Stellungnahme der BAGFW: Normierung von Gesundheitsdienstleistungen

Fragestellungen des BMG anlässlich der Tagung des Advisory Board for Healthcare Standards (ABHS) des Europäischen Normungsinstituts (CEN/CENELEC) Ende Ok- tober 2014:

Fragestellungen des BMG anlässlich der Tagung des Advisory Board for Healthcare Standards (ABHS) des Europäischen Normungsinstituts (CEN/CENELEC) Ende Ok- tober 2014:

 

 

 

1.  Wie beurteilen Sie für Ihren Verband/Institution grundsätzlich die Normierung von Gesundheitsdienstleistungen?

 

2.  Sehen Sie Bereiche, in denen Regulierungsdefizite bestehen und die durch

Normen geschlossen werden könnten?

 

3.  Arbeiten Mitglieder Ihrer Institutionen in einem Normenausschuss oder Fach- beirat des DIN oder des CEN mit oder lassen Sie sich durch einen Dritten ver- treten? Falls ja, geben Sie bitte Namen, Funktion und den entsprechenden Normenausschuss oder Fachbeirat an.

 

 

 

Zu 1. und 2.:

 

Die sozialen Dienstleistungsbereiche Gesundheit/Pflege im Tätigkeitsbereich der Freien Wohlfahrtsverbände unterliegen einer weitgehenden gesetzlichen und unter- gesetzlichen Regulierung. Die Selbstverwaltungsinstrumente gewährleisten ein aus- reichendes Maß an Normierung im Rahmen von Leitlinien und Expertenstandards, die den jeweils geltenden fachlich anerkannten Standard auf aktuellem Stand be- schreiben. Qualitätsanforderungen (Struktur, Prozesse, Ergebnisse) werden zudem in gesetzlich vorgegebenen Vereinbarungen der Leistungsträger und der Leistungs- erbringer ausgehandelt, festgelegt und bei Bedarf aktualisiert. Sie sind für die Ein- richtungen verbindlich; ihre Einhaltung wird durch gesetzlich festgelegte Instanzen regelmäßig überprüft und bei Nichteinhaltung erfolgen Sanktionen. Wenngleich es in der Ausgestaltung dieser normgebenden Verfahren einzelne Verbesserungsbedarfe gibt, wird von den Wohlfahrtverbänden keinerlei Erfordernis einer Normierung von Gesundheitsdienstleistungen auf europäischer Ebene gesehen.

 

Die o. g. bestehenden Normierungsverfahren auf nationaler Ebene sind ausreichend, um eine jeweils aktuelle und zielorientierte, angemessene Normierung zu gewährleis- ten.

 

Vorhaben einer DIN-Normung von Gesundheitsdienstleistungen in Deutschland sind in der Vergangenheit über Ansätze nicht hinausgekommen. Die Normierungsinitiative des DIN hat 2006 zur Veröffentlichung der DIN-Norm 77800 „Betreutes Wohnen“ ge- führt, der jedoch in der Praxis keine wesentliche Bedeutung zukommt. Eine Normie- rung der Dienstleistungen der ambulanten Pflege ist nicht zustande gekommen, da der angenommene Bedarf nicht bestätigt werden konnte.

 

Im Bereich des Managements von Organisationen, die Gesundheitsdienstleistungen erbringen, werden internationale und europäische Normen dagegen für sinnvoll ge- halten. So hat die BAGFW an der von der europäischen Normierungsinstitution (CEN) organisierten Entwicklung eines „Freiwilligen Qualitätsrahmen“ („Common Quality Framework for Social Services of General Interest“), der den Interessen eu- ropäischer wie nationaler und lokaler Initiativen Rechnung tragen soll, mitgewirkt.

 

Bereich Pflege:

 

In mehreren Schritten ist hier eine Entwicklung erfolgt:

 

1.  Im ersten Schritt hat sich das Pflegeangebot erweitert, so dass aktuell eine flächendeckende Versorgungsstruktur angenommen werden kann.

 

2.  Als nächste Stufe wurde die Grundlage für eine Qualitätssicherung und öffent- liche Darstellung von Prüfungsergebnissen der Pflegeeinrichtungen sowie die Beauftragung von pflegerischen Expertenstandards geschaffen. Hierzu gibt es klare gesetzliche Regelungen.

 

3.  Derzeit geht der Trend in Richtung einer Leistungsdifferenzierung, der Leis- tungsflexibilisierung und der Erhöhung des Wahlrechts der Versicherten; ebenfalls auf gesetzlicher Grundlage.

