Positionierung der BAGFW zum Konzept der Bundesarbeitsministerin „Chancen eröffnen – soziale Teilhabe sichern. Konzept zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit“

Die BAGFW begrüßt die Initiative der Ministerin ausdrücklich, ihre Anstrengungen zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit zu verstärken.

Die BAGFW begrüßt die Initiative der Ministerin ausdrücklich, ihre Anstrengungen zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit zu verstärken.

 

Insgesamt sieht die BAGFW folgende Ansätze als zielführend an, um die Langzeitarbeitslosigkeit zu bekämpfen:

 

-       Zur Integration in die Gesellschaft brauchen Langzeitarbeitslose sowohl sozialintegrative Leistungen wie auch Leistungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben im SGB II. Neben der Sicherung der Existenz ist die Sicherung der Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich. Der Schlüssel zur sozialen Teilhabe ist die berufliche Teilhabe. Angesichts einer zunehmenden Verfestigung des Leistungsbezugs und Ausgrenzung von Menschen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende plädiert die BAGFW dafür, neben der Zielsetzung Übergänge in Erwerbstätigkeit und den Austritt aus dem Leistungsbezug zu fördern, zusätzlich die soziale Teilhabe als auch die Teilhabe am Arbeitsleben explizit als Ziel im SGB II zu verankern. In der Zielsteuerung der Jobcenter soll die Förderung der Arbeitsmarktintegration und der sozialen Teilhabe von arbeitsmarktfernen Personen und Langzeitarbeitslosen mehr Gewicht erhalten. Der Bundesagentur für Arbeit soll eine neue Ausrichtung für ihre Arbeitsmarktförderung gegeben werden, und die Jobcenter einen neuen politischen Auftrag erhalten, sich im Rahmen des von ihnen zu betreuenden Personenkreises besonders der großen Gruppe langjährig im Hilfebezug lebender Menschen intensiv zu widmen. Dieser Prämisse folgend dürfen Leistungen wie beispielsweise Schuldner- und Suchtberatung (nach § 16 a SGB II) nicht allein unter arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten erbracht und bewertet werden, sondern haben für das unterstützte Individuum einen Wert an sich, den es anzuerkennen gilt.

 

-       Es müssen echte Chancen geschaffen und Aufwärtsmobilität durch Qualifizierung gefördert werden: Die Ursache für verfestigen Hilfebezug im SGB II ist häufig eine geringe Qualifikation. Die Hälfte der rund 2 Mio. arbeitslos gemeldeten Personen im Leistungsbezug des SGB II verfügt über keinen Berufsabschluss. Die Jobcenter geben derzeit nur sehr punktuell die Chance, Berufsabschlüsse nachzuholen. Nur ungefähr 1% der o.g. Zielgruppe erhält ein Qualifizierungsangebot, das zum Berufsabschluss führt. Vor diesem Hintergrund müssen Qualifizierungen, v.a. solche, die zu einem Berufsabschluss führen, dringend ausgebaut werden.

 

-       Die Bekämpfung des hohen und verfestigten Leistungsbezugs und die damit einhergehende Langzeitarbeitslosigkeit erfordern eine intensivere und auf den jeweiligen Einzelfall abgestimmte Betreuung in den Jobcentern und einen Ausbau der Fördermaßnahmen. Die Eingliederungsmittel der Jobcenter müssen deshalb aufgestockt und eine Umwidmung in das Verwaltungsbudget ausgeschlossen werden. 2013 flossen aus dem Topf für "Eingliederung in Arbeit" 445 Mio. Euro in das Verwaltungsbudget. Es darf nicht weiter zugelassen werden, dass die ohnehin massiv begrenzten Eingliederungsmittel weiterhin durch Umschichtungen in das Verwaltungskostenbudget aufgezehrt werden.

 

-       Die Wohlfahrtsverbände sprechen sich für eine Weiterentwicklung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente und eine bessere Verzahnung von Maßnahmen der Arbeitsförderung mit psychosozialen Hilfen aus. Die Qualität der Maßnahmen der Arbeitsförderung hängt maßgeblich von der Vergabe ab. Jedoch wird die Qualität der Maßnahmen durch das bestehende Vergaberecht und die aktuelle Vergabepraxis unterlaufen. Die Umsetzung der EU-Vergabereform muss deshalb auch für eine Verbesserung der Vergabe der Arbeitsmarktdienstleistungen genutzt werden.

