Beitrag der BAGFW zur Konsultation über die Binnenmarktakte

Aus Sicht der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege sollte die Binnenmarktakte noch stärker genutzt werden, um die geänderte wirtschaftspolitische Grundausrichtung der Europäischen Union in der Lebenswirklichkeit der Unionsbürger spürbar werden zu lassen. Mit dem Vertrag von Lissabon hat sich die Union in Art. 3 Abs. 3 EUV zu einer „in hohem Maße wettbewerbsfähige[n] soziale[n] Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt“ bekannt. Aus unserer Sicht bedeutet dies eine stärkere Verankerung nichtwirtschaftlicher Zielsetzungen in den primärrechtlichen Grundsätzen und damit eine Abkehr von dem, noch im alten Art. 4 Abs. 1 EGV vorgesehenen „Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“.

Frage 1: Was ist Ihre insgesamte Bewertung des Binnenmarktakte?

 

Aus Sicht der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege sollte die Binnenmarktakte noch stärker genutzt werden, um die geänderte wirtschaftspolitische Grundausrichtung der Europäischen Union in der Lebenswirklichkeit der Unionsbürger spürbar werden zu lassen. Mit dem Vertrag von Lissabon hat sich die Union in Art. 3 Abs. 3 EUV zu

einer „in hohem Maße wettbewerbsfähige[n] soziale[n] Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt“ bekannt. Aus unserer Sicht bedeutet dies eine stärkere Verankerung nichtwirtschaftlicher Zielsetzungen in den primärrechtlichen Grundsätzen und damit eine Abkehr von dem, noch im alten Art. 4

Abs. 1 EGV vorgesehenen „Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem

Wettbewerb“.

 

Grundsätzlich begrüßen wir deshalb, dass in der Mitteilung die soziale Dimension des Binnenmarktes und die Absicht hervorgehoben werden, die horizontale Sozialklausel des Art. 9 AEUV „mit Leben zu erfüllen“. Für den Erfolg des Europäischen Integrationsprozesses ist es in der Tat von großer Bedeutung, dass es gelingt, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit mit sozialer Gerechtigkeit zu verbinden. Im bisherigen Konzept des Binnenmarkts fanden sozialpolitische Zielsetzungen jedoch kaum Berücksichtigung. Deshalb unterstützt die BAGFW die mit dem Binnenmarktakt verbundene Absicht, die Grundfreiheiten des Binnenmarktes mit der sozialen Dimension Europas zu verknüpfen.

 

Leider werden die sozialen Aspekte in der Mitteilung dann nur an wenigen Stellen erwähnt. Als Beleg für den Erfolg des Binnenmarkts wird im Wesentlichen sein wirtschaftlicher und finanzieller Nutzen – auch für die Bürger – hervorgehoben. Diese werden auf ihre Funktion als Verbraucher reduziert. Die Bürger erleben den Binnenmarkt jedoch auch als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer oder wenn sie soziale Dienste nachfragen. Hier vermissen wir eine Bewertung der mit dem Binnenmarkt verbundenen Unsicherheiten, etwa hinsichtlich

-     der Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse,

-     der durch den Wettbewerb entstandenen Druck auf Tarifverträge und Löhne, sozial ungesteuerte Arbeitskräfteabwanderung (z. B. in der Pflege) mit negativen Auswirkungen auf die pflegebedürftige Menschen in wirtschaftlich schwächeren Regionen

 

 

 

-     einer geringeren Anerkennung öffentlicher und gemeinwohlorientierter

Unternehmen,

-     der bestehenden Rechtsunsicherheit bzgl. des Einflusses der

Binnenmarktregeln auf die Erbringung von DA(W)I und insbesondere SDAI

 

Im Hinblick auf die Gesamtkonzeption der Binnenmarktakte bleiben Unklarheiten bestehen. So bleiben in der Mitteilung die Verknüpfungen der Bereiche Wirtschaft und Soziales und die gegenseitigen Wirkungen und Gewichtungen vage. Eine Bewertung bzw. weitere Initiativen im Hinblick auf die Umsetzung der horizontalen Sozialklausel des Art. 9 VAEU fehlen. Zu begrüßen ist in diesem Zusammenhang jedenfalls die soziale Folgenabschätzung („impact assessment“), die anlässlich jeder Initiative der Kommission durchgeführt werden soll. Diese „Mindestmaßnahme“ ist

auf jeden Fall umzusetzen und darf nicht etwaigen Effizienzüberlegungen zum Opfer fallen.

 

Auch wird der Bedeutung der öffentlich finanzierten und auf der Grundlage von mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften abgesicherten Sozialsysteme im Dokument nicht ausreichend Rechnung getragen. Es ist äußerst bedenklich, dass im Zusammenhang mit Armut, Arbeitslosigkeit, Ausgrenzung und Zukunftsangst ausschließlich die Rolle der europäischen Unternehmen herausgestellt wird, die sich an der Entwicklung ihres Umfeldes beteiligen und in Stiftungen und Zivilgesellschaft einbringen sollen.

