Stellungnahme der BAGFW zum Entwurf der Bundesregierung für ein „Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeits-markt“

Die Zielsetzungen des Gesetzesvorhabens der Bundesregierung (mehr Dezentralität, Flexibilität, Individualität, höhere Qualität und mehr Transparenz in der aktiven Arbeitsmarktpolitik) sind aus Sicht der in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) zusammengeschlossenen Verbände grundsätzlich sinnvoll.

Zur ausführlichen Kommentierung der einzelnen Regelungen des Gesetzentwurfs verweist die BAGFW auf ihre Stellungnahme vom 21.06.2011, die als Ausschussdrucksache 17(11)565 vom 22.06.2011 vorliegt.

 

Die Zielsetzungen des Gesetzesvorhabens der Bundesregierung (mehr Dezentralität, Flexibilität, Individualität, höhere Qualität und mehr Transparenz in der aktiven Arbeitsmarktpolitik) sind aus Sicht der in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) zusammengeschlossenen Verbände grundsätzlich sinnvoll. Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf wird die Zielstellung eines „flexiblen Rechtsrahmens“ für die aktive Arbeitsmarktpolitik und einer passgenauen Förderung allerdings nicht erreicht. Die notwendige Öffnung und Individualisierung der Eingliederungsinstrumente wird durch die vorgeschlagenen Regelungen nicht ermöglicht.

 

Die Stellungnahme des Bundesrates (Drucksache 313/1/11 vom 27.06.2011) zum Gesetzentwurf der Bundesregierung sowie die vorliegenden Anträge der Oppositionsfraktionen im Bundestag enthalten Vorschläge, die zur Erreichung der angestrebten Ziele aufgenommen werden sollten.

 

Zusammenfassung der Forderungen

 

1.   Die Kürzungsvorgaben in der Arbeitsförderung machen Förderchancen zunichte. Sie beschneiden Fördermöglichkeiten für schwer vermittelbare Langzeitarbeitslose, die trotz der verbesserten Arbeitsmarktsituation sehr geringe Vermittlungschancen haben und gerade deshalb qualifiziert und gefördert werden müssen.

 

 

2.   Instrumente der öffentlich geförderten Beschäftigung dürfen nicht eingeengt, sondern müssen sinnvoll weiterentwickelt werden, damit Langzeitarbeitslose qualifiziert, an den Arbeitsmarkt herangeführt und falls notwendig, längerfristig gefördert werden.

 

3.   Die Aktivierung passiver Grundsicherungsmittel muss ermöglicht werden, um öffentlich geförderte Beschäftigung für schwer vermittelbare Langzeitarbeitslose zu finanzieren.

 

4.   Anstelle der öffentlichen Ausschreibung arbeitsmarktpolitischer Leistungen sollten Leistungsvereinbarungen abgeschlossen werden können. Bleibt die Vergabe Verfahren der Wahl, sollten vermehrt Verfahren mit Teilnehmerwettbewerb und die freihändige Vergabe greifen.

 

5.   Werden Maßnahme- und Trägerzertifizierung zwingend, ist eine Beteiligung der Wohlfahrtspflege im Anerkennungsbeirat erforderlich. Aufwand und Kosten der Zertifizierungsverfahren sind gering zu halten und müssen gegebenenfalls bezuschusst werden. Bis zum Inkrafttreten der Regelung sind längere Übergangsfristen vorzusehen.

 

Zu 1.: Kürzungen der Mittel für die Arbeitsförderung

 

Aus Sicht der BAGFW kann die proklamierte Ausrichtung aller arbeitsmarktpolitischen Instrumente auf die Vermittlung in den regulären Arbeitsmarkt für einen Teil der Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht unmittelbar gelten. Für die Gruppe der arbeitsmarktfernen Langzeitarbeitslosen muss vielmehr eine schrittweise, längerfristige soziale und arbeitsmarktliche Integrationsstrategie verfolgt werden. Im Zusammenhang mit den massiven Kürzungen der Mittel zur Eingliederung besteht die große Gefahr, dass die verbleibenden Mittel und Kräfte der Arbeitsförderung auf so genannte marktnahe Kundinnen und Kunden konzentriert werden. Auch die beabsichtigte Umwandlung arbeitsmarktpolitischer Pflicht- in Ermessensleistungen ist aus Sicht der BAGFW rein fiskalisch begründet. Die BAGFW teilt in diesem Punkt die Kritik im Antrag der Fraktion DIE LINKE, dass Arbeitsuchenden dadurch Fördermöglichkeiten und Rechte beschnitten werden. Die BAGFW wendet sich entschieden gegen diese politische Ausrichtung, denn der Arbeitsmarktaufschwung erfasst nicht alle Arbeitsuchenden gleichermaßen. Für die weiterhin große Personengruppe in verfestigter Langzeitarbeitslosigkeit dürfen Beschäftigungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten auch jetzt nicht abgebaut werden, zumal sich die Bundesregierung jüngst auf europäischer Ebene und in ihrem Nationalen Reformprogramm zur Umsetzung der Strategie Europa 2020 dafür ausgesprochen hat, Armut durch die Reduzierung der Langzeitarbeitslosigkeit zu bekämpfen.