 

Die BAGFW setzt sich für einen Sozialen Arbeitsmarkt ein, weil es zwischen 200.000 und 480.000 Personen (je nach Definition) in der Grundsicherung für Arbeitsuchende gibt, die weit davon entfernt sind, in den Arbeitsmarkt zurückzufinden. Aus einer Situation von scheinbar unüberwindlichen Problemlagen, Resignation und Hilflosigkeit können diese Menschen mit einer Förderung im Sozialen Arbeitsmarkt dennoch Zugang zur Erwerbsarbeit und gesellschaftlichen Teilhabe erhalten. Nach jahrelangen Erprobungen von Instrumenten und Förderprogrammen auf Bundes- und Länderebene ist jetzt eine gesetzliche Regelung zur Förderung im SGB II und eine Finanzierungsgrundlage zum sog. Passiv-Aktiv-Transfer gesetzlich zu verankern.

 

Im Einzelnen positioniert sich die BAGFW zu den fünf Programmpunkten in dem Konzept der Bundesarbeitsministerin wie folgt:

 

1.      Bessere Betreuung in Aktivierungszentren

 

Das Konzept der Bundesarbeitsministerin sieht vor, die im Zuge des Bundesprogramms „Perspektive 50plus“ entwickelten Konzepte und Strukturen weiterzuführen und für die Förderung von Langzeitarbeitslosen nutzbar zu machen. Nach Einschätzung der BAGFW haben v.a. eine intensivierte Betreuung und engagierte Förderung mit Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktförderung und Gesundheitsförderung zum Erfolg geführt. Die Jobcenter sollten jedoch nicht nur für programmspezifisch ausgewählte Zielgruppen, sondern für alle Leistungsberechtigten mit einer ausreichend Anzahl an qualifiziertem Personal und verfügbaren Maßnahmen der Arbeitsförderung ausgestattet werden, so dass ein intensiver Kontakt mit den Arbeitssuchenden ermöglicht und individuell passgenaue Maßnahmen der Arbeitsförderung mit psychosozialen Hilfen und Angeboten der Gesundheitsförderung kombiniert werden können.  

 

Es ist darauf zu achten, dass ältere Arbeitslose, die weiterhin stark am Arbeitsmarkt benachteiligt sind, trotz Auslaufen der Förderung im Bundesprogramm „Perspektive 50plus“ ausreichend Unterstützung und Förderung erhalten. Die gesetzliche Regelung nach der erwerbsfähige und erwerbswillige Leistungsberechtigte auf die vorzeitige Inanspruchnahme der Rente mit 63 Jahren unter Inkaufnahme von Abschlägen verwiesen werden, muss entfallen.

 

Aktivierung ist so zu verstehen, dass die vorhandenen Potentiale der Hilfebedürftigen gefördert und sie befähigt werden, ihr Leben eigeninitiativ zu gestalten. Die BAGFW plädiert dafür, die Eigenmotivation der einbezogenen Langzeitarbeitslosen durch eine freiwillige Teilnahme an den Angeboten der Aktivierungszentren zu sichern. Die Eigeninitiative und das Durchhaltevermögen der Personen können außerdem durch unterstützende Ansätze, wie motivierende Gruppenarbeit und Impulse zur Selbsthilfe (z.B. Selbstvermittlungscoaching) angestoßen werden.

 

Die BAGFW plädiert gerade angesichts der vorgenannten Qualitätsaspekte und aufgrund der einbezogenen Maßnahmen (etwa der Sucht- und Schuldnerberatung oder Gesundheitsförderung) dafür, freie Träger eng in den weiteren Ausbau der Aktivierungszentren einzubeziehen. Das Konzept der Arbeitsministerin legt durch den Wortlaut jedoch nahe, dass die dort angesiedelten Maßnahmen als In-house-Maßnahmen der Jobcenter umgesetzt werden. Das lehnen die Wohlfahrtsverbände ab. Nach dem sozialrechtlich verankerten Subsidiaritätsgrundsatz (§§ 17 Abs. 3 SGB I und 17 Abs. 1 SGB II) darf der SGB II-Leistungsträger Einrichtungen grundsätzlich nicht neu schaffen, sofern bereits geeignete Einrichtungen und Dienste Dritter vorhanden sind. Die BAGFW weist darauf hin, dass auch der „Grundsatz des sinnvollen Einsatzes finanzieller Mittel“ die Beachtung des Vorrangs von sog. Dritten bei der Leistungserbringung und ein Zurückhaltungsgebot auf Seiten der Agentur für Arbeit bzw. des kommunalen Trägers gebietet.