 

Um, wie gewollt, die Akzeptanz des Binnenmarktes bei den Bürgern zu erhöhen, muss für diese sichtbar werden, ob und wie sich der Binnenmarkt positiv auch auf die soziale Lage in Europa auswirken kann. Insgesamt wird der Binnenmarkt eine aktive Sozialpolitik und die Bereitschaft, dafür auch die nötigen finanziellen Mittel bereit zu stellen, jedoch nicht ersetzen können.

 

Somit ist die Kommission mit ihrer Aussage zum sozialen Zusammenhalt, S. 22 der Mitteilung, beim Wort zu nehmen: „Ein gutes Sozialsystem, ein leistungsfähiges Bildungssystem und eine leistungsfähige Berufsausbildung, Arbeitsplätze hoher Qualität und eine ehrgeizige Politik im Bereich Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz sind Faktoren, die zur Entstehung leistungsfähiger Märkte und zu Wohlstand und Wachstum beitragen. Sie fördern die Attraktivität eines Landes, schaffen soziale Bindungen und sind – ebenso wie andere strukturelle Faktoren, etwa Infrastrukturdichte und –qualität – entscheidend für die globale Wettbewerbsfähigkeit.“ Diese hier beispielhaft für den sozialen Zusammenhalt aufgeführten Politiken dürfen durch die Politiken des „freien Spiels der Marktkräfte“ nicht verhindert oder beeinträchtigt werden.

 

 

 

Frage 2: Die Binnenmarktakte beinhaltet Vorschläge für 50 Maßnahmen. Welche dieser Maßnahmen halten Sie für die Wichtigsten?

 

Für die Freie Wohlfahrtspflege in Deutschland kommt es darauf an, die einzelnen

Maßnahmen in den jeweiligen Kontext der Ziele, insbesondere der Strategie Europa

2020, zu stellen und sie entsprechend zu bewerten. Wir sehen insofern eine Gewichtung, die sich aus der Relevanz der Vorschläge für die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege ergibt als:

-     Anbieter sozialer Dienstleistungen

 

 

 

-     Anwalt benachteiligter Menschen

-     Arbeitgeber, Ausbilder und Bildungsakteur in gesundheits- und sozialpflegerischen Berufen (Altenpflege, Erzieher/innen, Heilpädagoge etc. .)

 

Wichtig ist, dass bei einer eventuellen Reduzierung der Vorschläge alle drei Bereiche "Starkes, nachhaltiges und faires Wachstum", "Vertrauen des europäischen Bürgers wiedergewinnen" und "Dialog, Partnerschaft, Evaluierung" gleichberechtigt berücksichtigt werden. Die Vorschläge zur Binnenmarktakte dürfen nicht auf den Bereich Wettbewerb und Wachstum reduziert und die angestrebte Verknüpfung mit der sozialen Dimension Europas als nachrangig angesehen werden.

 

Zur Akzeptanz des Binnenmarktes gehören Maßnahmen, die auch auf die

Qualifizierung der Arbeitnehmer (und Arbeitssuchenden) zu "guter Arbeit" zielen.

 

 

 

Frage 3: Sind die in der Binnenmarktakte vorgeschlagenen Maßnahmen geeignet, um die identifizierten Themen und Herausforderungen anzugehen?

 

Im Hinblick auf ausgewählte Vorschläge möchten wir Folgendes anmerken:

 

Vorschlag Nr. 4: Die Kommission und die Mitgliedstaaten werden zusammenarbeiten, um die Entwicklung des Binnenmarkts für Dienstleistungen auf der Grundlage des in der Dienstleistungsrichtlinie vorgesehenen Verfahrens der „gegenseitigen Evaluierung“, das derzeit von den Mitgliedstaaten und der Kommission umgesetzt wird, weiter voranzubringen. Im Jahr 2011 wird die Kommission entsprechende konkrete Maßnahmen, unter anderem im Bereich Dienstleistungen für Unternehmen, vorschlagen.

 

Der Binnenmarkt für Dienstleistungen soll weiterentwickelt werden. Dabei wird auf die zentrale Bedeutung der Dienstleistungswirtschaft hingewiesen und die Vorteile eines funktionierenden Dienstleistungsbinnenmarktes für Bürger und Unternehmen im Hinblick auf höhere Qualität, wettbewerbsfähigere Preise und wettbewerbsorientierten Märkten hingewiesen.

 

Soziale Dienstleistungen sind bisher aus dem Anwendungsbereich der entsprechenden Richtlinie ausgenommen. Aus Sicht der BAGFW hat sich dies in der Praxis bewährt. Deshalb sollte im Zuge der beabsichtigten Maßnahmen diese Ausnahme weiter bestehen bleiben.

 

Sollte die Kommission Schwierigkeiten mit der Auslegung einzelner Begrifflichkeiten in der Anwendung der Dienstleistungsrichtlinie sehen, so könnten diese in einer klarstellenden Mitteilung aufgegriffen werden.

 

Vorschlag Nr. 11: Die Kommission wird Anfang 2011 einen Plan für Energieeffizienz vorlegen. Ziel wird es sein, das Potenzial für signifikante Energieeinsparungen zu nutzen, indem die bestehenden Politiken in allen Energie verbrauchenden Sektoren ergänzt werden.

