Einleitung
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) möchte mit dem vorliegenden Positionspapier auf den aus ihrer Sicht drängenden rehapoliti- schen Handlungsbedarf hinweisen.
Einerseits hat sich in den letzten Jahrzehnten ein hoch qualifiziertes System der me- dizinischen Rehabilitation entwickelt. Andererseits ist dieses System mit sehr hohen Zugangshürden versehen, die mit dem SGB IX angestrebten Ziele der Koordination, Kooperation und Kongruenz sind nur mangelhaft realisiert und es ist nur unzu- reichend auf die Teilhabeziele und Bedarfslagen von spezifischen Personengruppen ausgerichtet.
Je nach sozialer Schicht sind Unterschiede in den Belastungen, in den (Bewälti- gungs-)Ressourcen, im Gesundheitsverhalten und in den Zugängen zur Gesund- heitsversorgung nachweisbar. Angesichts dieser gesundheitlichen Ungleichheit ist es auch für die medizinische Rehabilitation von großer Bedeutung, sozial benachteiligte Menschen besonders im Blick zu haben. Die BAGFW verfolgt in ihrer anwaltschaft- lichen Funktion das Ziel, dass alle Menschen, die Leistungen der medizinischen Re- habilitation benötigen, diese auch bedarfsgerecht erhalten.
Die BAGFW folgt dem Verständnis der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation
(BAR), wonach die medizinische Rehabilitation da ansetzt, wo Selbstbestimmung und Autonomie eines Menschen aufgrund von Gesundheitsstörungen verloren ge- gangen oder gefährdet sind. Das kann durch (chronische) körperliche Krankheit, Un- fall, Pflegebedürftigkeit, im Zusammenhang mit einer Behinderung oder seelische Störung hervorgerufen werden. Medizinische Rehabilitation geht über die Ebene der Körperfunktionen und -strukturen hinaus, sie soll auch Fähigkeitsstörungen und sozi- alen Beeinträchtigungen vorbeugen, sie beseitigen, verbessern oder kompensieren. Kurz: Teilhabe und Lebensqualität sichern.
Die medizinische Rehabilitation ist aber darüber hinaus auch eine wesentliche Grundlage für ein Gesundheitswesen, das Antworten auf die Herausforderungen des demographischen Wandels haben muss. Dem altersbedingten Rückgang von Leis- tungsfähigkeit, der Zunahme von chronischen und Mehrfacherkrankungen wird ein
Gesundheitssystem nicht gerecht, das seinen Fokus einseitig auf die Akutversorgung setzt. Demgegenüber gewinnen Vorbeugung, Rückfallvermeidung und Verschlimme- rungsverhütung von Gesundheitsstörungen, chronischen Erkrankungen und Behin- derungen an Bedeutung.
Dabei kann heute als unbestritten gelten, dass sich Rehabilitation lohnt. Zu allererst für die Menschen, deren Potential gezielt gefördert und einer weiteren Einschrän- kung ihrer Teilhabemöglichkeiten entgegengewirkt wird. Aber auch der volkswirt- schaftliche Nutzen von medizinischer Rehabilitation ist nachgewiesen. Daher sollten der Gesellschaft Investitionen in die medizinische Rehabilitation wert sein.
Kapitel 1 Zugang zu Leistungen der medizinischen Rehabilitation für alle Men- schen gewährleisten
Während der Zugang zur Anschlussheilbehandlung aus dem Krankenhaus heraus in den allermeisten Fällen unproblematisch gewährleistet ist, sind andere Zugangswege von deutlich höheren Hürden gekennzeichnet. Dabei überlagern sich mehrere, auf den ersten Blick eher geringe Erschwernisse und werden zu ernsthaften Barrieren. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege möchte auf folgende Punkte aufmerksam machen:
(1) In der vertragsärztlichen Versorgung dürfen nach der Rehabilitations-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses nur Ärzte Leistungen zur medizinischen Re- habilitation verordnen, die aufgrund ihrer Reha-Qualifikation durch die Kassenärztli- che Vereinigung die Genehmigung dazu erhalten haben. Für die Versicherten bedeutet dies, dass sie unter Umständen nicht von ihrem vertrauten Arzt/ihrer Ärztin eine entsprechende Verordnung erhalten können.
(2) Darüber hinaus stellt im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung das zwei- stufige Antragsverfahren (bei dem im ersten Schritt der Arzt eine Verordnung beim Kostenträger anzeigt) eine unnötige bürokratische Hürde dar.
(3) Zudem werden die Verfahren von den Kostenträgern (vor allem Renten- und
Krankenversicherung) unterschiedlich ausgestaltet.
(4) Wird ein Leistungsantrag abgelehnt, so erfolgt dies ohne direkte Rücksprache mit dem verordnenden Arzt oder Untersuchung des Patienten.
(5) Die teilweise hohen, zugleich regional unterschiedlichen Ablehnungsquoten wei- sen auf die unterschiedliche Anwendung der Entscheidungskriterien hin.
(6) Ein weiteres Problem besteht im sequentiellen Krankheitsverständnis des SGB V, wonach Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erst zu erbringen sind, wenn eine ambulante Krankenbehandlung nicht ausreicht. Dies widerspricht dem Grund- satz, erforderliche Rehabilitative Leistung so früh wie möglich zu erbringen.
Lösungsansätze:
Die BAGFW setzt sich dafür ein, dass die niedergelassenen Ärzte, die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation verordnen dürfen, in ausreichender Zahl flächende- ckend vorhanden sind.
Soll ein Leistungsantrag abgelehnt oder soll von der Verordnung durch den Leis- tungsträger abgewichen werden, sind aus Sicht der BAGFW sowohl die/der Versi- cherte als auch der Arzt/die Ärztin in die Entscheidung durch Information und ein Recht auf Stellungnahme einzubeziehen.
Aus unserer Sicht steht das zweistufige Verfahren im Widerspruch zu dem im SGB IX formulierten Anspruch, den Zugang zu Reha-Leistungen einfach und unbürokra- tisch zu gestalten (vgl. § 10 Koordinierung der Leistungen und § 14 Zuständigkeits- klärung). Die Reha-Richtlinie soll dahingehend verändert werden, dass künftig das Muster 60 (mit dem eine Verordnung der Krankenkassen angezeigt wird), entfällt. Zudem setzt sich die BAGFW dafür ein, dass die bislang verschiedenen Antragsfor- mulare der Kostenträger vereinheitlicht werden.
