Positionspapier der BAGFW zu den Ergebnissen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Vereinfachung des passiven Leistungsrechts - einschließlich des Verfahrensrechts - im SGB II (Rechtsvereinfachung im SGB II)

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) nimmt eine Bewertung des nunmehr veröffentlichten Abschlussberichts der Bund-Länder-AG „Rechtsvereinfachung im SGB II“ vor.

Vorbemerkung

 

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) nimmt eine Bewertung des nunmehr veröffentlichten Abschlussberichts der Bund-Länder-AG „Rechtsvereinfachung im SGB II“ vor.

 

Bezüglich der an sich konsentierten Vorschläge zu Sanktionen hat allein Bayern einen Vorbehalt angemeldet. Dementsprechend verbleibt dieser Vorschlag in der Darstellung.

 

Die konsentierten Vorschläge der Bund-Länder-AG aus dem Abschlussbericht sind wörtlich in Kästen zitiert, die Zusammenfassung aus Sicht der BAGFW und die Bewertung sind jeweils ohne Kasten darunter gefasst.

 

Zusammenfassung

 

Zentrale Vorschläge sind u. a.

 

·         Die Verlängerung des Regelbewilligungszeitraums auf zwölf Monate,

·         die Zulässigkeit der Darlehensgewährung bei vorzeitigem Verbrauch einer einmaligen Einnahme,

·         die Schnittstellen zur Ausbildungsförderung,

·         die Aufnahme eines eigenständigen Tatbestandes zur vorläufigen Leistungsgewährung in das SGB II,

·         die Ermöglichung einer trägerübergreifenden Aufrechnung und weitere Erleichterungen bei der Aufrechnung,

·         die Sicherstellung von Erstattungsansprüchen der Grundsicherungsträger gegen andere Sozialleistungsträger bei Vorleistungen,

·         Vereinfachungen im Sanktionsrecht, wie die Angleichung der Sanktionsvorschriften für die Altersgruppen unter 25 Jahre und ab 25 Jahre und

·         die Einführung eines einheitlichen Minderungsbetrages für jede Pflichtverletzung.

 

Die Vereinfachungsvorschläge zum Sanktionsrecht lehnt das Land Bayern ab.“

 

 

1.         Einkommen und Vermögen

 

Nr. 3:     Behandlung einmaliger Einnahmen; Darlehensgewährung bei
              vorzeitigem Verbrauch einer einmaligen Einnahme - § 11 Abs. 3 SGB II

 

Kurzbeschreibung:
„Bei der Verteilung einmaliger Einnahmen auf sechs Monate kommt es vor, dass Leistungsberechtigte die Einnahme vorzeitig verbrauchen und Hilfebedürftigkeit eintritt. Nach der Rechtsprechung besteht in diesem Fall ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II, weil durch den Verbrauch der einmaligen Einnahme keine "bereiten Mittel" zur Bestreitung des Lebensunterhaltes zur Verfügung stehen. Wurde Hilfebedürftigkeit zumindest grob fahrlässig herbeigeführt, sind Ersatzansprüche nach § 34 SGB II zu prüfen.
Zur Vermeidung aufwändiger Prüfungen von Ersatzansprüchen soll die darlehensweise Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Ergänzung § 24 SGB II) ermöglicht werden.“

 

Zusammenfassung aus Sicht der BAGFW:

 

Einmalige Einnahmen (z. B. Weihnachts- und Urlaubsgeld) werden grundsätzlich nicht nur im Zuflussmonat angerechnet, sondern werden, wenn der Leistungsanspruch bei Anrechnung in einem Monat entfällt, auf 6 Monate aufgeteilt. Hierdurch kann auch in diesen Monaten der Leistungsanspruch verloren werden. Wenn das Geld jedoch schon ausgegeben worden ist, erkennt die Rechtsprechung wiederum einen Anspruch auf ALG II in den Folgemonaten an. Die Regelung zur Verteilung des Einkommens läuft daher leer, es sei denn, das Jobcenter kann Ersatz für das erneut gezahlte ALG II verlangen, weil die Hilfebedürftigkeit „grob fahrlässig herbeigeführt“ wurde. Der Vorschlag sieht vor, statt einem Anspruch auf ALG II zukünftig nur einen Darlehensanspruch einzuführen.

 

Bewertung:

 

Grundsätzlich ist das Existenzminimum zu sichern. Soweit die hierfür erforderlichen Mittel nicht mehr zur Verfügung stehen, scheint die Gewährung eines Darlehens besser als gar keine Leistung. Der Vorschlag löst das zugrundeliegende Problem jedoch nicht, sondern weist in die falsche Richtung. In Fällen, in denen bisher auf Grundlage der Rechtsprechung Leistungen als Zuschuss gewährt wurden, führt er zu einer deutlichen Verschlechterung und ist abzulehnen. Wünschenswert wäre eine gesetzliche Klarstellung dahingehend, dass Leistungen erneut gewährt werden müssten, wenn die einmaligen Einnahmen bereits verbraucht wurden und keine bereiten Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung stehen. Gem. § 11 Abs. 3 SGB II sind einmalige Einnahmen (z. B. Steuererstattung, Erbschaft) gleichmäßig auf einen Zeitraum von sechs Monaten aufzuteilen, wenn deren Anrechnung in einem Monat die Hilfebedürftigkeit entfallen ließe. Wurde die einmalige Einnahme aber bereits vorher verbraucht, können SGB II-Leistungen als Zuschuss beantragt werden. Demgegenüber kann der Grundsicherungsträger allenfalls einen Erstattungsanspruch nach § 34 SGB II wegen schuldhaften Herbeiführens einer Notlage geltend machen (vgl. BSG, Urteil vom 29.11.2012, Az: B 14 AS 33/12 R). Nach Auffassung des BSG kommt eine darlehensweise Leistungsgewährung derzeit nicht in Betracht, da auch weitere Voraussetzungen des § 24 SGB II nicht erfüllt sind.

Soweit mit der Neuregelung eine Entlastung erwerbstätiger Leistungsbeziehender von komplizierten Ersatzvorschriften mit unklaren Folgen intendiert wird, ist diese Intention zu begrüßen. Die vorgeschlagene darlehensweise Leistungsgewährung bei vorzeitigem Verbrauch einer einmaligen Einnahme würde nunmehr die für die Leistungsberechtigten günstigere Zuschusslösung „verbauen“ und die Darlehenslösung festschreiben, obwohl das BSG zurecht darauf hingewiesen hat, dass in einer solchen Konstellation die weiteren in § 24 SGB II verankerten Voraussetzungen für ein Darlehen nicht erfüllt sind.

 

Die BAGFW spricht sich daher dafür aus, dass im Falle einer Hilfebedürftigkeit nach Aufzehren der einmaligen Einnahme nach wie vor SGB II-Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Zuschuss beantragt werden können. Folgerichtig wäre es zudem, wenn einmalige Zuflüsse auch nur im Monat des Zuflusses als Einkommen angerechnet würden und verbleibende Mittel danach entsprechend der Regelungen für Schonvermögen behandelt würden.

 

Nr. 7:   Bagatellgrenze bei Einkommen; Einführung eines Freibetrags für
geringfügige Kapitalerträge- § 11a SGB II, §1 Alg II V

 

Kurzbeschreibung:
„Die geltende Bagatellgrenze von 10 Euro monatlich (§ 1 Absatz 1 Nummer 1 Alg II-V) erfasst nicht Kapitalerträge, die nur einmal jährlich anfallen und ­ wenn auch nur geringfügig - darüber liegen. Da es sich um eine Bagatellgrenze handelt, sind Kapitalerträge, die höher als 10 Euro sind, in voller Höhe als Einkommen zu berücksichtigen. Betroffen sind insbesondere Sparbücher von Kindern mit geringen Zinseinnahmen.

Mit einem jährlichen Freibetrag von 100 Euro für Kapitalerträge sollen diese Kapitalerträge weitestgehend anrechnungsfrei werden.“

 

Bewertung:

 

Der Vorschlag einer Ausweitung der Bagatellgrenze bei Einkommen und Einführung eines Freibetrages für geringfügige Kapitalerträge wird begrüßt. Jedoch ist die Festsetzung des jährlichen Freibetrags von 100 Euro nicht nachvollziehbar. Um eine Ungleichbehandlung gegenüber Personen, die monatlich bis zu 10 Euro an anrechnungsfreiem Einkommen erhalten, zu vermeiden, wäre ein Freibetrag von 120 Euro konsequent. Die BAGFW regt daher an, die Bagatellgrenze auf 120 Euro anzuheben.

 

Nr. 9:    Einführung eines Pauschbetrages für "Riester-Renten"-Abzug- § 11b Abs. 1 Nr. 4 SGB II

 

Kurzbeschreibung:
„Aufwendungen für eine "Riester-Rente" können in Höhe des förderbaren Betrages vom Einkommen abgesetzt werden. Zur Prüfung, ob die geleisteten Aufwendungen für eine .“Riester-Rente" plausibel sind, d. h. dem förderbaren Betrag entsprechen, ist grundsätzlich das Heranziehen des Vorjahreseinkommens erforderlich. Dieses liegt den Jobcentern nicht vor.
Zur Vereinfachung soll der "Riester-Renten"-Abzug pauschaliert werden: 3% des monatlichen Bruttoeinkommens, mindestens aber 5 Euro. Dieser Betrag mindert sich um 0,5% für jedes zulagenberechtigte Kind, höchstens um 2 Prozentpunkte.“

 

 

 

Bewertung:

 

Der Wunsch nach einer Pauschalierung, der in Absatz zu bringenden Aufwendungen für eine „Riester-Rente“ erscheint unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensvereinfachung für die Jobcenter nachvollziehbar. Dennoch darf in diesem Zusammenhang nicht außer Betracht bleiben, dass in den unteren Einkommensbereichen nur sehr wenige Personen überhaupt privat für ihr Alter vorsorgen können. Insoweit steht der Vorschlag, den „Riester-Renten“-Abzug zu pauschalieren, im Widerspruch zur politischen Forderung, mehr Menschen dazu zu bewegen, privat zusätzlich Altersvorsorge zu betreiben. Leistungsberechtigte sollten nach Ansicht der BAGFW deshalb eine andere Absetzung beantragen können, wenn sie mit der Pauschale ihren Riester-Mindestbeitrag nicht decken können.

 

Problematisch ist aus Sicht der BAGFW auch, die Pauschale an die Höhe des aktuellen monatlichen Bruttoeinkommens anzuknüpfen. Denn § 86 Abs. 1 Satz 2 EStG sieht als Mindesteigenbetrag 4% der Einnahmen des vorangegangenen Kalenderjahres vor. Dies berücksichtigt nicht die zum Teil erheblichen Einkommenseinbußen infolge einer länger anhaltenden Arbeitssuche. Hier kann insbesondere nach dem Übergang von Arbeitslosengeld zu Arbeitslosengeld II der Vergleich mit dem Einkommen des vorvergangenen Jahres erhebliche Differenzen ergeben, die der vorgeschlagene pauschale Absetzbetrag in einer Vielzahl der Fälle nicht abdeckt und den die Leistungsberechtigten dann aus ihrem Regelbedarf finanzieren müssten. In den Fällen, in denen der Absetzbetrag nicht ausreicht, müsste dann der Riester-Vertrag ruhend gestellt werden. Kritisch wird auch die Möglichkeit der Minderung des Pauschalbetrages gesehen. Es ist nicht nachvollziehbar, warum sich der Pauschalbetrag für jedes zulagenberechtigte Kind um weitere 0,5 Prozentpunkte mindern soll.

Insgesamt kann damit ein zu niedrig angesetzter Pauschalbetrag für Beiträge zur geförderten Altersvorsorge Menschen davon abhalten, für ihr Alter vorzusorgen bzw. diese dazu zwingen, ihre Verträge ruhend zu stellen, was die Gefahr künftiger Altersarmut weiter erhöht.

 

Nr. 11: Klarstellung hinsichtlich des Absetzbetrags von 100 € (Grundfreibetrag    bei Einkommen-§ 11b Abs. 2 Satz 2 SGB II)

 

Kurzbeschreibung:
„Nach § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II ist anstelle der Beträge nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bis 5 ein Betrag von 100 Euro abzusetzen; bei Einkommen über 400 Euro können auch nachgewiesene höhere Aufwendungen berücksichtigt werden. Aus dem Wortlaut ist nicht ersichtlich, dass diese Regelung nur für Erwerbseinkommen gilt. Dies soll klar gestellt werden.“

 

Zusammenfassung aus Sicht der BAGFW:

 

Den pauschalierten Grundfreibetrag übersteigende Absetzbeträge für tatsächliche Aufwendungen können nur bei Erwerbseinkommen von mehr als 400 EUR geltend gemacht werden.

 

Bewertung:

 

Eine solche Klarstellung entspricht dem Gesetzeszweck, da § 11b Abs. 2 Satz 2 SGB II eine Privilegierung lediglich von Erwerbseinkommen und nicht von allen Einkommensarten (z. B. aus Vermietung) bezweckt. Diese Einschränkung geht allerdings aus dem Wortlaut des § 11 Abs. 2 SGB II nicht hervor, insofern ist die angestrebte Klarstellung nachvollziehbar. Aktuell können - entgegen dem offenbar angestrebten Regelungszweck - Leistungsberechtigte, die Erwerbseinkommen beziehen, den Absetzbetrag auch in Bezug auf andere Einkommensarten (z. B. Mieteinnahmen) beanspruchen. Dieser Widerspruch ist durch zwei Wege auflösbar: entweder es erfolgt die vorgeschlagene Klarstellung oder die Absetzmöglichkeit in § 11b Abs. 2 Satz 2 SGB II muss sich auf alle Einkommensarten erstrecken.

 

Nr. 12: Klarstellung des Grundfreibetrags bei Zusammentreffen von Erwerbs-      einkommen aus ehrenamtlicher und sonstiger Tätigkeit (§ 11b Abs. 2       Satz 3 SGB II)

 

Kurzbeschreibung:
„Bei Einnahmen aus ehrenamtlicher Tätigkeit gilt ein erhöhter Freibetrag von 200 Euro statt 100 Euro. Aus dem Wortlaut der Norm ist nicht klar ersichtlich, wie mit Fällen umzugehen ist, in denen neben Erwerbseinkommen auch Einkommen aus ehrenamtlicher Tätigkeit erzielt wird, das geringer als der erhöhte Freibetrag ist.
Es soll klar gestellt werden, dass der erhöhte Freibetrag auf die Höhe des Einkommens aus ehrenamtlicher Tätigkeit begrenzt wird.“

 

Zusammenfassung aus Sicht der BAGFW:

 

Der Grundfreibetrag wird zukünftig immer nach der Einkommensart bemessen, nach der er höher ausfällt. Liegt das Einkommen aus ehrenamtlicher Tätigkeit z. B. bei 105 Euro (also über 100 Euro, aber unterhalb von 200 Euro) wird der Grundfreibetrag in Höhe von 105 Euro gewährt werden. Das soll auch dann gelten, wenn zusätzlich ein Erwerbseinkommen von z. B. 75 € erzielt wird. Liegt das Einkommen aus ehrenamtlicher Tätigkeit unterhalb von 100 Euro, aber das Erwerbseinkommen oberhalb von 100 Euro, soll der Grundfreibetrag 100 Euro betragen.

 

Bewertung:

 

Die gesetzliche Klarstellung des Grundfreibetrags bei Zusammentreffen von Erwerbseinkommen aus ehrenamtlicher und sonstiger Tätigkeit wird begrüßt, jedoch sollte in diesen Fällen immer der Grundfreibetrag von 200,00 Euro Anwendung finden.