 

Die Durchführung von In-house-Maßnahmen der Jobcenter ist daher als Ausnahmefall anzusehen und ist nur in atypischen Situationen gestattet. Sie setzt grundsätzlich eine vorangegangene Prüfung, ob Einrichtungen und Dienste in ausreichendem Maße vorhanden sind, und die Feststellung, dass passende Angebote bei Dritten nicht verfügbar sind, voraus. Nach Auffassung der BAGFW muss darüber hinaus zunächst eine erhöhte Wirkung und insbesondere bessere Wirtschaftlichkeit der In-house-Maßnahmen gegenüber den von Dritten durchgeführten Maßnahmen nachgewiesen werden.

 

Trotz des guten Erfolgs des Bundesprogramms „Perspektive 50plus“ konnte für die Mehrzahl der Geförderten keine Lösung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gefunden werden. Es gibt gerade bei arbeitsmarktfernen Langzeitarbeitslosen nach Ablauf einer Aktivierungsmaßnahme in vielen Fällen keine unmittelbare Anschlussperspektive auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, so dass die Eingliederungsbemühungen letzten Endes fruchtlos bleiben. Die BAGFW empfiehlt deshalb einen verzahnten Einsatz der Aktivierungszentren mit einer Anschlussförderung. Ansonsten läuft die vorangegangene Förderung ins Leere, verbraucht Ressourcen in der Arbeitsverwaltung und erhöht darüber hinaus die Frustration der Betroffenen.

 

Die Verstetigung der intensivierten Betreuung durch eine Verlängerung von bislang 1000 befristeten Personalstellen in den Jobcentern ist aus dem Verwaltungsbudget der Jobcenter, nicht aber aus dem Eingliederungstitel zu finanzieren. Hierzu ist das Verwaltungsbudget entsprechend aufzustocken.

 

Die BAGFW begrüßt das Vorhaben, die Berufstätigkeit Alleinerziehender zu fördern, indem die Kinderbetreuung in Randzeiten unter Beachtung des Kindeswohls ausgebaut wird. Dies allein ist aber nicht ausreichend, um den Personenkreis der Alleinerziehenden bedarfsgerecht zu fördern. Es müssen darüber hinaus Maßnahmen ergriffen werden, um Alleinerziehende bei der Integration in den Arbeitsmarkt frühzeitig und umfassend zu unterstützen. Insbesondere muss es den Alleinerziehenden ermöglicht werden, Qualifikationen nach einer Familienpause aufzufrischen, einen fehlenden Schul- oder Berufsabschluss nachzuholen oder sich in betrieblichen Trainingsmaßnahmen in der Arbeitswelt zu beweisen. Die betrieblichen Trainingsmaßnahmen und Qualifizierungsphasen sind so auszugestalten, dass berufliche Ziele mit der familiären Situation in Einklang gebracht werden können. Dringend notwendig ist der Ausbau von Möglichkeiten zur Teilzeitausbildung. Dafür sollten Arbeitgeber gezielt geworben werden.

 

Damit die berufliche Wiedereingliederung Alleinerziehender nicht an finanziellen Mitteln scheitert, sollte die finanzielle Absicherung Alleinerziehender und ihrer Kinder insbesondere an den Schnittstellen zwischen SGB II, Wohngeldgesetz, Bundeskindergeldgesetz, Berufsausbildungsförderungsgesetz (BAföG) und Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) gewährleistet sein.

 

2.      ESF-Bundesprogramm zur Eingliederung langzeitarbeitsloser Menschen

 

Unter den Bedingungen des neuen ESF-Bundesprogramms wird es nach Einschätzung der BAGFW schwierig sein, das Programmziel von bis zu 33.000 Eingliederungen arbeitsmarktferner Langzeitarbeitsloser in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu erreichen. Es setzt einen aufnahmefähigen lokalen Arbeitsmarkt voraus sowie die Bereitschaft von Arbeitgebern sich der Zielgruppe langzeitarbeitsloser Personen zu öffnen – offene Stellen mit Langzeitarbeitslosen zu besetzen oder neue Einfacharbeitsplätze einzurichten – und mit einem schnell abfallendem Lohnkostenzuschuss für deren Anstellung zu entscheiden.

