Position der BAGFW zur Ermittlung angemessener Kosten der Unterkunft und Heizung im SGB II und XII und weitere Vorschläge

Die BAGFW nimmt die aktuellen Treffen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe der ASMK zum Anlass, die wesentlichen Ziele bei der Neuregelung des Rechts der Kosten der Unterkunft und Heizung im SGB II und SGB XII zu benennen. Die Arbeitsgruppe soll Vorschläge erarbeiten, wie der Begriff der Angemessenheit in § 22 SGB II bzw. § 35 SGB XII konkretisiert werden kann.

 

Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege begrüßen die Bestrebungen, die Ermittlung der Kosten der Unterkunft und Heizung im SGB II/ SGB XII zu reformieren. Der zunehmende Mangel an bezahlbarem Wohnraum betrifft in besonderer Weise Menschen im Leistungsbezug des SGB II und XII. Aus der Praxis unserer Beratungsstellen sind die Probleme bekannt: Leistungsbezieher/innen haben enorme Probleme, auf angespannten Wohnungsmärkten geeigneten Wohnraum mit der erforderlichen Notwendigkeitsbescheinigung der Jobcenter anzumieten, die tatsächlichen Mietkosten werden nicht immer in voller Höhe übernommen, selbst dann nicht, wenn alternativer Wohnraum nicht zur Verfügung steht.

 

Der vom BMAS beauftragte Forschungsbericht des Instituts Wohnen und Umwelt (IWU) vom Januar 2017 zeigt, dass eine nicht unerhebliche Anzahl an Personen, die Leistungen nach dem SGB II/SGB XII beziehen, in deutlichem Umfang Aufwendungen für die Unterkunft aus dem Regelbedarf aufbringen müssen (IWU, v. Malottki u.a., Forschungsbericht 478, S. 64). Dies liegt nach unserer Auffassung auch daran, dass die Angemessenheitsgrenze in vielen Fällen zu niedrig bemessen ist, um die Kosten der Unterkunft und Heizung in adäquater Höhe zu berücksichtigen. Nach den o.g. Studienergebnissen haben immerhin 17,3 % der Bedarfsgemeinschaften im SGB II und 14,4 % der Einstandsgemeinschaften im SGB XII-Leistungsbezug eine Miete aufzubringen, die oberhalb der abstrakten Angemessenheitsgrenze liegt. Die äußerst heterogenen Verfahren zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen führen zu einer fragwürdigen Ungleichbehandlung der Leistungsberechtigten bei der Absicherung des grundgesetzlich garantierten Existenzminimums. Die Situation ist aber auch für die Leistungsträger nicht einfach. Sie stehen vor dem Problem, ein rechtssicheres schlüssiges Konzept zu erstellen. Das gelingt nicht immer.

 

 

So ist eine Situation entstanden, in der das Recht auf Existenzsicherung der Leistungsbezieher/innen nicht immer gewährleistet ist.

 

Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege sprechen sich daher dafür aus, dass bei der Reform der Ermittlung angemessener Kosten der Unterkunft und Heizung vor allem zwei Ziele beachtet werden:

 

·         Zum einen ist sicherzustellen, dass die Angemessenheitsgrenze so ermittelt wird, dass die angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung gedeckt werden. Dabei sind die Gegebenheiten des örtlichen Wohnungsmarktes zu berücksichtigen. Die angemessene Wohnung muss für die Leistungsbezieher/innen tatsächlich verfügbar sein. Sie dürfen nicht in die Situation kommen, Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung teilweise aus dem Regelbedarf begleichen zu müssen (Gesichtspunkt der tatsächlichen Verfügbarkeit von Wohnraum).

 

·         Zum anderen bedarf es einer praktikablen Regelung im SGB II, die Rechtssicherheit für Leistungsbezieher/innen und Leistungsträger schafft (Gesichtspunkt der Verfahrenssicherheit).

 

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) spricht sich angesichts der großen Heterogenität des Wohnungsmarktes sowie der unterschiedlichen Wohnbedarfe der Leistungsberechtigten klar gegen eine Pauschalierung der Leistungen für die Unterkunft und Heizung aus. Geteilt wird die Auffassung, dass der Anspruch auf Übernahme der Unterkunftskosten auf ein angemessenes Maß zu begrenzen ist. Dabei ist jedoch sicherzustellen, dass für alle Leistungsberechtigten tatsächlich Wohnungen zur Verfügung stehen, deren Kosten in voller Höhe vom Grundsicherungsträger übernommen werden und die einen angemessenen Wohnstandard aufweisen. Die Angemessenheit ist grundsätzlich im Einzelfall zu bestimmen und dabei auch die Verfügbarkeit zu berücksichtigen (konkrete Angemessenheitsgrenze).

 

Aus Gründen der Praktikabilität und der Verlässlichkeit des Verwaltungshandelns ist es sinnvoll und notwendig, eine abstrakte Angemessenheitsgrenze festzulegen, die im Regelfall gilt, im Einzelfall aber nach oben zu korrigieren ist. Die abstrakte Angemessenheitsgrenze sollte jedoch nicht mit dem gleichgesetzt werden, was zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz gerade so erforderlich ist (Zumutbarkeit nach unten). Sie ist vielmehr so zu bemessen, dass in der überwiegenden Zahl der Fälle eine Anpassung im Einzelfall nicht erforderlich ist. Den Kommunen ist bei der Festlegung des Werts zwischen der Zumutbarkeit nach unten (Existenzminimum) und der Angemessenheit nach oben daher ein Spielraum zu belassen.

 

 

 

Bei der Weiterentwicklung des Normierungsrahmens zur Ermittlung von Bedarfen der Unterkunft und Heizung sind Entscheidungen in verschiedenen Regelungsbereichen zu treffen, die für die Berechnung der abstrakten Angemessenheit von Relevanz sind. Da sich in der Praxis eine große Unsicherheit gezeigt hat, wie die abstrakte Angemessenheitsgrenze ermittelt werden kann, sollte der Gesetzgeber Vorgaben für ein schlüssiges Konzept machen. Schon bei der Ermittlung der abstrakten Angemessenheitsgrenze sollte die Bedeutung der Verfügbarkeit des Wohnraums berücksichtigt werden. Dies könnte über die Wahl der Datenquelle erfolgen, indem die Angemessenheitsgrenze durch Neuvertragsmieten/ Angebotsmieten und nicht auf der Grundlage von Bestandsmieten ermittelt wird. Wenn die Unterkunftskosten im Einzelfall höher sind als die abstrakte Angemessenheitsgrenze, ist zu entscheiden, ob die höheren Kosten für diesen konkreten Fall angemessen sind oder ob eine kostengünstigere Unterkunftsalternative tatsächlich zur Verfügung steht.

 

Die abstrakte und konkrete Angemessenheitsgrenze sind in einem transparenten und sachgerechten Verfahren zu ermitteln. Dabei ist insbesondere sicherzustellen, dass es nicht den Leistungsberechtigten aufgebürdet wird zu beweisen, dass eine kostengünstigere Unterkunft nicht zur Verfügung steht. Es sollte stattdessen den Grundsicherungsträgern obliegen, im Einzelfall nachzuweisen, dass kostengünstigerer angemessener Wohnraum tatsächlich zur Verfügung steht. Solange keine neue, angemessene Wohnung zur Verfügung steht, sind die Kosten der bisherigen Wohnung vollständig zu übernehmen.

 

Neben der Ermittlung der Höhe der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung regelt § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II, dass Bezieher/innen von SGB II-Leistungen, die in eine Wohnung umziehen, deren angemessene Miete höher ist als ihre bisherige, die Kosten der Unterkunft nur in Höhe der alten Miete bewilligt werden. Diese Regelung verkennt, dass es viele gute schutzwürdige Gründe für einen Umzug gibt, auch wenn dieser nicht unabdingbar erforderlich ist. Die Beschränkung der Freiheit der Leistungsbezieher/innen innerhalb des Vergleichsraums umzuziehen, lässt sich im Verhältnis hierzu nicht rechtfertigen. Zudem führt die Regelung in der Praxis zu zahlreichen Problemen und Rechtsstreitigkeiten. Die BAGFW ist entschieden der Auffassung, dass diese besondere Restriktion (Beschränkung der Kosten der Unterkunft bei nicht erforderlichem Umzug) gestrichen werden muss. Nach zahlreichen Rückmeldungen aus den Arbeitslosenberatungen der Verbände der BAGFW sind die Jobcenter oft schlecht erreichbar, wenn es um die notwendige Abklärung von Mietübernahmegarantien geht, die in der Regel unter großem Zeitdruck erfolgen muss. Nicht nur dieses Problem sollte durch eine verbesserte Verwaltungspraxis in den Jobcentern behoben werden.

 

Ein weiteres Problem stellt die automatische Aufrechnung von Mietkautionen und Genossenschaftsanteilen mit dem laufenden Regelbedarf dar. Für diese Ausgaben müssen die Leistungsberechtigten ein Darlehen beim Jobcenter aufnehmen, das nach neuerer Rechtslage automatisch mit dem laufenden Regelbedarf verrechnet wird. Dadurch kommt es zu Abzügen vom Regelbedarf und damit zur Unterschreitung des soziokulturellen Existenzminimums, oft über mehrere Monate hinweg. Viele Sozialgerichte und Landessozialgerichte haben sich gegen die Anwendung der pauschalen Aufrechnung ausgesprochen. Der Gesetzgeber sollte zur ursprünglichen Regelung zurückkehren, nach der erst bei Auszug Kautionen und Genossenschaftsanteile wieder an die Jobcenter fließen und nur von der Kaution abgezogene Kosten für Schäden von den Leistungsberechtigten selbst zu erstatten sind.

 

Offenbar gibt es flächendeckend große Probleme, für in Einkommensarmut lebende Haushalte genügend günstigen Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Die BAGFW regt daher ergänzend zu den konkreten Regelungen bezüglich der Angemessenheitsgrenzen an, einen politischen Schwerpunkt in der Arbeit der neuen Bundesregierung in der Erarbeitung von Vorschlägen für die Wiederbelegung eines ausreichend großen gemeinwohlorientierten Sektors auf dem Wohnungsmarkt zu setzen.