 

Derzeit kann gemäß § 11b Absatz 2 Satz 3 SGB II eine Person, die mindestens aus einer Tätigkeit eine steuerfreie Aufwandsentschädigung im Sinn des EStG erhält, pauschal 200,00 Euro monatlich vom Einkommen (für Pflichtversicherungen, notwendige Ausgaben, die mit der Erzielung des Einkommens verbunden sind und geförderte Altersvorsorgebeiträge) absetzen. Folgt man dem Gesetzeswortlaut, kann also eine Person, die z. B. Erwerbseinkommen hat und eine Übungsleiterpauschale erhält, die 200,00 Euro pauschal absetzen. So wird dies auch von der Fachsoftware PROSOZ der BA berechnet. Die Fachlichen Hinweise (FH) der Bundesagentur für Arbeit (BA) sehen jedoch eine geringere Minderung vor. Sie gehen davon aus, dass nur die tatsächlich gezahlte Aufwandsentschädigung abgezogen werden darf. Die AG Rechtsvereinfachung schließt sich dieser Auffassung an.

 

Dies ist besonders dann problematisch, wenn die steuerfreie Einnahme unter 200,00 Euro liegt. Eine Gesetzesbegründung fehlt, weil die Sonderregelung im Zuge des Regelbedarfermittlungsgesetzes erst auf Vorschlag des Vermittlungsausschusses eingeführt wurde. Nach Kreikebohm/Spellbrink und Waltermann liegt es angesichts des Wortlautes näher, vom höheren Grundfreibetrag auszugehen, wenn eine entsprechende privilegierte Tätigkeit überhaupt ausgeübt wird (Kommentar zum SGB II,
§ 11b SGB II, Rn. 27). Auch die BAGFW ist der Ansicht, dass in diesen Fallkonstellationen grundsätzlich der Grundfreibetrag von 200 Euro maßgeblich sein sollte. Sofern die Summe aus dem Grundfreibetrag für Einkünfte aus Erwerbstätigkeit (§ 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II) und aus den Einkünften aus ehrenamtlicher Tätigkeit unter 200 Euro liegt, ist dieser Betrag anzusetzen. Diese Lösung wäre auch zielführend, weil sie der Intention des Ehrenamtsstärkungsgesetzes entspricht. Denn wer erwerbstätig ist, erhält bereits einen Freibetrag von 100 Euro. Nimmt er nun zusätzlich ein Ehrenamt mit einer Mehraufwandsentschädigung von z. B. 105 Euro auf, erhöht sich der Grundfreibetrag nach der vorgesehenen Neuregelung nur um 5 Euro, nach dem Vorschlag, den die BAGFW befürwortet, hingegen um 95 Euro. Der Erwerbstätigenbonus erhöht sich in beiden Varianten um 21 Euro (§ 11b Abs. 3 Nr. 1 SGB II).

 

2.         Anspruchsvoraussetzungen

 

Nr. 20: Systematische Bereinigung und Überführung der Leistungsaus-     schlüsse des § 7 (Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 bis 6) in eigene Vorschriften             - ohne inhaltliche Änderungen.

 

Kurzbeschreibung:

„Durch eine systematische Bereinigung soll die Norm zum einen übersichtlicher werden, zum anderen soll eine deutlichere Systemabgrenzung zum SGB XII (dort: § 21 SGB XII) die Rechtssicherheit- und Rechtsklarheit fördern. Darüber hinaus soll klarer herausgestellt werden, welche Personen dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II sind (Ausschlusstatbestände bündeln).“

 

Zusammenfassung aus Sicht der BAGFW:

 

Mit der angestrebten systematischen Bereinigung sollen die Leistungsausschlüsse für EU-Bürger/innen, Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, stationär Untergebrachte, Rentnerinnen, Beurlaubte und Auszubildende neu geregelt werden.

 

Bewertung:

 

Nach Auffassung der BAGFW ist eine solche systematische Klarstellung im Gesetz zwar grundsätzlich begrüßenswert. Die BAGFW weist jedoch darauf hin, dass die Leistungsausschlüsse für EU-Bürger/innen von den Wohlfahrtsverbänden grundsätzlich kritisch gesehen werden. Dies gilt vor dem Hintergrund, dass sie Europarechtskonformität der Ausschlussgründe des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II umstritten ist und eine höchstrichterliche Entscheidung hierzu noch aussteht.

 

Dringend regt die BAGFW eine Klärung insoweit an, dass behinderte Auszubildende, die Ausbildungsgeld nach §§ 117 ff. SGB III, besonders § 122 und § 123 SGB III erhalten, nicht unter den Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 5 SGB II fallen. Die bisherige Rechtsprechung dazu ist uneinheitlich, ein BSG-Urteil liegt unserer Kenntnis nach noch nicht vor.

 

Die Rechtsauffassung der Bundesagentur für Arbeit (BA), die das Gesetz so interpretiert, dass ein Ausschlusstatbestand vorliegt, hat im Zusammenwirken mit § 27 Abs. 2 SGB II de facto zu einer Abschaffung des Mehrbedarfs für behinderte Auszubildende geführt. Die damalige Gesetzesbegründung, dass notwendige behinderungsbedingte Leistungen über § 33 SGB IX (Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben) zu erhalten seien, trifft nicht die Lebenswirklichkeit und hat in der Praxis zu einer erheblichen Verschlechterung der Förderung junger behinderter Menschen in Ausbildung geführt.

 

Nr. 23: Temporäre Bedarfsgemeinschaft (§ 7 SGB II)

 

Kurzbeschreibung:
„Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes können umgangsberechtigte Elternteile für die Zeiten der besuchsweisen Aufenthalte der Kinder Leistungen für diese beantragen. Dies erfordert eine aufwändige, tageweise Berechnung für zwei bestehende Bedarfsgemeinschaften.
Ein Kind soll künftig nur einer Bedarfsgemeinschaft zugeordnet werden (Haupt-BG); maßgebliches Kriterium könnte die Kindergeldberechtigung sein. Dem umgangsberechtigten Elternteil soll ein Auszahlungsanspruch zuerkannt werden, wenn eine Einigung der Elternteile im Innenverhältnis nicht zu Stande kommt. Um diesen Auszahlungsanspruch mindert sich der Anspruch des Kindes in der Haupt-BG. Durch die Zubilligung eines Auszahlungsanspruches werden umfangreiche Änderungsbescheide entbehrlich.“

 

Zusammenfassung aus Sicht der BAGFW:

 

Für Kinder von getrennt Lebenden soll nur noch für den Hauptwohnsitz des Kindes Grundsicherung geleistet werden. Die Anwesenheit beim anderen Elternteil soll intern monetär ausgeglichen werden. Die Prüfung des Sachverhaltes durch die Jobcenter soll regelmäßig entfallen. Der Vorschlag geht in seinem Wortlaut offenbar davon aus, dass es regelmäßig einen allein sorgeberechtigten und einen nur umgangsberechtigten Elternteil geben würde und sich dieser Tatbestand an der Kindergeldberechtigung festmachen ließe.

 

Bewertung:

 

Der Vorschlag zur Regelung der Berücksichtigung umgangsberechtigter Elternteile geht von der Überlegung aus, dass einem alleinerziehenden Elternteil der Regelsatz für sein Kind ungeteilt zufließen sollte. Ferner geht der Vorschlag davon aus, dass Eltern üblicherweise autonom und in gemeinsamer Absprache regeln, dass der sorge- dem umgangsberechtigten Elternteil den Anteil am Regelsatz zukommen lässt, der für den Unterhalt des Kindes während des Umgangs erforderlich ist. Für den Konfliktfall sieht der Vorschlag eine die Verwaltung des Jobcenters vereinfachende Regelung vor, nach der eine Haupt-BG festgestellt und hierfür ein Bedarf ermittelt wird, während gleichzeitig vom Jobcenter ein Auszahlungsanspruch an den umgangsberechtigten Elternteil festgelegt wird.

 

Für die Betroffenen, insbesondere in konfliktbelasteten Konstellationen, stellt die Regelung jedoch keine Verbesserung dar. Fraglich ist, ob die Kindergeldberechtigung ein geeigneter Zuordnungspunkt des Kindes bzw. der Kinder zu einer Hauptbedarfsgemeinschaft sein kann, da das Kindergeld im Regelfall beiden Eltern zusteht.

 

Die BAGFW spricht sich dafür aus, dass dem sorgeberechtigten Elternteil in diesen Konstellationen der volle Regelbedarf verbleibt. Sie schlägt vor, dem umgangsberechtigten Elternteil einen Mehrbedarf zuzubilligen.

 

Soweit ein gemeinsames Sorgerecht besteht, ist am Prinzip der temporären Bedarfsgemeinschaft festzuhalten. Die Unterstellung, es gäbe hier eine Haupt-BG widerspricht den im Familienrecht festgestellten Rechten und Pflichten bei der Ausübung der gemeinsamen Sorge. Eine Abschaffung der temporären Bedarfsgemeinschaft dürfte in diesen Fällen zu zahlreichen Rechtsfragen und Rechtsklärungsversuchen führen, die nicht allein aus dem Leistungsrecht des SGB II heraus begründet werden, sondern aus dem Familien- und Sorgerecht.

 

Nr. 27: Weiterentwicklung der Abgrenzung der Grundsicherung für
              Arbeitsuchende von der Ausbildungsförderung - § 7 Abs. 5 SGB II

 

Kurzbeschreibung:
„Derzeit erhalten Auszubildende, die sich in einer dem Grunde nach mit Leistungen nach dem BAföG oder mit Berufsausbildungsbeihilfe bzw. Ausbildungsgeld förderungsfähigen Ausbildung befinden, kein Arbeitslosengeld II, sondern Leistungen nach § 27 SGB II (insbesondere für Mehrbedarfe und für Unterkunftskosten). Diese Rechtskonstruktion ist sehr kompliziert und führt insbesondere beim Übergang von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in die Ausbildungsförderung zu Problemen bei der Sicherung des Lebensunterhalts. Zudem besteht in einigen Fällen kein Anspruch auf Ausbildungsförderung, was die Aufnahme einer Ausbildung unmöglich macht. Die Probleme sollen durch eine möglichst weitgehende Einbeziehung aller Auszubildenden in Berufsausbildung und berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen sowie von Schülerinnen und Schülern in schulischen Ausbildungen in die Anspruchsberechtigung für ergänzendes Arbeitslosengeld II gelöst werden.“

 

Bewertung:

 

Der Vorschlag wird ausdrücklich begrüßt. Wenn Auszubildende oder Schüler/innen Berufsausbildungsbeihilfe bzw. BAföG erhalten, liegt der Betrag grundsätzlich unter der Höhe der Leistungen nach dem SGB II. Dies führt dazu, dass sie ergänzend Leistungen nach dem SGB II beantragen müssen. Dieser Personenkreis hat jedoch keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts mit Ausnahme der Leistungen nach § 27 SGB II. Danach haben sie unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf die Mehrbedarfe und auf einen Zuschuss zu den Kosten für Unterkunft und Heizung. Die Ermittlung der Leistungshöhe ist in diesen Fällen für die Verwaltung sehr aufwändig.

 

Zu Problemen kann es insbesondere in der Übergangszeit zwischen dem Bezug von Arbeitslosengeld II und dem Bezug von Ausbildungsförderung kommen. Nach derzeitiger Rechtslage haben Auszubildende lediglich für den ersten Monat des Ausbildungsbeginns einen Anspruch auf darlehensweise Gewährung von SGB II-Leistungen. Daher kann es zu einer Unterdeckung der Bedarfe der Auszubildenden kommen, wenn die Anträge verzögert gestellt wurden oder über die gestellten Anträge nicht schnell genug entschieden wird.

 

Ebenso problematisch ist es für Auszubildende, wenn sie keinerlei Anspruch auf irgendeine Form der Ausbildungsförderung haben. Dies erschwert die Aufnahme einer Ausbildung erheblich.

 

Zielführend ist es daher, wenn Auszubildende und Schüler/innen zukünftig ergänzend Arbeitslosengeld II beziehen können, um sie bei ihrer Berufsausbildung zu unterstützen.

 

3.         Kosten der Unterkunft und Heizung

 

Nr. 35a: Anspruchsbeschränkung nach § 22 Absatz 1 Satz 2 SGB II

 

Kurzbeschreibung:
„Zieht eine leistungsberechtigte Person ohne Zusicherung von einer angemessenen Wohnung in eine ebenfalls angemessene, aber teurere Wohnung, werden nur die bisherigen Aufwendungen als Bedarf anerkannt. Zieht die Person hingegen in eine unangemessene Wohnung, sind mangels anderslautender Regelung die (vollen) angemessenen Aufwendungen als Bedarf anzuerkennen.
Die aktuelle Regelung sollte daher auf Fälle ausgedehnt werden, in denen innerhalb eines Wohnungsmarktes ohne Zusicherung ein Umzug von einer angemessenen in eine unangemessene Wohnung erfolgt. Dazu ist in § 22 Absatz 1 Satz 2 SGB II das Wort „angemessenen" zu streichen.“

 

Zusammenfassung aus Sicht der BAGFW:

 

Wenn Leistungsberechtigte ohne Erlaubnis umziehen, sollen sie nach dem Vorschlag der Bund-Länder-AG in jedem Fall nur noch die vorherigen Aufwendungen erstattet bekommen. Durch diese Klarstellung sollen Rechtsstreitigkeiten darüber, ob Umzüge in Wohnungen unterhalb der Angemessenheitsgrenzen generell zulässig wären, vermieden werden. Diese Fälle wurden nicht bundeseinheitlich entschieden. Auch sollen Fälle entsprechend behandelt werden, bei denen im Anschluss an einen Umzug in eine Wohnung, die oberhalb der Angemessenheitsgrenze liegt, bislang ein Mietzuschuss entsprechend der maximalen Angemessenheitsgrenze erfolgte.

 

Bewertung:

 

Die BAGFW steht sowohl der alten Regelung als auch der neuen Regelung kritisch gegenüber. Maßgeblich für die Übernahme der Unterkunftskosten sollte allein die Angemessenheitsgrenze sein. Generell sollte das Genehmigungserfordernis entfallen, wenn die Aufwendungen für die Wohnung in die der bzw. die Leistungsberechtigte umziehen möchte, ebenfalls angemessen sind.

 

Wer jemals eine Wohnung in sehr schlechtem Zustand bezogen hat, weil sonst nichts frei war, kann faktisch – und nach der Neuregelung abschließend – keine Wohnung in gutem Zustand erlangen, auch wenn diese an sich als angemessen gilt. Wenn die Neuregelung auch für den Umzug an einen anderen Ort oder sogar Bundesland gelten würde, wäre die Freizügigkeit völlig ausgehebelt. Dann wäre etwa nach einem Umzug aus einer Gegend mit extrem niedrigem Mietniveau in eine besonders hochpreisige Gegend trotzdem die Ausgangsmiete weiter maßgeblich.

 

Eine gedeckelte Miete führt dazu, dass viele Betroffene nie mehr den vollen Regelsatz zur Verfügung haben, sondern diesen regelhaft für die Mietkosten mit verwenden müssen. Die Gefahr von Wohnungslosigkeit und einer fehlenden Deckung grundlegender Bedarfe, wie Nahrung und Kleidung, ist gegeben.

 

Aus diesen Gründen lehnt die BAGFW den Vorschlag ab. Sollte der Vorschlag umgesetzt werden, wäre ohnehin zu prüfen, wie lange die Absenkung Gültigkeit haben soll.

 

Nr. 35c: Zuständigkeit für die Zusicherung bei Umzug (§ 22 Abs. 4 SGB II)

 

Kurzbeschreibung:
„Bislang soll vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft eine Zusicherung des bisher örtlich zuständigen kommunalen Trägers eingeholt werden. Der künftig zuständige Träger ist zu beteiligen. Die Regelung hat sich in der Praxis nicht bewährt, weil der bisher örtlich zuständige kommunale Träger sich zunächst bei dem für die neue Unterkunft örtlich zuständigen kommunalen Träger hinsichtlich dessen Kriterien für die Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung informieren muss, um dann eine eigenständige Entscheidung in Anwendung der Angemessenheitskriterien des für die neue Unterkunft örtlich zuständigen kommunalen Trägers zu treffen. Zudem hat sich als problematisch herausgestellt, dass der für die neue Unterkunft örtlich zuständige kommunale Träger dann zunächst an die Entscheidung des bisher örtlich zuständigen kommunalen Trägers gebunden ist. Problematisch kann es auch sein, wenn solche Entscheidungen innerhalb kürzester Zeit getroffen werden müssen.
Es soll daher geregelt werden, dass der am Ort der neuen Unterkunft örtlich zuständige kommunale Träger künftig für die Entscheidung über die Zusicherung der Unterkunftskosten am neuen Wohnort zuständig ist. Er kann die Angemessenheit vor Ort besser beurteilen und ist, soweit die Übernahme einer Mietkaution begehrt wird, ohnehin von der leistungsberechtigten Person zu kontaktieren.“

 

Bewertung:

 

Der Vorschlag wird von der BAGFW begrüßt. Der bisherige örtlich zuständige Leistungsträger kann die Zusicherung nur erteilen, wenn der zukünftige Wohnraum den Angemessenheitskriterien am Zuzugsort entspricht. Um das beurteilen zu können, muss er den künftigen Leistungsträger am Zuzugsort in die Zusicherungsentscheidung einbeziehen. Dieser soll aufgrund seiner Kenntnisse der örtlichen Angemessenheitskriterien das konkrete Wohnungsangebot prüfen und den bisherigen Leistungsträger über die Angemessenheit der Kosten für Unterkunft und Heizung informieren. Da der künftige Leistungsträger sowieso maßgeblich an der Entscheidung involviert und außerdem für die Zusicherung zur Übernahme der Mietkaution zuständig ist, ist es sinnvoll, die Zusicherung vollständig dem künftigen Leistungsträger zu überlassen. Jedoch ist sicherzustellen, dass eine nahtlose Erbringung von Leistungen gewährleistet ist, denn bei längerer Entfernung ist es den Leistungsberechtigten nicht möglich, die Fahrtkosten zur Klärung dieser Rechtsfrage beim zuständigen Jobcenter zu tragen. Auch ist zu klären, wo der entsprechenden Antrag zu stellen ist. Eine Antragstellung sollte sowohl beim künftigen Leistungsträger als auch beim bisherigen Leistungsträger möglich sein. Wenn der Antrag beim bisherigen Leistungsträger gestellt wird, muss sichergestellt sein, dass dieser sich dann mit dem zukünftigen ins Einvernehmen setzt.

 

Nr. 37.5:     Ermöglichung einer Gesamtangemessenheitsgrenze für die Bedarfe    für Unterkunft und Heizung (Bruttowarmmiete)

 

Kurzbeschreibung:
„Nach bisheriger Rechtsauslegung ist die Bildung einer Gesamtangemessenheitsgrenze (Bruttowarmmiete) unter Berücksichtigung sowohl des Unterkunfts- als auch des Heizungsbedarfs bei der Prüfung der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung auf ihre Angemessenheit nicht zulässig (siehe beispielhaft BSG, Urteil vom 2.7.2009, B 14 AS 36/08 R).
Die Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Rahmen einer Gesamtangemessenheitsgrenze kann im Zuständigkeitsbereich einiger kommunaler Träger eine deutliche Vereinfachung bedeuten. Insbesondere wird dadurch die Flexibilität der leistungsberechtigten Personen bei der Wohnungssuche erhöht, indem mehr angemessene Wohnungen zur Verfügung stehen, weil höhere Aufwendungen für die Unterkunft durch geringere Aufwendungen für die Heizung ausgeglichen werden können und umgekehrt.“

 

Bewertung:

 

Das Anliegen, die Berücksichtigung einer Bruttowarmmiete im Rahmen der Angemessenheit der Kosten für Unterkunft und Heizung zu regeln ist aus Perspektive des Gesetzgebers zunächst einmal nachvollziehbar. Angestrebt ist eine Verwaltungsvereinfachung auf Seiten der Leistungsträger, die aktuell nur auf Grundlage einer kommunalen Satzung möglich ist. Argumentiert wird, das Verfahren über die kommunale Satzung habe sich bisher in der Praxis nicht bewährt. Zum anderen werde dadurch die Zahl der für den Wohnungssuchenden zur Verfügung stehenden Wohnungen erhöht. Diese könnten zwischen Wohnungen mit einer höheren Grundmiete und dafür geringeren Heizkosten oder Wohnungen mit einer geringen Grundmiete und dafür höheren Heizkosten wählen.

 

Aus der Beratungspraxis werden allerdings umfassende Bedenken vorgetragen. Bereits jetzt sind die örtlichen Angemessenheitsgrenzen für die Kaltmiete ein Hauptkonfliktfeld bei den Sozialgerichten. Das BSG hat festgestellt, dass eine prognostische Bemessung von Heizkosten nicht möglich und daher unzulässig ist. Durchschnittswerte können nur für zurückliegende Zeiten errechnet werden, während die Härte des nächsten Winters oder zukünftige Energiepreise nicht vorhersehbar sind. Die Erfahrung mit der Ermittlung der Angemessenheit der Kaltmietgrenzen zeigt, wie stark diese der Marktentwicklung hinterherhinken und oft viel zu spät angepasst werden. Zudem können Betroffene die gebäude- und anlagebedingten Faktoren des Heizungsverbrauchs nicht steuern.

 

Dementsprechend trägt der Deutsche Verein in seinen Empfehlungen zu den Kosten der Unterkunft[1] die folgenden Bedenken zur Realisierbarkeit (S. 58/59) vor, die aufzeigen, dass es zahlreiche praktische Umsetzungsprobleme geben wird: „Mit der Bildung einer Gesamtangemessenheitsgrenze nach § 22b Abs. 1 Satz 3 Alternative 2 SGB II wird dem Satzungsgeber ausdrücklich gestattet, die angemessenen Bedarfe für Unterkunft und Heizung in einem Richtwert zusammenzufassen (= Bruttowarmmiete).(…) Das Bundessozialgericht hat die Bildung einer Gesamtangemessenheitsgrenze im Rahmen eines Bruttowarmmietenkonzeptes in seiner bisherigen Rechtsprechung zu § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zwar bislang ausgeschlossen, jedoch nicht für generell unzulässig erklärt. Es hat vielmehr darauf hingewiesen, dass es der Festlegung eines als abstrakt angemessen anzusehenden Heizkostenpreises pro Quadratmeter für eine „einfache“ Wohnung (gestaffelt nach abstrakt angemessenen Wohnungsgrößen) im unteren Segment des Wohnungsmarktes bedürfe und nicht erkennbar sei, wie der Leistungsträger das dafür erforderliche Datenmaterial ermitteln soll.

 

Die Gesetzesbegründung zu § 22b Abs. 1 Satz 3 Alternative 2 SGB II hat sich mit den Bedenken des Bundessozialgerichts nicht auseinandergesetzt. Das Problem der Bestimmung des angemessenen Bedarfs für Heizung besteht weiterhin fort. Auch die Vorgaben in § 22c SGB II zur Datenerhebung, -auswertung und -überprüfung zeigen keinen Weg auf, um einen solchen als abstrakt angemessen anzusehenden Heizkostenpreis pro Quadratmeter, der die Verhältnisse im einfachen Marktsegment widerspiegelt, realitätsnah abzubilden.“

 

Insofern ist insgesamt fragblich, ob die avisierte Neuregelung a) nicht einerseits schon rechtlich grundsätzlich möglich ist, oder aber b) im Konkreten an den Unwägbarkeiten ihrer Umsetzung scheitern muss. Es ist daher davon auszugehen, dass die kurzfristige Umsetzung der Einführung einer Angemessenheitsgrenze für die Bruttowarmmiete zu wachsenden Problemen führt. Die BAGFW empfiehlt deshalb, die anvisierte Neuregelung mit den anstehenden Gesetzesänderungen nicht weiter zu verfolgen. Sofern der Änderungsvorschlag weiterverfolgt werden sollte, müssen die Rahmenbedingungen jedenfalls so angepasst werden, dass die Leistungsberechtigten überhaupt von der Änderung profitieren können. Die Angemessenheitsgrenzen müssen unter Berücksichtigung der Heizkosten entsprechend angehoben werden. Außerdem wäre eine Regelung aufzunehmen, nach der im Einzelfall höhere Bedarfe anerkannt werden können.

 

Nr. 43: Genossenschaftsanteile als Mietkaution im Sinne des § 22 Abs. 6 SGB II

 

Kurzbeschreibung:
„ln der Praxis ist streitig, ob Genossenschaftsanteile wie Mietkautionen (in der Regel als Darlehen vom aufnehmenden Träger) oder als Wohnungsbeschaffungskosten (Zuschuss vom abgebenden Träger) zu behandeln sind. Genossenschaftsanteile sollen wie Mietkautionen behandelt werden.“

 

Zusammenfassung aus Sicht der BAGFW:

 

Entsprechend der Mietkaution soll auch die Übernahme von Genossenschaftsanteilen durch die Gewährung eines Darlehens ermöglicht werden.

 

Bewertung:

 

Der Vorschlag, Genossenschaftsanteile wie Mietkautionen zu behandeln, kann grundsätzlich nachvollzogen werden. Wenn Mieter eine Wohnung bei einer Wohnungsbaugenossenschaft anmieten wollen, müssen sie oftmals auch Pflichtanteile an der Genossenschaft erwerben. Bereits heute urteilt die Rechtsprechung, dass Fälle des Erwerbs von Genossenschaftsanteilen der Übernahme einer Mietkaution wegen der vergleichbaren Interessenlage im Hinblick auf den Sicherungscharakter gleichzustellen sind (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 08.06.2011 – L 19 AS 958/11 B ER).

 

Allerdings bestehen begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit der durch das Regelbedarfsermittlungsgesetz in § 42a Abs. 3 Satz 1 SGB II eingeführten Rückzahlungsregelung für Kautionen. Nach dieser erfolgt eine monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 Prozent des maßgeblichen Regelbedarfs. Eine Rückzahlung des Darlehens erst bei Auszug, in dem der Vermieter unmittelbar an den Grundsicherungsträger auszahlt, ist indes nicht vorgesehen. Verschiedene Landessozialgerichte haben deshalb bereits entschieden, dass diese Regelung nicht rechtmäßig ist. Insofern sollte sie nicht auch auf Genossenschaftsanteile angewandt werden. Erschwerend kommt hinzu, dass es sich bei Genossenschaftsanteilen oft um hohe Beträge handelt. Für viele Leistungsberechtigte würde die Neuregelung sogar eine Verschlechterung bedeuten, da die Praxis der Jobcenter bisher nicht einheitlich ist und in vielen Fällen Genossenschaftsanteile voll übernommen wurden und erst bei Auszug an das Jobcenter zurückzuzahlen waren.

 

Sinnvollerweise sollte ein Vorschlag zur Rechtsvereinfachung deshalb auf eine Regelung abzielen, die die volle darlehensweise Übernahme sowohl von Kautionen als auch von Genossenschaftsanteilen, vorsieht und bei der die Rückzahlung über eine Abtretungserklärung für den Fall des Auszuges erfolgt. Die BAGFW spricht sich daher dafür aus, dass die Rückzahlung von Kaution und Genossenschaftsanteilen über eine Abtretungserklärung erfolgt.

 

4.         Verfahrensrecht

 

Nr. 65: Ersatzanspruch § 34 SGB II - Klarstellung, welche Leistungen zu
              ersetzen sind und Anpassung der Erlöschensregelung

 

Kurzbeschreibung:
„Bei sozialwidrigem Verhalten können Leistungsberechtigte zum Ersatz der an sie und die Mitglieder ihrer Bedarfsgemeinschaft gewährten Leistungen verpflichtet sein. Durch die Änderung wird klargestellt, dass Geld- und Sachleistungen zu ersetzen sind.
Nach § 34 Abs. 3 SGB II erlöschen Ersatzansprüche drei Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem die Leistung erbracht worden ist. Da Leistungen für einen Monat zu unterschiedlichen Zeitpunkten erbracht werden (Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Voraus und Beiträge zur Sozialversicherung im laufenden Monat), soll künftig auf den Zeitpunkt abgestellt werden, für den die Leistung erbracht wurde.“

 

Bewertung:

 

Die bisherige gesetzliche Regelung in § 34 SGB II ist insoweit widersprüchlich, als dass Absatz 1 vom Ersatz „gezahlter“ Leistungen (also nur Geldleistungen) spricht, während Absatz 3 vom Ersatz „erbrachter“ Leistungen (also Geld- und Sachleistungen) ausgeht. Es erscheint somit nachvollziehbar, dass dieser Widerspruch aufgelöst werden muss. Der Gesetzgeber möchte, dass Ersatzansprüche einheitlich nach 36-Monaten erlöschen, auch wenn Leistungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten erbracht wurden. Dabei ist nachvollziehbar, dass für das Erlöschen der Ersatzpflicht einheitlich auf den Monat abgestellt werden soll, für den die Leistung erbracht wird (also entsprechend der Verbescheidung). Die derzeitige Verfristungsregelung in § 34 Abs. 3 SGB II ist insoweit unbefriedigend, weil sie zu unterschiedlichen Verfristungszeitpunkten und damit zu einem erhöhten Verwaltungsaufwand führt, obwohl die Leistungen für ein und denselben Monat bewilligt wurden. Die vorgeschlagene Klarstellung bringt somit Klarheit im Sinne der Betroffenen.

 

Generell sollte die Anwendung des Ersatzanspruchs in § 34 SGB II nach Auffassung der BAGFW aber restriktiv gehandhabt, da er mit weitreichenden Folgen für die Leistungsberechtigten einhergeht. Insbesondere ist zu beachten, dass die nachhaltige Eingliederung in den Arbeitsmarkt und damit die Unabhängigkeit von öffentlichen Leistungen nicht durch die Geltendmachung des Ersatzanspruchs konterkariert werden darf.[2] Ebenso wird man eine Härte annehmen müssen, wenn mit der Geltendmachung aufgrund der finanziellen Situation, in der sich der an sich Ersatzpflichtige befindet, für ihn eine dauerhafte wirtschaftliche Schwächung verbunden wäre.[3] Zur Erzielung eines individuellen und sachangemessenen Ergebnisses hat der Träger im Rahmen einer Prognose abzuschätzen, inwieweit sich die Belastung durch den Ersatzanspruch auf die Situation des Betroffenen und ggf. dessen Familie auswirken wird.[4] Der Ersatzanspruch darf also nicht dazu führen, dass der Betroffene in seiner Fähigkeit, am Leben der Gemeinschaft teilzunehmen unzumutbar eingeschränkt wird. Vielmehr kommt seine Geltendmachung grundsätzlich erst dann in Betracht kommen, wenn ein Ende des Leistungsbezugs absehbar ist.[5] Aufgenommen werden sollte auch eine Konkretisierung, in welchen Fällen kein Sachverhalt nach § 34 SGB II vorliegt.