 

Entgegen der bisherigen Praxis werden die beteiligten Jobcenter ihre Arbeitsvermittlung neu auf arbeitsmarktferne Langzeitarbeitslose auszurichten und ihr Personal und Vermittlungsangebot hierfür qualifizieren müssen. Es bedarf eines begleitenden Angebots zum Coaching und zur betrieblichen Qualifizierung, das den Qualitätsansprüchen von Betrieben wie auch den Erwartungen der Arbeitnehmer an vertrauenswürdiger Unterstützung gerecht wird. Bei der Förderung der Arbeitgeber bittet die BAGFW darum, das Zusammenwirken der Lohnkostenzuschüsse und Ausnahmeregelungen von Langzeitarbeitslosen beim allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn zu prüfen. Es entsteht der Eindruck, dass im Zusammenwirken dieser Regelungen keine „Förderung aus einem Guss“ zustande kommt.

 

Die BAGFW begrüßt es, dass die Förderung allen Arbeitgebern offen steht. Damit ist es entgegen ursprünglicher Planung auch möglich, Arbeitsplätze bei den Beschäftigungs- und Qualifizierungsunternehmen wie auch den Integrationsunternehmen einzubeziehen. Um das Arbeitsplatzpotential bei diesen Arbeitgebern tatsächlich zu einem Teil mit nutzen zu können, sollte jedoch sichergestellt sein, dass das Coaching, das im Rahmen eines Vergabeverfahrens an Dritte vergeben werden soll, in diesen Fällen gezielt über eine freihändige Vergabe bei diesen Unternehmen angesiedelt wird.

 

Die BAGFW spricht sich dafür aus „Auffanglösungen“ für Leistungsberechtigte zu schaffen, die zunächst über das ESF-Programm gefördert werden sollten, jedoch im Beschäftigungsverhältnis scheitern. Um drohenden Abwärtsspiralen bei Betroffenen und ihren Familien entgegenzuwirken, die auch nicht sinnvoll an einem anderen Arbeitsplatz (des ESF-Programms) integriert werden können, sollten alternative Beschäftigungsperspektiven z.B. im Programm „Soziale Teilhabe“ eröffnet werden. Es kann sich beispielsweise um Personen handeln, die den von Wirtschaftsunternehmen gestellten Leistungserwartungen an die Erfüllung eines Arbeitsverhältnisses (trotz Förderung) nicht gerecht werden können, weil sie dauerhaft nur eingeschränkte Leistungen erbringen können oder eine im Zeitverlauf schwankende Leistungsfähigkeit aufweisen (z.B. psychisch kranke Menschen, suchtkranke Menschen).

 

3.      Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt

 

Die BAGFW begrüßt ausdrücklich das Vorhaben ein Angebot zur Sozialen Teilhabe durch Erwerbsarbeit für ansonsten vom Arbeitsmarkt ausgeschlossene Personen zu unterbreiten. Das Programm kann dazu ein erster wichtiger Schritt sein. Da die tatsächlichen Unterstützungsbedarfe weit über die angedachte Förderung von 10.000 Personen hinausgehen (s.o.), fordert die BAGFW zusätzliche Mittel bereitzustellen und das Programm mit einer Erprobung des sog. Passiv-Aktiv-Transfers (PAT) zu verknüpfen.

 

Der PAT ermöglicht es, die benötigte Finanzierung zu einem großen Teil dadurch zu realisieren, dass die ohnehin für den passiven Leistungsbezug verausgabten Gelder für die Förderung eingesetzt werden. So wird Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanziert. Zur Umsetzung des Passiv-Aktiv-Transfers soll im Bundeshaushalt ein eigener Haushaltstitel gebildet werden. Darin werden die (infolge der geförderten Beschäftigung) voraussichtlich eingesparten Mittel für den Regelbedarf (inklusive Mehrbedarf) und für den Bundesanteil an den Unterkunftskosten umgeschichtet. Mit dieser Vorgehensweise wird im Bundeshaushalt eine verlässliche, aber zugleich zielgenaue und begrenzte Finanzierungsgrundlage geschaffen. Die BAGFW plädiert dafür, dass auch ein Anteil der eingesparten Kosten der Unterkunft der Kommunen in die Finanzierung eingebracht wird. Dies könnte beispielsweise auf freiwilliger Basis im Rahmen einer Beteiligung in Modellregionen erfolgen.

