Ethisch vertretbare Anwerbung von ausländischen Arbeits- und Fachkräften in der Pflege
In Deutschland ist der Fachkräftemangel in der Pflege bereits heute ein drängendes Problem und erfordert zeitnahe Lösungen. Denn gleichwohl dieser regional unter- schiedlich wahrgenommen und ausgeprägt ist, wird er sich, sofern nicht gegenge- steuert wird, auch aufgrund des demographischen Wandels in den nächsten Jahren verschärfen.
Aufgrund dieser Lage wurde in den letzten Jahren zunehmend die Anwerbung von ausländischen Pflegekräften zu einem Teil einer Strategie, um den Mangel auszu- gleichen, diskutiert und bereits auf niedrigem Niveau praktiziert. Aus Sicht der in der BAGFW kooperierenden Verbände kann die Anwerbung diesen Mangel jedoch nur abmildern und keinesfalls in seiner Gänze kompensieren. Bisher erfolgen Anwerbun- gen auf unterschiedliche Weise: durch Initiativen der Bundesregierung und der Lan- desregierungen, durch die Vermittlung privater Akteure sowie aufgrund von Eigeninitiativen auf Seiten der Träger und Einrichtungen.
Entscheidend ist aus Sicht der Freien Wohlfahrtspflege, dass all diese Bemühungen auf ethische Grundsätze der Anwerbung hin geprüft werden. Zudem darf die Anwer- bung von Pflegekräften aus dem Ausland nicht den Status Quo auf diesem Arbeits- feld zementieren und laufende Prozesse zur Verbesserung der Arbeitssituation der Pflegenden unterlaufen. Hierbei ist insbesondere auf die Finanzierung der Pflege und das Lohnniveau bei Pflegekräften zu achten. Es besteht die Gefahr, dass Zuwande- rung instrumentalisiert wird, um dem bestehenden Handlungs- und Reformdruck im Arbeitsfeld der Altenpflege auszuweichen. Aus fachlicher Sicht kann das Zuwande- rungsrecht jedoch keinesfalls strukturelle Probleme des Arbeitsmarktes und der Pfle- ge lösen. Dennoch soll mit der hier vorgelegten Position aufgezeigt werden, unter welchen Bedingungen die Anwerbung ausländischer Arbeits- und Fachkräfte ein Baustein zur Verbesserung des Personalmangels in der Pflege sein kann.
II. Kriterien einer fairen und verantwortungsbewussten Anwerbung
Anwerbung von Fachkräften muss immer sowohl die Gegebenheiten im Herkunfts- land, die individuellen Umstände der Personen als auch die Anforderungen in Deutschland berücksichtigen. Damit Anwerbung aus der Sicht aller Beteiligten ge- lingt, muss diese fair, human, unter Beachtung der Menschenrechte und verantwor- tungsbewusst gestaltet werden.
Nur unter diesen Bedingungen können die Wohlfahrtsverbände die Anwerbungen als einen Beitrag innerhalb einer umfassenden Strategie ansehen, um den Fachkräfte- mangel zu verringern.
Deshalb führt die Freie Wohlfahrtspflege hier Bedingungen auf, die bei der Anwer- bung von ausländischen Pflegefachkräften eingehalten werden müssen. Dabei spie- len gemachte Erfahrungen eine ebenso zentrale Rolle, wie die Auffassung der Wohlfahrtsverbände, dass verstärkt die Potenziale in Deutschland gehoben und die hier lebenden Menschen ausgebildet werden müssen. Gleichzeitig sind die Träger sozialer Einrichtungen und Dienste und die politisch Verantwortlichen aufgerufen, die Rahmenbedingungen für die Pflege in Deutschland zu verbessern.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege vertritt die Auffassung, dass zur Fachkräftesicherung wesentlich beiträgt:
• die Verbesserung der Bezahlung und der Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in der Pflege und
• die Steigerung der gesellschaftlichen Anerkennung und Wertschätzung. Die Anwerbung von ausländischen Arbeitskräften
• ist alleine keine geeignete Strategie gegen den Fachkräftemangel,
• darf nicht zur Absenkung qualitativer Standards in der Pflege,
• darf nicht zum Lohndumping führen.