 

Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege sind der festen Überzeugung, dass die ökologischen und ökonomischen Potenziale der Energieeffizienz sozialverträglich

 

 

 

und gewinnbringend für alle Teile der Gesellschaft umgesetzt werden können und müssen.

 

Wir sehen daher mit Besorgnis, dass das selbstgesetzte EU-Energieeinsparziel von

20 Prozent bis 2020 bisher als einziges EU-Klimaziel unverbindlich geblieben ist und seine Umsetzung entsprechend unzureichend verfolgt wird. So zeigen neue Studien, dass die EU ihr Energiesparziel von 20 Prozent ohne zusätzliche Anstrengungen um mehr als die Hälfte verfehlen wird1. Die neuesten Kürzungen in der Förderung des deutschen CO2-Gebäudesanierungsprogrammes sind hingegen ein Beispiel dafür, dass die Mitgliedstaaten dem Energiesparziel nicht die notwendige Priorität geben. Bisher Erreichtes wird dadurch massiv gefährdet.

 

Ein bindendes Energiesparziel würde dazu beitragen, dass Energieeffizienz in der EU und den Mitgliedstaaten eine höhere Priorität erhält. Mitgliedstaaten würden einen Anreiz erhalten, die EU-Richtlinien im Bereich Energieeffizienz ambitioniert umzusetzen, damit das Ziel doch noch erreicht werden kann.

 

Besonders wichtig erscheint uns dabei, dass die Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz auf ihre Sozialverträglichkeit hin überprüft und ggf. entsprechend angepasst werden. Es sollen Programme implementiert werden, die einkommensschwache Personen in die Lage versetzen, ihren Beitrag zur Energieeffizienzsteigerung zu leisten. Hierzu gehört auch eine bessere Verbrauchskontrolle, um hohe Nachzahlungen zu vermeiden.

 

Vorschlag Nr. 17: Nach Abschluss der laufenden Bewertung der europäischen Rechtsvorschriften für das öffentliche Vergabewesen wird die Kommission spätestens 2012 auf der Grundlage einer umfassenden Konsultation Legislativvorschläge für eine Vereinfachung und Modernisierung der europäischen Vorschriften vorlegen mit dem Ziel, eine reibungslosere Auftragsvergabe und eine stärkere Nutzung des öffentlichen Vergabewesens für die Unterstützung anderer Politiken zu ermöglichen.

 

Grundsätzlich kann das Ziel einer stärkeren Nutzung des Vergaberechts für manche Mitgliedstaaten oder auch Wirtschaftssektoren sinnvoll sein. Dabei ist aber eine Differenzierung erforderlich, die den verschiedenen Sektoren und ihren Besonderheiten bei der Leistungserbringung gerecht wird.

 

Wir begrüßen den Ansatz der Kommission im Rahmen des öffentlichen Auftragsrechts eine stärkere Berücksichtigung von sozialen und ökologischen Auswahlkriterien zuzulassen. Gleichzeitig möchten wir allerdings deutlich machen, dass die Anwendung des Vergaberechts, insbesondere bei der Erbringung sozialer Dienstleistungen, nicht immer zu passgenauen Lösungen führt. Unseres Erachtens sollte die Kommission ein stärkeres Augenmerk auf mögliche alternative Verfahren zur Organisation der Erbringung sozialer Dienstleistungen legen.

 

In Deutschland werden solche Dienste in der Regel unter dem sog. Sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis erbracht. Dieses geht von einer Anbietervielfalt und dem größtmöglichen Wunsch- und Wahlrecht der Nutzer der Dienstleistungen aus. Eine Angebotssteuerung durch den Sozialleistungsträger erfolgt nicht. Vielmehr steht der

 

 

1 Ecofys & Fraunhofer ISI 2010: Energy Savings 2020

COM (2008) 772 final, Communication from the Commission, Energy efficiency: delivering the 20% target.

 

 

 

Wettbewerb für soziale Dienstleistungen im Anwendungsbereich des sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses allen potentiellen Leistungserbringern offen.

 

Dabei bedarf es aber nicht des öffentlichen Auftragsrechts, um die europarechtlichen Wettbewerbsgrundsätze zu verwirklichen und diesen Wettbewerb im Interesse aller Beteiligten chancengerecht und transparent zu gestalten. Im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis findet, anders als in der öffentlichen Auftragsvergabe, zwischen den verschiedenen Anbietern sozialer Dienstleistungen ein permanenter Wettbewerb um die Nutzer statt.

 

In der Binnenmarktakte werden vor allem potentielle Einsparungen in Millionenhöhe für die Steuerzahler durch Vergabe und ihre mögliche Bedeutung für Innovation und Beschäftigung behauptet. Dieser Nachweis muss noch geführt werden. Unsere Erfahrungen zeigen eher, dass durch Vergabeverfahren der Kostendruck für Anbieter vergrößert wird und negative Wirkungen auf die Beschäftigungsverhältnisse und die Qualität der Dienstleistungen entfaltet. Der Hinweis auf die potentiellen Einsparungen deutet auf einen fiskalischen Ansatz hin. Dieser muss mit den Bestrebungen zu mehr Qualität und der Berücksichtigung sozialer Erwägungen in Einklang gebracht

werden.