Mit einer Finanzierungsbasis über den PAT, wäre es auch leichter möglich, über die genannten Zielgruppen – Leistungsberechtigte mit Kindern und gesundheitlich eingeschränkte Personen – hinaus, weitere Personengruppen zu fördern, die der Teilhabe an Arbeit dringend bedürfen. Mit dem Programm sollen besonders Menschen gefördert werden, die trotz vermittlerischer Unterstützung bisher nicht in Arbeit integriert werden konnten und die ohne eine solche Förderung voraussichtlich nicht in Arbeit zu integrieren wären. Die BAGFW schlägt deshalb folgende Zielgruppendefinition vor: Zu fördern sind nur Personen, die mindestens zwei Jahre lang arbeitslos waren und mindestens zwei weitere persönliche Vermittlungshemmnisse aufweisen. Die Hemmnisse sollen nicht allein zugeschriebener Art sein, wie Alter, Geschlecht oder Herkunft, sondern zum Beispiel neben einem nicht vorhandenen Schul- oder Berufsabschluss auch gesundheitliche und/oder soziale Einschränkungen umfassen.

 

Diese Zielgruppenbestimmung erfasst einen Personenkreis dessen Leistungsfähigkeit und Arbeitsproduktivität vor der Arbeitsaufnahme deutlich eingeschränkt ist und auch nach der Arbeitsaufnahme prognostisch nur schwer abzuschätzen ist. Für eine erfolgreiche Bewältigung der Anforderungen der modernen Arbeitswelt ist eine besondere Unterstützung unabdingbar. Es geht hier darum, langzeitarbeitslosen Menschen, die mit psychischen, körperlichen und/oder sozialen Problemen belastet sind, Teilhabe an Erwerbsarbeit und dadurch auch gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Damit dieses Ziel erreicht werden kann, müssen die Personen bereits in der Lage sein, ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis im Umfang von mindestens 15 Stunden pro Woche mit unterstützender Begleitung zu bestehen. Um sicherzustellen, dass die geförderten Personen aus dieser Zielgruppe den Anforderungen entsprechen, ist es deshalb erforderlich, dass die einbezogenen Personen über die nötige Grundstabilität und eine Grundbelastbarkeit verfügen und außerdem ein ausreichendes Maß an Motivation und Zuverlässigkeit mitbringen. Hierfür kann es nötig sein, mit vorangegangener stabilisierender Förderung auf die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorzubereiten. Außerdem geht es darum, die geförderten Personen möglichst so genau zu passenden Arbeitsplätzen zu vermitteln, dass sie ihr individuelles Leistungspotential möglichst optimal entfalten und weiterentwickeln können. Denn auch diese vom Arbeitsmarkt zunächst deutlich entfernt stehenden Personen sind trotz individueller Vermittlungshemmnisse auch leistungsfähig und produktiv, wenn sie ihrer individuellen Eignung und Motivation entsprechende Arbeitsbedingungen erhalten.

 

In dem Programm sollte maßgeblich sein, Einfacharbeitsplätze für arbeitsmarktferne Personen bei unterschiedlichen Arbeitgebern zu erschließen. Die Beschäftigung soll sozialversicherungspflichtig sein. Auf Kriterien der Zusätzlichkeit, des öffentlichen Interesses und Wettbewerbsneutralität ist, wie beim Beschäftigungszuschuss gem. § 16e SGB II a.F. zu verzichten.