 

Zu 2.: Öffentlich geförderte Beschäftigung

 

Der Gesetzentwurf beinhaltet massive Einschnitte und Qualitätsverluste bei den Förder-angeboten der öffentlich geförderten Beschäftigung. Die Förderung wird so beschnitten, dass qualitativ hochwertige Konzepte etwa zur Qualifizierung und sozialpädagogischen Betreuung von arbeitsmarktfernen Personen in Arbeitsgelegenheiten nicht mehr möglich sind. Die weitergehende Begrenzung der Arbeitsgelegenheiten durch das Erfordernis der Wettbewerbsneutralität reduziert Handlungsspielräume der gegenwärtigen Förderpraxis. Bestehende Möglichkeiten, sinnvolle und qualifizierende Tätigkeitsfelder anzubieten, werden ohne Not beschnitten. Die Heranführung arbeitsmarktferner Personen an den Arbeitsmarkt wird dadurch erschwert.

 

Für arbeitsmarktferne Personengruppen müssen auch zukünftig längerfristige Beschäftigungsangebote, wie sie bislang auf Grundlage des Beschäftigungszuschusses gem. § 16 e SGB II („Jobperspektive“) möglich waren, erhalten bleiben. Die BAGFW begrüßt, dass das Instrument beibehalten werden soll, kritisiert aber den Wegfall des Qualifizierungszuschusses sowie die Beschränkung der Fördermittel auf 5 Prozent des Eingliederungstitels. Teilhabe an Arbeit durch Beschäftigungsangebote für ansonsten vom Arbeitsmarkt ausgegrenzte Personen zu schaffen, muss Auftrag und Aufgabe des SGB II bleiben.

 

Die BAGFW begrüßt daher, dass die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in ihrem Antrag einen Vorschlag zur Errichtung eines verlässlichen sozialen Arbeitsmarktes macht. Er soll Arbeitslosen, die mittel- und langfristig kaum Chancen auf dem regulären Arbeitsmarkt haben, durch marktnahe Beschäftigungsangebote gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen.

 

Arbeitsgelegenheiten

 

Die Zuschusshöhe für den Anbieter von Arbeitsgelegenheiten sollte sich nach den konkret anfallenden Kosten für die Betreuung, die pädagogische, fachpraktische bzw. technische Anleitung und Qualifizierung richten und von Jobcentern vor Ort festgelegt werden können. Die Fördervoraussetzungen „Zusätzlichkeit“, „öffentliches Interesse“ und „Wettbewerbsneutralität“ sind nicht geeignet, um zentral definiert zu werden. Im Sinne der Nutzung dezentraler Entscheidungskompetenzen sollte die Festlegung der Tätigkeitsfelder von Arbeitsgelegenheiten den örtlichen Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsakteuren vorbehalten sein, wie auch der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordert.

 

Förderung von Arbeitsverhältnissen

 

Die BAGFW fordert den Erhalt unbefristeter Förderungsmöglichkeiten von Beschäftigungsverhältnissen, wie sie mit dem Beschäftigungszuschuss nach § 16e in das SGB II eingeführt wurde. Langfristige öffentlich geförderte Beschäftigung ist für die arbeitsmarktpolitische Zielgruppe der Langzeitarbeitslosen mit weiteren Vermittlungshemmnissen erforderlich. Die Förderbedingungen öffentlich geförderter Beschäftigung müssen der Zielgruppe und dem Auftrag des Instrumentes adäquat sein. Anstatt das Fördervolumen willkürlich auf 5 Prozent der verfügbaren Eingliederungsmittel zu begrenzen, könnte die regionale Langzeitarbeitslosigkeitsquote als Indikator angewendet werden.