 

Es ist grundsätzlich fraglich, ob im Wege öffentlicher Vergabeverfahren der allgemeine Zugang zu Sozialdienstleistungen von hoher Qualität überhaupt sichergestellt werden kann, wie dies im vom Rat der EU inzwischen angenommenen freiwilligen Qualitätsrahmen vorgesehen ist. Im Rahmen der angekündigten umfassenden Konsultation sollten deshalb ausführlich die Vor- und Nachteile von öffentlichen Vergabeverfahren, die Wirkungen auf einzelne Dienstleistungssektoren sowie Alternativmodelle erfragt werden.

 

Vorschlag Nr. 18: Die Kommission wird im Jahr 2011 eine Rechtsetzungsinitiative zur Vergabe von Dienstleistungskonzessionen auf den Weg bringen. Klare und angemessene Regeln würden den europäischen Unternehmen einen besseren Marktzugang verschaffen und gleichzeitig Transparenz, Gleichbehandlung und gleiche Spielregeln für alle Wirtschaftsbeteiligten gewährleisten. Öffentlich-private Partnerschaften würden gefördert und Dienstleistungsnutzer und öffentliche Auftraggeber könnten von einem besseren Preis-Leistungs-Verhältnis profitieren.

 

Ob tatsächlich ein Bedarf für eine gesetzgeberische Initiative hinsichtlich Dienstleistungskonzessionen besteht, ist unseres Erachtens zweifelhaft, da konkrete primärrechtliche Vorgaben für die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen vorliegen. Nach der umfangreichen Rechtsprechung des EuGH sind hierbei insbesondere die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Nichtdiskriminierung und der Transparenz zu berücksichtigen.

 

Unabhängig von dieser grundsätzlichen Erwägung ist jedoch für die deutsche Situation festzustellen, dass die sozialrechtliche Leistungserbringung unter den Regeln des sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses nicht im Rahmen von Dienstleistungskonzessionen erfolgt: Die Leistungserbringung beruht nicht auf einer für Dienstleistungskonzessionen erforderlichen Exklusivität, sondern auf einer Vielfalt der Anbieter. Allenfalls bei exklusiven Auswahlentscheidungen, könnte eine Überstülpung des Rechts der öffentlichen Aufträge eine positive Wirksamkeit

 

 

 

erzielen. Wenn, wie im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis, der Marktzutritt allen potentiellen Dienstleistungserbringern (unabhängig von Herkunft, Gewinnerzielungsabsicht und Rechtsform) offensteht, der Wettbewerb um den Nutzer also auf dem Markt selbst stattfindet, wäre eine Anwendung des Rechts der öffentlichen Auftragsvergabe um ihrer selbst willen dagegen kontraproduktiv.

 

Wir verweisen hierzu auch auf unser Positionspapier vom September 2010 (Anlage).

 

Vorschlag Nr. 20: Die Kommission wird im Jahr 2011 ein Konzept für eine neue Mehrwertsteuer-Strategie auf der Grundlage eines Grünbuchs veröffentlichen, das sie noch im Jahr 2010 vorzulegen beabsichtigt und in dem das derzeitige Mehrwertsteuersystem einer gründlichen Überprüfung unterzogen wird.

 

Anlass für die Überarbeitung des derzeitigen Steuersystems ist dessen Kompliziertheit wg. unterschiedlicher Steuersätze und Steuerbefreiungen, Ausnahmeregelungen und Optionen für die Mitgliedstaaten und spezifischen Vorschriften für grenzüberschreitende Transaktionen.

 

Im Rahmen der Mehrwersteuer-Systemrichtlinie (RL 2006/112/EG) sind u.a. die Steuertatbestände, Steuerbefreiungen, der Mindeststeuersätze sowie die ermäßigten Umsatzsteuersätze geregelt.

 

Die in der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie vorgesehenen Steuerbefreiungen wurden noch nicht vollständig in das deutsche Umsatzsteuergesetz umgesetzt, so dass wir grundsätzlich eine Vereinheitlichung begrüßen. Auch die Anwendung ermäßigter Steuersätze auf bestimmte Dienstleistungen und Produkte wird aus unserer Sicht zu Recht derzeit in Deutschland diskutiert. Es ist aber aus unserer Sicht sozial nicht vertretbar, den ermäßigten Steuersatz auf steuerpflichtige Leistungen, die im Zweckbetrieb von gemeinnützigen Körperschaften erbracht werden, in diesem Zusammenhang abzuschaffen, indem der volle Steuersatz Anwendung findet. Soweit aus Sicht der Kommission eine Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf Leistungen im Zweckbetrieb von gemeinnützigen Körperschaften abgeschafft werden sollte, halten wir es für zwingend erforderlich, den einzelnen Staaten zu erlauben, abweichend die Steuerermäßigung beizubehalten. Aufgrund der Systematik des deutschen Steuerrechts geht es hier ausschließlich um Leistungen, bei denen der Wettbewerbsgedanke keine Anwendung findet oder der Schutz der Empfänger der sozialen Leistungen höher als der Schutz des Wettbewerbs eingestuft wurde.