 

Arbeitgeber erhalten einen Lohnkostenzuschuss als längerfristigen finanziellen Ausgleich für die eingeschränkte Leistungsfähigkeit dieser Personen. Die Jobcenter sollten die Lohnkosten für die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zum Ausgleich von Leistungseinschränkungen arbeitsmarktferner Personen (Nachteilsausgleich) bezuschussen. Die Höhe wird je nach Person individuell nach der persönlichen Leistungsfähigkeit der betreffenden Person unter den Bedingungen des jeweiligen Arbeitsplatzes bestimmt und kann im Einzelfall auch die vollen Lohnkosten umfassen. Weil damit meist nicht kurzfristige Leistungseinbußen, sondern dauerhafte Leistungseinschränkungen kompensiert werden müssen, sollte die Möglichkeit gegeben sein, die Beschäftigung prinzipiell unbefristet zu fördern. Es ist zu prüfen, wie diesen Erfordernissen nach Auslaufen des Programms entsprochen werden kann. Allerdings ist es notwendig, die Fördervoraussetzungen regelmäßig zu überprüfen, damit die Förderung der tatsächlichen Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz gerecht wird und Entwicklungen im Zeitverlauf (z.B. Leistungssteigerungen) berücksichtigt werden. Nur so bleibt auch der Weg in eine ungeförderte Erwerbstätigkeit offen.

 

Die Beschäftigung sollte mit einer individuellen Begleitung am Arbeitsplatz selbst (in der Regel eine besondere Anleitung des Arbeitgebers, ggf. unterstützendes Coaching, begleitende Qualifizierung) und im Lebensumfeld (bei Bedarf sozialpädagogische Begleitung oder Coaching zur Klärung von familiären Problemen, finanziellen Notlagen u.v.m.) unterstützt werden. Diese begleitenden Hilfen sind im Programm zwingend vorzusehen und finanziell abzusichern.

 

Das Programm ist nur effektiv, wenn die geförderte Person bereits in der Anfangsphase aus eigener Motivation heraus mitwirkt. Langzeitarbeitslosen soll es daher freistehen, das Teilhabeangebot für sich zu nutzen oder nicht (Freiwilligkeit).

 

Idealerweise wird den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern entsprechend ihren individuellen Leistungsvermögen eine flexible Wochenarbeitszeit zwischen 15-35 Stunden ermöglicht. So werden auch Langzeitarbeitslose, die nur eine Teilzeitstelle ausfüllen können, in das Arbeitsleben integriert.

 

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege geht davon aus, dass ihre sozialen Dienste und Einrichtungen umfassend an der Umsetzung des Programms beteiligt sind: dies sind als Arbeitgeber gemeinnützige Dienste und Einrichtungen, Beschäftigungs- und Qualifizierungsunternehmen sowie Integrationsunternehmen und unterschiedliche Dienste die unterstützende Hilfen wie z.B. der Suchtberatung erbringen.

 

4.      Schnittstellen SGB II zur Gesundheitsförderung

 

Die BAGFW bekräftigt das Ziel des Konzepts, die Gesundheitsförderung von Langzeitarbeitslosen zu verbessern. Mehr als 40 Prozent der Arbeitslosengeld-II-Empfänger geben an, schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen zu haben (IAB 23/2014). Für eine bessere Gesundheit der Betroffenen sind umfassende Ansätze nötig, die zuallererst die Lebensumstände der Betroffenen und Zukunftsperspektiven positiv beeinflussen. Teilhabe an Erwerbsarbeit stellt einen maßgeblichen Schlüssel zur Gesundheit der Betroffenen dar. Daher bekräftigen die Wohlfahrtsverbände nochmals und auch an dieser Stelle ihre Forderung nach einem Sozialen Arbeitsmarkt. Zu den maßgeblichen gesundheitsförderlichen bzw. gesundheitshinderlichen Lebensumständen gehört auch die Existenzsicherung. Die BAGFW bekräftigt ihre Forderung, die Regelbedarfe im SGB II neu zu bemessen, damit Lücken in der Existenzsicherung geschlossen werden.

 

Darüber hinaus ist ein Ausbau von Maßnahmen der Arbeitsförderung notwendig, die Elemente der Gesundheitsförderung beinhalten (Integrierte Gesundheits- und Arbeitsförderung). Arbeitslose sollten dabei vor allem in der Stärkung ihrer Handlungskompetenz und Selbstwirksamkeit unterstützt werden, Gesundheitserzieherische Maßnahmen und solche Angebote, die nur einzeln Aspekte der Lebensführung aufgreifen, (z.B. fettreiche Ernährung, Bewegungsmangel), haben sich bisher als weniger zielführend erwiesen. Diese Aspekte sollten allenfalls im Rahmen eines ganzheitlichen Konzepts eine Rolle spielen. Für ein Gelingen derartiger Maßnahmen sollte Voraussetzung sein, dass die Teilnahme freiwillig ist.