Die dem sequenziellen Krankheitsverständnis geschuldete Nachrangigkeit der medi- zinischen Rehabilitation gegenüber der kurativen Medizin (im § 40 SGB V) ist aufzu- heben. Ärzten und Patienten müssen zielgruppenspezifische, strukturierte Informationsangebote und -materialien zum Reha-Zugang sowie zu Möglichkeiten, Zielstellungen und Inhalten medizinischer Rehabilitationsmaßnahmen verfügbar ge- macht werden. Die rehabilitative Kompetenz innerhalb der Gesundheitsberufe ist zu verbessern.
Angesichts von z.T. sehr hohen, zugleich regional unterschiedlichen Ablehnungs- quoten sind die Bewilligungsverfahren nicht nur hinsichtlich der Entscheidungs- kriterien, sondern auch hinsichtlich ihrer fachlichen Validierung zur Diskussion zu stellen. Die Qualität der Begutachtung in den verschiedenen Kontexten (z. B. im Zu- sammenhang mit der Pflegebegutachtung) ist zu sichern.
1.1 Zugangsbarrieren beseitigen
Im Folgenden sollen für einige vulnerable Zielgruppen zentrale Zugangsbarrieren exemplarisch beschrieben werden. Auf die Rehabilitationsansprüche dieser Zielgrup- pen möchte die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in besonde- rer Weise aufmerksam machen.
1.1.1 Ältere Menschen
Immer wieder werden fehlende Anreize auf Seiten der Gesetzlichen Krankenver- sicherung als Grund für die geringe Investition in Rehabilitationsleistungen für alte und/oder pflegebedürftige Menschen angeführt. Die Krankenkassen, so die Argu- mentation, würden die Kosten der Rehabilitation tragen, die Pflegekassen würden hingegen durch die Rehabilitationsleistungen entlastet, weil Pflegebedürftigkeit ver- mindert oder hinausgezögert werde.
Gerade mit Blick auf die Auswirkungen des demographischen Wandels und der zu erwartenden Zunahme chronischer Erkrankungen ist es von besonderer Bedeutung, dass ältere Menschen die Leistungsangebote der medizinischen Rehabilitation in Anspruch nehmen können. Dies ist jedoch vielfach nicht gewährleistet. Experten se- hen in der Rehabilitation älterer und alter Menschen ein großes, aber nach wie vor zu wenig genutztes Potenzial. Dabei konnten positive Effekte der Rehabilitation auf die Lebensqualität alter Menschen (und teilweise auf die Kostenentwicklung) bereits nachgewiesen werden.
Alte Menschen haben oft multiple und parallel bestehende Versorgungsbedarfe, die leistungsrechtlich in die Logik verschiedener Sozialgesetzbücher und unterschiedli- cher Finanzierungsverantwortlichkeiten fallen. Diese Komplexität erschwert die Ori- entierung im Leistungssystem sowie die Durchsetzung von Leistungsansprüchen.
Vielfach sind die rehabilitativen Angebote nicht auf die Bedarfslagen der Zielgruppe zugeschnitten und oft wohnortfern. Das aber steht dem Wunsch der Mehrzahl der Nutzerinnen und Nutzer gerade im höheren Lebensalter entgegen, auch während der Rehabilitation im vertrauten Lebensumfeld zu verbleiben. Wenn sich alte Menschen gegen eine weit vom Lebensumfeld entfernt liegende Rehabilitationseinrichtung ent- scheiden, wird ihnen fälschlicherweise oft der Rehabilitationswille abgesprochen.
Mobile geriatrische Rehabilitationsdienste, die den Bedarfen älterer Menschen ent- sprechen könnten, gibt es bundesweit nur an wenigen Standorten. Restriktive Rah- menvorgaben der Kostenträger und enge finanzielle Spielräume ermöglichen den Leistungserbringern kaum die erforderliche wirtschaftliche Grundlage. Daher sind die mobile geriatrische Rehabilitation und ihre besonderen Vorteile weder bei vielen Ärz- ten noch in der Bevölkerung hinreichend bekannt.
Hoch problematisch ist es zudem, wenn Anträge wegen Pflegebedürftigkeit und/ oder z.B. einer bestehenden (auch nur anfänglichen) Demenz abgelehnt werden, da aus Sicht der Kostenträger diese Personen nicht rehabilitationsfähig seien.
Lösungsansätze:
Die gesetzliche Krankenversicherung ist originärer Träger der medizinischen Rehabi- litation für nicht mehr Erwerbstätige. Positive Kosteneffekte für andere sozialen Leistungssysteme sind kein Argument für die Verschiebung dieser Verantwortung. Deshalb lehnt die BAGFW den im Koalitionsvertrag als Prüfauftrag formulierten Vor- schlag ab, die Pflegeversicherung als Kostenträger für die geriatrische Rehabilitation zu erwägen.
Damit die Rehabilitationsfähigkeit von alten Menschen realistisch abgebildet werden kann, ist die Anwendung altersspezifischer Assessments zur Erfassung des Reha- bilitationsbedarfs und zur Formulierung von Rehabilitationszielen notwendig, die sich an den aktuellen gerontologischen und geriatrischen Erkenntnissen orientieren.
Darüber hinaus sind aus Sicht der BAGFW zielgruppenspezifische Rehabilitations- angebote zwingend erforderlich, die die Lebenssituation und die besonderen Bedarfe älterer Menschen berücksichtigen.
Gerade bei komplexen Versorgungsbedarfen muss die medizinische Rehabilitation in einem koordinierten Netz von gesundheitlichen Leistungen erbracht werden, in dem Kuration, Rehabilitation, Nachsorge und Pflege frühzeitig ineinander greifen. Heilmit- tel wie z.B. Physiotherapie, Logopädie, Ergotherapie etc. müssen unkompliziert be- willigt und als aufsuchende Therapieangebote in der Häuslichkeit erbracht werden können.
Ein zentrales Ziel der Rehabilitation muss sein, den Verbleib in der eigenen Häuslich- keit zu ermöglichen; dazu gehört auch die Stabilisierung in der nach-rehabilitativen Phase durch funktionsverbessernde und teilhabefördernde (Behandlungs-) Maß- nahmen. Dies muss neben der längerfristigen Hilfsmittelversorgung auch die nach- sorgende Beratung, entlastende Angebote für pflegende Angehörige und letztlich die barrierefreie Wohnraum- und Umfeldgestaltung umfassen.