 

Vorschlag Nr. 25: Die Kommission verpflichtet sich, bis 2011 eine Mitteilung mit einem Maßnahmenpaket zu Diensten von allgemeinem Interesse vorzulegen.

 

Wir begrüßen, dass die Kommission mit dem Maßnahmenpaket weitere Schritte einleiten will, um mehr Klarheit bei der Anwendung der europäischen Vorschriften zu schaffen. Die angedachte Toolbox kann dabei ein hilfreiches Instrument sein. Zu mehr Klarheit und Sicherheit könnte auch die Evaluation des Monti-Kroes-Paketes führen. Insbesondere kleine und mittlere Erbringer sozialer Dienste leiden unter dem hohen bürokratischen Aufwand, den die Nachweispflichten im Rahmen der Monti- Freistellungsentscheidung nach sich ziehen. Aus diesem Grunde plädieren wir dafür, die Schwellenwerte der De minimis-Verordnung auf 500.000€ zu erhöhen oder eine eigenständige De minimis-Regelung für die DAWI einzuführen.

 

 

 

 

Eine große Schwierigkeit, die in der praktischen Realität der Mitgliedstaaten zu Verwerfungen führen kann, besteht darin, dass unter dem Begriff der öffentlichen Dienstleistung höchst unterschiedliche Dienste zusammen gefasst werden, die hinsichtlich ihrer Ausgangssituation, ihrer Unternehmensstruktur, ihrer Finanzierungsgrundlagen, ihrer Einbindung in das Gemeinwesen und ihrer Rolle für das Gemeinwesen differenziert betrachtet werden müssen. Das Kriterium

„wirtschaftlich“ allein, reicht u. E. nicht aus, um eine einheitliche Betrachtung vorzunehmen. Wir sehen die Notwendigkeit einer stärker sektorspezifischen Betrachtung.

 

Immer noch überschneiden sich die Aussagen zu den sozialen Diensten mit denen zu den großen Netzwerken der Daseinsvorsorge wie Energie und Post und anderen Universaldienstleistungen. Zukünftige Handlungsempfehlungen müssen

sicherstellen, dass differenzierte Regeln für die einzelnen Sektoren getroffen werden. Dabei muss den unterschiedlichen Regeln des (europäischen) Wirtschaftrechts und – bezogen auf die Sozial- und Gesundheitssysteme – des (mitgliedstaatlichen) Sozialrechts Rechnung getragen werden.

 

Vorschlag Nr. 30: Die Kommission wird im Jahr 2011 einen Legislativvorschlag annehmen, der auf eine bessere Umsetzung der Entsenderichtlinie abzielt, indem in die Richtlinie eine klärende Bestimmung zur Ausübung der sozialen Grundrechte im Kontext der wirtschaftlichen Freiheiten des Binnenmarkts aufgenommen wird oder die Richtlinie entsprechend ergänzt wird.

 

Der Vorschlag Nr. 30 schlägt einen Rechtsakt zur besseren Umsetzung der Richtlinie

96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (sog. Entsenderichtlinie) vor. Dreh- und Angelpunkt der Entsenderichtlinie ist die arbeitsrechtliche Gleichstellung der in einen Staat entsandten Arbeitskräfte mit den dort beschäftigten inländischen Arbeitnehmern in Bezug auf bestimmte Aspekte der Arbeitsbedingungen, soweit diese Gegenstand von Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder von allgemeinverbindlichen Tarifverträgen sind.

 

Mit Eintritt der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit für die 2004 beigetretenen mittel- und osteuropäischen Mitgliedstaaten ab dem 01. Mai 2011 werden die Bürgerinnen und Bürger aus den neuen EU-Mitgliedstaaten deutschen Arbeitnehmern gleichgestellt. Es gelten somit keine Unterschiede bezogen auf die Rechte und Pflichten des Arbeitgebers in Abhängigkeit von der Nationalität oder dem Wohnort des beschäftigten Arbeitnehmers. Damit ist Tariflohn als Untergrenze bindend, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer jeweils Mitglied der Tarifvertragsparteien sind, die den entsprechenden Tarifvertrag abgeschlossen haben.

 

Die Entsenderichtlinie sollte deshalb nicht nur dergestalt ergänzt werden, dass klärende Bestimmungen zur Ausübung der sozialen Grundrechte im Kontext der wirtschaftlichen Freiheiten des Binnenmarkts aufgenommen und die Auslegungsschwierigkeiten infolge der Urteile des Europäischen Gerichtshofs in den Rechtssachen „Laval“, „Rüffert“ und „Luxemburg“ beseitigt werden. Sinnvoll ist vielmehr auch eine Klarstellung dahingehend, dass die Richtlinie minimale und nicht maximale soziale Standards normiert und am Grundsatz der Gleichbehandlung festhält. Um einen Missbrauch der ab Mai 2011 geltenden unbeschränkten

 

 

 

Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa zu verhindern und qualitative sowie hochwertige Dienstleistungen zu ermöglichen, sollten Umgehungsmöglichkeiten, wie etwa durch Arbeitnehmerüberlassung oder Umwandlung von Arbeitnehmern in Scheinselbstständige, ausgeschlossen werden.