 

Höhe und Art der Lohnkostenzuschüsse sollten dem Einzelfall angepasst werden können. Dies bedeutet ausdrücklich auch die Gewährung eines Lohnkostenzuschusses von bis zu 100 Prozent der Kosten. Begleitende Qualifizierungsmaßnahmen und Kosten der sozialpädagogischen Begleitung müssen ebenfalls generell förderungsfähig sein. Für schwer behinderte Arbeitnehmer sollten die Kosten für eine notwendige Arbeitsassistenz und die behindertengerechte Ausgestaltung des Arbeitsplatzes übernommen werden, wie dies noch im Referentenentwurf vorgesehen war.

 

 

Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM)

 

Aus Sicht der BAGFW ist auch im Rechtskreis SGB III ein Instrument zur öffentlich geförderten Beschäftigung notwendig. Insbesondere in strukturschwachen Regionen und für (ältere) Langzeitarbeitslose im SGB III müssen Möglichkeiten zur öffentlich geförderten Beschäftigung offenstehen, um die Beschäftigungsfähigkeit zu erhalten und das Anwachsen der Langzeitarbeitslosigkeit zu verhindern. Die Wirksamkeit öffentlich geförderter Beschäftigung für arbeitsmarktferne Personengruppen wird auch durch den „Sachstandsbericht der Evaluation der Instrumente“ des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bestätigt, der feststellt, dass sich die Eingliederungschancen von Langzeitarbeitslosen und Personen mit Vermittlungshemmnissen durch die Teilnahme an einer ABM mittelfristig verbessern.

 

Die BAGFW fordert deshalb, die §§ 260 ff. SGB III im Grundsatz beizubehalten und die Förderkonditionen so zu verbessern, dass Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ihre Bedeutung als arbeitsmarkt- und strukturpolitisches Gestaltungsinstrument wiedererlangen. ABM sollte nach dem Vorbild der Arbeitsgelegenheiten in der Entgeltvariante weiterentwickelt werden, um sinnvolle Beschäftigungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten für den wachsenden Anteil Langzeitarbeitsloser an den Arbeitslosen im Rechtskreis SGB III zu eröffnen.

 

Zu 3: Aktivierung passiver Mittel (Passiv-Aktiv-Transfer)

 

Um die Finanzierungsgrundlage längerfristiger öffentlich geförderter Beschäftigungsmaßnahmen sicherzustellen, sollten aus Sicht der BAGFW die Fördermittel für sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse unabhängig vom Eingliederungstitel sichergestellt werden. Hierzu ist unabdingbar, die so genannten passiven Leistungen der Grundsicherung für die aktive Arbeitsförderung nutzbar zu machen. Angesichts der drastischen Kürzungen der Eingliederungsmittel ist die Umsetzung des Passiv-Aktiv-Transfers zur Schaffung gesellschaftlicher Teilhabechancen für Personen in verfestigter Langzeitarbeitslosigkeit notwendiger denn je. Eine Bündelung von Leistungen des Bundes (Regelbedarfe u. a.) und der Kommunen (Kosten der Unterkunft, Heizung u. a.) ist sachlich geboten und darf nicht an formalen Hürden im Gesetzgebungsverfahren (Zustimmungspflicht des Bundesrates) scheitern.

 

Die BAGFW anerkennt, dass alle vorliegenden Fraktionsanträge die Aktivierung der passiven Leistungen fordern. Ebenso hat sich der Bundesrat in seiner Stellungnahme dafür ausgesprochen, Mittel der Grundsicherung für die Förderung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung einsetzen zu können.

 

Zu 4.: Öffentliche Ausschreibungen arbeitsmarktpolitischer Leistungen

 

Der Gesetzentwurf hält am unflexiblen und in der Praxis wenig bewährten Vergabemodell fest. Das Verfahren mit seinen starren Leistungsbeschreibungen lässt individualisierte Leistungsangebote nicht zu, die aber bei bestimmten Förderbedarfen notwendig sind und die den Ansprüchen dieses Gesetzgebungsvorhaben entsprächen. Zugleich können Vergabeverfahren unter den Gegebenheiten des sozialen „Marktes“ dem Ausbau einer pluralen Trägerstruktur entgegenstehen. Einer solchen bedarf es aber, um vor Ort insgesamt ein qualifiziertes Leistungsangebot bereitzustellen. Schließlich erweisen sich die bei Vergabeverfahren zum Tragen kommenden Steuerungsinstrumente mit ihren starren und frühzeitigen Festlegungen als wenig geeignet, um flexibel und kurzfristig auf örtliche Gegebenheiten einzugehen.