Vielmehr soll diese nur unter Kriterien fairer Mobilität erfolgen. Damit die Anwerbung im Sinne dieser Kriterien umgesetzt wird, müssen alle Beteiligten hierfür verantwort- lich zeichnen. Dabei ist eine intensive Auseinandersetzung mit den Auswirkungen
der Anwerbung für die Heimatländer, für die Angeworbenen und ihre Familien, für die Einrichtungen und ihre Mitarbeiterschaft, für die zu Pflegenden sowie für die Gesell- schaft erforderlich.
III. Anforderungen an die Anwerbung von ausländischen Beschäftigten
a) Anwerbung erfolgt nur unter Berücksichtigung des Verhaltenskodex der
WHO
Eine zentrale Anforderung ist es, den globalen Verhaltenskodex der World Health Organization (WHO) für die Anwerbung von Gesundheitsfachleuten zu berücksichtigen. Dieser untersagt es, Pflegepersonal aus Ländern zu rekrutie- ren, in denen ein entsprechender Personalnotstand herrscht. Kritisch ist auch
die Anwerbung aus Ländern zu bewerten, denen eine ähnliche demographische
Entwicklung wie in Deutschland bevorsteht.
b) Berufsanerkennung erleichtern
Fachkräfte im Bereich Pflege gehören zu den reglementierten Berufen. Bei den
Pflegeberufen ist die Feststellung der Gleichwertigkeit zwingende Vorausset-
zung dafür, dass der Beruf in Deutschland ausgeübt werden darf (entsprechend auch die ausländerrechtliche Regelung in § 6 Abs. 2 BeschV).
Ausreichende Sprachkenntnisse gehören zu den Voraussetzungen für die An- erkennung als Fachkraft (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 AltPflG). Das bedeutet in der Regel Niveau B2 GeR.
Aktuell laufen die Anerkennungsverfahren in den Ländern uneinheitlich. Sie dauern oft zu lange, so dass sich zuzugswillige Fachkräfte anderweitig orientie- ren. EU-Bürger/innen, die keine Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis brauchen, beginnen teilweise als Hilfskräfte zu arbeiten und versuchen das Anerken- nungsverfahren nebenbei zu betreiben. Das scheitert oft daran, dass der Spracherwerb neben der anstrengenden Berufstätigkeit nicht gelingt.
Die Anerkennungsverfahren sollten vereinheitlicht, vereinfacht und beschleunigt werden.
c) Keine Zahlung von Vermittlungsgebühren durch die Angeworbenen Anwerbung darf grundsätzlich nicht gewinnorientiert stattfinden. Daraus folgt, dass keine Vermittlungsgebühren von den angeworbenen Fachkräften erhoben werden dürfen. Nur so können Interessierte vor Missbrauch und Betrügerei ge- schützt werden.
Ganz gleich, ob Agenturen in Deutschland oder in den Herkunftsländern Fach- kräfte vermitteln, muss diese verlässlich und transparent erfolgen. Soweit vor- handen, sollte auf offiziell zugelassene Stellen zurückgegriffen werden. Die BAGFW spricht sich dafür aus, die Vermittlung grundsätzlich nur über die Zent- rale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) bzw. von der ZAV zertifizierte Ver- mittler zuzulassen. Grundsätzlich ist zu betonen, dass gleichwohl die Vermittlung von Fachkräften aus Drittstaaten keine staatliche Aufgabe ist, es aber eindeutiger Rahmenbedingungen und einer überprüfbaren Zertifizierung bedarf. Nur so sind Mindeststandards zu gewährleisten wie beispielsweise eine Garantie, dass angestrebte Tätigkeiten auch am Ende ausgeübt werden kön- nen. Das verhindert, dass Interessierte Investitionen oder Bemühungen jegli- cher Art aufbringen und ein Arbeitsverhältnis dann jedoch nicht zustande kommt.
d) Sprachliche und kulturelle Vorbereitung
Um in der Pflege als Fachkraft zu arbeiten, sind gute Kenntnisse der deutschen Sprache unabdingbar, womit diese eine notwendige Voraussetzung für eine ge- lungene Anwerbung darstellen. Ein Sprachniveau von mindestens B2 ist not- wendig, um die vielfältigen Aufgaben in den Einrichtungen umfassend wahrzunehmen, oder auch hierzulande eine Ausbildung zu absolvieren. Denn Sprache befähigt zu einer angemessenen Kommunikation mit den Bewoh- ner/innen, den Kolleg/innen, den Angehörigen sowie den Vorgesetzten. Auch
für die Zusammenarbeit mit Ärzten und anderen Institutionen bedarf es einer angemessenen Sprachkompetenz.
Deshalb muss für den Spracherwerb ausreichend Zeit eingeräumt und es müs- sen individuelle Unterschiede beachtet werden. Eine Vorbereitung im Her- kunftsland und ein weiterführender, begleitender Sprachunterricht in Deutschland sind dafür erforderlich. Das Sprachniveau B1 sollte schon im Her- kunftsland erreicht sein. Dafür sind Finanzierungsmodelle zu entwickeln, die die deutsche Regierung mit den Regierungen der Herkunftsländer vereinbaren muss.
Mit dem Spracherwerb muss eine kulturelle Vorbereitung einhergehen. Kennt- nisse der Geschichte, der Lebensbedingungen und –gewohnheiten der pflege- bedürftigen Menschen in Deutschland einschließlich regionaler Besonderheiten stellen die Grundlage einer an der Biografie orientierten Altenpflege dar.
e) Berücksichtigung der Ausbildung und des Berufsbildes/der beruflichen
Identifikation im Herkunftsland
In Deutschland unterscheiden sich die Berufsbilder in der Pflege stark von de- nen anderer Länder. Das gilt für die Inhalte als auch für die Struktur und das Bildungsniveau in der Pflegeausbildung. So haben Pflegefachkräfte aus dem Ausland meist eine generalistische Pflegeausbildung auf Hochschulniveau (au- ßer in Österreich und Luxemburg) mit dem Schwerpunkt auf akut-pflegerischer/- medizinischer Versorgung absolviert. Viele Aufgaben und Tätigkeiten, die hier- zulande von (Alten-) Pflegefachkräften wahrgenommen werden, fallen in ande- ren Ländern eher in den Arbeitsbereich pflegerischer Hilfskräfte oder werden in den asiatischen Ländern von den Familienangehörigen geleistet. Der Einsatz ausländischer Fachkräfte in der deutschen Altenpflege bedarf daher einer in- haltlichen und mentalen Vorbereitung. Andernfalls kann es zu falschen Erwar- tungen und damit verbundenen Enttäuschungen sowohl auf Seiten der Angeworbenen als auch des Arbeitgebers kommen. Die Vorbereitung im Her- kunftsland sollte somit auch die ausreichende Information über die praktische Berufsausübung in deutschen Altenpflegeeinrichtungen umfassen.
f) Ein qualifizierter Schulabschluss und entsprechende Sprachkenntnisse sollten alleinige Bedingungen für die Aufnahme einer Ausbildung in Deutschland sein
Es sollte keine Voraussetzung bei der Anwerbung von Auszubildenden sein, dass die zukünftigen Auszubildenden bereits eine pflegenahe Ausbildung in dem Heimatland absolviert haben oder sogar über einen pflegenahen Hoch- schulabschluss verfügen. Vielmehr sollte die Pflegeausbildung in Deutschland erfolgen, was zugleich eine Nähe zum hier praktizierten Pflegebereich gewähr- leistet.
g) Bedingungen am Arbeitsplatz
Die angeworbenen Fachkräfte müssen nach den gleichen Bedingungen arbei- ten und bezahlt werden, wie die Kolleginnen und Kollegen in den jeweiligen Ein- richtungen.
h) Willkommenskultur unter Einbeziehung der Mitarbeitenden
Das Einleben und Einarbeiten der ausländischen Arbeits- und Fachkräfte kann dadurch gefördert werden, dass die Einrichtungen und Träger eine Willkom- menskultur leben, an deren Entwicklung die Beschäftigten beteiligt werden. Dabei sollten auch Konzepte zur Interkulturellen Öffnung der Einrichtungen be- rücksichtigt werden. Die Wohlfahrtsverbände könnten darüber hinaus das breite Spektrum von verschiedenen Angeboten außerhalb der Pflege und auch im Rahmen der ehrenamtlichen Arbeit in einen Integrationsansatz mit einbeziehen.
i) Rückkehr ins Herkunftsland und Verbleib in Deutschland
Für die Angeworbenen und ihre Familienangehörigen müssen für die Gegen- wart und die absehbare Zukunft planbare und verlässliche Arbeitsbedingungen sowie rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen werden. Den Angeworbenen ist deshalb von vorneherein die Option eines Daueraufenthalts und einer Fami- lienzusammenführung einzuräumen.
Das Ausländerrecht berücksichtigt die Lebenssituation von Pflegekräften mit Familie zu wenig. Das gilt für die Sprachkenntnisse, die Ehepartner gegebenen- falls mitbringen müssen und für die Lebensunterhaltssicherung.
j) Soziale Begleitung und Eingewöhnung in Deutschland
Damit sich die Angeworbenen einleben können, sollten Angebote der Beglei- tung und der Hilfestellung zur Eingewöhnung in Deutschland gemacht werden. Hier wäre beispielsweise an Mentoren-Programme oder Ähnliches zu denken. Auch dafür ist die Förderung aus staatlichen Mitteln erforderlich. Die ehrenamt- lichen Strukturen in den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege können hierzu einen Beitrag leisten.
IV. Schlussfolgerungen
Die Anwerbung von ausländischen Pflegefachkräften muss in verantwortungsvoller Weise und mit Bedacht erfolgen. Die Erfahrungen zeigen, dass nur bei entsprechend qualifiziertem Vorgehen (Punkte III a bis j) der Erfolg und die Nachhaltigkeit für alle Beteiligten erreicht werden.
Das gleiche gilt auch für Personen aus dem Ausland, die erst hier eine Ausbildung in der Pflege absolvieren.
Nicht zuletzt fußen diese Anforderungen auch auf der Überzeugung, dass die Fehler der Anwerbephase in den sechziger Jahren keinesfalls wiederholt werden dürfen. Zu sehr wurden zu dieser Zeit die Angeworbenen ausschließlich unter der Perspektive ihrer Beschäftigungsfähigkeit und als Arbeitskräfte gesehen. Heute sollten wir daraus gelernt haben und müssen Herausforderungen antizipieren und uneingeschränkt das Ziel verfolgen, ein Leben in Wohlbefinden und Gestaltungsfreiheit für die Angewor- benen in Deutschland zu ermöglichen.
Ganz klar ist, dass für eine gelingende Integration die Anwerbung von Beginn als eine gesellschaftliche Aufgabe betrachtet wird. Das bedeutet, dass sich eine Will- kommenskultur genauso in den Nachbarschaften wie in der sozialen Gemeinschaft, am Arbeitsplatz und in der Gesetzgebung widerspiegelt. Nur so kann Anwerbung ein Gewinn für alle Beteiligten werden: für das Herkunftsland, die angeworbene Person und die Arbeitsstelle in Deutschland. Dafür ist sie fair, human, auf Menschenrechten basierend und verantwortungsbewusst zu gestalten. Die BAGFW stellt sich als zent- raler Arbeitgeber im Bereich der Pflege ihrer Verantwortung und wird die oben aufge- stellten Anforderungen an die Arbeitgeber in den eigenen Einrichtungen umsetzen. Sie wird sich darüber hinaus in ihrer Anwaltsrolle für die Rechte aller angeworbenen Menschen entsprechend der oben genannten Anforderungen einsetzen.