1.1.2 Menschen mit Behinderung
Spätestens seit Inkrafttreten der UN Behindertenrechtskonvention im Mai 2009 in Deutschland sind auch die Rehabilitationsträger im Rahmen ihrer Aufgabenstellung verpflichtet, Menschen mit Behinderungen einen barrierefreien Zugang zu den medi- zinischen Rehabilitationsleistungen und -diensten zu ermöglichen und das Leis- tungssystem inklusionsfest auszugestalten.
Die Lebenswirklichkeit von Menschen mit Behinderung sieht in Bezug auf den Zu- gang zur medizinischen Rehabilitation jedoch anders aus. Das komplexe Reha- System mit seinen verschiedenen Rehabilitationsträgern sowie der Vielzahl an ge- setzlichen und untergesetzlichen Regelungen macht es für die Menschen mit Behin- derung oft schwierig, ihre Leistungsansprüche zu verstehen und im Konfliktfall durchzusetzen.
Oftmals sind Reha-Maßnahmen mit Voraussetzungen und Kriterien verbunden, die Menschen mit bestimmten Behinderungen oder komplexen Problemlagen (z. B. geis- tige Behinderung, Autismus, schwere Sinnes-, Körper- oder psychische Behinderun- gen) von Angeboten grundsätzlich ausschließen. Weitere Zugangshindernisse reichen von baulichen Barrieren (z.B. Schwellen, zu schmale Türen, Drehgriffe an Türen, fehlende Aufzüge oder zugängliche Toiletten) über mangelnde Orientierungs- hilfen für sinnesbehinderte und kognitiv beeinträchtigte Menschen (z. B. zu kleine oder kontrastarme Beschriftungen) bis zu ungelösten Kommunikationsproblemen (z.B. durch fehlende Gebärdensprach- und Schriftdolmetscher, Übersetzungen in Leichte Sprache).
Nach wie vor dominieren stationäre Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation,
so wurden im Jahr 2010 lediglich 12 % der medizinischen Reha-Leistungen ambulant durchgeführt. Für eine an den individuellen Reha-Zielen älterer Menschen ausgerich- tete Rehabilitation fehlen vielfach ambulante wohnortnah verfügbare barrierefreie (Anschluss-) Angebote.
Lösungsansätze:
Ziel muss es sein, möglichst allen Menschen mit Behinderungen einen barrierefreien Zugang zu rehabilitativen Leistungen zu ermöglichen. Dabei sind die Perspektiven von Frauen und Männern mit Behinderungen und ihre spezifischen Bedarfe – sowohl in Bezug auf Erkrankungen als auch in Bezug auf Umgang, Assistenz und Kommuni- kation – einzubeziehen. Sie sind als Experten in eigener Sache anzuerkennen.
Zugangsbarrieren zur medizinischen Rehabilitation sind unter Berücksichtigung des Konzeptes des „universellen Design“ bei der Gestaltung von Informations- und Kommunikationssystemen, Produkten, Umfeldern, Programmen sowie Dienst- leistungsangeboten abzubauen.
Es bedarf flächendeckender wohnortnaher Versorgungsstrukturen und ambulanter Angebote. Medizinische, berufliche und soziale Rehabilitation sind besser miteinan- der zu verknüpfen. Der Kooperation mit mobilen Rehabilitationsdiensten und ambu- lanten Rehabilitationszentren kann hierbei eine besondere Bedeutung zukommen. Die Einbeziehung und Refinanzierung erforderlicher nichtmedizinischer personeller Unterstützung (z.B. Assistenzpersonen von Menschen mit Behinderungen, die Leis- tungen ambulanter Dienste oder stationärer Einrichtungen erhalten) ist in der medizi- nischen Rehabilitation zu gewährleisten.
1.1.3 Sozial benachteiligte Menschen
Insbesondere sehr arme Menschen und/oder Menschen mit sehr niedriger Schulbil- dung bzw. mit sehr niedrigem beruflichem Status haben oft Schwierigkeiten, gesund- heitliche Versorgungsleistungen ihrem Bedarf entsprechend in Anspruch zu nehmen. Erlebte Ausgrenzungserfahrungen, geringe Kenntnis des Gesundheitssystems, Schwierigkeiten mit dem fachlichen Sprachcode, auch Scham (etwa aufgrund abge- tragener Kleidung) und Verständigungsprobleme können als Barrieren wirksam wer- den.
Diese allgemeinen Hemmnisse verstärken sich, wenn es darum geht, sich im kom- plexen Rehabilitationssystem zurecht zu finden und die eigenen Leistungsansprüche geltend zu machen. Sozial benachteiligten Menschen sind gesetzlich verankerte Leistungsansprüche oftmals nicht bekannt, ebenso wenig die Antragsvoraussetzun- gen oder das Verfahren und die Orte der Antragstellung. Zudem fehlt es an leicht verständlichen Informationsangeboten und -materialien zum Zugang sowie zu Mög- lichkeiten, Inhalten und Zielen medizinischer Rehabilitation.
Geringe finanzielle Mittel können zudem dazu führen, dass Aufwendungen für die Gesundheit möglichst vermieden oder notwendige ärztliche Behandlungen hinaus- gezögert werden, weil die Deckung des alltäglichen Lebensbedarfs Priorität hat.
So können die entstehenden „Neben“kosten einer bewilligten Rehabilitationsleistung noch immer das „Aus“ für diese Zielgruppe bedeuten. Aus der medizinischen Rehabi- litation für Mütter und Väter (nach § 41 SGB V) beispielsweise ist bekannt, dass de- ren Durchführung bei sozial benachteiligten Frauen mitunter an fehlenden
finanziellen Mitteln für Fahrtkostenvorauszahlung, Kosten vor Ort (z.B. Eintrittsgelder,
Kreativangebote) und Bekleidung (z.B. Badeanzug, Gummistiefel) und der Zuzah- lung zu scheitern drohen.
Lösungsansätze:
Es besteht ein deutlicher Bedarf an leicht zugänglichen und leicht verständlichen In- formationen, z.B. in einfacher Sprache oder in verschiedenen Muttersprachen. Fer- ner ist eine niedrigschwellige Unterstützung bei der komplexen Antragstellung notwendig.
Die Rehabilitationsmaßnahmen müssen ebenso wie die Beratung im Vorfeld inklusiv in der Weise sein, dass sie in ihrer Ausgestaltung die Lebenslage und Bedarfe sozial benachteiligter Menschen berücksichtigen.
Medizinisch notwendige Maßnahmen der Rehabilitation dürfen nicht an fehlenden Eigenmitteln scheitern und so die gesundheitliche Ungleichheit aufgrund sozialer Be- nachteiligung vergrößern.