 

Soweit diese Aspekte zukünftig stärker Berücksichtigung finden würden, könnte es auch hilfreich sein, die von den Krankenkassen finanzierten Maßnahmen der individuellen Verhaltensprävention stärker für Arbeitslose zu nutzen. Die derzeitigen Angebote sind meist nicht auf die Bedürfnisse dieser Zielgruppen abgestimmt und zudem mit finanziellen Zugangshürden verbunden (v.a. die Erbringung von Eigenanteilen und/oder Vorleistungen), weshalb Arbeitslose im Ergebnis in diesen Angeboten stark unterrepräsentiert sind.

 

Die BAGFW sieht ebenso wie die Bundesarbeitsministerin Handlungsbedarf beim Zugang von Arbeitslosen zu Leistungen der beruflichen Rehabilitation. Rehabilitationsbedarfe müssen besser erkannt und Leistungen verbindlicher bereitgestellt werden. Im Zusammenspiel von Jobcentern und BA existieren heute äußerst komplexe Prozessketten und Anreizstrukturen zulasten Arbeitsloser im SGB II.

 

5.      Weiterentwicklung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente

 

An vielen Stellen fehlen die passenden Förderinstrumente, um Langzeitarbeitslose möglichst gut zu unterstützen. Die BAGFW regt dringend eine gesetzliche Novellierung an.

 

Der Reformbedarf betrifft u.a. die Arbeitsgelegenheiten. Arbeitsgelegenheiten sind sinnvoll, um sehr arbeitsmarktferne Menschen (z. B. wohnungslose Menschen, psychisch beeinträchtigte Personen) sozial zu stabilisieren und ihre Beschäftigungsfähigkeit schrittweise zu verbessern. Die derzeitige Begrenzung der Förderdauer auf zwei Jahre innerhalb von fünf Jahren ist aufzuheben, da sie zum Ausschluss gerade derjenigen Leistungsberechtigten führt, die längerfristige Unterstützung benötigen, und die Wirkung dieses Instruments auf diese Weise ins Leere läuft.

 

Bei den Arbeitsgelegenheiten muss es zukünftig wieder möglich sein, sozialpädagogische Begleitung oder arbeitsbegleitende Qualifizierung direkt mit dem Instrument zu verknüpfen, ohne diese begleitenden Angebote umständlich zukaufen zu müssen.

Die in den Förderleistungen enthaltenen Tätigkeiten müssen entsprechend den Fähigkeiten der unterstützten Person so ausgestaltet sein, dass sie die Betroffenen in ihrer persönlichen Entwicklung unterstützen und ihre individuellen Fähigkeiten fördern. Die derzeit geltenden Kriterien der Zusätzlichkeit, des öffentlichen Interesses und der Wettbewerbsneutralität wirken in ihrer Gesamtheit jedoch kontraproduktiv. Sie sind nicht geeignet, um zentral definiert zu werden. Es sollten die lokalen Akteure des Arbeitsmarktes im örtlichen Beirat Verantwortung für die Ausgestaltung erhalten.

 

Die sogenannte freie Förderung ist als echte Erprobungsklausel im SGB II auszugestalten. Aufgrund bestehender Restriktionen können Jobcenter das Instrument der freien Förderung nicht wie intendiert nutzen, um neue Lösungsansätze, etwa zur Förderung von sonst nicht erreichbaren Jugendlichen oder verfestigt Langzeitarbeitslosen anzubieten.

 

Weiteren gesetzlichen Handlungsbedarf sieht die BAGFW bei der Absicherung eines neuen Beschäftigungsverhältnisses. Nach der erfolgreichen Integration der Leistungsberechtigten in das Erwerbsleben kann eine weitere Unterstützung im Einzelfall zur nachhaltigen Festigung des Beschäftigungsverhältnisses angezeigt sein. Im SGB II fehlt es jedoch an einer Rechtsgrundlage, um eine nachgehende Begleitung der Leistungsberechtigten zu finanzieren. Um die dauerhafte Überwindung der Hilfebedürftigkeit durch die Stabilisierung des Arbeits- oder Ausbildungsverhältnisses sichern zu können, sollte eine nachgehende Begleitung von Leistungsberechtigten und/oder Arbeitgebern ermöglicht werden.