetreuung in diesem Kostentableau noch nicht enthalten. Unberücksichtigt sind hierbei u. a. die notwendigen Verbesserungen bei der Fachkraft-Kind-Relation, der Leitungsfreistellung, der Berücksichtigung mittelbarer pädagogischer Arbeitszeit, der Ausweitung der Betreuungszeiten sowie eine leistungsgerechte Vergütung der Fachkräfte. Hinzu kommen die notwendigen Verbesserungen bei der Vergütung und der Qualifizierung der Beschäftigten in der Kindertagespflege. Insbesondere der Bund und die Länder sind gefordert, sich über Wege einer nachhaltigen Finanzierung der Kindertagesbetreuung zu verständigen und dabei insbesondere die Kommunen in die Lage zu versetzen ein hochwertiges Förderangebot in der Kindertagesbetreuung vorzuhalten.

Nach Ansicht der BAGFW werden die im Koalitionsvertrag aufgeführten Ansätze und Überlegungen für eine Verbesserung der Qualität nur dann Erfolg haben, wenn es gleichzeitig gelingt, die Frage der Finanzierung des frühkindlichen Bildungssystems dauerhaft und nachhaltig zu beantworten.


Jüngste Reformen in der Langzeitpflege

Im Entwurf des Nationalen Sozialberichts kündigt die Bundesregierung an, die Leistungen der Sozialen Pflegeversicherung durch zwei Pflegestärkungsgesetze zu erhöhen.

Aus Sicht der BAGFW ist beim ersten Pflegestärkungsgesetz (PSG I) enttäuschend, dass es noch keinen konkreten Ansatz zu den entscheidenden Fragestellungen zur Umsetzung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs enthält. Seit Einführung der Pflegeversicherung wird der Begriff der Pflegebedürftigkeit als zu eng und zu verrichtungsbezogen kritisiert. Besonders der Bedarf an allgemeiner Betreuung, Beaufsichtigung und Anleitung, den etwa Menschen mit Demenz häufig haben, wird bisher zu wenig berücksichtigt. Zur Umsetzung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs wird weitgehend auf das geplante Pflegestärkungsgesetz II verwiesen, ohne dass ein konkreter verbindlicher Zeitplan zur Einführung ein Gesamtkonzept für die anstehende Reform erkennbar wäre.

Die BAGFW hat zur konkreten Ausgestaltung des Neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs den Vorschlag eines „Entlastungsbetrags“ eingebracht. In diesen sollen die bereits heute den Versicherten zur Verfügung stehenden Mittel aus Kurzzeitpflege, Verhinderungspflege sowie Leistungen nach § 45b SGB XI einfließen. Fasst man alle diese Leistungen zusammen, könnte jedem pflegebedürftigen Menschen ein monatlicher Betrag von ca. 372,67 Euro oder jährlich von 4.472 Euro zur Verfügung stehen. Der Entlastungsbetrag bietet den pflegebedürftigen Menschen und ihren Angehörigen eine hohe Flexibilität in der Inanspruchnahme und Kombination der heute schon vorhandenen Entlastungsmöglichkeiten.

Die Bundesregierung benennt im Entwurf des Berichts als Maßnahme zur Fachkräftesicherung in den Pflegeberufen die „Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive Altenpflege“. Die Wohlfahrtsverbände haben bereits den Zwischenbericht zur Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive Altenpflege begrüßt und auf die erkennbaren Ausbildungserfolge der ersten Halbzeit - die Steigerung der Ausbildungseintrittszahlen im Schuljahr 2013/2014 im Umfang von 14,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr- hingewiesen. Die gemeinsamen Anstrengungen im Rahmen der Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive, an der sich auch die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege beteiligen, zeigen erste Erfolge. Die Verbände erinnern gleichzeitig an die zu geringe Finanzierung der Altenpflegeausbildung als wesentliches Hemmnis der Ausbildung und fordern das Problem endlich mit der Einführung von Umlageverfahren in allen Bundesländern zu lösen. Darüber hinaus ist die Schuldgeldfreiheit an privaten Altenpflegeschulen zu gewährleisten.



[1] siehe dazu <link http: ec.europa.eu europe2020 pdf nd csr2013_germany_de.pdf>COM (2013), 355 final, S.6 und COM (2014), S. 406 final, S. 7.

[2] Richtlinie 2014/24/EU vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe