1. Vorbemerkung
Die BAGFW bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme zum Entwurf der Strategischen Sozialberichterstattung 2016 und erkennt die Bemühungen der Bundesregierung an, den Prozess der Strategischen Sozialberichterstattung durch die Beteiligung aller Akteure transparent zu gestalten. In ihrer gemeinsamen Stellungnahme setzen die Wohlfahrtsverbände Schwerpunkte bei ausgewählten Berichtsthemen, so insbesondere bei den Themen Armutsbekämpfung und soziale Ausgrenzung. Die Wohlfahrtsverbände würden es sehr begrüßen, wenn in der Strategischen Sozialberichterstattung exemplarisch auch einige ihrer Aktivitäten dargestellt werden könnten. Hierzu werden im Folgenden einige Beispiele genannt.
2. Beiträge zur Erreichung der Ziele der Strategie EU 2020 im Bereich der Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung
Die in den letzten Jahren unterbreiteten Vorschläge der BAGFW zur Berücksichtigung von Indikatoren zur Messung von Fortschritten bei der Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung hat die Bundesregierung nicht aufgegriffen und fokussiert weiterhin die Reduzierung der Zahl der Langzeitarbeitslosen. Der Berichtsentwurf weist gerade in diesem Textabschnitt zahlreiche Wiederholungen zum Vorjahresbericht auf. Die BAGFW regt an, neue Aspekte aufzunehmen. Es sollte deutlicher herausgestellt werden, dass die Langzeitarbeitslosigkeit auch nach Auffassung des Bundesarbeitsministeriums ein weiterhin gravierendes ungelöstes Problem des deutschen Arbeitsmarkts darstellt. Trotz der günstigen Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklung zeigen sich in den letzten Jahren starke Verhärtungstendenzen auf hohem Niveau. Um einen vollständigeren Blick auf Armut und soziale Ausgrenzung zu erhalten, ist u. a. ein Blick auf den Anteil der Langzeitleistungsbeziehenden in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nötig. Mitte 2015 waren fast zwei Drittel der rund 6 Mio. Leistungsberechtigten in der Grundsicherung für Arbeitsuchende bereits seit zwei Jahren oder länger hilfebedürftig; fast die Hälfte von ihnen schon mindestens vier Jahre lang im Bezug von Sozialleistungen.
Die gute Entwicklung der Wirtschaft und am Arbeitsmarkt in Deutschland haben zuletzt zu keinem Rückgang der Armutsrisikoquote geführt, die im Indikatorenteil für das Jahr 2014 mit einem neuen Höchststand von 16,7 % angegeben wird.
Unter den im Berichtsentwurf genannten Förderprogrammen zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung begrüßt die BAGFW insbesondere den Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen (EHAP) und die partnerschaftliche Umsetzung mit der BAGFW.
Die Wohlfahrtsverbände kritisieren, dass die Bundesregierung es unterlässt, die Leistungslücken in der Sicherung des Existenzminimums zu schließen. Das Bundesverfassungsgericht hatte zuletzt im Juli 2014 kritische Bewertungen, etwa zu den Gefahren einer Unterdeckung der Regelbedarfe bei den Stromkosten, Mobilitätskosten und bei der Anschaffung von Haushaltsgegenständen vorgenommen, die bislang noch nicht in ein Gesetzgebungsverfahren eingemündet sind. Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege halten eine Neubemessung und Anhebung der Regelbedarfe für dringend erforderlich, um das Existenzminimum verlässlich zu sichern. Dazu fordern sie die Bundesregierung auf, die seit November letzten Jahres vorliegenden neuen Erkenntnisse der EVS 2013 zügig umzusetzen. Dringenden Handlungsbedarf sieht die BAGFW bei der Beseitigung von Benachteiligungen von Kindern und Jugendlichen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Die Umsetzung der neu eingeführten Leistungen zur Bildung und Teilhabe hat ihre Situation nicht grundlegend verbessert. Die Wohlfahrtsverbände fordern deshalb zügig weitere Korrekturen bei den Bildungs- und Teilhabeleistungen.
Zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit hat die Bundesarbeitsministerin am Jahresanfang 2015 die Umsetzung ihres Konzepts zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit mit dem Titel „Chancen eröffnen – soziale Teilhabe sichern“ eingeleitet und den fachlichen Austausch hierzu auch mit Vertreter/-innen der Wohlfahrtsverbände fortgesetzt. Im Herbst 2015 hat sie das Konzept um eine aktuelle Initiative mit dem Titel „Neustart in Deutschland – Gemeinsam stark“ erweitert. Darin wirbt die Ministerin gleichermaßen für bessere Arbeitsmarktchancen von Flüchtlingen wie auch für Langzeitarbeitslose. Bei der Konferenz „Chancen eröffnen – Soziale Teilhabe sichern“ am 3. März 2015 im Bundesarbeitsministerium haben die Wohlfahrtsverbände konkrete Vorschläge zur Gestaltung des neuen Programms „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“ und zur Beteiligung freier Träger an der Umsetzung der neuen „Netzwerke für Aktivierung, Beratung und Chancen“ in den Jobcentern vorgebracht. In einer Gesamtbetrachtung setzen sich die Wohlfahrtsverbände gegenüber der Bundesregierung dafür ein, unbedingt weitere Maßnahmen zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit zu unternehmen: Nach den Kürzungen in den vergangenen Jahren sind zusätzliche Finanzmittel in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nötig, damit die auch auf gesellschaftlichen Zusammenhalt zielende Initiative „Neustart in Deutschland –Gemeinsam stark“ der Bundesarbeitsministerin, sowohl Flüchtlingen als auch langzeitarbeitslosen Menschen zu einem beruflichen Neustart am Arbeitsmarkt verhelfen kann.
Nach Auffassung der Wohlfahrtsverbände müssen Langzeitarbeitslose wieder stärker an der aktiven Arbeitsmarktförderung beteiligt werden. Sie sind derzeit in der Arbeitsmarktförderung benachteiligt; denn nur jede(r) Zehnte hat im Jahr 2014 an einer Fördermaßnahme teilgenommen; und die rückläufige Förderung setzte sich auch im Jahr 2015 fort. Die Jobcenter sind personell unterbesetzt. Sie müssen mit einer ausreichenden Anzahl an qualifiziertem Personal ausgestattet werden, sodass ein intensiver Kontakt mit den Arbeitsuchenden und eine individuell unterstützende Förderung besser möglich wird.
Es müssen echte Chancen geschaffen und der Ausbau der Qualifizierungsangebote gefördert werden. Die Wohlfahrtsverbände begrüßen vor diesem Hintergrund die Zielsetzung des im November 2015 vorgelegten Entwurfs eines Arbeitslosenversicherungsschutz- und Weiterbildungsstärkungsgesetzes - AWSTG, das Verbesserungen bei der Weiterbildung von gering qualifizierten Arbeitnehmer/-innen und Arbeitslosen ermöglichen soll. Mehr als die Hälfte der Arbeitslosen (55,5 %) in der Grundsicherung für Arbeitsuchende kann aktuell keinen Berufsabschluss nachweisen. Allerdings sind nur 16 % aller Arbeitsstellen, die bei den Arbeitsagenturen und Jobcentern gemeldet sind, für Helfer- oder Anlerntätigkeiten ausgeschrieben. Nötig sind neue Bildungsinstrumente, die auf benachteiligte Personengruppen bzw. Personen mit mehreren Vermittlungshemmnissen zugeschnitten sind. So bedarf es z. B. modularer Angebote, die den Interessierten die Möglichkeit eröffnen, eine Ausbildung nach Bedarf zu unterbrechen oder zu verlängern. Auch während einer längeren Fortbildung muss der Lebensunterhalt verlässlich gesichert sein. Insofern gibt die BAGFW der Lebensunterhaltssicherung Priorität gegenüber der Einführung von Motivations- und Durchhalteprämien.
Die arbeitsmarktpolitischen Instrumente sind für eine bessere Förderung von arbeitsmarktfernen Personen weiterzuentwickeln. Das gilt insbesondere für die Arbeitsgelegenheiten, die Förderung von Arbeitsverhältnissen und die freie Förderung. Bereits Ende 2014 hatte das Bundesarbeitsministerium einen Diskussionsprozess über die Reform arbeitsmarktpolitischer Instrumente angekündigt. Aus Sicht der Wohlfahrtsverbände gilt es, gesetzliche Korrekturen zügig vorzunehmen.
Da die meisten arbeitsmarktpolitischen Instrumente der Vergabe unterliegen, ist es der BAGFW ein wesentliches Anliegen, die Vergabereform intensiv zu begleiten. Die Wohlfahrtsverbände plädieren angesichts der Erfahrungen mit der bisherigen Umsetzung bieterbezogener Erfolgs- und Qualitätskriterien dringend für Modifikationen. Die Betonung der Integrationsquote führt insbesondere dazu, dass nur noch die aussichtsreichsten Maßnahmeteilnehmer gefördert werden, der sogenannte Creaming-Effekt tritt ein. Solchen Effekten gilt es insbesondere vor dem Hintergrund der verfestigten Langzeitarbeitslosigkeit und unzureichenden Beteiligung dieser Personengruppe an der aktiven Arbeitsmarktpolitik entgegenzutreten. Gemeinsam mit den im „Bündnis für mehr Qualität in der Vergabe“ organisierten Gewerkschaften und Bildungsorganisationen haben die Wohlfahrtsverbände einen Vorschlag für eine Weiterentwicklung der bieterbezogenen Erfolgs- und Qualitätskriterien unterbreitet. Die Wohlfahrtsverbände begrüßen es sehr, dass hierzu unterdessen ein intensiver Dialog zwischen der Bundesagentur für Arbeit und den beteiligten Verbänden eingeleitet wurde, der seitens des Bundesarbeitsministeriums aktiv unterstützt wird.
Die Wohlfahrtsverbände verbindet die gemeinsame Wertehaltung, dass auch schwer vermittelbaren Arbeitslosen, die vom Arbeitsmarkt nicht aufgenommen werden, Teilnahmemöglichkeiten am Arbeitsmarkt durch ein Angebot einer sozialversicherungspflichtigen öffentlich geförderten Beschäftigung erhalten sollen. So können Personen ein Beschäftigungs- und Unterstützungsangebot zur sozialen Teilhabe erhalten, die aufgrund persönlicher Einschränkungen (z. B. gesundheitlicher Probleme, psychischer Belastungen) auch bei guter Vermittlung und Förderung absehbar nicht in Erwerbsarbeit integriert werden können. Das Programm „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“ ist für diese Zielsetzung ein kleiner, hilfreicher Baustein. Die Wohlfahrtsverbände fordern darüber hinaus den Ausbau der öffentlich geförderten Beschäftigung und die Erschließung von Finanzmitteln über den sogenannten „Passiv-Aktiv-Transfer“.
Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege wollen in ihren Einrichtungen und Diensten selbst gezielt Chancen auf Beschäftigung für Menschen eröffnen, die am Arbeitsmarkt benachteiligt sind (z. B. Menschen mit Schwerbehinderung, langzeitarbeitslose Menschen). Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege sehen es gleichermaßen als Ausdruck einer vorausschauenden Personalpolitik, wie auch ihrer gesellschaftlichen Verantwortung an, die unterschiedlichen Biographien, vielfältigen Potentiale und häufig sehr hohe Motivation dieser Menschen anzuerkennen und ihnen eine Beschäftigungschance zu eröffnen. Vor diesem Hintergrund haben die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege zusammengeschlossenen Wohlfahrtsverbände und die Bundesagentur für Arbeit eine Erklärung „Gemeinsam für Arbeit“ abgegeben. Die Wohlfahrtsverbände streben demnach an, die in ihren Organisationen zu besetzenden freien Arbeitsstellen und Ausbildungsplätze an die Agenturen für Arbeit zu melden und dabei Beschäftigungschancen auch für Personengruppen zu eröffnen, die ggf. zunächst der Unterstützung bedürfen.
3. Jüngste Reformen und politische Initiativen im Bereich der sozialen Inklusion
Die Verbände der BAGFW unterstützen in vielfältiger Weise die Erstaufnahme wie auch die Integration der Flüchtlinge in hunderten von Einrichtungen und sozialen Angeboten im Kontext der Erstaufnahme, von Beratung zum Asylverfahren und Sozialberatung. In allen Bereichen der sozialen Arbeit engagieren sich die Einrichtungen und Dienste der Wohlfahrtsverbände bei der Aufnahme der Flüchtlinge. Diese kann aktuell nur bewältigt werden aufgrund des sehr großen bürgerschaftlichen Engagements zahlreicher ehrenamtlicher Helferinnen und Helfer. Für die Verbände kommt daher aktuell auch der Qualifizierung und Koordinierung des ehrenamtlichen Engagements große Bedeutung zu. Sie führen dazu gemeinsam mit finanzieller Unterstützung der Integrationsbeauftragten des Bundes das bundesweite Programm zur Unterstützung der ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe mit dem Titel „Koordinierung, Qualifizierung und Förderung der ehrenamtlichen Unterstützung von Flüchtlingen“ durch. Alle Wohlfahrtsverbände haben ihr Engagement zur Unterstützung der Flüchtlinge und zur Förderung der ehrenamtlichen Begleitung der Flüchtlinge weiter ausgebaut. Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege stellen ihre Kompetenzen, ihr Know-how und ihre verbandlichen Strukturen zur Verfügung, indem sie bspw. Freiwilligenbeauftragte, Freiwilligen-Agenturen und Koordinierungsstellen für das bürgerschaftliche Engagement bereithalten oder organisieren. Sie sind Anlaufstelle für Fragen zum bürgerschaftlichen Engagement und vermitteln Informationen zu relevanten Einrichtungen und Ansprechpartnern.
Im Dezember 2015 haben die Verbände eine “Aktuelle Standortbestimmung zu den Herausforderungen der Aufnahme und Integration von Geflüchteten“ veröffentlicht, in der sie den konkreten Handlungsbedarf in zentralen Bereichen wie etwa Kinder- und Jugendhilfe und Schule, Zugang zu Ausbildung und Arbeitsmarkt, Wohnen, Gesundheit, Zusammenleben in Deutschland, bürgerschaftliches Engagement und Beratungsstrukturen, benennen. Sie betonen, dass es aus ihrer Sicht notwendig ist, dass der Aufnahme der Flüchtlinge so früh wie möglich Angebote der Integration folgen, die allen offenstehen, die sich voraussichtlich länger in Deutschland aufhalten. Niemand sollte von Teilhabe und Integration ausgeschlossen werden.
Auf den deutlichen Anstieg der Flüchtlingszahlen hat die Bundesregierung einerseits mit einer Aufstockung der Ressourcen für die Aufnahme und Integration reagiert, andererseits mit Gesetzesänderungen. Leider wurde den Verbänden dabei kaum eine Möglichkeit der ausführlichen Kommentierung eingeräumt. Das im Oktober in Kraft getretene Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz sieht für Personen mit Bleibeperspektive eine Reihe von Verbesserungen vor (u.a. Zulassung zu Integrationskursen, Ausbau der Sprachkursangebote der BA, frühere Integration in den Arbeitsmarkt). Andererseits werden Personen aus den dazu erklärten „Sicheren Herkunftsländern“ von diesen Angeboten und vom Arbeitsmarkt dauerhaft ausgeschlossen. Generell wird der Druck auf Personen, deren Asylverfahren negativ entschieden wurde, vergrößert (u.a. durch Leistungskürzungen, leichtere Abschiebung). Dass Asylsuchende bis zu 6 Monaten in den Erstaufnahmen verbeiben müssen, bedeutet für alle davon Betroffenen faktisch die Verlängerung des Arbeitsverbots.
Die Änderungen im Bereich des AsylbLG sehen gravierende Einschränkungen hinsichtlich des Umfangs der zu gewährenden Leistungen für bestimmte Personengruppen vor. Betroffen von diesen Einschränkungen sind zukünftig vollziehbar Ausreisepflichtige, für die der Ausreisetermin und die Ausreisemöglichkeit feststehen. Sie erhalten ab dem auf den Ausreisetermin folgenden Tag nur noch Leistungen zur Deckung ihres Bedarfs an Unterbringung und Ernährung einschließlich Heizung sowie Körper– und Gesundheitspflege, es sei denn, die Ausreise kann aus von ihnen nicht zu vertretenen Gründen nicht durchgeführt werden. Betroffen von den Leistungseinschränkungen sind zudem Asylsuchende und Ausreisepflichtige, für die – abweichend von der Dublin III Verordnung – nach der Verteilung durch die Europäische Union ein anderer Mitgliedsstaat der EU oder ein Drittstaat zuständig ist. Darüber hinaus sollen die Leistungen nach dem AsylbLG zukünftig wieder in deutlich größerem Umfang als Sachleistungen – anstelle von Barleistungen – gewährt werden. Dies gilt nicht nur verpflichtend während der Unterbringung in einer Erstaufnahmeeinrichtung, sondern – in abgeschwächter Form – auch bei der Unterbringung in den Gemeinschaftsunterkünften vor Ort.
Nachdem bisher die Erstaufnahme der Flüchtlinge und die Vermeidung von Obdachlosigkeit im Fokus standen, kommt ab 2016 der Integration der Flüchtlinge, ihrer Teilhabe im Bildungsbereich und am Arbeitsmarkt immer größere Bedeutung zu. Damit diese gelingen kann, müssen nicht nur rechtliche Hürden, wie etwa das Vorrangprinzip beim Zugang zum Arbeitsmarkt beseitigt werden, sondern auch deutlich mehr Mittel für die soziale Infrastruktur (Kita, Schule etc.) zur Verfügung gestellt werden.
Die BAGFW begrüßt die Aufnahme des von ihr angeregten Berichtspunktes „Jugendberufsagentur“. Für die Betreuung und Unterstützung von benachteiligten Jugendlichen am Übergang von der Schule in den Beruf sind Arbeitsagenturen, Jobcenter und Jugendämter gemeinsam zuständig. Jugendberufsagenturen sollen ausgebaut und weiterentwickelt werden, um die Leistungen nach dem SGB II, SGB III und SGB VIII für unter 25-Jährige zu bündeln. Die Bundesregierung hat frühzeitig erklärt, dass sie keine bestimmte Definition der „Jugendberufsagentur“ verwendet und sie von einer flächendeckenden Einführung bereits ausgeht, wenn in sämtlichen Arbeitsagentur-/Jobcenterbezirken Kooperationen bestehen, die einen Beitrag zur Koordination der Schnittstellen zwischen SGB II, SGB III und SGB VIII für unter 25-Jährige leisten können. Es sind keine finanziellen Mittel für die Förderung von Arbeitsbündnissen oder Jugendberufsagenturen vorgesehen. In Abstimmung zwischen dem BMAS und dem Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge wurden im Jahr 2015 außerdem allgemeine Empfehlungen „Erfolgsmerkmale guter Jugendberufsagenturen – Grundlage für ein Leitbild“ formuliert.
Notwendig ist unbedingt ein Ausbau von Angeboten, damit alle jungen Menschen eine Berufsausbildung beginnen und abschließen können. Denn erneut belegt die Ausbildungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit, dass nach wie vor viele junge Menschen kaum Chancen auf einen Ausbildungsplatz haben. Über 20.000 Ausbildungssuchende sind unversorgt, während auf der anderen Seite 41.000 Ausbildungsplätze unbesetzt blieben.
Die Verbände begrüßen die gesetzliche Einführung der Assistierten Ausbildung als neues Förderinstrument zur betrieblichen Ausbildung benachteiligter junger Menschen. Die ersten Umsetzungserfahrungen zeigen jedoch, dass die Ausschreibungsbedingungen der Bundesagentur für Arbeit flexible und zugleich verlässliche Angebotsstrukturen erschweren. So war bei der Vergabe häufig der Preis und nicht die Qualität des eingereichten Angebots ausschlaggebend. Zur Stärkung gewachsener Netzwerkstrukturen in den Regionen/Bundesländern sollte die Bundesagentur für Arbeit die Länder darin unterstützen, mit ihr gemeinsam regionale bzw. länderspezifische Konzepte der Assistierten Ausbildung zu entwickeln. Zudem sind eine sorgfältige Begleitung der Umsetzung und eine wissenschaftliche Evaluation unbedingt erforderlich.
Zur Weiterentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende wurde Ende Oktober 2015 der Referentenentwurf eines Neunten SGB II-Änderungsgesetzes – sog. Rechtsvereinfachung im SGB II - veröffentlicht. Die BAGFW hatte bereits im Oktober 2014 eine Bewertung des veröffentlichten Abschlussberichts der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Rechtsvereinfachung im SGB II vorgenommen. Die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege sehen in dem Gesetzentwurf positive Ansätze zur Entbürokratisierung der Verwaltungspraxis der Jobcenter, so z. B. die regelhafte Verlängerung des Bewilligungszeitraums auf zwölf Monate. Der Gesetzentwurf lässt jedoch viele Chancen ungenutzt, seit längerem diskutierte, sinnvolle Maßnahmen zur Verwaltungsvereinfachung umzusetzen, die Erleichterungen für die Betroffenen bringen würden. Hierzu zählt insbesondere, die Leistungen zur Bildung und Teilhabe bundesweit über einen Globalantrag besser zugänglich zu machen. Die Wohlfahrtsverbände wenden sich entschieden gegen die Neuerungen, die eine Verwaltungsvereinfachung für die Leistungsträger auf Kosten der Leistungsberechtigten bringen sollen. Beispielhaft genannt sei hier die stark eingeschränkte rückwirkende Korrektur von fehlerhaften Verwaltungsakten. Die avisierte neue gesetzliche Möglichkeit, eine Gesamtangemessenheitsgrenze für Unterkunft und Heizung zu bilden und hierbei eine größere Flexibilität bei der Wohnungssuche und der Feststellung der Angemessenheit zu erreichen, stehen starke Bedenken aus der Beratungspraxis und der Rechtsprechung hinsichtlich Praktikabilität und Bedarfsdeckung gegenüber.
Auf scharfe Kritik der BAGFW stößt der Verzicht auf die Umsetzung der mehrheitlich von der Bund-Länder-AG vorgelegten Vorschläge zur Reform des Sanktionsrechts. Reformen im Sanktionsrecht, wie die Abschaffung der schärferen Sanktionsregelungen für unter 25-Jährige sowie die Begrenzung der Sanktionshöhe auf nicht mehr als ein Drittel des Regelsatzes und der Verzicht auf Sanktionen bei den Kosten der Unterkunft entsprechen einer langjährigen Forderung der BAGFW und werden auch vom Deutschen Verein und der Bundesagentur für Arbeit vorgetragen. Reformen im Sanktionsrecht bei unter 25-Jährigen wären besonders zielführend, um das neu aufgelegte Pilotprojekt RESPEKT zu flankieren. Nach zahlreichen Praxiserfahrungen aus den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege führen die besonders scharfen Sanktionen bei unter 25-Jährigen vielfach dazu, dass Jugendliche und junge Erwachsene sich vom Arbeitsmarkt zurückziehen, nur schwer durch Sozialarbeit wieder zu erreichen sind und in weitere soziale Ausgrenzungsprozesse geraten.
Verbesserung der Teilhabe von Menschen mit Behinderung
Es ist grundsätzlich zu begrüßen, dass die „Initiative Inklusion“ evaluiert werden soll und hierfür Ressourcen bereitgestellt werden. Allerdings hätte aus Sicht der BAGFW die geplante Ergebnisevaluation als Prozessevaluation parallel zur Umsetzung erfolgen müssen, um die Erkenntnisse bei der Sicherung zum Beispiel des beruflichen Orientierungsverfahrens für schwerbehinderte Jugendliche nutzen zu können. Das berufliche Orientierungsverfahren konnte bisher nicht als Rechtsanspruch im SGB IX gesichert werden. Bis heute fehlen bundesweit geltende verbindliche Vorgaben für die Kooperation der Beteiligten an der Schnittstelle Schule - Beruf, weil Bildung Länderhoheit, die Schulträger keine Rehabilitationsträger im Sinne des SGB IX sind und berufliche Förderung Aufgabe der Arbeitsagenturen ist. Somit kommt keine Kontinuität in diese Maßnahme, denn bestehende Netzwerke werden in Frage gestellt und sind immer wieder neu zu knüpfen. Für die Umsetzung des Beruflichen Orientierungsverfahrens braucht es einen Rechtsanspruch für die Betroffenen, ressortübergreifend Kriterien für die Gestaltung des Übergangs, eine fachübergreifende institutionsunabhängige Beratung und Begleitung sowie die verbindliche Einbeziehung der Schulträger in die Regelungen des SGB IX (z. B. §§ 10 ff.).
Im Koalitionsvertrag wurde 2013 vereinbart, dass die Kommunen im Rahmen der Verabschiedung des Bundesteilhabegesetzes im Umfang von fünf Milliarden Euro jährlich von der Eingliederungshilfe entlastet werden sollten. Das Bundeskabinett hat im Rahmen seiner Haushaltsplanungen im März 2015 beschlossen, die Entlastung der Kommunen nicht im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes vorzunehmen. Aus Sicht der BAGFW benötigt ein modernes Teilhaberecht finanzielle Ressourcen, denn nur so lassen sich verlässliche Rahmenbedingungen und gesellschaftliche Teilhabechancen von Menschen mit Behinderung menschenrechtskonform im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention verwirklichen.
Die Verbände der BAGFW begrüßen, dass der Behinderungsbegriff neu gefasst und aus der UN-Behindertenrechtskonvention übernommen werden soll. Der Behinderungsbegriff muss sowohl im Behindertengleichstellungsgesetz als auch im Bundesteilhabegesetz vollumfänglich aus der UN-Behindertenrechtskonvention übernommen werden. Bei der Festlegung der Teilhabebeeinträchtigung müssen alle Aktivitäts- und Teilhabebereiche der ICF zur Anwendung kommen.
Die BAGFW begrüßt ausdrücklich, dass im Zuge eines neu zu schaffenden Bundesteilhabegesetzes die Stärkung der „unabhängigen Fachberatung“ als zentrales Anliegen benannt wird und sich der Bund an dieser Aufgabe beteiligen will. Aus Sicht der BAGFW wäre jedoch an Stelle einer institutionellen Förderung die Verankerung des Rechtsanspruchs auf Beratung im neuen Bundesteilhabegesetz notwendig. Qualifizierte Beratung kann nicht ehrenamtlich geleistet werden. Sie darf auch nicht auf den Ansatz des „peer-counselling“ reduziert werden. Beratung ist angemessen zu finanzieren und als eigene Leistungsart in das Bundesteilhabegesetz aufzunehmen. Als Anbieter von Beratungsleistungen müssen Leistungserbringer, Leistungsträger, Verbraucherzentralen, Freie Wohlfahrtspflege, Behindertenverbände und Verbände der Selbsthilfe in Frage kommen. Beratungsleistungen sind ausschließlich den Interessen der zu beratenden Person verpflichtet und mit entsprechenden Qualitäts- und Fachstandards zu versehen.
Ebenfalls zu begrüßen ist, dass das allgemeine Verfahrensrecht für die Rehabilitationsträger zusammengefasst und abweichungsfest gestaltet werden soll, um Teilhabe- und Rehabilitationsleistungen wie aus einer Hand zu gewähren. Allerdings sollen auch „ergänzende Spezifika“ der einzelnen Leistungsträger in den jeweiligen Leistungsgesetzen geregelt werden. Feststellungsverfahren und Teilhabeplanung bestimmen maßgeblich über gleichwertige Zugangschancen und Lebensverhältnisse von Menschen mit Behinderungen im Rahmen der gesellschaftlichen Teilhabe. Deshalb spricht sich die BAGFW für eine konsequente Stärkung und Umsetzung der Selbstbestimmungs- und Partizipationsrechte von Menschen mit Behinderungen im Verfahren aus. Die BAGFW hält es daher für erforderlich, bundeseinheitliche Kriterien bzw. Standards zur Teilhabebedarfsfeststellung und Teilhabeplanung gesetzlich festzulegen.
Zu begrüßen ist auch, dass die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung als eigenständiges Leistungsgesetz integraler Bestandteil des SGB IX werden soll.
Das Herauslösen der Eingliederungshilfe aus dem Fürsorgesystem wird jedoch erst erreicht, wenn eine echte Abkehr vom sozialhilferechtlichen Prinzip und Grundansatz erfolgt. Die BAGFW vertritt die Auffassung, dass das in einem Bundesleistungsgesetz zu verankernde Prinzip des Nachteilsausgleichs nicht mehr mit dem in der Sozialhilfe geltenden Bedürftigkeitsprinzip vereinbar ist. Insofern sollen weder der Leistungsberechtigte noch sein Ehepartner und/oder seine Angehörigen mit seinem/ihrem jeweiligen Einkommen und Vermögen zu den Teilhabeleistungen herangezogen werden können.
Das BMAS hat stets betont, dass ein modernes Bundesteilhabegesetz für Menschen mit Behinderungen unter Berücksichtigung der UN-Behindertenrechtskonvention geschaffen werden soll. Die Vorlagen des BMAS zur Schaffung eines neuen Teilhaberechts nehmen zwar immer wieder Bezug auf die UN-Behindertenrechtskonvention. Sie bleiben jedoch insgesamt weit hinter den Erwartungen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und damit auch hinter den Concluding Observations vom April dieses Jahres zurück.
3.2 Investitionen in Kinder
Die Kindertagesbetreuung hat unzweifelhaft in den letzten Jahren eine rasante Entwicklung erfahren. Diese umfasst nicht nur den quantitativen und qualitativen Ausbau des Betreuungsangebots, insbesondere für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr, sondern auch die pädagogischen und sozialpolitischen Anforderungen an das frühkindliche Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungssystem, etwa bei der besonderen Förderung von Kindern in Armutslagen, der Umsetzung von Inklusion oder der Integration von Kindern mit Fluchterfahrungen und deren Familien.
Zum Stichtag 1. März 2015 standen für Kinder unter drei Jahren 693 343 Plätze in einer Kindertageseinrichtung oder bei einer Tagesmutter bzw. einem Tagesvater zur Verfügung. Das entspricht einer Betreuungsquote von 32,9 Prozent für diese Altersklasse. Insgesamt nahmen in Deutschland 2015 mehr als 2,6 Millionen Kinder unter sechs Jahren einen Betreuungsplatz in einer Kindertageseinrichtung oder Kindertagespflege in Anspruch. Ungeachtet dessen entspricht das Platzangebot vielerorts nach wie vor nicht dem vorhandenen Bedarf. Gut zwei Drittel des Betreuungsangebots wird über freie Träger der Jugendhilfe bereitgestellt.
Um den notwendigen Ausbau der Kindertagesbetreuung, sowohl quantitativ als auch qualitativ sowie die verschiedenen Anforderungen und Erwartungen an das frühkindliche Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungssystem zu unterstützen, hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auch in 2015 verschiedene Bundesprogramme aufgelegt sowie Initiativen gestartet.
Bereits im November 2014 haben sich Bund, Länder und Kommunen auf ein gemeinsames Communiqué „Frühe Bildung weiterentwickeln und finanziell sichern“ verständigt und dabei Bereiche identifiziert, in denen konkrete Qualitätsziele für den frühkindlichen Bildungsbereich vereinbart werden sollen. Um sich auf Ziele verständigen zu können, wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt, an der neben Vertreter/-innen von Bund, Ländern und Kommunen u. a. auch die Verbände der BAGFW und andere Organisationen über eine gesonderte Expertengruppe beteiligt sind. Ende 2016 soll die Arbeitsgruppe einen ersten Bericht vorlegen. Die Beratungen in der Arbeitsgruppe finden unter der Hinzuziehung externer Expertise statt und wurden Ende 2015 um das Thema „Integration und Förderung von Flüchtlingskindern und ihrer Familien“ ergänzt.
Aus Sicht der BAGFW ist die Weiterentwicklung der Qualität in der Kindertagesbetreuung unverzichtbar, um den umfassenden Anforderungen und Erwartungen an das frühkindliche Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungssystem Rechnung zu tragen. Hierzu müssen die Rahmenbedingungen in den Kindertageseinrichtungen deutlich verbessert werden. Vor diesem Hintergrund betrachtet die BAGFW Entwicklungen, die auf eine Reduzierung von Standards zur Kompensation des ungedeckten Platzangebots ausgerichtet sind, mit Sorge. Eine Reduzierung von Standards läuft aus Sicht der BAGFW den aktuellen Anforderungen und Erwartungen an die Kindertagesbetreuung – etwa bei der Umsetzung von Inklusion oder der Förderung von Kindern mit Fluchterfahrungen - zuwider und steht im Gegensatz zur gebotenen Verbesserung der Qualität der frühkindlichen Bildung, Erziehung und Betreuung.
Die BAGFW bewertet die aktuellen Bundesprogramme, wie beispielsweise „KitaPlus“ oder „Sprach-Kitas: Weil Sprache der „Schlüssel zur Welt ist“ insgesamt positiv, hält diese Art der punktuellen Förderung aber nicht für ausreichend, um die Qualität in der Kindertagesbetreuung nachhaltig zu verbessern und weiterzuentwickeln. Vielmehr ist aus Sicht der BAGFW grundsätzlich über eine stärkere Beteiligung des Bundes an der Finanzierung des frühkindlichen Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungssystems nachzudenken. Die Zurverfügungstellung der aus dem Wegfall des Betreuungsgeldes bis 2018 frei werdenden Mittel sowie das dritte Investitionsprogramm für Länder und Kommunen reichen angesichts der steigenden Ausgaben für die Kindertagesbetreuung sowie mit Blick auf die notwendigen Qualitätsverbesserungen – insbesondere bei den Rahmenbedingungen - aus Sicht der BAGFW bei weitem nicht aus.
3.3 Obdachlosigkeit, inklusives und bezahlbares Wohnen
Die Bereiche Obdachlosigkeit, inklusives Wohnen und bezahlbares Wohnen treffen bzw. überschneiden sich an der Frage der Schaffung und des Zur-Verfügung-Stellens von angemessenem Wohnraum. Darüber hinaus haben diese drei Bereiche kaum Berührungspunkte und sollten jeweils einzeln bearbeitet und mit entsprechenden zielgenauen Maßnahmen hinterlegt werden.
Personen, die in der Bundesrepublik Deutschland von Obdachlosigkeit betroffen sind, werden häufig weitere Merkmale zugeordnet, die den Zugang zu angemessenem Wohnraum be- bzw. verhindern. Hierzu gehören neben der materiellen Armut bspw. psychische Erkrankungen, Flucht-/Migrationshintergrund, Verschuldung, der Alleinerziehenden-Status oder fehlende Erwerbsarbeit.
Maßnahmen gegen Obdachlosigkeit sind nicht auf die Zielgruppe junger Erwachsener zu begrenzen.
Die Verbindung von inklusivem und bezahlbarem Wohnen mit Maßnahmen der Digitalisierung greift zu kurz und ist nicht zielgenau. Digitalisierung kann den Verbleib in der vertrauten Häuslichkeit erleichtern, leistet aber keinen Beitrag zur gesellschaftlichen/sozialen Inklusion der Menschen.
Der Erhalt und die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum in Großstädten und Wachstumsregionen ist seit längerer Zeit ein drängendes gesellschaftliches Thema. Durch die Herausforderung, hunderttausende Flüchtlinge kurzfristig mit geeignetem Wohnraum zu versorgen, wird sich die Problematik noch verschärfen. Die Bundesregierung hat zur Bewältigung der Herausforderungen ein „Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen“ ins Leben gerufen, in dem neben dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit die Immobilienwirtschaft, Gewerkschaften, Mietervertreter und Wohlfahrtsverbände zusammenkamen, um gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Das Bündnis beschloss seine Tätigkeit im November 2015 mit der Vorstellung eines 10-Punkte-Programms. Die BAGFW erkennt hierin ein wichtiges Signal, dem nun konkrete Maßnahmen folgen müssen, um tatsächlich eine Wohnungsbauoffensive im Sinne von auf dem Wohnungsmarkt benachteiligten Bevölkerungsgruppen in Gang zu bringen. Klar ist für die BAGFW dabei, dass die öffentliche Hand verstärkt in den Ausbau des sozialen Wohnungsbaus investieren muss. Der Staat ist hier massiv gefordert, damit auf allen Ebenen geeignete Vorgaben gemacht und Rahmenbedingungen sowie Anreize geschaffen werden und tatsächlich auch mehr bezahlbarer Wohnraum dort entsteht, wo er benötigt wird. Eine Wohnungsbauoffensive wird darüber hinaus nur dann gelingen, wenn die wesentlichen Akteure – Wohnungswirtschaft, Kommunen und Freie Wohlfahrtspflege -einen förderlichen Rahmen für eine dauerhafte Kooperation im Feld der Stadtentwicklung vorfinden.
Der Entwurf der Strategischen Sozialberichterstattung benennt die Wohngeldreform zum 1.1.2016. Die BAGFW hofft, dass durch die Erhöhung des Wohngeldes auch zahlreiche Leistungsberechtigte den Leistungsbezug in der Grundsicherung für Arbeitsuchende überwinden werden. Dennoch kritisieren die Verbände, dass erneut kein Dynamisierungsmechanismus ins Wohngeld implementiert wurde. Zudem wäre die Wiedereinführung einer Heizkostenpauschale wünschenswert gewesen.
4. Jüngste Reformen zur Erreichung von angemessenen und nachhaltigen Renten
Ein wichtiges politisches Anliegen der BAGFW ist es, Altersarmut vorzubeugen. Dazu gehört auch, verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit zu bekämpfen und sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu fördern.
Die BAGFW begrüßt die Beiträge der Bundesregierung, die dazu dienen, Absicherungslücken in Erwerbsbiographien zu schließen. Die verbesserte rentenrechtliche Bewertung von Erziehungszeiten für vor 1992 geborene Kinder ist ein erster Beitrag dazu.
Die bisher eingeleiteten Schritte der Bundesregierung haben jedoch nicht wesentlich zur Stärkung der Gesetzlichen Rentenversicherung beigetragen. Die im Entwurf des Sozialberichts benannte Rentenerhöhung zur Jahresmitte 2015 kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass immer mehr Menschen fürchten, im Alter nicht ausreichend abgesichert zu sein. Die steigende Zahl der Grundsicherungsberechtigten im Alter und das Wachstum des Armutsrisikos im Alter belegen, dass diese Befürchtungen nicht unberechtigt sind. Mit 15,6 Prozent liegt die Armutsgefährdungsquote unter Rentnern erstmals über der Durchschnittsquote, die das Bundesamt für Statistik (Destatis) für 2014 mit 15,4 Prozent berechnet hat. Der Rentenversicherungsbericht 2016 weist aus, dass das Sicherungsniveau der Rentenversicherung 2014 bei 48,1 Prozent lag, bis 2029 voraussichtlich auf 44,6 Prozent absinken wird.
Auch Aspekte der Prävention und Rehabilitation wurden von den bisherigen Initiativen der Bundesregierung unzureichend berücksichtigt. Diese sollten jedoch weiter gestärkt werden, um die Kluft zwischen tatsächlichem und gesetzlichem Renteneintritt weiter zu verringern und dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.
Gerade vor diesem Hintergrund bewertet die BAGFW die eingeführte Rente ab 63 kritisch. Sie privilegiert männliche Versicherte mit ununterbrochenen Erwerbsbiographien und überdurchschnittlichen Rentenansprüchen zusätzlich, während Beschäftigte in Erziehungs- und Pflegeberufen schon aufgrund der nicht berücksichtigungs-fähigen Ausbildungszeiten häufig nicht einmal theoretisch von dieser Regelung profitieren können.
Der Gesetzgeber hat mit der Einführung der Riester-Rente durch das Altersvermögensgesetz (AVmG) 2002 die Erwartung verbunden, dass die steuerliche Förderung der privaten Absicherung dazu führt, Einkommensverluste im Alter durch ein sinkendes Rentenniveau ausgleichen zu helfen. Diese Erwartung hat sich nicht erfüllt. Neue wissenschaftliche Studien zeigen, dass Geringverdiener, die in besonderem Maße auf die zusätzliche Vorsorge angewiesen wären, unterdurchschnittlich Vorsorge betreiben, während einkommensstärkere Menschen die mit etwa 3 Milliarden Euro jährliche geförderte private Vorsorge überproportional als zusätzliche Anlagemöglichkeit nutzen. Etwa ein Fünftel der abgeschlossenen Verträge ist schon heute „ruhend“ gestellt, d. h. es erfolgen keine Einzahlungen mehr. Niedrige Renditen, hohe Verwaltungskosten, intransparente Versicherungsbedingungen und Sterbetafeln sowie eingeschränkte Wechselmöglichkeiten verringern die Attraktivität der bestehenden privaten Vorsorge.
Das Zusammenspiel der bestehenden Säulen hat sich damit grundlegend anders entwickelt, als der Gesetzgeber 2002 beabsichtigt und erwartet hat. Aus diesem Grund muss das System der Alterssicherung in den Blick genommen und verändert werden, um Altersarmut weitestgehend reduzieren zu helfen.
Die BAGFW fordert vor diesem Hintergrund die Stärkung der der Grundsicherung vorgelagerten Sicherungssysteme und die Stärkung der tatsächlichen Möglichkeiten zu eigener Vorsorge. Die Integration in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ist ein besonderes Anliegen der BAGFW. Gerade bei der Bekämpfung verfestigter Langzeitarbeitslosigkeit sind aus Sicht der BAGFW weitere Anstrengungen notwendig (siehe auch oben).
Das Sicherungsniveau der Gesetzlichen Rentenversicherung ist zu stärken und zu stabilisieren. Die BAGFW fordert, Kindererziehungs- und Pflegezeiten aus Steuermitteln zu finanzieren.
Die BAGFW fordert darüber hinaus, dass die Grundsicherung im Alter bedarfsgerecht ausgestaltet wird. Die BAGFW fordert ferner, angemessene Freibeträge in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für eigene Altersvorsorgeleistungen festzuschreiben, um weitere Anreize für die eigene Vorsorge der Versicherten zu gewährleisten.
5. Jüngste Reformen im Gesundheitswesen
Das Bundesministerium für Gesundheit hat im Verlauf des Jahres 2015 eine Reihe weitreichender Gesetze zur pflegerischen und medizinischen Versorgung auf den Weg gebracht, die von den Wohlfahrtsverbänden zum Teil kritisch begleitet wurden.
Das Hospiz- und Palliativgesetz hat wesentliche Rahmenbedingungen für eine Verbesserung der hospizlichen und palliativen Versorgung in Deutschland geschaffen. Zu begrüßen ist vor allem die Verbesserung der Finanzierungsgrundlage der stationären Hospize und der ambulanten Hospizdienste. Des Weiteren wird die allgemeine pflegerische Palliativversorgung (AAPV) in der Regelversorgung durch eine Erweiterung der Richtlinie zur Verordnung häuslicher Krankenpflege aufgebaut und fortentwickelt. Entschieden zu kurz greift das Gesetz jedoch in Bezug auf die palliative und hospizliche Versorgung von Menschen in vollstationären Pflegeeinrichtungen. Ziel muss es sein, mehr Personal und Ressourcen für eine gute Palliativversorgung und hospizliche Sterbebegleitung im Pflegeheim zur Verfügung zu stellen. Zugleich dürfen die Heimbewohnerinnen und Heimbewohner nicht weiter durch steigende Eigenanteile in Folge einer Verteuerung der Pflegesätze durch höhere Personalkosten belastet werden.
Das Krankenhausstrukturgesetz ist mit dem Anspruch verbunden, die Krankenhausplanung stärker auf die Qualität der Versorgung auszurichten und einen Ausgleich zwischen strukturschwachen und strukturstarken Regionen zu erreichen. Zentrale Themen des Krankenhausstrukturgesetzes sind neben der Qualitätssicherung, die Krankenhausplanung und die Sicherung der Finanzierung der Betriebskosten. Die Wohlfahrtsverbände begrüßen, dass aufgrund bundesweiter Proteste erreicht werden konnte, dass die ursprünglich im Gesetz vorgesehenen Kürzungen vom Gesetzgeber nicht weiter verfolgt wurden. Somit werden die 500 Millionen Euro aus dem Versorgungszuschlag in den Krankenhäusern verbleiben. Die Rahmenbedingungen für die Refinanzierung der Personalkosten werden damit deutlich verbessert. Auch die Förderprogramme für die Einstellung von Pflegekräften und Hygienepersonal sind aus Sicht der Wohlfahrtsverbände wichtige Schritte zur Verbesserung der Situation in den Kliniken.
Keine Verbesserungen erzielt das Krankenhausstrukturgesetz hingegen bei der unzureichenden Investitionsfinanzierung durch die Länder. Allein im letzten Jahr sind die Länder den Kliniken rund 3,3 Milliarden Euro schuldig geblieben. Hier sehen die Wohlfahrtsverbände nach wie vor Handlungsbedarf.
Das Präventionsgesetz ist ein Artikelgesetz, das ab 2016 Maßnahmen und Leistungen zur Vermeidung von Krankheiten, zur Gesundheitsförderung und zur Früherkennung von Krankheiten umsetzt. Ziel des Gesetzes ist es, insbesondere die sozial bedingte gesundheitliche Chancenungleichheit zu vermindern. Die Wohlfahrtsverbände begrüßen diese Zielsetzung ausdrücklich. Die Leistungen der Krankenkassen zur Prävention und Gesundheitsförderung werden ab 2016 mehr als verdoppelt, der Lebenswelten-Ansatz wird gestärkt. Zusammen mit dem Beitrag der Pflegekassen stehen damit künftig rund 511 Millionen Euro pro Jahr für präventive und gesundheitsfördernde Leistungen bereit.
Die BAGFW strebt auf Basis der Bundesrahmenempfehlungen der Nationalen Präventionskonferenz eine Kooperationsvereinbarung mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in Bezug auf die fachliche Weiterentwicklung von Projekten und Ansätzen der Gesundheitsförderung an. Als wesentliche Akteure in den Lebenswelten (z. B. Kindertagesstätten, Einrichtungen der Jugend-, Behinderten- und Altenhilfe) ist eine künftige Beteiligung und inhaltliche Einbindung der Wohlfahrtsverbände sinnvoll und zielführend. Die Wohlfahrtsverbände erachten es zudem als erforderlich, dass Gesundheitsförderung und Prävention stärker als gesellschaftliche Querschnittsaufgaben angesehen und künftig weitere Bereiche der Sozialpolitik in die Maßnahmenplanungen einbezogen werden.
6. Jüngste Reformen in der Langzeitpflege
Im Berichtszeitraum hat die Bundesregierung u. a. mit einer Vorziehregelung zur Anpassung der Richtlinien zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit sowie mit dem zweiten Pflegestärkungsgesetz den Weg für die Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs geebnet.
Die BAGFW hat die Vorziehregelung mit dem Präventionsgesetz in ihrer Stellungnahme und im Anhörungsverfahren des Gesundheitsausschusses ausdrücklich gelobt, da sich so die Erarbeitung und Fertigstellung der Begutachtungs-Richtlinien durch den GKV-Spitzenverband an dem in der Roadmap genannten zeitlichen Rahmen orientieren und doch zügig nach Einführung des Neuen Begutachtungsassessments (NBA) mit dem neuen Instrument begutachtet werden kann. Ferner hatte die BAGFW darauf hingewiesen, dass vor einer Bearbeitung der Richtlinien die Grundsatzentscheidung getroffen werden muss, ob die gegenwärtige Trennung der Pflegebedürftigkeits-Richtlinien (PfLRI) und der Begutachtungs-Richtlinien (BRi) beibehalten werden soll.
Die im Rahmen der letzten Sozialberichterstattung in Aussicht gestellte Erhöhung der
Leistungen der sozialen Pflegeversicherung um rund 20 % (fast fünf Milliarden Euro) in dieser Wahlperiode wurde mit dem zweiten Pflegestärkungsgesetz vollständig umgesetzt. Im Zuge dieses Gesetzgebungsverfahrens hat die BAGFW begrüßt, dass mit Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und des Neuen Begutachtungsinstruments der notwendige Paradigmenwechsel in der Pflegeversicherung endlich eingeleitet wird. Damit wird die seit 20 Jahren bestehende systemisch bedingte Ungleichbehandlung von somatisch und kognitiv beeinträchtigten Menschen aufgehoben. Pflegerische Betreuungsmaßnahmen werden als neue gleichrangige Leistung ins SGB XI eingeführt und stehen künftig allen pflegebedürftigen Menschen zur Verfügung. Die alte defizitorientierte Sichtweise auf Pflege wird abgelöst durch ein neues Verständnis von Pflege, das den Blick auf die noch bestehenden Fähigkeiten und Ressourcen lenkt, um die Selbständigkeit der Person zu erhalten oder wieder herzustellen. Prävention und Rehabilitation rücken somit in den Vordergrund. Die BAGFW hat sich in der Anhörung auf der Ministeriumsebene, in der Anhörung im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages und in zahlreichen Konsultationsprozessen dafür eingesetzt, dass die sich für vollstationäre Einrichtungen ergebenen Risiken dieser Reform durch geeignete Abfederungsmechanismen gehandhabt werden können, ohne die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs in Frage zu stellen. Maßgeblich ist die Frage der zukünftigen Personalausstattung in vollstationären Einrichtungen. Es ist gesetzlich vorgesehen, die Entwicklung und Erprobung eines wissenschaftlich fundierten Verfahrens zur einheitlichen Bemessung des Personalbedarfs in Pflegeeinrichtungen nach qualitativen und quantitativen Maßstäben bis zum 30. Juni 2020 abzuschließen, was die BAGFW begrüßt. Das Pflegestärkungsgesetz II sieht vor, dass sich die Vertragsparteien bis zum 31. Dezember 2016 über eine entsprechende Beauftragung geeinigt haben (im Hinblick auf ggf. vorzunehmende Ausschreibungen ist das Zeitfenster jedenfalls nicht zu lange bemessen), andernfalls bestimmt das Bundesministerium für Gesundheit und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend innerhalb von vier Monaten das Verfahren und die Inhalte der Beauftragung. Der Entwurf der Strategischen Sozialberichterstattung trifft die Aussage, dass der pflegebedingte Eigenanteil durch die Einführung des einrichtungseinheitlichen pflegegradunabhängigen Eigenanteils künftig mit zunehmender Pflegebedürftigkeit nicht mehr ansteigt und dass dadurch viele Pflegebedürftige entlastet werden. Die BAGFW weist jedoch darauf hin, dass es durch den einrichtungseinheitlichen Eigenanteil nicht zu einer generellen Entlastung der pflegebedürftigen Menschen in der vollstationären Einrichtung kommt, da der Eigenanteil künftig nur anders zwischen den Pflegegraden verteilt wird.