 

Vergabeverfahren erschweren die Entwicklung niedrigschwelliger Angebote im Sinne der Leistungsberechtigten und verhindern die Einbeziehung der umfassenden fachlichen und inhaltlichen Kompetenz der Träger bei der Ausgestaltung und Weiterentwicklung arbeitsmarktpolitischer Angebote. Allein bei standardisierten Leistungsangeboten wäre das Vergabeverfahren denkbar. Wo Leistungsberechtigte individuell konzipierte Angebote brauchen, konterkariert das Vergabeverfahren eine passgenaue Förderung. Wird am Vergaberecht festgehalten, sollten alternativ zu öffentlichen Ausschreibungen vermehrt Verfahren mit Teilnehmerwettbewerb und die freihändige Vergabe eröffnet werden.

 

Die BAGFW begrüßt in diesem Zusammenhang die Initiative im Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, alternative Verfahren anzuwenden, ebenso die Überlegungen der SPD-Fraktion, modellhaft die Umsetzung der Leistungserbringung nach dem Konzessionsmodell zu erproben.

 

Für die Erbringung sozialer Dienstleistungen auf der Grundlage des deutschen Sozialrechtes sind das Subsidiaritätsprinzip und das Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten maßgeblich. Bei der Umsetzung dieser Grundprinzipien entsteht ein Dreiecksverhältnis, bei dem sich die staatlichen, so genannten Leistungsträger, nichtstaatlichen Leistungserbringer (Dienstleister) und Leistungsberechtigte (Nutzer der Dienstleistung) in unterschiedlichen Rechtsverhältnissen gegenüberstehen. Leistungserbringer und Leistungsträger schließen Vereinbarungen, wobei bestimmte Qualitätsanforderungen erfüllt werden müssen (vgl. auch SGB VIII und SGB XI). Alle Anbieter, die diese Kriterien erfüllen, können Leistungsvereinbarungen schließen und werden damit auf dem Markt zugelassen. In diesem Dreiecksverhältnis entsteht hierdurch ein Wettbewerb. Im Rahmen dieser Anbietervielfalt sind es die Leistungsberechtigten, die die Auswahl auf der Grundlage des Wunsch- und Wahlrechtes unter den zugelassenen Konkurrenten treffen und so den Wettbewerb entscheiden.

 

Dementsprechend betont die BAGFW, dass die vorrangige Anwendung des sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses mit dem Abschluss von Leistungsvereinbarungen im Sinne des § 17 Abs. 2 SGB II eine wesentlich größere Zielgenauigkeit und inhaltliche Verhältnismäßigkeit ermöglicht.

 

Zu 5.: Maßnahme- und Trägerzertifizierung

 

Der Gesetzentwurf verlangt von Trägern (sofern sie sich nicht als Arbeitgeber ausschließlich auf betriebliche Maßnahmen oder betriebliche Teile von Maßnahmen beschränken) eine Zulassung durch eine fachkundige Stelle. Dabei hat der Träger Anspruch auf die Zulassung, wenn er die Voraussetzungen aus § 178 SGB III-E erfüllt. Gemäß § 176 Abs. 2 müssen auch Maßnahmen nach § 45 SGB III zertifiziert werden, die mit Hilfe eines Gutscheins in Anspruch genommen werden. Wie bei § 178 SGB III haben die Träger gem. § 179 SGB III-E Anspruch auf die Zulassung der Maßnahme, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind.

 

 

Werden Träger- und Maßnahmezulassungen zwingend, fordert die BAGFW eine Beteiligung der Wohlfahrtsverbände im Anerkennungsbeirat, da ansonsten das Trägerspektrum nicht repräsentativ vertreten ist. Mit der Erweiterung der einbezogenen Arbeitsmarktdienstleistungen ergibt sich die Notwendigkeit, auch freie Träger zu berücksichtigen, die nicht durch die Bildungsverbände und Verbände privater Arbeitsvermittler vertreten werden.

 

Aufwand und Kosten des Zertifizierungsverfahrens müssen gering gehalten und die Kosten gegebenenfalls bezuschusst werden. Bis zum Inkrafttreten der Zulassung von Trägern und Maßnahmen sind längere Übergangsfristen vorzusehen, damit insbesondere kleinere Träger ausreichend Vorbereitungszeit haben.