 

Die Bestimmung des individuellen Pflegebedarfs eines Menschen und die Reaktion der beruflich sowie nicht beruflich Tätigen auf diesen Bedarf - das pflegerische Han- deln also - stehen in direkter Abhängigkeit zu den persönlichen Werteorientierungen des zu Pflegenden. Die Definition bestimmter Standards und des „states of the art“ in diesem Feld hängen von gesellschaftlichen Grundlagen und vom (Zu-)Stand der zu- ständigen Wissenschaften ab. Darum ist es dringend erforderlich bei der Normierung betroffene Menschen und besonders ihre Angehörigen in irgendeiner Form einzube- ziehen. Mehrere pflegerische Expertenstandards wurden durch das DNQP erarbeitet und konsentiert. Dieses Vorgehen entspricht in etwa ihren angedachten Vorstellun- gen, bringt aber mehrere Probleme mit sich:

 

·          Beim DNQP handelt sich um einen bundesweiten Zusammenschluss von Fachexperten aus der Pflegewissenschaft und Pflegeberufsorganisationen, die sich mit dem Thema Qualitätsentwicklung auseinandersetzen.

·          Es fehlen die Vertreter der Pflege-Selbstverwaltung und die Experten in eige- ner Sache/ die Betroffenengruppen.

·          Bei den vorgelegten Standards handelt es sich um wissenschaftlich erarbeite- te Standards der Pflege zu Pflegephänomenen mit gesellschaftspolitischer Bedeutung.

 

·          Jedoch handelt es sich dabei nicht um eine Rechtsnorm oder um antizipierte

Sachverständigengutachten mit verbindlicher Außenwirkung

·          Dennoch werden Expertenstandards in Gerichtsverfahren teilweise als fachli- cher Standard für die Altenhilfe herangezogen und in Ermangelung anderer Expertisen anerkannt.

·          Die erstellten Expertenstandards beruhen oft auf der (gut erforschten) Situati- on in Krankenhäusern. Sie sind nicht ohne Weiteres auf die Altenpflege über- tragbar, da die Bedarfe an pflegerischen Leistungen zu einen individuell unterschiedlich. Langzeitpflege (long-term care) ist im Unterschied zur Kran- kenpflege nicht auf das Krankheitsgeschehen im engeren Sinn konzentriert und beschränkt, sondern hat die gesamten Lebensumstände während einer längeren Phase des Lebens in das pflegerische Handeln einzubeziehen. Be- sondere Probleme gibt es bei der Übertragbarkeit auf den ambulanten Be- reich.

·          Die Expertenstandards erlangen ihre Gültigkeit durch eine fachwissenschaftli- che Konsentierung. Ihre Umsetzung in die Praxis muss aber in die Leistungs-

vergütungen einfließen; die pflegerischen Expertenstandards sind weder in

der häuslichen Krankenpflege noch im SGB XI/XII leistungsrechtlich hinterlegt.

·          Die Vertragspartner waren an der Expertenstandarderstellung nicht beteiligt.

 

Der Gesetzgeber hat die Problematik erkannt und über §113a SGB XI die Möglich- keit für die Selbstverwaltung geschaffen, praxisrelevante pflegerische Expertenstan- dards wissenschaftlich erarbeiten zu lassen. Sie werden über das Vertragsrecht in Kraft gesetzt. Auch hierbei wird die Fragestellung, wie die Experten in eigener Sache beteiligt werden können.

 

Auf europäischer Ebene halten wir eine Etablierung von pflegerischen Expertenstan- dards für schwierig. Die Länder mit hohen professionellen Anteilen werden hierzu bereits Regelungen haben. In Länder mit einer familienbasierten Pflege stellt sich die Frage, wie Expertenstandards in der Laienpflege umgesetzt und in der Folge kontrol- liert werden sollen.

 

Bereich Gesundheit:

 

Auch hier wird der aktuelle Prozess einer Normierung von Gesundheitsdienstleistun- gen sehr kritisch gesehen. Die BAGFW wendet sich nicht grundsätzlich gegen Be- strebungen, Qualität in der Gesundheitsversorgung fest zu verankern. Im Gegenteil, die Entwicklung von Standards und Qualitätskriterien wird ausdrücklich begrüßt und gefördert. In den aktuellen Bemühungen um Versorgungsqualität und insbesondere auch Patientensicherheit auf nationaler Ebene sind die Wohlfahrtsverbände und ihre Einrichtungen wichtige Akteure und Impulsgeber.