 

Nr. 66: Ersatzanspruch auch bei erhöhen, aufrecht erhalten und nicht
              verringern der Hilfebedürftigkeit (§ 34 SGB II)

 

Kurzbeschreibung:
„ln § 34 SGB II ist allgemein von "herbeiführen" der Hilfebedürftigkeit die Rede. Strittig ist, ob auch in Fällen der Erhöhung, des aufrecht Erhaltens und der nicht erfolgten Verringerung ein Ersatzanspruch besteht. Es soll klar gestellt werden, dass auch in diesen Fällen Ersatzansprüche bestehen können.“

 

Bewertung:

 

§ 34 SGB II regelt die Ersatzansprüche des Leistungsträgers bei sozialwidrigem Verhalten. Es handelt sich dabei um einen eng auszulegenden Ausnahmetatbestand. Das konkret vorgeworfene Verhalten muss nach den Wertungen des SGB II sozialwidrig sein. Die Bund-Länder-AG möchte die Vorschrift auch auf den Fall der Erhöhung der Hilfebedürftigkeit anwenden, z. B. bei nicht zweckentsprechender Verwendung der Leistungen für Unterkunft und Heizung (KdU) und mit Mietrückständen aufgerechnetem Guthaben aus der Jahresabrechnung. Besonders bei der zweiten Fallkonstellation kommt es entscheidend darauf an, wer das Guthaben aufgerechnet hat, da es sich um eine weit verbreitete Praxis von Vermietern handelt, auf die die Leistungsberechtigten oftmals keinen Einfluss haben. Im Einzelfall kann es bei dem Nachweis, ob die Erhöhung der Hilfebedürftigkeit kausal verursacht wurde, zu Schwierigkeiten kommen. Es stellt sich somit die Frage, ob mit der angedachten Klarstellung durch die Wörter „Erhöhung“, aufrecht Erhalten“ und „nicht erfolgte Verringerung“ nicht neue unbestimmte Rechtsbegriffe und damit zusätzliche Unschärfen geschaffen werden.

 

Zielführender wäre es, es bei dem allgemeineren Begriff „herbeiführen“ zu belassen und stattdessen sicherzustellen, dass die Jobcenter den Sachverhalt genau prüfen, bevor sie den Regressanspruch geltend machen. Von der Geltendmachung des Ersatzanspruchs sollte insbesondere in Fällen, in denen die Ursache für das Verhalten des Hilfebedürftigen beim Jobcenter liegt (z. B. weil die Zahlungen nicht rechtzeitig erfolgt sind oder die Miete zum Ausgleich von Stromschulden benutzt wurde, die das Jobcenter nicht übernommen hat, obwohl es dazu verpflichtet gewesen wäre), abgesehen werden.

 

Nr. 67: Redaktionelle Anpassung der Überschrift des § 34a SGB II sowie    sprachliche Anpassung in Abs. 1

 

Kurzbeschreibung:
„Lediglich redaktionelle Anpassung; einheitliche Begriffsverwendung: "erbracht" statt "erhalten". Zudem wird Abs. 1 sprachlich an § 34 Abs. 1 angepasst.“

 

Bewertung:

 

Aus Sicht der BAGFW bestehen keine Einwände gegen diese Änderung. Die bisherige Überschrift lautet „Ersatzansprüche für rechtswidrig erhaltene Leistungen“. Im Gesetzesinhalt selber ist dagegen von „erbrachten“ Leistungen die Rede. Eine Anpassung der Überschrift an den Inhalt des Gesetzes trägt zu dessen Klarheit bei.

 

Nr. 69: Änderung auf Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft - § 34b SGB II

 

Kurzbeschreibung:
„ln der Norm sind Ersatzansprüche, z. B. gegen die Träger der Rentenversicherung bei rückwirkender Rentenbewilligung, geregelt. Derzeit sind jedoch nicht alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft erwähnt, dafür aber Kinder unter 25 Jahren, selbst wenn diese nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehören. Damit besteht eine Abweichung zu den Vorschriften über die Anrechnung von Einkommen.

Künftig soll sich der Ersatzanspruch auf die Leistungen der gesamten Bedarfsgemeinschaft erstrecken.“

 

Bewertung:

 

§ 34b SGB II regelt den Aufwendungsersatzanspruch der Leistungsträger gegenüber einem dem Leistungsberechtigten vorrangig verpflichteten Leistungsträger. Der Ersatzanspruch erstreckt sich auch auf alle Aufwendungen, die an den nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner sowie dessen unverheiratete Kinder, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, erbracht wurden. Bisher bezieht sich der Ersatzanspruch nicht auf alle Personen der Bedarfsgemeinschaft, z. B. solche, die mit dem Leistungsberechtigten in einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft (§ 7 Abs. 3 Nr. 3.c) i. V. m. Abs. 3a SGB II) leben. Die Einbeziehung dieses Personenkreises hält die BAGFW für konsequent. Eines expliziten Herausstellens der Kinder unter 25 Jahren bedarf es in diesem Fall nicht mehr, denn es könnte sein, dass diese z. B. mit Genehmigung des Jobcenters ausgezogen oder mit ihrem Kind eine eigene Bedarfsgemeinschaft bilden und nicht mehr Teil der Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft sind.

 

Nr. 70: Einführung eines Herausgabeanspruchs bei Doppelleistungen (§ 34c       SGB II neu)

 

Kurzbeschreibung:

„Die Leistungen des SGB II werden gegenüber anderen Sozialleistungen nachrangig gewährt. Bei einem Anspruch auf vorrangige Sozialleistungen wird der Nachrang des SGB II in der Regel über das Erstattungsverfahren nach §§ 102 ff. SGB X hergestellt. Sofern jedoch die leistungsberechtigte Person die Antragstellung bei einem anderen Leistungsträger dem Jobcenter nicht mitteilt, kann dieses keinen Erstattungsanspruch anmelden und die Leistung des vorrangigen Trägers wird mit befreiender Wirkung an die leistungsberechtigte Person erbracht. Damit entfällt ein Rückgriff auf den vorrangig verpflichteten Leistungsträger. Eine rückwirkende Anrechnung als Einkommen widerspricht dem im SGB II geltenden Zuflussprinzip.

Durch die Einführung eines Herausgabeanspruchs wird ein Anspruch gegen die leistungsberechtigte Person bei Doppelleistung geschaffen.“

 

Zusammenfassung aus Sicht der BAGFW:

 

Wurden während des Bezugs von SGB II-Leistungen darüber hinaus Leistungen anderer Träger von Sozialleistungen bezogen, die vorrangig sind, ohne dass das Jobcenter hiervon Kenntnis erlangt hat, müssen die Leistungsberechtigten die vom Jobcenter zu viel gezahlten Beträge zurückzahlen.

 

Bewertung:

 

Nach Ansicht der BAGFW drohen mit der Einführung eines solchen Herausgabeanspruchs auch bei Unkenntnis oder komplexer Rechtslage Abzüge vom Existenzminimum. Sinnvoller wäre es, die Pflicht zum Antrag vorrangiger Sozialleistungen und die anschließende Verrechnung mit dem Jobcenter durch einheitliche Regelungen zur Sicherung des Existenzminimums zu beenden, die den bisher kombinierten Bezug unterschiedlicher Leistungen betreffen, wie z. B. Kindergeld, Elterngeld, Betreuungsgeld und Grundsicherungsleistungen.

 

Derzeit gehen Irrtümer und die fehlerhafte Kombination von an sich unvereinbaren Leistungen zulasten der Leistungsberechtigten, die die Anträge zu stellen haben. Gerade im Sinne einer Rechtsvereinfachung erscheint es sinnvoller und zielführender, eine entsprechende Klärung und Verrechnung zwischen den Leistungsträgern herbeizuführen. Anders als die Leistungsberechtigten treffen die Sozialleistungsträger Auskunfts- und Beratungspflichten und sie sollten auf eine unverzügliche, klare und vollständige Antragstellung beim zuständigen Leistungsträger hinwirken. Idealerweise sollten nur Leistungen zur Auszahlung gelangen, für die schon im Vorgriff entsprechende Verrechnungen vorgenommen wurden.

 

Für die Leistungsempfänger ist es ungleich schwieriger als für die Leistungsträger, Zahlungen, die aufgrund eines zuvor gestellten Antrages bei ihnen eingehen, als korrekt oder fehlerhaft zuzuordnen. Die Erstattungsregelung erlegt ihnen gleichwohl das Risiko für die korrekte Behandlung solcher Zuflüsse auf. Insbesondere gilt dies für Leistungen des SGB II-Leistungsträgers, die dieser trotz vorrangiger Leistungsverpflichtungen anderer Leistungsträger erbracht hat und für die der Leistungsträger einen Erstattungsanspruch gegen den anderen Leistungsträger hat. Insbesondere wenn dieser Fehler erst einige Zeit nach dem Geldzufluss auffällt und per Ersatzanspruch korrigiert wird, kann die Rückforderung der Leistung durch den Grundsicherungsträger zu einer Unterdeckung des Existenzminimums führen, wenn diese bereits im Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit ausgegeben wurde. Solche Fehler müssen die verantwortlichen Leistungsträger unter einander ausgleichen bzw. selbst haften. Für die BAGFW ist die Einführung eines Herausgabeanspruchs somit nur denkbar, wenn sichergestellt ist, dass das Existenzminimum (etwa bei Aufrechnung von Leistungen) gewahrt bleibt.

 

Sofern die Leistungsberechtigten den Bezug von weiteren Sozialleistungen nicht angeben, erscheint die Einführung eines Erstattungsanspruchs sinnvoll, wenn die doppelte Leistung weder über eine Einkommensanrechnung noch über die im SGB II bereits existierenden Erstattungsansprüche herausverlangt werden kann. Sicherzustellen bleibt, dass nicht Sachverhalte von der Regelung mit erfasst werden, in denen die Jobcenter rechtzeitig Kenntnis von dem Erhalt dieser Leistungen hatten, aber selber nicht rechtzeitig einen Erstattungsanspruch geltend gemacht haben.

 

Nr. 75: Einführung eines eigenständigen Tatbestandes zur vorläufigen
              Leistungsgewährung in das SGB II

 

Kurzbeschreibung:
„Aktuell ist in der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung eine Regelung zur vorläufigen Leistungsgewährung für Leistungsfälle mit schwankendem Einkommen enthalten (§ 2 Abs. 3 Satz 3). Die Anwendung des § 328 SGB III ist durch den Verweis in § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II möglich. Diese Regelungen bereiten den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Jobcentern nach Feststellungen des Bundesrechnungshofs erhebliche Schwierigkeiten. ln das SGB II soll daher ein eigenständiger Tatbestand zur vorläufigen Leistungsgewährung mit Regelfallkonstellationen eingefügt werden.“

 

Bewertung:

 

Diese Neuregelung ist ohne konkreten Gesetzesänderungstext kaum sinnvoll zu bewerten. Sofern der Vorschlag in Richtung eines gebundenen Ermessens geht, wird er begrüßt, da eine gebundene Entscheidung die Möglichkeit einer vorläufigen Sicherstellung des Lebensunterhalts im Interesse der Antragsteller deutlich verbessert. Diese Ermessensentscheidung, die nach geltender Gesetzeslage bei einer vorläufigen Entscheidung zu treffen ist, ist verwaltungsaufwändig und damit fehleranfällig. Das gilt insbesondere dann, wenn unklar ist, ob bei ablehnender Entscheidung realistische Aussichten bestehen, die vorläufig gewährten Leistungen zurückzuerhalten. Andererseits ist in der Praxis der Bedarf an sofortiger vorläufiger Gewährung von Arbeitslosengeld II oftmals sehr hoch. Viele Menschen beantragen erst dann diese Leistungen, wenn sie keine finanziellen Reserven mehr haben. Eine gebundene Entscheidung wird den Bedürfnissen der Rechtspraxis daher besser gerecht.

 

 

 

Nr. 76: Anwendung des § 330 SGB III (Verweis in § 40 Abs. 2 Nr. 2 SGB II),
              bereits dann, wenn eine Norm durch ständige Rechtsprechung
              abweichend von der Verwaltungspraxis der einzelnen Leistungsträger     ausgelegt wird

 

Kurzbeschreibung:

„Die Regelung dient dem Zweck zu verhindern, dass die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach einer von ihrer bisherigen Rechtsauslegung abweichenden höchstrichterlichen Rechtsprechung massenhaft Leistungen rückwirkend neu berechnen müssen. Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift wurde durch zwei Entscheidungen des Bundessozialgerichts erheblich eingeschränkt. Ein Jobcenter kann sich daher derzeit nur dann auf diese Vorschrift berufen, wenn es vor der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine bundeseinheitliche abweichende Verwaltungspraxis aller Leistungsträger (BA, örtlicher kommunaler Träger und zugelassener kommunaler Träger) gegeben hat.

Künftig soll es allein auf die Einheitlichkeit der Verwaltungspraxis im Zuständigkeitsbereich des für die jeweilige Leistungsart zuständigen Trägers (Bundesagentur für Arbeit, kommunaler Träger oder zugelassener kommunaler Träger) ankommen.“

 

Zusammenfassung des Sachverhaltes aus Sicht der BAGFW:

 

Eine Korrektur von rechtswidrigen Verwaltungsakten für vergangen Zeiträume wird zukünftig erschwert. Werden Verwaltungsakte durch höchstrichterliche Rechtsprechung für nichtig erklärt, soll es im Bereich eines Jobcenters keine rückwirkende Korrektur dieses Fehlers durch Anspruch auf Erstattung von zuvor zu niedrig angesetzten Leistungen für die Zeit vor dieser Entscheidung geben, wenn z.B. dieses Jobcenter für die Vergangenheit eine einheitliche Verwaltungspraxis nachweisen kann. Die Fehlerkorrektur wirkt in diesem Fall nur für die Zukunft.

 

Bewertung:

 

Nach Einschätzung der BAGFW soll mit diesem Vorschlag die bestehende BSG-Rechtsprechung umgangen werden.

 

Dass ein Verwaltungsakt künftig nur noch für die Zukunft (nach der Entscheidung des BVerfG oder dem Bestehen der ständigen Rechtsprechung) zurückzunehmen ist, wenn allein der jeweilige Leistungsträger eine einheitliche Verwaltungspraxis für die Vergangenheit nachweisen kann, bedeutet eine deutliche Verschlechterung der Rechtsstellung der Leistungsberechtigten. Demgegenüber senkt die vorgeschlagene Neuregelung die Hürden für die eingeschränkte Richtigstellung deutlich ab. Es kommt nicht mehr auf eine einheitliche Verwaltungspraxis von BA und Kommunen an. Vielmehr reicht es aus, dass je nach Sachzusammenhang entweder die BA oder die Kommunen diesbezüglich eine einheitliche Verwaltungspraxis entwickelt haben. Gelingt dem Leistungsträger der Nachweis, muss der Verwaltungsakt nur für den Zeitpunkt nach der maßgeblichen Rechtsprechung zurückgenommen werden. Gelingt ihm das nicht, sind Leistungen für einen Zeitraum von einem Jahr vor der Rücknahme des Verwaltungsaktes zu leisten.

 

Wenn rechtswidrige Formen der Leistungsgewährung bei gerichtlicher Klärung nicht ausgeglichen werden, hat die Rechtsprechung keine korrigierende Funktion für die rechtswidrige Praxis; in diesem Fall bleibt es für die Vergangenheit bei der Rüge und der Feststellung unrechtmäßigen Verwaltungshandelns. Eine rückwirkende Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustands unterbleibt hingegen – ungeachtet der Folgen, die eine Unterdeckung des Existenzminiums für die betroffenen Leistungsberechtigten gehabt haben mag. Die verweigerte rückwirkende Korrektur ist um so problematischer als es den Betroffenen damit auch unmöglich ist, Schulden zu begleichen, die durch die Unterdeckung des Existenzminimums bis zur Richtigstellung der Leistungsbescheide möglicherweise eingetreten sind und die sich auch nicht ohne Weiteres aus den später korrekt zufließenden Leistungen begleichen lassen.

Die im SGB II geltende Sonderregelung zur Aufhebung von Verwaltungsakten (§§ 40 Abs. 2 Satz 2 SGB II i. V. m 330 Abs. 1 SGB III) wird insgesamt für bedenklich erachtet. Generell gilt im Sozialrecht, dass rechtswidrige Verwaltungsakte auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden können, in der Regel für 4 Jahre (§ 44 Abs. 4 S. 1 SGB X). Im Bereich des SGB II wurde dieser Zeitraum zuletzt auf ein Jahr eingeschränkt (§ 40 Abs.1 Satz 2 SGB II). Eine weitergehende Begrenzung auf die Zeit nach einer geänderten Rechtsprechung wird nicht für gerechtfertigt erachtet, da damit teilweise versucht wird, die Rechtsprechung des BSG zurückzunehmen. Die Sonderregelung (§ 330 Abs. 1 SGB III) gilt überdies nur im SGB II und SGB III, im Sozialhilferecht indes nicht. Es ist nicht nachvollziehbar, warum Grundsicherungsempfänger schlechter gestellt werden sollen als Sozialhilfeempfänger.

Auch die Signalwirkung einer solchen Regelung ist mehr als bedenklich.

 

Nr. 77: Einführung einer Kleinbetragsgrenze für Erstattungsforderungen im          SGB II

 

Kurzbeschreibung:

„Bei den Leistungen nach dem SGB II handelt es sich um lndividualansprüche, die dem einzelnen Hilfebedürftigen bei Anspruchsberechtigung gewährt werden. Das Rückforderungsverwaltungsverfahren, z. B. aufgrund der Erzielung von Einkommen, ist aufwändig, weil die Rückforderungen auf die einzelnen Bedarfsgemeinschaftsmitglieder, die Rückforderungszeiträume und die Art der Leistungen mit jeweiliger Trägerschaft personengenau aufzuschlüsseln sind. Darüber hinaus entsteht ein Folgeaufwand bei der Einziehung und möglichen Vollstreckung der Forderungen. Insbesondere bei geringen Überzahlungen führt das aufwändige Verwaltungsverfahren zu einem Missverhältnis im Vergleich zum Forderungsvolumen und bindet erhebliche Mitarbeiterkapazitäten. Es wird daher geprüft, ob und bis zu welcher Höhe von der Geltendmachung einer Forderung abgesehen werden kann; aktuell gelten 7 Euro nach den Bestimmungen der Bundeshaushaltsordnung.“

 

Zusammenfassung aus Sicht der BAGFW:

 

Eingeführt wird eine Bagatellgrenze von bezüglich der Erstattung von durch das Jobcenter erfolgten Überzahlungen, da in diesen Fällen Kosten und Ertrag in keinem Zusammenhang stehen und es meist um Kleinstbeträge geht.

 

Bewertung:

 

Die Einführung einer Bagatellgrenze wird von der BAGFW begrüßt. Der Erlass eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheids ist für die Sachbearbeiter bei den Jobcentern sehr verwaltungsaufwändig. Wenn gegen den Bescheid Widerspruch erhoben und danach Klage eingereicht wird und es sich nur um einen Bagatellbetrag handelt, stehen die damit verursachten Kosten in keinem Verhältnis. Die Einführung einer Bagatellgrenze für Überzahlungen würde sich nicht nur positiv auf die Leistungsbeziehenden auswirken, sondern auch zu einer Entlastung der Jobcenter-Mitarbeitenden und der Gerichte führen.

 

Nr. 80: Aufrechnung modifizieren (einzelfallbezogen); Erledigung der
              vorherigen Aufrechnungserklärungen streichen - § 43 SGB II

 

Kurzbeschreibung:
„Kommt zu einer laufenden Aufrechnung eine weitere Aufrechnung hinzu, durch die der Aufrechnungsbetrag über 30% liegen würde, erledigt sich die bisherige laufende Aufrechnung.

Die Regelung hat sich nicht bewährt, da die "alte" Aufrechnung nach Erledigung der "neuen" Aufrechnung wieder aufzunehmen ist. Künftig sollen daher die laufenden, älteren Aufrechnungen auch dann fortgeführt werden, wenn eine neue Aufrechnungserklärung dazukommt. Die Höhe aller Aufrechnungen bleibt auf einen Betrag von 30% begrenzt.“

 

Bewertung:

 

Die neue Regelung wird von der BAGFW grundsätzlich begrüßt, da durch sie die Tilgung der bestehenden Forderungen in höherem Maße transparent und nachvollziehbar ist. Nach der bisher geltenden Regelung darf monatlich höchstens bis zu einem Betrag in Höhe von insgesamt 30 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs aufgerechnet werden (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB II). Wird eine weitere Aufrechnung erklärt, die im Ergebnis dazu führen würde, dass ein höherer Betrag als 30 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs aufzurechnen wäre, so erledigen sich die vorangegangenen Aufrechnungen. Sind mehrere Aufrechnungen vorangegangen, die zu einem höheren Aufrechnungsbetrag als 30 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs führen würden, so erledigt sich zunächst der letzte Aufrechnungsverwaltungsakt, sodann ggf. der zeitlich zuvor angeordnete usw. Diese Vorgehensweise sorgt sowohl bei den zuständigen Sachbearbeitern der Jobcenter als auch bei den betroffenen Leistungsberechtigten oftmals für Verwirrung, da nicht immer allen Beteiligten klar ist, welche Forderungen gerade gegeneinander aufgerechnet werden und welche Forderungen noch offen bleiben. Nach Ansicht der BAGFW sollten die Forderungen zeitlich chronologisch nach ihrem Entstehen, beginnend mit der ältesten Forderung, abgearbeitet werden.

 

Die Leistungsempfänger sollten zumindest einmal jährlich einen Überblick über den tatsächlich ausgezahlten Betrag erhalten, einschließlich einer Information über bestehende Aufrechnungen, Darlehnsforderungen und Sanktionen, die in Abzug gebracht werden.

 

Es ist ferner zu gewährleisten, dass die Aufrechnungsforderungen der Jobcenter, die an die Regionaldirektionen als Inkasso abgegeben werden (und dort ggf. zu einzelvereinbarten Ratenzahlungen führen) mit in die Begrenzungsregelung einbezogen werden.

 

 

 

Nr. 81: Durchsetzung des Erstattungsanspruchs nach § 50 Abs. 2 SGB X durch               Rücküberweisung durch das Bankinstitut, wenn ein Leistungsberech-      tigter verstirbt.

 

Kurzbeschreibung:

„Mit Tod eines Leistungsberechtigten erledigt sich dessen Bewilligungsbescheid auf sog. andere Weise (§ 39 Abs. 2 SGB X). Die Leistungen, die nach dem Tod des Leistungsberechtigten gezahlt wurden, sind dann ohne Rechtsgrund erbracht und nach § 50 Abs. 2 SGB X von den Erben zu erstatten.

Die aufwändige Durchsetzung des Erstattungsanspruchs (Erbenermittlung, Bescheiderteilung) soll durch eine Regelung vermieden werden, durch die das Bankinstitut in die Lage versetzt wird, die nach dem Tod des Leistungsberechtigten eingegangenen Leistungen dem Jobcenter zurückzuerstatten (Anwendung des § 118 Abs. 3 bis 4a SGB VI).“

 

Zusammenfassung aus Sicht der BAGFW:

 

Der Neuregelung zufolge sind Beträge, die nach dem Tod einer leistungsberechtigten Person eingingen, zurück zu erstatten.

 

Bewertung:

 

Die BAGFW hat grundsätzlich keine Einwände gegen die Einführung einer Regelung zur Durchsetzung des Erstattungsanspruchs im Todesfall. Eine Regelung, nach der Geldinstitute verpflichtet sind, zu Unrecht erhaltenen Überweisungen zurück zu überweisen, existiert bisher nur in § 118 Abs. 3 Satz 2 SGB VI. Der Leistungsträger ist auch berechtigt, die Leistungen zurückzufordern, da die Überweisung mit den Tod des Leistungsberechtigten im Grunde ins Leere geht. Durch diese Möglichkeit werden auch die Erben des Verstorbenen entlastet, da diese sich dann nicht mehr mit den Erstattungsforderungen des Jobcenters auseinander setzen müssen.

Probleme können sich jedoch im Zusammenhang mit den fortlaufenden Kosten ergeben, wie z. B. den Kosten der Unterkunft.

 

Nr. 83: Vorauszahlungen von Leistungen mit Verrechnung im Folgemonat

 

Kurzbeschreibung:

„ln der Praxis der Jobcenter sprechen Leistungsberechtigte zuweilen vor Monatsende hilfesuchend bei den Jobcentern vor, weil ein kurzfristiger finanzieller Engpass vorliegt und die Leistungen bereits aufgebraucht sind. ln diesem Fall besteht nur die Möglichkeit einer Darlehensgewährung nach § 24 Absatz 1 SGB II, was im Einzelfall sehr verwaltungsaufwändig ist. Vor diesem Hintergrund soll eine „Abschlagszahlung" auf den zum nächsten Monatsanfang fällig werdenden Anspruch ermöglicht werden. Es sind auch ergänzende Regelungen für eine "Verrechnung" der Vorleistung im Folgemonat erforderlich. Der Höhe nach soll die Vorauszahlung auf 30% des Regelbedarfs begrenzt sein, damit der Lebensunterhalt im kommenden Monat mit der verbleibenden Leistung noch bestritten werden kann. Bei laufenden Sanktionen oder Aufrechnungen ist die vorzeitige Auszahlung ausgeschlossen, weil in diesem Fall der Lebensunterhalt im kommenden Monat nicht gesichert wäre.“

 

 

Zusammenfassung aus Sicht der BAGFW:

 

Eingeführt werden soll eine Vorauszahlungsmöglichkeit für kommende Leistungen. Noch offen bleibt jedoch, welche Einzelheiten die Neuregelung beinhalten wird.

 

Bewertung:

 

Der Vorschlag zur Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für Vorauszahlungen wird begrüßt. Zahlreihe Engpässe entstehen dadurch, dass der Regelbedarf im SGB II nicht ausreichend ist. Derzeit gibt es keine Rechtsgrundlage, die es dem Träger der Grundsicherung erlaubt, „Abschlagszahlungen“ zu erbringen. Es gibt lediglich die Möglichkeit, Vorschüsse zu zahlen, wenn ein Anspruch auf Geldleistungen dem Grunde nach besteht und zur Feststellung seiner Höhe voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist (§ 42 SGB I).

 

Um Bedarfe, die frühzeitig entstehen, zu decken, ist es im Rahmen des SGB II bisher nur möglich, Darlehen zu gewähren. Dafür muss jedoch ein Darlehensvertrag vereinbart werden, was aufgrund des damit verbundenen Verwaltungsaufwandes oftmals unterbleibt. Allerdings erfolgt bei Darlehen grundsätzlich nur eine Aufrechnung in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs.

 

Nach der neuen Regelung erfolgt hingegen bei Inanspruchnahme eines Vorschusses eine vollständige Verrechnung mit den Leistungen des Folgemonats, d.h. die Leistungen werden bis zu 30 Prozent gekürzt.

 

Die Vorschussregelung sollte so ausgestaltet werden, dass der Leistungsberechtigte zwischen der Inanspruchnahme eines Vorschlusses (mit einer vollständigen Tilgung im Folgemonat) oder eines Darlehens (mit einer ratenweisen Tilgung) wählen kann.

 

Nr. 84: Verlängerung des Bewilligungszeitraums (mit Öffnungsklausel
              Verkürzung) – § 42 SGB II

 

Kurzbeschreibung:
„Arbeitslosengeld II wird in der Regel für sechs Monate bewilligt, im Ausnahmefall für zwölf. Das Verfahren zur Weiterbewilligung von Arbeitslosengeld II ist kostenintensiv und bindet Personalressourcen zur Bearbeitung, auch wenn überwiegend keine oder kaum neue leistungsrechtlich relevante Änderungen eintreten.
Das Regel-/Ausnahmeverhältnis soll umgekehrt werden. Künftig sollen Leistungen in der Regel für zwölf Monate bewilligt werden, im Ausnahmefall für einen kürzeren Zeitraum. Dadurch kann der Verwaltungsaufwand in erheblichem Umfang gemindert werden. Die Leistungsberechtigten sind ohnehin verpflichtet, eintretende Änderungen, die leistungsrechtlich relevant sind, dem Jobcenter mitzuteilen, was regelmäßig auch geschieht. Gewonnene Kapazitäten können für eine ggf. erforderliche Prüfung eingesetzt werden, ob in Einzelfällen die Anspruchsvoraussetzungen noch weiterhin vorliegen.“

 

Bewertung:

 

Die Verlängerung des Bewilligungszeitraums auf zwölf Monate wird grundsätzlich begrüßt. In Fällen gleichbleibender Voraussetzungen für den Leistungsbezug stellt die Änderung eine Reduktion eines unnötigen Verwaltungsaufwandes, der für Träger der Grundsicherung wie für Leistungsberechtigte selbst negativ wirkt. Für Personen mit stark schwankendem Einkommen stellt die Verlängerung allerdings dann ein großes Problem dar, wenn sie erst am Ende des Bewilligungszeitraums einen Ausgleich erhalten. Es kann vorkommen, dass Jobcenter ihren Berechnungen das mögliche Maximaleinkommen pro Monat als Regelfall zugrunde legen. Dadurch können große Unterdeckungen entstehen. Ebenso ist darauf zu achten, dass die Einkommensanrechnung bei einer Lohnerhöhung im Bewilligungszeitraum entsprechend angepasst wird, damit die Leistungsberechtigten nach Ablauf des Bewilligungszeitraums nicht mit erheblichen Rückforderungen konfrontiert werden. Gerade bei Selbständigen und andere Erwerbstätige mit monatlich schwankendem Einkommen muss in ihrem Interesse sichergestellt werden, dass nach einem Jahr weder eine zu hohe Rückzahlungsforderung an die Leistungsberechtigten ergeht, noch dass die vorläufige Einkommensanrechnung zu hoch ausfällt. Dies könnte in Form einer ergänzenden Regelung erfolgen, nach der die Betroffenen in dem Monat, in dem sie eine Unterdeckung bzw. eine Lohnerhöhung haben, eine Nachberechnung und Anpassung der Einkommensanrechnung beantragen können.

 

Die BAGFW regt an, bei monatlich schwankenden Einkommen grundsätzlich immer von der Möglichkeit der vorläufigen Leistungsbewilligung unter Anrechnung eines monatlichen Durchschnittseinkommens (§ 2 Alg II-VO) Gebrauch zu machen. Wenn bei der abschließenden Entscheidung das tatsächliche monatliche Durchschnittseinkommen das bei der vorläufigen Entscheidung zu Grunde gelegte monatliche Durchschnittseinkommen um nicht mehr als 20 Euro übersteigt, kann dann von einer erneuten Berechnung abgesehen werden. Dies trägt auch zu einer erheblichen Verwaltungsentlastung bei.

 

Nr. 86: Ausschluss der Pfändbarkeit und Übertragbarkeit von Ansprüchen            nach dem SGB II

 

Kurzbeschreibung:

„Nach derzeitiger Rechtslage sind Ansprüche auf laufende Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II - anders als Ansprüche nach dem SGB XII oder dem Wohngeldgesetz- gemäߧ 54 Abs. 4 SGB I wie Arbeitseinkommen pfändbar (§§ 850c ff Zivilprozessordnung - ZPO). Das überzeugt nicht. Zum einen ist es schwer nachvollziehbar, wieso der Pfändungsschutz nicht für das Arbeitslosengeld II gelten soll, zum Anderen ist die Entscheidung über Pfändungsbeschlüsse verwaltungsaufwändig, obwohl sich in aller Regel keine pfändbaren Beträge ergeben.

Eine gesetzliche Regelung, wonach das Arbeitslosengeld II/Sozialgeld unpfändbar ist, erleichtert die Entscheidung und dürfte auch Gläubiger davon abhalten, einen Pfändungsbeschluss zu erwirken.“

 

Bewertung:

 

Die Neuregelung wird von der BAGFW begrüßt. Empfänger von Leistungen nach dem SGB II sind besonders schutzwürdig, da sie bereits am Existenzminimum leben. Im Rahmen der Sozialhilfe ist eine Übertragung und Pfändung von Leistungen ausgeschlossen (§ 17 Abs. 1 Satz 2 SGB XII).

 

SGB II-Ansprüche können hingegen grundsätzlich, insbesondere beim Überschreiten der Pfändungsfreigrenzen (§ 850c ZPO), gepfändet werden (vgl. § 54 Abs. 4 SGB I). Auch eine Übertragung ist aktuell noch möglich (vgl. § 53 Abs. 2 SGB I). Es ist nicht nachvollziehbar, warum Empfänger von Arbeitslosengeld II und von Sozialhilfe im Hinblick auf den Pfändungsschutz bisher unterschiedlich behandelt worden sind.

Ergänzend müsste geregelt werden, dass § 53 Abs. 2 SGB I weiter wirksam bleibt und so „Nothelfer“ ihre Vorleistung weiter durch eine wirksame Abtretung von SGB II Leistungen vom Jobcenter erstattet bekommen können.

 

Sicher gestellt werden muss in jedem Fall auch, dass auch Geldinstitute, bei denen die Leistungsberechtigten ein Girokonto mit negativem Saldo laufen haben, keine Aufrechnung ihrer Forderung mit SGB II-Leistungen vornehmen (z. B. Leistungsberechtigte hat ein Minus von 3.000,- Euro auf dem Konto und bekommt Leistungen, die direkt verrechnet werden und so über mehrere Monate gegen Null gehen). Solange die Bank keinen Pfändungsbeschluss vorweist, sondern aufrechnet, reicht der übliche Pfändungsschutz möglicherweise nicht aus.

 

In Fällen, die aufgrund von eigenem Erwerbseinkommen über den SGB-II-Leistungsbezug hinausgehen und in denen bisher das bereinigte Nettoeinkommen Grundlage des Pfändungsschutzes ist, darf es zu keiner Rechtsverschlechterung kommen.

 

Unklar bleibt, wie in diesem Zusammenhang mit der de facto Unterhaltsverpflichtung von Stiefvätern/müttern umgegangen werden soll, die nach dem BGB nicht zum Unterhalt verpflichtet sind. Es kann in solchen Fällen dazu kommen, dass zwar die ausbezahlte SGB II-Leistung zukünftig vor Pfändung schützt, nicht aber das Gehalt des Stiefvaters bzw. der Stiefmutter, das in die Bedarfsgemeinschaft eingebracht wird und zu einem ergänzenden Leistungsbezug der Bedarfsgemeinschaft führt, denn in diesen Fällen gibt es keinen Pfändungsschutz, da es auch keinen einklagbaren Unterhaltsanspruch gibt, sondern nur die Unterhaltsvermutung des Jobcenters, die zum Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft führt. Hier gibt es einen Widerspruch zwischen zwei Rechtskreisen.

 

Gleiches trifft auf Eltern nicht unterhaltsberechtigter Kinder zwischen 18 und 25 Jahren zu. Es bleibt offen, wie hier die Regelung des § 9 Abs. 2 Satz 3 (Bedürftigkeit) im Verhältnis zu den Regelungen des BGB und der ZPO angewandt werden soll.

 

Nr. 87: Aussetzung der Aufrechnung (§ 43 SGB II) bei Sanktionen

 

Kurzbeschreibung:

„Wird während des Minderungszeitraumes aufgrund einer Pflichtverletzung gleichzeitig gegen Ansprüche von Leistungsberechtigten aufgerechnet, kann es zu einer Absenkung des Arbeitslosengeldes II von mehr als 30% des maßgeblichen Regelbedarfs kommen. Die aktuelle Rechtslage regelt dieses Zusammentreffen von Sanktion und Aufrechnung nicht, insbesondere sind auch keine ergänzenden Sachleistungen möglich, die bei einer Minderung von mehr als 30% wegen Pflichtverletzungen erbracht werden können. Lediglich im Weisungsweg (so z. B. die BA in ihren Fachlichen Hinweisen zu § 43 SGB II) kann ein Zusammentreffen von Aufrechnung und Sanktion ausgeschlossen werden.
Es soll durch gesetzliche Regelung sichergestellt werden, dass bei einer Minderung des Leistungsanspruchs um 30% des maßgebenden Regelbedarfs eine (zusätzliche) Aufrechnung unzulässig ist.“

 

 

Zusammenfassung aus Sicht der BAGFW:

 

Treffen Sanktionen und Aufrechnungstatbestände aufeinander, werden während der Sanktion zukünftig keine Aufrechnungen vorgenommen, jedenfalls nicht, insoweit eine Minderung um mehr als 30% des Regelbedarfs erfolgen würde.

 

Bewertung:

 

Die Aussetzung der Aufrechnung bei Sanktionen stellt aus Sicht der BAGFW eine deutliche Verbesserung für die Leistungsbeziehenden dar. Eine Aufrechnung sollte in diesen Fällen gar nicht erfolgen, denn das Kumulieren von Sanktionstatbeständen und die Minderung des Regelsatzes um Aufrechnungen oder Darlehensraten greifen in das Existenzminimum stark ein.

 

Nr. 88: Aufrechnung (§ 43 SGB II) ermöglichen in Fällen, in denen eine
              Nachzahlung mit einer Erstattungsforderung zusammenfällt

 

Kurzbeschreibung:

„Mit der Vorschrift soll ermöglicht werden, Forderungen aus Erstattungsansprüchen gegen Nachzahlungsansprüche eines Leistungsberechtigten in voller Höhe aufzurechnen, wenn die Aufhebungsentscheidung den gleichen Zeitraum betrifft, für den Leistungen noch zu erbringen sind.“

 

Zusammenfassung aus Sicht der BAGFW:

 

Entstehen Nachzahlungen, weil in der Vergangenheit Teile des Leistungsanspruchs nicht ausgezahlt wurden, kann der Träger der Grundsicherung diese direkt mit anstehenden Aufrechnungen verrechnen.

 

Bewertung:

 

Eine Aufrechnung macht nach Ansicht der BAGFW nur dann Sinn, wenn Bedarfsgemeinschaften in einem Bewilligungszeitraum sowohl Nachzahlungen für bestimmte Monate erhalten als auch Leistungen für andere Monate zu erstatten haben und somit Nachzahlungsbescheid und Erstattungsbescheid aufgrund einer geänderten Bedürftigkeit im selben Zeitraum zusammentreffen. In jedem Fall sichergestellt werden muss, dass der Bedarf des Leistungsberechtigten gedeckt war bzw. ist. Die Neuregelung muss deshalb klar auf den beschriebenen Fall beschränkt sein und darf nicht für Fälle gelten, in denen das Jobcenter Leistungen rechtswidrig nicht erbracht oder gekürzt hat und der Leistungsberechtigte aufgrund dessen Schulden hat. In diesen Fällen sind die Nachzahlungen auszubezahlen.

 

Die Zusammenfassung von Nachzahlung und Erstattung in einem bereinigten (also um die fällige Erstattung gekürzten Nachzahlungsbetrag) muss außerdem transparent und nachvollziehbar bleiben, sonst geht läuft der „Befriedungseffekt“ einer solchen Vereinfachung ins Leere. Maßgebend für die Frage, ob die BAGFW einem solchen Vorschlag zustimmen kann bleibt jedoch, ob sich die konkrete Gesetzesformulierung trennscharf nur auf den Fall „Nachzahlungen von SGB II-Regelbedarfen bei gleichzeitigem Bestehen von Rückforderungen mit SGB II-Regelbedarfen aufgrund einer geänderten Bedarfsprüfungs-Sachverhalte, wie etwa bei schwankenden Zuflüssen“, bezieht.

Die BAGFW regt an, bei monatlich schwankenden Einkommen grundsätzlich immer von der Möglichkeit der vorläufigen Leistungsbewilligung unter Anrechnung eines monatlichen Durchschnittseinkommens (§ 2 Alg II-VO) Gebrauch zu machen. Dadurch kann vermieden werden, dass es innerhalb eines Bewilligungszeitraum in einigen Monaten zu Nachzahlungen und in anderen Monaten zu Überzahlungen kommt.

 

Nr. 91: Aufrechnung (§ 43 SGB II) bei unterschiedlichen Kostenträgem

 

Kurzbeschreibung:
„Nach der aktuellen Rechtslage ist strittig, ob Forderungen der Träger der Grundsicherung gegen Ansprüche von Leistungsberechtigten auf Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes trägerübergreifend aufgerechnet werden können (z. B. Forderung aus überzahlten Regelbedarfen gegen Anspruche auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung).

Durch die Änderung soll klargestellt werden, dass dies zulässig ist. Es ist somit unerheblich, in wessen Trägerschaft die geschuldete und die geforderte Geldleistung erbracht wird. Arbeitslosengeld II und Sozialgeld sind jeweils als einheitliche Leistungen zu betrachten, unabhängig davon dass einzelne Bestandteile von unterschiedlichen Trägern erbracht werden. So können Forderungen des Bundes (z. B. zu Unrecht erbrachte Regelbedarfe) gegen Ansprüche gegenüber dem kommunalen Träger (Bedarfe für Unterkunft und Heizung) aufgerechnet werden, und umgekehrt.“

 

Zusammenfassung aus Sicht der BAGFW:

 

Nach der Neuregelung soll eine Aufrechnung von Leistungen auch dann erfolgen können, wenn eine andere Kostenträgerschaft für die Leistungen oder Leistungsanteile besteht.

 

Bewertung:

 

Aktuell herrscht Unklarheit darüber, ob eine Aufrechnung mit einer Forderung, die zum Kostenkreis des Bundes gehört, mit einer Leistung, die zum Kostenkreis der Kommunen gehört (insbesondere Sozialhilfe sowie Kosten der Unterkunft und Heizung), möglich ist. Problematisch ist in diesem Zusammenhang die für eine Aufrechnung notwendige Voraussetzung der „Gegenseitigkeit“ der Forderungen (§ 387 BGB); § 395 BGB bekräftigt dieses Gegenseitigkeitserfordernis ausdrücklich bei der Aufrechnung mit Forderungen der öffentlichen Hand. Das BGB lässt die Aufrechnung gegen Forderungen öffentlich-rechtlicher Körperschaften jedoch nur zu, wenn die Leistung an dieselbe Kasse zu erfolgen hat, aus der die Forderung des Aufrechnenden zu berichtigen ist.

 

Der Vorschlag hat das Ziel, die Aufrechnung unabhängig von den Kostenträgereigenschaften zu ermöglichen. Zukünftig sollen, z. B. Überzahlungen aus Regelbedarfen mit Ansprüchen auf Kosten der Unterkunft und Heizung aufgerechnet werden können. Zwar besteht die Möglichkeit einer Aufrechnung ohne Gegenseitigkeit bereits in § 52 SGB I. Diese Vorschrift ist aber im Rahmen des SGB II nicht entsprechend anwendbar. Es erscheint somit prinzipiell nachvollziehbar, dass die Bund-Länder-AG wünscht, solche Aufrechnungen möglich zu machen. Allerdings würde dies ausgehend von den Grundsätzen des BGB eine Verschlechterung zu Ungunsten der Leistungsberechtigten darstellen.

 

Nr. 92: Erstattungsansprüche der Grundsicherungsträger bei Vorleistungen        nach dem SGB II sicher stellen - Ergänzung § 44a SGB II

 

Kurzbeschreibung:
„Auf Grund der BSG-Rechtsprechung vom 31.10.2012 (AZ: B 13 R 11/11 Rund B 13 R 9/12 R) sind die Träger der Rentenversicherung dazu übergegangen, angemeldete Erstattungsansprüche der Jobcenter nicht mehr zu erfüllen, wenn eine Rente wegen Erwerbsminderung bzw. eine Altersrente rückwirkend zuerkannt wird. Die Rentennachzahlung wurde an den Rentenberechtigten ausgezahlt mit der Folge, dass diese Leistungen doppelt beziehen.

Das BSG hatte seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass wegen fehlender Erwerbsfähigkeit das Arbeitslosengeld II zu Unrecht erbracht worden sein. Ein Erstattungsanspruch nach § 103 SGB X wäre nur in den Fällen des § 44a Abs. 3 Satz 1 SGB II (sog. Divergenzfälle) möglich.§ 44a Abs. 3 SGB II sollte auf die Fälle erweitert werden, in denen Leistungen der Grundsicherung erbracht worden sind, weil zum Zeitpunkt der Bewilligung keine Zweifel an der Erwerbsfähigkeit vorlagen und ein Rentenversicherungsträger dennoch zu einem späteren Zeitpunkt rückwirkend eine Rente wegen Erwerbsminderung zuerkannt hat. Zusätzlich ist der Erstattungsanspruch bei einer rückwirkenden Bewilligung einer Altersrente sicher zu stellen.“

 

Zusammenfassung aus Sicht der BAGFW:

 

Mit der Neuregelung wird ein Erstattungsanspruch gegenüber dem SGB VI-Leistungsträger eingeführt, falls eine Erwerbsfähigkeit nicht besteht.

 

Bewertung:

Nach Ansicht der BAGFW darf es in den Fällen, auf den die Neuregelung abzielt, zu keinen Nachteilen in der Gewährleistung des Existenzminimums an sich kommen. Daher sind genauere Umsetzungsvorschläge maßgeblich, um den Vorschlag abschließen bewerten zu können. Es wird jedoch als unerlässlich erachtet, dass während der Feststellung, ob Erwerbsfähigkeit und/oder Hilfebedürftigkeit besteht, Leistungen an die betroffene Person nahtlos erbracht werden, damit deren Existenzminimum gesichert ist. Der zugrundeliegende Gedanke, dass in diesen sog. Divergenzfällen über § 44a Abs. 3 SGB II ein Erstattungsanspruch gegenüber dem Träger der Rentenversicherung nach § 103 SGB X eröffnet werden sollte, erscheint jedoch nachvollziehbar.

 

Zudem kommt es regelmäßig dadurch zu Problemen, dass SGB-II-Leistungen zu Monatsanfang, Rentenleistungen aber zum Monatsende gezahlt werden. In der Übergangszeit besteht eine faktische Lücke in der Gewährleistung des Existenzminimums von einem Monat. Diese sollte im Zuge der Neuregelungen dadurch geschlossen werden, dass sowieso für den Monat, in dem am Monatsende der Rentenanspruch ausgezahlt wird, für die vorhergehenden Tage noch die SGB-II-Leistung gewährt und tageweise bemessen wird. Diese Lücken wurden bisher faktisch durch die Nicht-Zurückzahlung geschlossen. Die hier vorgeschlagene Neuregelung würde das zugrundeliegende Problem beheben und stünde im Einklang mit dem Anspruch, ansonsten einen nahtlosen Übergang sicher zu stellen. Ansonsten würde die avisierte Neuregelung in vielen Fällen zu existenzieller Not führen

 

 

 

Nr. 95b: Datenabgleich nach § 52 Abs. 1 Nr. 3 SGB II: Keine Weiterleitung von       Daten nach § 45d Abs. 1 EStG bei Kapitalerträgen unter 10 Euro

 

Kurzbeschreibung:

„Derzeit werden bei o. g. Datenabgleich auch Mitteilungen über Kapitalerträge von weniger als 10 Euro weiter geleitet. Aufgrund der Bagatellgrenze nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-V werden Kapitalerträge unter 10 Euro in der Regel nicht angerechnet.

Aus diesem Grund kann auf die Weiterleitung dieser Informationen über Kapitalerträge unter 10 Euro im Rahmen des Datenabgleichs verzichtet werden.“

 

Bewertung:

 

Der Vorschlag, bei sehr geringfügigen Kapitalerträgen auf eine Weiterleitung dieser Information im Rahmen des Datenabgleichs zu verzichten, wird begrüßt. Die Umsetzung dieses Vorschlags ist auch deswegen sinnvoll, da Kapitalerträge bis zu 10 Euro sowieso nicht angerechnet werden dürfen, weil sie unter dem Einkommensfreibetrag von 10 Euro (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-VO) liegen. Außerdem bindet die Überprüfung unnötig Personalressourcen, die sinnvoller anderweitig eingesetzt werden könnten.

 

Nr. 95f:   Erhöhung der Frequenz der Datenabgleiche mit den Meldungen von                  Beschäftigungsverhältnissen auf einen Abgleich pro Monat

 

Kurzbeschreibung:
„Nach § 52 Abs. 1 SGB II ist zum 1. Januar, 1. April, 1. Juli und 1. Oktober eines jeden Jahres ein Datenabgleich durchzuführen.

Um ggf. Leistungsmissbrauch frühzeitig aufzudecken und Überzahlungen für die Zukunft zu vermeiden soll es den Trägern ermöglicht werden, die Frequenz des Abgleichs nach § 52 Abs. 1 Nr. 2 SGB II (Beschäftigungszeiten) bis zu einem Abgleich pro Monat zu erhöhen.“

 

Bewertung:

 

Eine Erhöhung der Frequenz des Datenabgleichs erachtet die BAGFW nicht für nicht notwendig. Die bisherige vierteljährliche Kontrolle scheint ausreichend zu sein, um relevante Leistungsmissbräuche festzustellen. Mit der Neuregelung würde der Turnus des Datenabgleichs schlichtweg verdreifacht. Es darf bezweifelt werden, dass eine so hohe Frequenz des automatisierten Datenabgleichs zu einer Verwaltungsvereinfachung bei den Trägern der Grundsicherung führt.

 

Nr. 96:    Einschränkung der Anzeige- und Bescheinigungspflicht bestimmter        Personenkreise bei Arbeitsunfähigkeit

 

Kurzbeschreibung:

„Nach § 56 Abs. 1 SGB II sind erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes beantragt haben oder beziehen, verpflichtet, eine eingetretene Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich anzuzeigen. Innerhalb von drei Tagen nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit ist eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen. Die Norm unterscheidet nicht nach Personenkreisen; so unterliegen z. B. auch Schüler nach Vollendung des 15. Lebensjahres der Bescheinigungspflicht.

Die Anzeige- und Nachweispflicht nach § 56 SGB II sollte auf Personen, für die tatsächlich Integrationsbemühungen unternommen werden sollen, beschränkt werden, also auf regulär arbeitslos gemeldete erwerbsfähige Leistungsberechtigte und erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die weiterhin vermittlerisch betreut werden (z. B. Vermittlung in Vollzeitbeschäftigung trotz bestehender Teilzeitbeschäftigung}. Bei der Definition des von der Bescheinigungspflicht zu befreienden Personenkreises kann auf die Zumutbarkeitsregelungen des § 10 abgestellt werden.“

 

Zusammenfassung aus Sicht der BAGFW:

 

Wer keine Integrationsbemühungen in den Arbeitsmarkt zu leisten hat, wie beispielsweise. Erwerbsaufstockende, Maßnahmenteilnehmende, Schülerinnen und Schüler, muss bei Krankheit keine Arbeitsunfähigkeit mehr anzeigen.

 

Bewertung:

 

Die Einschränkung der Anzeige- und Nachweispflicht bestimmter Personengruppen bei eingetretener Arbeitsunfähigkeit wird von der BAGFW ausdrücklich begrüßt. Eine Begrenzung der Obliegenheit aus § 56 Abs. 1 SGB II auf erwerbsfähiger Leistungsberechtigte, für die Vermittlungsbemühungen unternommen werden, erscheint sinnvoll. Die mit der Neuregelung angestrebte Änderung hat sowohl eine Entlastung der Leistungsberechtigten als auch der Verwaltung und Ärzte zur Folge.

 

5.         Sanktionen

 

Nr. 107 u. a: Angleichung der Sanktionsvorschriften für die Personenkreise           U25/Ü25 - §31a SGB II

 

Kurzbeschreibung:
„Die bisher geltenden (verschärften) Sanktionsregelungen für Leistungsberechtigte, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, sollen aufgegeben werden. Künftig sollen für alle Bezieher von Arbeitslosengeld II einheitliche Sanktionsvorschriften gelten.“

 

Bewertung:

 

Die Aufgabe der Ungleichbehandlung hinsichtlich der Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung allein aufgrund des Lebensalters wird von der BAGFW ausdrücklich begrüßt. Es handelt sich bei der verschärften Sanktionsregelung für unter 25-Jährige um eine massive und einschneidende Leistungseinschränkung, die bereits beim ersten Verstoß eintritt. Der Gesetzgeber begründete diese harte Sanktion bisher mit der Erforderlichkeit, bei jungen Menschen von vornherein der Langzeitarbeitslosigkeit entgegenzuwirken. Weiterhin wurde auf die Regelung des § 3 Abs. 2 SGB II verwiesen, wonach erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, unverzüglich nach Antragstellung in eine Arbeit oder Ausbildung zu vermitteln sind. Dieser staatlichen Verpflichtung stünden schärfere Sanktionen gegenüber.

 

Die Ungleichbehandlung der beiden Altersgruppen stößt vor dem Hintergrund des Gleichbehandlungsgebots auf verfassungsrechtliche Bedenken: Es ist zweifelhaft, ob die vom Gesetzgeber angeführten Gründe ausreichen, diese Altersgruppe schlechter zu stellen als die über 25-Jährigen. Gewichtige Unterschiede zwischen den Normadressaten, welche die verschieden schweren Eingriffe in das verfassungsrechtlich verbürgte Existenzminimum rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Beide Gruppen unterscheiden sich allein nach dem Lebensalter, sind überdies jedoch hinsichtlich sozialer und persönlicher Merkmale (wie Familienstand, Bildungsniveau, Befähigungen) heterogen. Junge Menschen, die über 18, aber unter 25 Jahre alt sind, sind genauso „erwachsen“ wie über 25-Jährige. In keinem anderen Sozialgesetzbuch ist die Gruppe der unter 25-Jährigen mit Sonderrechten oder Sonderpflichten ausgestattet.

 

Aus arbeitsmarktpolitischer wie auch aus jugendpolitischer Perspektive bewerten die Wohlfahrtsverbände die schärferen Sanktionsregelungen sehr kritisch, vor allem nachdem sich in der Praxis gezeigt hat, dass die Sanktionen bei einem Teil der Jugendlichen dazu führen können, dass sich die jungen Menschen vollständig zurückziehen, in die Wohnungslosigkeit ausweichen und/oder kriminelle Handlungen begehen, um sich das Lebensnotwendigste zu besorgen. Die Abschaffung der schärferen Sanktionsregelungen für unter 25-Jährige ist daher dringend erforderlich.

 

Nr. 110 u. a: Einheitlicher Minderungsbetrag für jede Pflichtverletzung - § 31a        SGB II

 

Kurzbeschreibung:
„Die gestuften Minderungen der Leistungen, die an den Tatbestand der wiederholten Pflichtverletzung geknüpft sind und bis zum vollständigen Wegfall der Leistungen, einschließlich Bedarfe für Unterkunft und Heizung, führen können, sind in der Praxis nur mit hohem Aufwand umzusetzen. Künftig ist für jede Pflichtverletzung ein einheitlicher Minderungsbetrag vorgesehen, unabhängig von erstmaliger oder wiederholter Pflichtverletzung.“

 

Bewertung:

 

Derzeit werden bei einer ersten Pflichtverletzung eines Über 25-Jährigen ohne wichtigen Grund (z. B. wenn sich jemand weigert, eine zumutbare Arbeit aufzunehmen) 30% des Regelbedarfes gekürzt. Bei der zweiten Pflichtverletzung beträgt die Kürzung 60% und bei jeder weiteren Pflichtverletzung entfällt das Arbeitslosengeld II komplett. Es werden somit auch keine Leistungen mehr für Unterkunft und Heizung und für einen Mehrbedarf erbracht. In der Regel soll bei einer Sanktion ab 60% die Miete an den Vermieter gezahlt werden. Innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft entfällt „nur“ der Anteil des Sanktionierten am Gesamtbedarf. Bei einem sog. Meldeversäumnis (in der Praxis dem häufigsten Sanktionstatbestand) mindert sich das Arbeitslosengeld II um jeweils 10%. Bei einem U25 entfällt bereits bei der ersten Pflichtverletzung (mit Ausnahme eines Meldeversäumnisses) der Regelbedarf mit Ausnahme der Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Bei einer wiederholten Pflichtverletzung entfallen auch die Leistungen für die KdU.

 

Die vorgeschlagene Vereinheitlichung des Minderungsbetrages für jede Pflichtverletzung lässt offen, bis zu welcher Höhe des Gesamtregelbedarfs maximal sanktioniert werden kann. Von der BAGFW für vertretbar erachtet wird nur eine Sanktionshöhe, die sich auf maximal 30 Prozent des Regelbedarfs bezieht, ohne eine existentielle Not bei dem Sanktionierten zu verursachen. Bis zu dieser maximalen Sanktionshöhe von 30 Prozent des Regelbedarfs sollten die Sanktionsmöglichkeiten im Hinblick auf ihre Höhe und Dauer flexibel ausgestaltet werden. Insbesondere sollte es möglich sein, bei der Festsetzung der Sanktion die besonderen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen.

 

Nr. 106/108: Schriftform der Rechtsfolgenbelehrung - § 31 SGB II

 

Kurzbeschreibung:
„Nach aktueller Rechtslage ist neben der (in der Regel schriftlichen) Belehrung über die Rechtsfolgen bei Pflichtverletzungen auch deren Kenntnis ausreichend. Künftig soll aus Gründen der Rechtsicherheit die schriftliche Rechtsfolgenbelehrung erforderlich sein.“

 

Bewertung:

 

Der Vorschlag, bei der Rechtsfolgenbelehrung auf das das Schriftformerfordernis zu bestehen und nicht mehr auf die bloße Kenntnis abzustellen, wird unterstützt. Seit Inkrafttreten des Regelbedarfsermittlungsgesetzes zum 01. April 2011 genügt für die Sanktionierung einer Pflichtverletzung die bloße Kenntnis über dessen Rechtsfolgen (vgl. § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Eine schriftliche Rechtsfolgenbelehrung ist dann nicht erforderlich. Ihre Aufklärungs- und Warnfunktion kann eine Rechtsfolgenbelehrung aber nur erfüllen, wenn die Belehrung tatsächlich in schriftlicher Form erfolgt. Zwar trägt der Leistungsträger die Beweislast für den Nachweis über die Kenntnis der Rechtsfolgen. Jedoch trägt nur eine ordnungsgemäß erfolgte schriftliche Rechtsfolgenbelehrung den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit Rechnung. Auf dieses Erfordernis sollte in keinem Fall verzichtet werden. Nur so kann der jeweils Betroffene abschätzen, welche Folgen ihn treffen, wenn er eine ihm obliegende Pflicht nicht erfüllt.

 

Nr. 113/118: Keine Minderung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung - § 31a        SGB II

 

Kurzbeschreibung:
„Aktuell wird der Minderungsbetrag (30%, 60%) vom Gesamtanspruch abgesetzt; somit können auch Bedarfe für Unterkunft und Heizung von der Minderung betroffen sein.

Eine Minderung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung soll künftig nicht mehr möglich sein.“

 

Bewertung:

 

Der Vorschlag, künftig von einer Minderung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung abzusehen wird von der BAGFW ausdrücklich begrüßt. Die Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG umfasst auch das Wohnen. Werden die Bedarfe für Unterkunft und Heizung nicht erbracht, droht die Kündigung durch den Vermieter und damit die schwerwiegende Konsequenz des Verlusts der Wohnung. Die bisher geltende Regelung, nach der eine Sanktion auch die Kosten der Unterkunft und Heizung betreffen kann, wird von der BAGFW abgelehnt. Für die Leistungsbeziehenden stellt Wohnungslosigkeit oft ein kaum zu überbrückendes Hindernis für die Erwerbsintegration dar. Aber auch dem Leistungsträger drohen mit dem Verlust der Wohnung ein hoher Verwaltungsaufwand und immense Folgekosten.

 

 

 

Weitergehende Hinweise der BAGFW

 

Die BAGFW möchte das bevorstehende Gesetzgebungsverfahren zur „Rechtsvereinfachung im SGB II“ auch zum Anlass nehmen, einige weitergehende Hinweise zu erteilen, die zu einer Vereinfachung des Leistungs- und Verwaltungsverfahren im Rahmen des SGB beitragen und zu einer Erhöhung der Servicequalität im Interesse der Leistungsbeziehenden führen könnten.

 

1.      Organisation der Leistungsträger und Verfahrensabläufe bei der Leistungserbringung

 

Die Bundesagentur für Arbeit versteht sich als Dienstleistungsunternehmen. Bei der Organisation und der Gestaltung der Verfahrensabläufe hat sie jedoch noch Nachholbedarf. Nach Ansicht der Wohlfahrtsverbände ist es dringend erforderlich, die Umsetzung des Leistungsrechts dadurch zu optimieren, dass zugleich auch die Organisation der Leistungsträger und Verfahrensabläufe kundenfreundlicher ausgestaltet werden. So fehlt es für Antragsteller häufig an festen Ansprechpartnern, die das Antrags- und Bewilligungsverfahren einer Bedarfsgemeinschaft kontinuierlich begleiten. Auf diese Weise wären die zuständigen Sachbearbeiter besser imstande, bei einzelnen Schritten Auskunft zu geben, weil sie den Sachverhalt der betroffenen Bedarfsgemeinschaft kennen. Ein weiteres Problem ist nach wie vor die Gestaltung der Leistungsbescheide und ihrer Begründungen, die oft für den Durchschnittsbürger unverständlich formuliert sind. Der Verwaltungsaufwand und die Reibungsverluste sind größer, wenn Fragen, die ein Leistungsberechtigter nicht stellen kann, weil sie im Rahmen eines unpersönlichen Verwaltungsverfahrens eher abgeblockt als zugelassen werden, per Widerspruch geltend machen werden müssen. Insofern wird die organisatorische Umsetzung durch die Jobcenter der in § 14 SGB I verankerten Verpflichtung der Leistungsträger zur Beratung über die Rechte und Pflichten nach dem jeweiligen Leistungsgesetz nur unzureichend gerecht.

 

Eine kontinuierliche und schrittweise Sachverhaltserfassung wird vor allem dann gesichert, wenn sich ein Bearbeiter kontinuierlich mit ihm zugewiesenen Fällen befasst und während dieser Bearbeitung auch nach außen hin als Ansprechpartner erkennbar ist. Diese Erkennbarkeit nach außen ermöglicht auch einen unmittelbaren Informationsfluss zwischen den Leistungsberechtigten und den Sachbearbeitern. Eine solche verbesserte Kommunikationsmöglichkeit könnte auch dazu beitragen, die Nachvollziehbarkeit der schriftlichen Begründung von Bescheiden zu erhöhen und Konfliktpotentiale zu vermeiden bzw. zu reduzieren.