 

Zugang zu Beschäftigung und Lernen

Die beiden Vorschläge 33 und 35 sollten in Kombination eine Berücksichtigung finden.

 

Vorschlag Nr. 33: Die Kommission wird im Jahr 2012 eine Rechtsetzungsinitiative zur Reform der Systeme der Anerkennung von Berufsqualifikationen vorschlagen. Dabei wird sie sich auf eine im Jahr 2011 anstehende Bewertung der bisherigen Fortschritte stützen. Ziel wird es sein, die Mobilität der Arbeitnehmer zu fördern und Aus- und Weiterbildung an den aktuellen Bedarf des Arbeitsmarktes anzupassen. In diesem Kontext soll auch das Potenzial der Einführung eines Berufsausweises geprüft werden.

 

Die Wohlfahrtsverbände begrüßen eine Gesetzesinitiative zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen. Sie ermöglicht eine Gleichbehandlung vieler auf dem Arbeitsmarkt tätiger Personen und eine Aufwertung der jeweiligen Kompetenzen (mindert auch Mobilitätshemmnisse).Dies würde viele aktuell in anderen Mitgliedstaaten arbeitende Personen einschließen.

 

Sie eröffnet Chancen zur Identifikation von qualifiziertem Personal und deren passgenauer Weiterbildung - auch für den nationalen Arbeitsmarkt kann sich zusätzliches Arbeitskräftepotential durch die Aufwertung der Qualifikation von nicht im eigenen Land erworbener Qualifikationen erschließen.

 

Allerdings erscheint das Vorhaben nur sinnvoll in Kombination mit Verfahren zur Anerkennung von informell und nicht-formell erworbenen Qualifikationen und der Kopplung der Gesetzesinitiative an den Europäischen Qualifikationsrahmen und die damit verbundenen Nationalen Qualifikationsrahmen.

 

Vorschlag Nr. 35: Die Kommission wird in Partnerschaft mit den Mitgliedstaaten den Europäischen Qualifikationsrahmen umsetzen. Sie wird eine Empfehlung des Rates zur Förderung und Validierung von Ausbildungsmaßnahmen außerhalb des Schulsystems ("nichtformales" und "informelles" Lernen) vorschlagen. Außerdem wird sie die Einführung eines "Europäischen Qualifikationspasses" vorschlagen, der es jedem Einzelnen ermöglicht, genaue Aufzeichnungen über die im Verlauf seines Lebens erworbenen Kenntnisse und Qualifikationen zu führen. Die Kommission wird eine Brücke zwischen dem Europäischen Qualifikationsrahmen und der europäischen Klassifikation der Berufe schlagen.

 

Die Wohlfahrtsverbände stehen grundsätzlich der Umsetzung des Europäischen Qualifikationsrahmen und der daran gekoppelten Nationalen Qualifikationsrahmen offen gegenüber, da die angestrebte Dynamisierung von Bildung viele neue Zugänge zum Beruf eröffnen und somit Quereinstiege, gleitende Übergänge und Anschlüsse entsprechend der individuellen Bildungsbedarfe und Bildungserfordernisse möglich werden.

 

 

 

Besonders ist das Bestreben zu unterstützen, die Ergebnisse informeller und nicht- formaler Bildung stärker für formale Qualifikationen anrechenbar zu machen.

 

Kritisch werden wir die Entwicklung auf nationaler und europäischer Ebene begleiten, um einer strukturellen Abwertung so genannter Frauenberufe entgegen zu wirken

und den hochwertige Berufsausbildungen im Sozial- und Gesundheitsbereich, die außerhalb des tertiären Bereichs erworbenen wurden, zu einer angemessenen Einordnung zu verhelfen.

 

Vorschlag Nr. 34: Die Kommission wird in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten einen speziellen Ausweis im Rahmen von „Jugend in Bewegung“ einführen. Der Ausweis soll jungen Menschen, die eine Ausbildung oder ein Studium in einem anderen Mitgliedstaat absolvieren wollen, die Mobilität erleichtern. Die Kommission wird ihre Website „Jugend in Bewegung“ weiter ausbauen, in dem sie Informationen zum Fernstudium und zu sonstigen Studien- und Ausbildungsmöglichkeiten in Europa aufnimmt.

 

Der Vorschlag wird begrüßt. Wir möchten darüber hinaus anregen, dass der geplante Ausweis auch die Mobilität jungen Menschen erleichtern sollte, die einen Freiwilligendienst in einem anderen Mitgliedstaat ableisten wollen. Die Ableistung eines Freiwilligendienstes in einem anderen Mitgliedstaates sollte genauso wie Ausbildung oder Studium in einem anderen Mitgliedstaat erleichtert werden. Nicht

nur das freiwillige Engagement auf nationaler Ebene, sondern auch der Austausch von Freiwilligen zwischen den Mitgliedstaaten würde so gefördert. Das wäre ein wichtiger Beitrag, den der Binnenmarkt im Europäischen Jahr der Freiwilligentätigkeit leisten könnte.