1.2 Gewährleistung des Wunsch- und Wahlrechts
Das Wunsch- und Wahlrecht ist Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts der betrof- fenen Menschen und ein wichtiges Element bei der Motivation zur Rehabilitation und der aktiven Mitgestaltung. Ohne diese Faktoren sind eine erfolgreiche Rehabilitation sowie eine nachhaltige Wirksamkeit im Hinblick auf die Reha-Ziele nur sehr einge- schränkt möglich.
Gemäß § 9 SGB IX haben die Rehabilitationsträger bei der Entscheidung den be- rechtigten Wünschen des Leistungsberechtigten zu entsprechen. In der Realität wer- den jedoch häufig die Wünsche der Leistungsberechtigten von den Kostenträgern nicht ausreichend berücksichtigt. Die Ursachen liegen vor allem darin, dass die
Reha-Träger die Entscheidung, welche Klinik sie belegen, vorrangig nach Kosten- gesichtspunkten treffen. Zudem beschränken sie sich auf den Kreis ihrer jeweiligen Vertrags-Kliniken.
In § 40 Absatz 2 Satz 2 SGB V ist zwar ausdrücklich normiert, dass die Leistungs- berechtigten im Rahmen ihres Wahlrechts auch andere Einrichtungen in Anspruch nehmen können. Jedoch hat dies zur Folge, dass die Mehrkosten vom Leistungs- berechtigten zu tragen sind. Dies ist Menschen mit geringem Einkommen nicht mög- lich.
Lösungsansätze:
Um die Selbstbestimmungsrechte der Leistungsberechtigten zu verwirklichen, muss der Grundsatz des § 9 SGB IX umgesetzt werden. Die Konvergenz mit den anderen einschlägigen Sozialgesetzbüchern ist herzustellen Es muss klargestellt werden, dass den berechtigten Wünschen der Leistungsberechtigten gemäß ihrer persönli- chen Lebenssituation, ihrem Alter, ihrem Geschlecht und der Familie sowie der reli- giösen und weltanschaulichen Bedürfnisse nachzukommen ist, wenn medizinische Gründe dem nicht entgegen stehen.
Hat ein Rehabilitationsträger einen Vertrag mit der Einrichtung bzw. Dienst der medi- zinischen Rehabilitation abgeschlossen, muss diese Einrichtung auch von allen Leis- tungsberechtigten – unabhängig davon, welcher Reha-Träger für die Leistung zu- zuständig ist - gewählt werden können. Das Wunsch- und Wahlrecht darf nicht durch bloßen Verweis auf das Wirtschaftlichkeitsgebot der Leistungserbringung oder durch eine Zuzahlungsverpflichtung eingeschränkt werden.
Kapitel 2 Infrastrukturelle Voraussetzungen
2.1 Kooperation und Koordination als zentrale Zielsetzung des SGB IX
Aus der Vielgliedrigkeit des Gesundheitssystems resultiert eine Vielzahl von Schnitt- stellen-Problemen, die eine am individuellen Bedarf ausgerichtete Leistungs- erbringung und Fallsteuerung auch in der medizinischen Rehabilitation erschweren. Mit dem SGB IX verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, die bedarfsgerechte Koordi- nation der Rehabilitationsleistungen und die Kooperation der Leistungsträger zu ge- währleisten. Dazu dienen insbesondere die Regelungen zur Vereinheitlichung von Normen und Verfahren im Allgemeinen Teil des SGB IX. Die damit verbundenen Ko- operations-, Koordinations- und Konvergenzbestimmungen sind jedoch trotz der Be- mühungen der Reha-Träger und der Leistungserbringer in der Praxis noch nicht vollständig umgesetzt. Zudem sind die Bestimmungen der verschiedenen Leistungs- gesetze weitgehend unverändert geblieben und nicht ausreichend mit dem SGB IX abgestimmt worden.
Lösungsansätze:
Erforderlich sind vernetzte und integrierte Behandlungsformen in der Weise, dass
die jeweiligen Reha-Ziele und Reha-Leistungen trägerübergreifend so bestimmt und durchgehend gesichert werden, dass sie aus Sicht der leistungsberechtigten Rehabi- litanden „wie aus einer Hand“ erscheinen.
Für die Realisierung dieses Ziels müssen verschiedene fachliche und strukturelle
Voraussetzungen geschaffen werden.
2.2 Frühzeitige und trägerübergreifende Bedarfserhebung und Planung
Durch die frühestmögliche Erkennung eines vorliegenden Reha-Bedarfes kann eine Chronifizierung und Verschlimmerung von Erkrankungen, eine vorzeitige Pflege- bedürftigkeit oder Berufsunfähigkeit verhindert werden. Im SGB IX – und den Ge- meinsamen Empfehlungen der Rehabilitationsträger – sind Bestimmungen zur früh- zeitigen Bedarfserkennung formuliert. So ist gemäß § 10 SGB IX bei Zuständigkeit verschiedener Träger der nach § 14 SGB IX leistende Reha-Träger dafür verantwort- lich, dass die beteiligten Rehabilitations-Träger den individuellen Bedarf feststellen und die nahtlose Realisierung der erforderlichen Leistungen sicherstellen. Diese Bestimmungen werden jedoch unzureichend umgesetzt. Auch gibt es bislang keine für alle Sozialgesetzbücher einheitliche Festlegung von Anforderungen, Instrumenten oder Verfahren der Bedarfsermittlung und Planung der Leistungserbringung.
Lösungsansätze:
Grundsätzlich ist im Versorgungssystem sicherzustellen, dass erste Anhaltspunkte für einen möglichen Rehabilitationsbedarf erkannt und überprüft werden. Dies können beispielsweise das Vorliegen einer chronischen Erkrankung, Multimorbidität, (drohende) Pflegebedürftigkeit, (drohende) Behinderung sowie besonders belasten- de Arbeits- und Lebensbedingungen oder ein längerer Krankenhausaufenthalt, aber auch der Bezug einer Erwerbsminderungsrente sein.
Grundlage für die Bedarfsermittlung soll eine umfassende, unabhängige und fachlich kompetente Information und Beratung sein. Die Bedarfsermittlung selbst soll auf der konzeptionellen Grundlage der ICF erfolgen, sich am individuellen Hilfebedarf und den vorhandenen persönlichen Ressourcen orientieren sowie die Kontextfaktoren berücksichtigen. Sie muss als Aushandlungsprozess gestaltet werden und gemein- sam mit dem Rehabilitanden erfolgen. Dabei ist der Hilfebedarf zunächst unabhängig von leistungsrechtlichen Fragen ergebnisoffen zu ermitteln, d.h. Bedarfserhebung
und leistungsrechtliche Bescheidung sind strikt zu trennen.