 

Ein weiterer Ansatz zur besseren Verständlichkeit des Behördenhandelns kommt bei wechselnden Leistungshöhen in Betracht. Mitteilungen über die Höhe des tatsächlich ausgezahlten Betrags (einschließlich einer Auflistung noch offener Aufrechnungen, Forderungen, Sanktionen, die in Abzug gebracht werden) erhöhen ohne großen Aufwand die Transparenz und die Nachvollziehbarkeit über das Verwaltungshandeln.

 

Im Umgang mit bestimmten besonderen Personengruppen, wie bspw. unter 25-Jährigen Schwangeren, bedarf es einer erhöhten Aufmerksamkeit und Sensibilität der Mitarbeitenden. Immer wieder kommt es vor, dass das Einkommen der Eltern entgegen den Regelungen des § 9 Abs. 2 SGB II angerechnet wird, so als wären diese Personen Teil einer Bedarfsgemeinschaft mit ihren Eltern. Sie bilden aber ab der Geburt ihres Kindes zusammen mit diesem eine selbstständige Bedarfsgemeinschaft, was ebenfalls nicht immer beachtet wird. Anfänglich falsch vorgenommene Zuweisungen können über Jahre unbemerkt bleiben. Bereits die Tätigkeit an den Servicedesks ist deshalb von entscheidender Bedeutung für die Zuweisung der Antragstellenden zu den jeweiligen Verfahren. Sichergestellt werden muss, dass eine falsche Weichenstellung vor Beginn des eigentlichen Antragsverfahrens nicht das gesamte Verfahren bestimmt und beeinträchtigt.

 

2.      Flexibilisierung der Sanktionszeiträume im SGB II

 

Über die angestrebten Änderungen im Sanktionsrecht hinaus, die die Mitgliedsverbände der Freien Wohlfahrtspflege überwiegend positiv bewerten, weil sie langjährige Forderungen der BAGFW aufgreifen, wie etwa die Abschaffung der Sondersanktionsregelung bei Jugendlichen, die Gewährung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung auch bei wiederholten Pflichtverletzungen und die zwingende schriftliche Belehrung über die Rechtsfolgen der Pflichtverletzung, bieten sich aus Sicht der BAGFW weitere Reformschritte an.

 

Sinnvoll wäre nach Ansicht der BAGFW, die Reform auch für eine Flexibilisierung der Sanktionszeiträume nach unten hin zu nutzen. Die bisher in § 31b Abs. 1 Satz 4 SGB II nur für erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, vorgesehene Minderungsmöglichkeit der Sanktion auf einen Zeitraum von sechs Wochen, sollte altersunabhängig gewährt werden. Wie insbesondere der Deutsche Verein in seinen Empfehlungen zur Reform der Sanktionen im SGB II[6] überzeugend darlegt, hat sich die Regelung in der Praxis bewährt. Die bisher zwingend vorgesehene Sanktionsdauer von drei Monaten ermöglicht kaum, Verhaltensänderungen zu berücksichtigen, etwa wenn das sanktionsbewährte Verhalten aufgegeben wird. Indem an der Absenkung der Leistung festgehalten wird, obwohl die Sanktionieren sich längst kooperativ zeigen, an der Überwindung ihrer Hilfebedürftigkeit mitzuwirken, erhält die Sanktion einen apodiktischen Charakter, der eine Deprivation und das Gefühl einer Benachteiligung hervorrufen kann.

 

Ebenso wie der Deutsche Verein spricht sich deshalb auch die BAGFW dafür aus, die Minderungsmöglichkeit auf einen Zeitraum von sechs Wochen altersunabhängig zu gewähren und in das Ermessen des Leistungsträgers zu stellen, um künftig einen sorgsameren, flexibleren und zielgerichteten Umgang mit Sanktionen zu ermöglichen.

 

3.      Reform der Leistungen für Bildung und Teilhabe

 

Obwohl der Bund-Länder-AG einige Änderungsvorschläge auch zum Bereich „Bildung und Teilhabe“ vorlagen, bedauert die BAGFW, dass bisher keiner dieser Vorschläge aufgegriffen worden ist.

 

Zur Verwaltungsvereinfachung und Gewährleistung von Bildungs- und Teilhabeleistungen wäre es sinnvoll, dass diese gleichzeitig mit der Beantragung von ALG II durch einen sogenannten Globalantrag dem Grunde nach beantragt werden.

 

Knapp dreieinhalb Jahre nach Inkrafttreten der Regelungen liegen zahlreiche empirische Befunde zum Bildungs- und Teilhabepaket (BuT) vor. Diese zeigen, dass die Inanspruchnahme der BuT-Leistungen - mit Ausnahme der Leistungen für den Schulbedarf, die automatisch ohne Antrag gewährt werden - nach wie vor verbesserungswürdig ist und mit dem BuT bei Weitem nicht alle Kinder und Jugendlichen erreicht werden (vgl. Apel/Engels, Forschungsprojekt: Bildung und Teilhabe von Kindern und Jugendlichen im unteren Einkommensbereich). Eine Ursache mag in den mangelnden Informationen über die Leistungen liegen, denn in der Gesamtbevölkerung liegt der Kenntnisstand über die Möglichkeit der Förderung nur bei etwa 67 Prozent (vgl. Evaluation der bundesweiten Inanspruchnahme und Umsetzung der Leistungen für Bildung und Teilhabe, S. 260). Problematisch ist aber auch, dass Schwellenhaushalte über die Leistungen kaum oder gar nicht beraten und informiert werden (vgl. Evaluation der bundesweiten Inanspruchnahme und Umsetzung der Leistungen für Bildung und Teilhabe, S. 85f.). Auch bestehen in der Angebotsstruktur große regionale Unterschiede. Dort, wo die infrastrukturellen Voraussetzungen nicht gegeben sind, können die Leistungen nicht abgerufen werden und der staatliche Auftrag, Bildung und Teilhabe aller Kinder sicherzustellen, ist nicht erfüllt.

 

Diese Einschätzungen decken sich mit den Rückmeldungen aus den Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege. Zwar sind diese sensibilisiert für die Angebote des BuT und haben den Auftrag für sich angenommen, Familien bei der Leistungsbeantragung zu unterstützen. Es zeigt sich jedoch ein ungleicher „Nutzungsgrad“ bei den einzelnen BuT-Leistungen: einige Leistungen, wie der individuelle Anspruch auf eine Mittagsverpflegung, laufen dort, wo Schulen keine Kantinen oder Personal vorhalten ins Leere, auch wenn sich mit dem Ausbau der Ganztagsschulen einiges gebessert hat. Nicht in allen Kindertagesstätten, Schulen, Tagespflegeeinrichtungen und Tagesmüttern/-vätern ist eine Mittagsverpflegung vorhanden (vgl. Evaluation der bundesweiten Inanspruchnahme und Umsetzung der Leistungen für Bildung und Teilhabe, S. 126). Auch die Erstattung der Kosten für Kita- oder Schulausflüge ist verbesserungswürdig. Etwas mehr als die Hälfte der Leistungsträger lehnen es ab, BuT-Leistungen für mehrtägige Ausflüge in schulfreien Zeiten zu übernehmen (vgl. Evaluation der bundesweiten Inanspruchnahme und Umsetzung der Leistungen für Bildung und Teilhabe, S. 116 und 117). Bei einem Viertel der Kommunen erfolgt keine nachträgliche Erstattung verauslagter Geldmittel bei der Schülerbeförderung, eintägigen Ausflügen und mehrtätigen Fahrten (vgl. Evaluation der bundesweiten Inanspruchnahme und Umsetzung der Leistungen für Bildung und Teilhabe, S. 108f.).Schulen und Kitas erhöhen in der Praxis eher ihre Klassen- oder Kitakassenbeiträge als sich auf ein solch verwaltungsaufwändiges Verfahren einzulassen.

Die BAGFW ist außerdem der Auffassung, dass das Reformvorhaben zur „Rechtsvereinfachung im SGB II“ dazu genutzt werden sollte, Verbesserungen bei den Leistungen für Bildung und Teilhabe nach § 28 SGB II auf den Weg zu bringen und ggf. über Alternativen zu diskutieren. Hierbei müssen auch Konsequenzen aus dem aktuellen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts einschließlich BVerfG, 1 BvL 10/12 vom 23.07.2014 etwa zur Gewährung von Fahrtkosten für die Zugänglichmachung der Angebote einfließen.

 

4.      SGB II-Anspruch von Personen in stationären Einrichtungen

 

Das anstehende Gesetzesvorhaben könnte auch dazu genutzt werden, in § 7 Abs. 4 SGB II eine Klarstellung betreffend des SGB II-Anspruchs von Personen in stationären Einrichtungen vorzunehmen.

Das Bundessozialgericht hat am 05.06.2014 ein Urteil zum Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II für nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die sich in stationären Einrichtungen nach den §§ 67 ff. und 53 ff. SGB XII befinden, erlassen (BSG, Urteil vom 05.06.2014 – B 4 AS 32/13 R). Die Praxis versteht die Entscheidung so, dass eine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung stattfindet. Bisher hat das BSG weniger auf den Begriff der Erwerbsfähigkeit abgestellt, sondern vielmehr auf den Begriff der „stationären Einrichtung“. Nach der Rechtsprechung zum funktionalen Einrichtungsbegriff kam es darauf an, ob die objektive Struktur der Einrichtung eine Erwerbstätigkeit im genannten Umfang ermöglichte (vgl. BSG, Urteil v. 06.09.2007 – B 14/7b AS 16/07 R – BSGE 99, 88; BSG, Urteil v. 07.05.2009 – B 14 AS 16/08 R).

 

Die neue Rechtsprechung des BSG wird teilweise so verstanden, dass die Kriterien, die zur Vorgängerregelung des § 7 Abs. 4 SGB II entwickelt wurden, auf die Neufassung des § 7 Abs. 4 SGB II nicht mehr heranzuziehen, seien. Gemäß der alten Fassung des § 7 Abs. 4 SGB II erhielt Leistungen nach dem SGB II nicht, wer länger als sechs Monate in einer stationären Einrichtung untergebracht ist oder Rente wegen Alters bezieht. § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 SGB II sehe dagegen lediglich für den Fall einer tatsächlichen Erwerbstätigkeit eine Rückausnahme vom Leistungsausschluss vor. Zentrales Kriterium wird damit eine tatsächliche Erwerbstätigkeit im Umfang von 15 Wochenstunden unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes. Die objektive Möglichkeit der Ausübung einer Erwerbstätigkeit findet danach weder im Gesetz noch in den Gesetzesmaterialien eine Stütze und tritt gegenüber dem Kriterium der tatsächlichen Erwerbstätigkeit aus § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 SGB II zurück. Im Ergebnis wird die Entscheidung des BSG von der Praxis so verstanden, dass stationär betreute und Arbeit suchende Personen, die einer Erwerbsfähigkeit im Umfang von 15 Wochenstunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachgehen könnten, aber noch keinen solchen Arbeitsplatz haben, keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II haben. Einige Jobcenter aus verschiedenen Bundesländern haben bereits Bescheide über die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II ab 01. Juli 2014 unter Berufung auf das Urteil zurückgenommen.

 

So wie die Entscheidung derzeit von der Praxis verstanden wird, hat sie erhebliche Folgen für Personen in stationären Einrichtungen und ist für diese mit erheblichen Nachteilen verbunden. Sie werden so behandelt, als hätten sie künftig keinen Anspruch mehr auf Leistungen zur Eingliederung in Arbeit in der Einrichtung. Dies betrifft sowohl erwerbsfähige Personen, die in der stationären Wohnungslosenhilfe als auch in sog. Freigängerheimen untergebracht sind. Sinnvoll wäre deshalb eine gesetzliche Klarstellung in § 7 Abs. 4 SGB II dahingehend, dass es für die Frage, ob eine stationäre Einrichtung vorliegt, nicht auf eine tatsächliche Erwerbstätigkeit ankommt, sondern auf die Möglichkeit der Erwerbstätigkeit aus der Einrichtung heraus.

 

5.      Übernahme der Kosten für eine Brille

 

ALG II-Empfänger/innen haben erhebliche Schwierigkeiten, die Kosten für eine Brille aufzubringen. Zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) besteht ein Anspruch auf Sehhilfen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres. Ab dem 18. Lebensjahr werden Sehhilfen von der GKV nur bei einer schweren Sehbeeinträchtigung übernommen. Diese liegt vor, wenn bei bestmöglicher Korrektur trotz Verwendung von Sehhilfen, die Sehschärfe auf beiden Augen nur noch maximal 30% beträgt. Eine schwere Sehbeeinträchtigung auf nur einem Auge führt damit nicht zur Kostenübernahme durch die GKV. Die Kosten für das Brillengestell werden von der GKV in keinem Fall übernommen.

 

Die Kosten der Brille werden auch vom Jobcenter grundsätzlich nicht als Zuschuss übernommen. Das bedeutet, dass ALG II-Empfänger/innen die Brille in der Regel aus dem Regelbedarf zahlen müssen. Im Regelbedarf der Regelbedarfsstufe 1 war bei der letzten Einkommens- und Verbrauchsstichprobe im Jahr 2008 ein Anteil für therapeutische Geräte und Mittel in Höhe von monatlich 2,26 Euro enthalten. Auch nach der Fortschreibung dieses Wertes in den Folgejahren kann eine Brille von diesem Betrag praktisch nicht zeitnah bezahlt werden. ALG II-Empfänger/innen müssen in der Regel ein Darlehen aufnehmen. Das führt dazu, dass ihnen über mehrere Monate ein gekürzter Regelbedarf zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung steht. ALG II-Empfänger/innen mit Sehbeeinträchtigung steht damit in diesem Fall monatlich weniger zur Verfügung als anderen ALG II-Empfänger/innen ohne Sehschwäche. Auch das BVerfG hat in einer aktuellen Entscheidung erkannt, dass es zu einer Unterdeckung kommen kann, „wenn Gesundheitsleistungen wie Sehhilfen weder im Rahmen des Regelbedarfs gedeckt werden können, noch anderweitig gesichert sind“ (BVerfG, Beschluss v. 23.07.2014 – 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13). Nach Ansicht des BVerfG muss der Gesetzgeber zukünftig darauf achten, dass der existenznotwendige Bedarf insgesamt gedeckt ist. Dies setze voraus, dass die Bemessung der Regelbedarfe hinreichend Spielraum für einen Ausgleich lasse. Dies kann auch dazu führen, dass mit der Anschaffung einer neuen Brille trotz Notwendigkeit abgewartet bzw. ganz darauf verzichtet wird.

 

Die BAGFW schlägt vor, dass die Kosten für notwendige Sehhilfen als einmalige Leistung vom Jobcenter übernommen werden.

 

Der § 24 Abs. 3 SGB II ist um eine Ziffer 4 wie folgt zu ergänzen:

 

„Nicht vom Regelbedarf nach § 20 umfasst sind Bedarfe für

4. Anschaffungen und Reparaturen von Sehhilfen. Diese umfassen auch das Brillengestell.“



[1] Empfehlungen des Deutschen Vereins zu den angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach §§ 22ff. SGB II und §§ 35ff. SGB XII vom 12. März 2014.

[2] Schwitzky in LPK-SGB II, § 34 Rn. 14.

[3] OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22.05.2000, 16 A 5805/96.

[4] Niedersächsisches OVG, Urteil vom 26. August 1992, 4 L 1894/91.

[5] Schwitzky in LPK-SGB II, § 34 Rn. 14.

[6] Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Reform der Reform der Sanktionen im SGB II vom 11. Juni 2013, S. 14.