 

Vorschlag Nr. 36: Die Kommission wird im Jahr 2011 eine Initiative für soziales Unternehmertum vorschlagen mit dem Ziel, die Entwicklung innovativer Unternehmensprojekte im sozialen Bereich innerhalb des Binnenmarkts zu unterstützen und zu begleiten, insbesondere mit Hilfe folgender Instrumente: Sozialrating, Ethik- und Ökolabels, öffentliche Auftragsvergabe, Einführung eines neuen Investmentfonds-Modells, Mobilisierung ruhender Ersparnisse.

 

Hier stellt sich die Frage nach dem Sozialmodell, das der EU-Kommission vorschwebt. Im Einführungsteil zu dem Kapitel wird besonders die Rolle der europäischen Unternehmen betont. Es bleibt unklar, was als „soziale Unternehmen“ angesehen wird. Eine Gleichsetzung dieses Konzeptes mit der Sozialwirtschaft erscheint uns nicht angemessen zu sein.

 

Besonders bedenklich ist es, innovative soziale Projekte allein Unternehmen zuschreiben zu wollen. Dies verkennt die Wirklichkeit sozialen Engagements der Bürger, dem gerade angesichts des gerade aktuellen Europäischen Jahres der Freiwilligentätigkeit vermehrt Rechnung zu tragen wäre.

 

Falls es darum gehen sollte, soziale Unternehmensmodelle der freien Wirtschaft zu fördern, z. B. im Rahmen des „CSR“, dann wird leider nicht deutlich, welches sozialpolitische Konzept verfolgt werden soll und ob man sich tatsächlich (vor allem nachhaltig) der Probleme annehmen möchte, welche behinderte, gering qualifizierte und alte Menschen aus dem Wirtschaftsleben ausschließen. Soziale Unternehmensmodelle können nur freiwillig sein. Sie können nicht die

 

 

 

sozialpolitische Verantwortung des Gesetzgebers ersetzen, Rechtsansprüche der

Bürger auf Hilfe und Zugang zu sozialen Leistungen sicher zu stellen.

 

Die Unklarheiten bezüglich der sozialen Dimension Europas werden besonders deutlich durch die vorgesehenen Maßnahmen im Rahmen des Vorschlags Nr. 37 zur Sozialwirtschaft.

 

Vorschlag Nr. 37: Aus verschiedenen Gründen, die in erster Linie mit der Art ihrer  Finanzierung  bzw.  mit  den  Entscheidungen  der  Anteilseigner  oder anderer Beteiligter zusammenhängen, die Projekte mit starker sozialer, wirtschaftlicher  oder  technologischer  Innovationskomponente  unterstützen und begleiten, ist die Sozialwirtschaft in Organisationen unterschiedlichster Rechtsformen (Stiftungen, Genossenschaften, Gegenseitigkeitsgesellschaften usw.) strukturiert. Die Kommission wird Maßnahmen vorschlagen, die zu einer qualitativen Verbesserung der betreffenden rechtlichen Strukturen beitragen, so dass deren Funktionieren optimiert und ihre Entwicklung innerhalb des Binnenmarkts gefördert werden.

 

Die vorgesehenen Maßnahmen beschränken sich zu sehr auf rechtliche Strukturfragen. Durch europäische Statute und durch eine Studie soll das Funktionieren der Sozialwirtschaft im Binnenmarkt optimiert werden. Dieser Ansatz greift zu kurz. Es geht doch in erster Linie darum, die besondere Rolle sozialwirtschaftlicher Unternehmen, die diese aufgrund der jeweiligen mitgliedstaatlichen Traditionen und Rechtsgrundlagen im Interesse der Bürger wahrnehmen, anzuerkennen. Nicht die Sozialwirtschaft muss optimiert werden, sondern die Binnenmarktregeln, damit die sozialwirtschaftlichen Unternehmen weiter ihren Auftrag erfüllen können. Die Freie Wohlfahrtspflege bekennt sich zu den Grundsätzen der sozialen Marktwirtschaft im Europäischen Binnenmarkt und dessen Grundfreiheiten. Gleichzeitig fordern wir die Anerkennung und den Schutz der Besonderheiten bei der Erbringung sozialer Dienste, insbesondere durch nichtgewinnorientierte Anbieter. Eine Unterwerfung unter einen grenzenlosen Wettbewerb würde sich letztlich auch negativ auf die Qualität der angebotenen Dienstleistungen auswirken.

 

Insoweit kommt dem Vorschlag Nr. 29, wonach „Auf der Grundlage ihrer neuen Strategie zur wirksamen Umsetzung der Charta der Grundrechte durch die Europäische Union (…) die Kommission darüber wachen (wird), dass den durch die Charta garantierten Rechten, einschließlich des Rechts auf Kollektivmaßnahmen, Rechnung getragen wird. Die Kommission wird im Vorfeld der Ausarbeitung sämtlicher den Binnenmarkt betreffender Legislativvorschläge eine eingehende Analyse der sozialen Auswirkungen vornehmen“ eine besondere Bedeutung zu.