Die BAGFW begrüßt, dass mit dem Familienpflegezeitgesetz ein Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit und Pflegezeit eingeführt wurde. Der Rechtsanspruch auf Pflegezeit besteht bei Arbeitgebern ab einer Betriebsgröße von 15 Beschäftigten, wohingegen ein Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit erst bei Arbeitgebern ab einer Betriebsgröße von 25 Beschäftigten gilt. Die BAGFW fordert den Gesetzgeber auf, die Betriebsgrößen beim Rechtsanspruch zu harmonisieren und einen Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit auch für Betriebe ab 15 Beschäftigte einzuführen. Dies ist umso dringender geboten, als die Freistellungen für die Pflegezeit und die Familienpflegezeit kombiniert werden können. Des Weiteren sollen die starren Regelungen zur Kombinierbarkeit von Pflegezeit und Familienpflegezeit so flexibilisiert werden, dass die Höchstfreistellungsdauer von 24 Monaten in jedem Fall vollständig ausgeschöpft werden können. Es soll daher ermöglicht werden, an eine im Anschluss an die Familienpflegezeit in Anspruch genommene Pflegezeit eine nochmalige Phase der Familienpflegezeit anzuschließen. In diesem sequentiellen Modell soll auch eine Phase der Unterbrechung durch Rückkehr auf den Umfang der vormaligen Arbeitszeit möglich sein. Ausdrücklich begrüßt wird von der BAGFW die Einführung einer bis zu 3 Monaten dauernden Freistellung für die Sterbebegleitung naher Angehöriger im Rahmen der Pflegezeit. Diese Freistellung wird allerdings auf die Höchstdauer der Freistellungen von 24 Monate angerechnet. Die BAGFW fordert die Aufhebung der Anrechnung.
Im Rahmen der auf drei Jahre befristeten Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive hat sich die Bundesagentur für Arbeit verpflichtet, Altenpflegeschülerinnen und Altenpflegeschüler über die gesamte Ausbildungsdauer von drei Jahren zu fördern. Es wurde in diesem Zusammenhang vereinbart, dass die Absolvent/-innen an einem Kompetenzfeststellungsverfahren teilnehmen, in dem geprüft wird, ob die bereits vorhandenen Kompetenzen ausreichen, um die Ausbildungsdauer um ein Jahr zu verkürzen. Das SGB III sieht eine Förderung von Berufsausbildungen für maximal zwei Jahre vor. Die Option einer verkürzten Ausbildung für Auszubildende mit Vorerfahrung als auch die 3-jährige Förderung haben erheblich zur Steigerung der Ausbildungszahlen beigetragen. Bereits im zweiten Jahr der Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive konnte die Zielvorgabe, die Ausbildungszahlen um 10 % zu steigern, deutlich übertroffen werden. Im Schuljahr 2013/2014 wurde ein neuer Spitzenwert bei den Ausbildungszahlen erreicht und im Schuljahr 2014/2015 gab es zum ersten Mal mehr Schülerinnen und Schüler in der Altenpflegeausbildung als in der Krankenpflegeausbildung. Die Maßnahmen sind erfolgreich. Sie unterstützen die Pflegeeinrichtungen dabei, ihr ausgeprägtes Engagement in der Erstausbildung um die gezielte Höherqualifizierung von Pflegehelfer/-innen zu verstärken und so dem Fachkräftemangel entgegenzutreten. Die Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive ist offiziell Ende 2015 ausgelaufen. Damit entfällt die Möglichkeit einer dreijährigen Förderung durch die Bundesagentur für Arbeit für Schüler/-innen, die nach dem 31.03.2016 die Ausbildung beginnen. Nach dem 31.03.2016 wird es bis auf weiteres nur noch eine 2-jährige Förderung durch die Bundesagentur geben und auch das Kompetenzfeststellungsverfahren keine Rechtsgrundlage mehr haben. Die Förderung der Altenpflegeausbildung durch die Bundesagentur für Arbeit ist aus arbeitsmarktpolitischer Perspektive sinnvoll. Untersuchungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) haben gezeigt, dass die Umschulungen im Bereich der Altenpflege besonders erfolgreich sind und die Teilnehmenden im Anschluss überdurchschnittlich häufig eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufnehmen. Zudem eröffnen Umschulungsmaßnahmen in der Altenpflege für viele Menschen, die eine (neue) Perspektive auf dem Arbeitsmarkt suchen und die für die Altenpflege geeignet sind, neue Chancen. Auf diesem Weg können gerade die für die Altenpflege interessante Zielgruppe der lebenserfahrenen Menschen für die Altenpflege gewonnen werden, wenn sie zum Beispiel nach einer Familienphase wieder in den Arbeitsmarkt einsteigen möchten. Auch für die wichtige Zielgruppe der Menschen mit Migrationshintergrund, die für die Altenpflege nicht zuletzt auch mit Blick auf die zunehmende Zahl pflegebedürftiger Menschen mit Migrationshintergrund immer bedeutsamer wird, bieten die Umschulungsmaßnahmen einen guten Einstieg in den Pflegebereich. Eine nicht-repräsentative Befragung der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit hat zudem gezeigt, dass 80% der befragten Quereinsteigenden in die Pflege – also Personen, die zuvor in einem anderen Berufsbereich gelernt hatten oder erwerbstätig waren - dauerhaft in der Pflege weiterarbeiten möchten. Zusammengenommen lässt sich festhalten, dass Umschulungsmaßnahmen in der Altenpflege für den Berufsbereich mit seinem gravierenden Fachkräftemangel, für die Teilnehmenden und für die Versichertengemeinschaft nachhaltig sind und dass hier eine größere Förderkontinuität für die Planungssicherheit erforderlich ist.
Die Wohlfahrtsverbände fordern daher die Fortsetzung der 3-jährigen Förderung der Altenpflegeausbildung durch die Bundesagentur für Arbeit zu den in der Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive vereinbarten Konditionen. Gleiches sollte auch für das Pflegeberufsgesetz gewährleistet sein. Zudem muss analog im Pflegeberufsgesetz die Möglichkeit geschaffen werden, die Ausbildung bei Nachweis einer entsprechenden Vorerfahrung um max. ein Jahr zur verkürzen. Bei der geplanten generalistischen Pflegeausbildung ist zudem absehbar, dass zukünftig im Anschluss an eine grundständige Ausbildung spezialisierende Weiterbildungen notwendig sein werden. Dies sollte bei weiteren Planungen berücksichtigt werden.