Die Feststellung des individuellen Reha-Bedarfs muss trägerübergreifend organisiert werden. Diesbezüglich spricht sich die BAGFW für die Fortentwicklung des im SGB
IX bereits verankerten Federführungsprinzips aus: Der nach § 14 zuständige Rehabi- litationsträger oder ein von diesem beauftragter Träger soll den gesamten Teilhabe- bedarf der leistungsberechtigten Person ermitteln, den Teilhabeplan und ggf. ein Fallmanagement zur Verfügung stellen.
Die BAGFW unterstützt den Vorschlag des Deutschen Vereins, dass ein individueller Anspruch auf ein Verfahren unter Beteiligung aller Leistungsträger ausdrücklich nor- miert wird, sofern nicht der Sachverhalt eine einfache Entscheidung nahe legt. Ferner wird die Forderung unterstützt, dass bei mangelhafter Beteiligung eines Leistungs- trägers der federführende Träger für den anderen leistet und von ihm Erstattung ver- langen kann.
2.3 Rehabilitative Versorgung im Sozialraum und Sicherstellungsauftrag
Gerade für chronisch kranke Menschen und Menschen mit Behinderung gilt, dass Teilhabe oft nur durch den unmittelbaren Einbezug von Kontextfaktoren aus der Le- benswelt verbessert werden kann – insbesondere dann, wenn Teilhabe trotz weiter bestehender Beeinträchtigungen möglich sein soll.
Die medizinische Rehabilitation ist bislang jedoch noch ungenügend in den Sozial- raum integriert und mit anderen Leistungsangeboten verbunden. Nach wie vor fehlen ambulante, wohnortnah verfügbare oder mobile Angebote als sinnvolle Ergänzung der Akutversorgung oder der stationären Rehabilitation. Dafür sind tragende Netz- werkstrukturen erforderlich, die bislang noch nicht ausreichend entwickelt wurden.
Nach § 19 Abs. 1 SGB IX sind die Reha-Träger gemeinsam – und unter Beteiligung der Bundesregierung und der Landesregierungen als oberste Aufsichtsbehörden – dafür verantwortlich, dass die fachlich und regional erforderlichen Leistungserbringer
in ausreichender Zahl und Qualität zur Verfügung stehen. Dieser Sicherstellungs- auftrag bezieht sich in erster Linie auf die Verpflichtung der Reha-Träger zur Koordi- nation ihrer auf die Infrastruktur bezogenen Aktivitäten. Ein wichtiges Instrument zur Umsetzung des Sicherstellungsauftrages wären die regionalen Arbeitsgemeinschaf- ten gem. § 12 Abs. 2 SGB IX, die bisher jedoch nicht umgesetzt worden sind.
Lösungsansätze:
Um ein bedarfsgerechtes System zu gestalten, befürwortet die BAGFW den Ausbau wohnortnaher ambulanter und mobiler Rehabilitationsdienste. Für eine niedrig- schwellige trägerübergreifende und fachlich unabhängige Information, Beratung, Be- darfsermittlung und trägerunabhängige Begutachtung sind sektorenübergreifende Kompetenznetzwerke zu entwickeln. Sie sollen über die Professionen des Gesund- heitssystems i.e.S. hinausgehen und andere Bereiche, wie beispielsweise die psy- chosoziale Versorgung, mit einbeziehen.
Die Kompetenznetzwerke sollen das erforderliche Fall- und Schnittstellenmanage- ment abstimmen und sozial- und rehamedizinische Konsilien im Krankenhaus, in sta- tionären Pflegeeinrichtungen, in Einrichtungen der Behindertenhilfe und der Gemein- depsychiatrie gewährleisten.
Daher soll auch innerhalb der Rehabilitationsmaßnahme geklärt werden, welche Rol- le dem Sozialraum zukommen soll, also welche Bedeutung dabei die Familie, die Nachbarn, der Betrieb, die im Quartier vorhandenen Strukturen - wie beispielsweise die Dienste der Freien Wohlfahrtspflege - haben können. Im Rahmen der sozial- räumlichen Versorgung muss allerdings bedacht werden, dass nicht alle – hochspe- zialisierten und differenzierten – Leistungen in der erforderlichen Qualität wohnort- nah erbracht werden können. Daher ist jeweils zu prüfen, wann die wohnortfernere Erbringung bedarfsgerechter ist und wann und in welchen Fällen eine Rehabilitation im nahen Sozialraum zielführender ist.
Zur Umsetzung des Sicherstellungsauftrags sollen die Bestimmungen des SGB IX zu den regionalen Arbeitsgemeinschaften, zu denen sich die Rehabilitationsträger und ihre Verbände nach § 12 Abs. 2 SGB IX zusammenschließen sollen, künftig ver- pflichtenden Charakter erhalten. Zudem sollen die Aufgaben der regionalen Arbeits- gemeinschaften im Gesetz ausformuliert und konkretisiert werden.
2.4 Schnittstellen und Übergänge
Die medizinische Rehabilitation ist bisher nur unzureichend mit den anderen Sekto- ren des Gesundheitssystems verbunden. Oftmals sind Übergangsprobleme festzu- stellen. Das medizinische System ist kurativ ausgerichtet.
2.4.1 Kurative Versorgung und medizinische Rehabilitation
Obwohl die chronischen Krankheiten an Bedeutung zunehmen, ist die kurative Ver- sorgung sowohl hinsichtlich der Bedarfsermittlung als auch sektorenübergreifenden Versorgung zu wenig rehabilitativ ausgerichtet.
Auch die Disease-Management-Programme sind bisher vorwiegend kurativ-medizi- nisch ausgerichtet. Die Verträge zur Integrierten Versorgung gem. § 140 a – d SGB V haben bisher nicht flächendeckend zur Ausgestaltung umfassender und vernetzter Strukturen unter Einbindung rehabilitativer Leistungen geführt.
Lösungsansätze:
Die Kurative Versorgung ist in der Weise stärker rehabilitativ auszurichten, dass re- gelmäßig geprüft wird, ob Patientinnen und Patienten in ihrer Teilhabe ein- geschränkt sind. Dies gilt auch für die Disease-Management-Programme, denn eine chronische Krankheit muss immer als ein Anhaltspunkt für einen Rehabilitations- bedarf bewertet und auf den hieraus resultierenden Reha-Bedarf überprüft werden. Eine nahtlose Überleitung aus der Kurativversorgung in die Rehabilitation ist durch eine frühzeitige Gesamtplanung sicherzustellen.
2.4.2 Rehabilitation und Pflege
Die geriatrische Rehabilitation ist ein entscheidendes Instrument zur Vermeidung, Minderung und Verhütung einer Verschlimmerung von Pflegebedürftigkeit. In Kapitel
1.1.1. dieses Papiers ist bereits auf die besonderen Probleme in der medizinischen
Rehabilitation älterer Menschen eingegangen worden.
Derzeit existiert keine ausreichende flächendeckende Angebotsstruktur für die medi- zinische Rehabilitation pflegebedürftiger bzw. geriatrischer Patienten. Mobile geriatri- sche Rehabilitationsdienste gibt es, wie oben ausgeführt, bisher nur an wenigen Standorten im gesamten Bundesgebiet.
Der Rehabilitationsbedarf pflegebedürftiger Menschen wird oftmals nicht erkannt, die notwendigen Leistungen zu spät erbracht und nicht ausreichend sektoren- übergreifend koordiniert.
Lösungsansätze:
Die Sicherstellung eines bedarfsgerechten flächendeckenden und flexiblen regio- nalen Angebots ist als eine öffentliche Aufgaben anzusehen, die die Rehabilitations- träger in Kooperation mit den Kommunen umzusetzen haben.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege setzt sich für Verände- rungen im Zugang, der Bedarfserhebung und hinsichtlich der Angebotsstruktur ein:
Das durch das Pflege-Neuausrichtungsgesetz bereits modifizierte Verfahren zur Ein- leitung von medizinischer Rehabilitation (nach §§ 18, 18a SGB XI ) kann dadurch entbürokratisiert und beschleunigt werden, dass die Feststellung des Reha- bilitationsbedarfs durch den medizinischen Dienst oder unabhängige Gutachter im Rahmen der Feststellung der Pflegebedürftigkeit Grundlage der Leistungsentschei- dung des Reha-Trägers wird. Dies allerdings setzt eine optimierte Schulung der Gut- achter im Hinblick auf zielgruppenspezifische Rehabilitationsziele, - Konzepte und regionale Angebote voraus sowie die Beherrschung adäquater und zielgruppen- sensibler Assessmentverfahren zur Erhebung des Rehabilitationsbedarfs.
Auf der Grundlage fachlich anerkannter Assessmentinstrumente ist auch für pflege- bedürftige Menschen eine frühzeitige Bedarfserkennung des Rehabilitationspotential durchzuführen und ein trägerübergreifender Behandlungsplan zu entwickeln, der die nahtlose und zügige Leistungserbringung von Reha-Träger, Kranken- und Pflege- versicherung sicherstellt.
Bei der Gestaltung der Rehabilitationsmaßnahmen für Pflegende ist nicht nur der einzelne Pflegende in den Blick zu nehmen, sondern auch dessen Pflegesituation selbst: Deren Verbesserung und Optimierung sollte deshalb stets Bestandteil der Rehabilitationsmaßnahme sein. Dazu bieten sich z. B. eine nachgehende häusliche Beratung z.B. durch Therapeuten und durch Hilfsmittelexperten in der häuslichen Umgebung oder eine ggf. kurze Phase der Mobilen Rehabilitation an.
Besondere Bedeutung sollten dabei Maßnahmen haben, die das Leben in der häus- lichen Umgebung ermöglichen, die die Selbstbestimmung und Mitgestaltung in der Pflege fördern und Pflegeprozesse sowie die Alltagsgestaltung nachhaltig er- leichtern, die Angehörigen oder Bezugspersonen befähigen und unterstützen, die Pflege ohne Überbeanspruchung und ohne negative Folgen für ihre eigene Gesund- heit und als gelingende Lebensaufgabe leisten zu können.
2.4.3 Medizinische Rehabilitation und Nachsorge
Nachsorge dient der Sicherung des Rehabilitationserfolges. Obwohl Maßnahmen der Nachsorge im Sozialrecht verankert sind, ist eine systematische Planung und Einlei- tung von Nachsorge längst nicht immer gewährleistet.
Lösungsansätze:
Bei Beendigung einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation sollte – unabhängig von der Form ihrer Erbringung – die Verpflichtung bestehen zu prüfen, ob und in wel- chem Umfang Nachsorgeleistungen erforderlich sind.
Für die Nachsorge sollten von den Rehabilitationsträgern im Sinne des § 13 SGB IX gemeinsam zielgruppenspezifische Konzepte entwickelt werden. Die Nachsorge- angebote sollen - unter Nutzung der regionalen und sozialräumlich ausgerichteten Kompetenznetzwerke - berufsbegleitend durchführbar, wohnortnah und flexibel ge- staltet werden, um die Barrieren bei der Inanspruchnahme möglichst gering zu hal- ten. Deshalb ist auch zu prüfen, ob und wie „neue Medien“ für die Nachsorge genutzt werden können.
Im Rahmen der Nachsorge sollen bei Bedarf auch funktionsverbessernde und teil- habefördernde Behandlungsmaßnahmen einschließlich Hilfsmittelversorgung erfol- gen können und durch weitere Maßnahmen (wie z.B. Wohnraumgestaltung, barriere- freie Umwelt, universal design) teilhabeorientiert flankiert werden.
Die BAGFW schlägt vor, dass sich die Rehabilitationsträger und Leistungserbringer auf eine Rahmenvereinbarung zur Nachsorge verständigen.
2.4.4 Medizinische Rehabilitation und Teilhabe am Arbeitsleben
Der verstärkten Zusammenarbeit zwischen Rehabilitationsträgern, Leistungs- erbringern und Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarktes kommt große Bedeu- tung dafür zu, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bis zum Eintritt in den Ru- hestand und darüber hinaus gesund bleiben. Die medizinische Rehabilitation ist jedoch noch nicht ausreichend beruflich orientiert. Auch ein gutes Zusammenspiel mit der betrieblichen Prävention hat sich noch nicht ausgebildet.
Lösungsansätze:
Aus Sicht der BAGFW ist eine noch deutlichere berufliche Orientierung der medizi- nischen Rehabilitation in der Weise erforderlich, dass die medizinische Rehabilitation in Diagnose und Therapie stärker auf die beruflichen/arbeitsbezogenen Belange ab- hebt. Durch trägerübergreifende Bedarfsermittlung und Planung der Leistungs- erbringung soll die Verzahnung von Maßnahmen der medizinischen und beruflichen Rehabilitation gewährleistet werden.
Eine neue Chance für eine stärkere Verbindung von betrieblicher Gesundheits- sicherung und medizinischer Rehabilitation eröffnet das Betriebliche Eingliederungs- management (§ 84 Abs. 2 SGB IX). Die betriebliche Prävention und das BEM bieten die Möglichkeit, einen Rehabilitationsbedarf frühzeitig zu erkennen. Damit dies auch geschieht, ist ein koordiniertes und trägerübergreifendes Informations- und Bera- tungsangebot der Sozialleistungsträger für die Unternehmen und die Beschäftigten notwendig.
2.4.5 Stärkung der Selbsthilfe
Aus Sicht der BAGFW sind die Selbsthilfeverbände ein „produktiver Stachel“ im pro- fessionellen Versorgungssystem, da sie Beteiligung konsequent einfordern und si- cherstellen sowie auf Weiterentwicklungsbedarfe aus Sicht der betroffenen Menschen aufmerksam machen.
Das Engagement vieler Rehabilitanden in Selbsthilfegruppen in der Phase nach ei- ner Rehabilitation kann einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung des Reha-Erfolgs leisten, denn Selbsthilfegruppen erbringen wichtige psychosoziale Unterstützungs- leistungen für die Rehabilitanden.
Oft sind die Vorstellungen der Rehabilitanden über die Arbeit von Selbsthilfegruppen eher vage, die Erwartungen diffus und die Hemmschwellen zur Kontaktaufnahme hoch.
Lösungsansätze:
Für die BAGFW stellt die selbsthilfe-freundliche Gestaltung der medizinischen Reha- bilitation ein wichtiges Qualitätsmerkmal dar. Rehabilitanden sollten bereits während der Rehabilitation über die Möglichkeiten und Chancen von Selbsthilfegruppen in- formiert werden.
Hinsichtlich der Finanzierung betont die BAGFW, dass die Förderung der Selbsthilfe nicht alleine den Sozialversicherungsträgern überlassen werden kann. Die öffentliche Hand ist gefordert, auf allen Ebenen gute Rahmenbedingungen für die Selbsthilfe zu schaffen.
Im Rahmen einer reformierten Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation sind die
Mitspracherechte der Selbsthilfe besser auszugestalten (vgl. Kapitel 3.2).
Kapitel 3 Sicherung der wirtschaftlichen Grundlagen und Systemsteuerung der medizinischen Rehabilitation
3.1 Sicherung der wirtschaftlichen Grundlagen
Bereits in den letzten Jahren wurde das Teilhabebudget der Rentenversicherung mehrfach ausgeschöpft. Die Leistungsausgaben der Krankenversicherung für Leis- tungen zur medizinischen Rehabilitation sind rückläufig. Aufgrund des demo- graphischen Wandels und des Bedeutungsgewinns chronischer Krankheiten erwartet die BAGFW, dass der Rehabilitationsbedarf in den nächsten Jahren jedoch eher zu- nehmen wird.
Innovative Rehabilitationskonzepte, wie die Mobile Rehabilitation, werden aus finan- ziellen Gründen von den Krankenkassen nicht umgesetzt. Die steigenden Qualitäts- anforderungen, die Personalkostenentwicklung, die Preisentwicklung und der Investitionsbedarf spiegeln sich in den Vergütungen nicht wider.
Die Festlegung der Vergütung ist derzeit weder sachdienlich noch fair: Sie ist nicht sachdienlich, da die im Bereich der Freien Wohlfahrtspflege vereinbarten Tarife nur unzureichend bei der Festlegung der Vergütung berücksichtigt werden. Sie sind nicht fair, da die Verhandlungssituation strukturell asymmetrisch ist.
Lösungsansätze:
Da es eine „Rehabilitation nach Kassenlage“ nicht geben kann, bewertet die BAGFW die Einführung eines demographischen Faktors in die Berechnung des Teilhabebud- gets der Rentenversicherung (nach § 220 SGB VI) als Schritt in die richtige Richtung, um den zu erwartenden Bedarf gerecht zu werden. Für den Bereich der GKV sind die Gründe für den Rückgang der Ausgaben für die medizinische Rehabilitation sorgfäl- tig zu erschließen.
Eine auskömmliche Finanzierung muss einerseits die Umsetzung zukunftsweisender Konzepte und andererseits die Übernahme der tatsächlich entstehenden Kosten ei- ner hochwertigen Versorgung gewährleisten. Allgemeine Kostensteigerungen und einrichtungsspezifische Belange müssen Berücksichtigung finden. Die BAGFW for- dert zudem eine Verpflichtung der Rehabilitationsträger zur Anerkennung der tarifli- chen Regelungen (bzw. Vereinbarungen zwischen Arbeitnehmern und -gebern) in der Kalkulation der Vergütungssätze. Die Reha-Träger sollten dazu verpflichtet wer- den, sich mit den Leistungserbringern (einschließlich der Freien Wohlfahrtspflege) in bundesweiten Rahmenvereinbarungen auf Vergütungsgrundsätze zu verständigen.
3.2. Reform der Systemsteuerung
Im Unterschied zu den anderen Versorgungssektoren sind der medizinischen Reha- bilitation kollektivvertragliche Regelungen und gemeinsame Aushandlungen mit den Leistungserbringern weitgehend fremd. Die im SGB IX eröffnete Möglichkeit, dass die Rehabilitationsträger mit Arbeitsgemeinschaften von Rehabilitationsdiensten und
-einrichtungen mit gleicher Aufgabenstellung (nach § 19 Abs. 6 SGB IX) Rahmenver- träge abschließen (nach § 21 Abs. 2 SGB IX) wird nicht wahrgenommen. Durch die- se leistungserbringungsrechtliche Konstellation besteht, wie oben bereits erwähnt, eine scharfe Asymmetrie zwischen Leistungserbringern und Rehabilitationsträgern. Ein weiteres Problem besteht darin, dass grundlegende leistungserbringungs- rechtliche Regelungen des SGB IX nicht ausreichend mit Regelungen der beson- deren Sozialgesetzbücher abgestimmt sind.