 

Den nationalen Entwicklungen der Definition und Sicherung von Qualitätsstandards die Etablierung von Parallelprozessen auf EU-Ebene entgegenzustellen, halten wir aus Sicht von Patientinnen und Patienten und aller an der Erbringung von Gesund- heitsleistungen Beteiligter für äußerst problematisch. Wir befürchten, dass die weit entwickelten fachlichen Diskurse in Normungsverfahren nicht abgebildet werden können. Fraglich ist auch die ausreichende fachliche Kompetenz der handelnden Akteure und die Transparenz des Verfahrens.

 

Gesundheitsdienstleistungen werden im Rahmen von nationalen Gesundheitssyste- men erbracht, in denen sowohl die Organisation des Gesundheitswesens (private Vorsorge, staatliches Gesundheitssystem, Sozialversicherungssystem) als auch die Beziehungen zwischen den handelnden Akteuren - Krankenkassen und Versicherte, Leistungserbringer und Kostenträger, den verschiedenen beteiligten Berufsgruppen sowie der Sektoren - jeweils unterschiedlich ausgestaltet sind. Im deutschen Ge- sundheitssystem sind es maßgeblich die Organe der Selbstverwaltung, die die Moda- litäten der Erbringung von Gesundheitsdienstleistungen miteinander verhandeln.

 

Die Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für die Gesundheit der Länder lehnten auf der 87. Gesundheitsministerkonferenz die Entwicklung von Nor- men durch die internationale Normungsorganisation ab, weil sie darin die Gefahr se- hen, dass innerstaatliches Recht und Regelungsspielraum der Selbstverwaltung dadurch umgangen werden könnten. Wir verstehen das öffentliche Gesundheitswe- sen als zentrales Teilsystem der sozialen Sicherung, dessen Ausgestaltung auf nati- onaler Ebene zu leisten ist.

 

Gesundheitsdienstleistungen stellen kein Produkt wie jedes andere dar. Sie entste- hen im Kontext einer professionellen Beziehung zwischen Patient oder Patientin und dem Erbringer der Dienstleistung, beispielsweise einem Arzt oder einer Ärztin. Sie sind somit immer auch Ergebnis eines individuellen Aushandlungsprozesses. Die Auswahl einer Therapie, die Gewichtung der Patientinnen und Patienten, welche Therapie ihnen in ihrer konkreten Lebenssituation am meisten zuträglich und am we- nigsten belastend erscheint, entzieht sich einer vereinfachenden Normierung.

 

Während sich der Bereich der Gesundheitsdienstleistungen kaum für die Normierung durch die CEN eignet, könnte das für den Bereich der Medizinprodukte durchaus sinnvoll sein.

 

Hier fehlt es nach unserer Auffassung an einem geeigneten Prüfungs- und Zulas- sungsverfahren. Anders als beispielsweise die Zulassung von Medikamenten, die ein strenges Prüfverfahren beinhaltet, fehlt es an Qualitätsvorgaben zum Schutz von Pa- tienten und Patientinnen. Dies belegen Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit (Industriesilikon in den Brustimplantaten der Firma PIP, fehlerhafte Herzschrittma- cher und Abrieb bei künstlichen Kniegelenken).

 

Ein streng geregeltes staatliches Zulassungsverfahren für Medizinprodukte, wie es beispielsweise für die USA gilt, ist auch eine Forderung, die der Sachverständigenrat für die Begutachtung der Entwicklungen im Gesundheitswesen erhebt.

 

Bisher werden Medizinprodukte in der EU von privaten Einrichtungen zugelassen, die als sog. benannte Stellen lediglich prüfen, ob technische Normen eingehalten wer- den. Eine Nutzenbewertung – wie bei den Arzneimitteln – erfolgt jedoch nicht. Zudem kann sich der Hersteller, sollte er mit der Beurteilung durch diese Stelle nicht zufrie- den sein, problemlos an eine andere wenden. Daher sollten in den klinischen Studien zu Medizinprodukten Mindestanforderungen gelten sowie der Nachweis von Nutzen und Wirksamkeit gefordert werden. Da weder auf nationaler Ebene noch auf der Ebene der EU-Richtlinien Besserung in Sicht ist, könnten Normen in diesem Bereich ein erster Schritt sein.

 

Zu 3.:

 

Nach den auf Bundesebene zusammengetragenen Informationen arbeiten keine Ver- treter/innen der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege in einem Normierungs- ausschuss auf nationaler oder europäischer Ebene mit.