Lösungsansätze:
In einer Reform der Systemsteuerung sind die übergreifend geltenden Regelungen des SGB IX weiter zu entwickeln und die leistungserbringungsrechtlichen Normen der besonderen Sozialgesetzbücher auf ihre Kompatibilität mit den übergreifenden Bestimmungen des SGB IX hin zu überprüfen.
Reha-Träger und Leistungserbringer sollen verpflichtet werden, Rahmenverträge
(nach § 21 SGB IX) abzuschließen.
Die BAGFW schlägt zudem vor, die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) zu einem gemeinsamen Selbstverwaltungsorgan von Reha-Trägern und Leis- tungserbringern - einschließlich der Freien Wohlfahrtspflege und unter Beteiligung der Selbsthilfe - auszubauen. Innerhalb der BAR sollte zur Umsetzung des Sicher-
stellungsauftrags nach § 19 SGB IX eine Koordinierungsstelle geschaffen werden, an der auch die zuständigen bundes- und landesministeriellen Verantwortlichen mitwir- ken.
Die regionale Sicherstellung der rehabilitativen Versorgung soll unter Einbeziehung der regionalen Arbeitsgemeinschaften (nach § 12 Abs. 2 SGB IX) erfolgen.
Als einen ersten Schritt in die Richtung einer partnerschaftlichen Systemgestaltung zwischen Reha-Trägern und Leistungserbringern sind die Schiedsstellen für die me- dizinische Rehabilitation und Vorsorge im SGB V zu bewerten. Neben der Kranken- versicherung müssen aber auch andere Reha-Träger einbezogen werden. Deshalb ist die Schiedsstellenregelung auch im SGB IX zu verankern, in den besonderen So- zialgesetzbüchern ist darauf zu verweisen. Der Regelungsbereich der Schiedsstellen sollte zudem dahingehend erweitert werden, dass er sämtliche Inhalte der zwischen Leistungserbringern und Reha-Trägern abzuschließenden Verträge umfasst.
Kapitel 4 Weiterentwicklung der Qualitätssicherung und Teilhabeforschung
4.1 Qualitätssicherung und -management
Durch die Bestimmungen des SGB IX zum einrichtungsinternen Qualitäts- management und zur externen, vergleichenden Qualitätssicherung unterliegen die Einrichtungen der medizinischen Rehabilitation hohen Qualitätsansprüchen. Derzeit haben die Rehabilitationsträger unterschiedliche Qualitätssicherungssysteme. Sie sind mitunter mit erheblichem Verwaltungsaufwand für die Einrichtungen verbunden und werden in der Vergütung nur unzureichend berücksichtigt.
Lösungsansätze:
Im Interesse der Rehabilitanden steht die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege zu den hohen Qualitätsstandards der medizinischen Rehabilitation, tritt jedoch zugleich für eine bürokratiearme Weiterentwicklung zum Nutzen der Re- habilitanden ein. Die steigenden Qualitätsanforderungen müssen zudem in den Ver- gütungen berücksichtigt werden.
Inhaltlich spricht sich die BAGFW dafür aus, dass die Anwendung der ICF als kon- zeptionelle Grundlage und als Qualitätskriterium verstärkt Berücksichtigung findet, da sie Teilhabeeinschränkungen und Ressourcen deutlich macht,
Über das bereits eingefügte „Federführungsprinzip“ hinaus spricht sich die BAGFW für ein trägerübergreifendes System der vergleichenden Qualitätssicherung (derzeit unterschiedliche Systeme der GKV und GRV) aus, das zwischen Leistungserbringern und Rehaträgern vereinbart wird.
4.2. Teilhabeforschung und Verbesserung der Datenlage
Die Datenbasis in der medizinischen Rehabilitation ist bislang unzureichend. So lie- gen beispielsweise keine validen Daten zur medizinischen Rehabilitation von Kindern und Jugendlichen im Bereich der GKV oder zur Rehabilitation pflegebedürftiger Men- schen vor. Zu vielen Fragen des Prozesses der Teilhabesicherung liegen nur wenige Informationen vor.
Lösungsansätze:
Die BAGFW spricht sich für eine trägerübergreifend abgestimmte Statistik der Reha- bilitationsträger aus, die Aussagen zum Antrags- und Bewilligungsgeschehen trifft, regional und geschlechtsspezifisch differenziert ist und weitere für die Rehabili- tationsforschung relevante Daten bereit hält.
Da das Ziel der Rehabilitation in der Ermöglichung von Teilhabe besteht, ist die For- schung verstärkt als Teilhabeforschung auszurichten. Das bedeutet, dass in Zukunft neben klinischen Parametern vermehrt Fragen zur Gestaltung der Lebenspraxis in den Vordergrund rücken sollten. Die Forschung sollte nicht nur die einzelne Rehabili-
tationsmaßnahme, sondern den gesamten Prozess der Teilhabesicherung in den
Fokus nehmen.
Ausblick
Die medizinische Rehabilitation war bislang zu Unrecht das „ungeliebte Kind“ im Ge- sundheitssystem. Aber angesichts der nachgewiesenen Wirksamkeit der Rehabili- tations-Leistungen einerseits und der absehbaren Entwicklungen künftiger Krank- heitsentwicklungen andererseits ist sie ein wichtiger und unverzichtbarer Bestandteil einer umfassenden Versorgung und ein wichtiger Beitrag zur (Wieder-)Herstellung und Sicherung der Teilhabe.
Die BAGFW sieht politischen Handlungsbedarf bezüglich der Überwindung der ho- hen Zugangshürden, der Eröffnung von Rehabilitationschancen für Bevölkerungs- gruppen, die bislang kaum Zugang zu Rehabilitationsleistungen finden sowie der frühzeitigen und trägerübergreifen Bedarfsfeststellung.
Notwendig ist eine rehabilitationspolitische Strategie, die neben der klassischen sta- tionären und ambulanten Rehabilitation auch neue flexible Konzepte berücksichtigt und etabliert. Bei der Verbesserung der Rahmenbedingungen ist es aus unserer Sicht unerlässlich, eine ausbalancierte Gestaltungsmacht in der Selbstverwaltung herzustellen.
Mit den vorliegenden Positionen lädt die BAGFW zur Diskussion zur Reform des Systems der medizinischen Rehabilitation ein. Dabei ist es unerlässlich, auch die Umsetzungsprobleme und eine Weiterentwicklung des SGB IX intensiv zu beraten, damit die medizinische Rehabilitation einen substantiellen Beitrag dazu leisten kann, die Lebensqualität des Einzelnen zu verbessern und allen Menschen Teilhabe am sozialen Leben zu ermöglichen.