 

Diese Absicht der Kommission, eine Folgenabschätzung vorzunehmen, wird begrüßt. Wir ermutigen die Kommission, diese Absicht konsequent umzusetzen und dabei Instrumente zu benutzen, die eine Berücksichtigung aller wirtschaftlichen, sozial- und beschäftigungspolitischen Auswirkungen sicher stellen.

 

Vorschlag Nr. 40: Die Kommission wird Anfang 2011 eine Rechtsetzungsinitiative über den Zugang zu bestimmten Bankdienstleistungen beschließen. Ferner wird sie den Bankensektor auffordern, eine

 

 

 

Selbstregulierungsinitiative auf den Weg zu bringen mit dem Ziel, bis Ende

2011 für mehr Transparenz und eine bessere Vergleichbarkeit bei den

Bankgebühren zu sorgen.

 

Die Initiative der Kommission allen EU-Bürgern einen angemessenen Zugang zu grundlegenden Bankdienstleistungen zu garantieren wird von den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege uneingeschränkt begrüßt. Erfahrungsberichte von Schuldnerberatern belegen, dass eine flächendeckende Versorgung der gesamten Bevölkerung mit einem Girokonto auf Guthabenbasis noch immer nicht gewährleistet ist. Die Folgen des Ausschlusses vom bargeldlosen Zahlungsverkehr sind für die betroffenen Menschen vielfältig:

 

-     Arbeitgeber verlangen vom Arbeitnehmer den Nachweis einer Kontoverbindung, da Lohn oder Gehalt nur bargeldlos gezahlt werden.

-     Vermieter verlangen vom Mieter die Erteilung einer Einzugsermächtigung für dessen Konto, um die pünktliche Zahlung der Miete zu gewährleisten.

-     Ähnliche Vorgehensweisen sind auch für andere Dienstleister typisch (Telekommunikationsanbieter, Versicherer). Der Bundesgerichtshof erachtet entsprechende Vertragsklauseln mit dem Hinweis darauf, dass ein Girokonto heute selbstverständlich geworden ist, als zulässig.

-     Vielfach können günstige Tarife nicht wahrgenommen werden, da deren Abschluss mit der Verpflichtung zur Erteilung einer Einzugsermächtigung verbunden ist. Dies betrifft insbesondere die Energieversorgung, aber auch den Abschluss von Telekommunikationsverträgen.

-     Bareinzahlungen und Baranweisungen sind mit überdurchschnittlich hohen Gebühren (-abschlägen) für den kontolosen Schuldner verknüpft, da allein für monatlich wiederkehrende Zahlungsvorgänge, wie Mietzahlung, Zahlung der Energie- und Heizkosten, die Zahlung von Versicherungsbeiträgen usw., Mehrkosten von 40,-- bis 80,-- Euro pro Monat entstehen.

-     Den Empfängern von Arbeitslosengeld (ALG I und II) ohne eigene Kontoverbindung zieht der Leistungsträger die Gebühr für Überweisungen dann gleich im Vorwege von der gesetzlich normierten Leistung ab, wenn sie nicht nachweisen können, dass sie ohne eigenes Verschulden kontenlos sind. Bei Bezug von ALG II erhalten die Betroffenen wegen der Kontolosigkeit daher weniger als das verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum.

-     In einigen Bundesländern, unter anderem Hessen und Nordrhein-Westfalen, ist die Anmeldung eines Kfz nur gegen die Erteilung einer Einzugsermächtigung für die Kfz-Steuer möglich. Das heißt: ohne Konto kein Auto.

 

Eine Maßnahme der Kommission, den Verbrauchern in der EU zu vertretbaren Kosten Zugang zu einem Basiskonto zu beschaffen, würde von uns unterstützt. Durch die Einführung eines solchen „Rechts auf ein Girokonto“ würde ein einklagbarer Rechtsanspruch entstehen. Der Kunde hätte die Möglichkeit, eine unabhängige Instanz einzuschalten, deren Entscheidung verbindlich wäre und von ihm rechtlich durchgesetzt werden könnte.

 

Vorschlag Nr. 48: Die Kommission wird die Konsultation und den Dialog mit der Zivilgesellschaft bei der Vorbereitung und Durchführung von Rechtsvorschriften intensivieren. Besonderes Augenmerk wird künftig darauf gelegt, dass die Standpunkte der Verbraucher, NRO, Gewerkschaften, Unternehmer, Sparer, Nutzer und Gebietskörperschaften im Rahmen der

 

 

 

Konsultationen, die der Verabschiedung von Vorschlägen vorausgehen, berücksichtigt werden, insbesondere in Bezug auf die Arbeit von Sachverständigengruppen.

 

Dieser Dialog wird uneingeschränkt begrüßt. Die Gewichtung der Partnerschaft ist jedoch nicht immer gleichwertig ausgestaltet. Aufgrund seiner besonderen Stellung ist der soziale Dialog etabliert. Die wichtige Rolle der Sozialpartner wird denn auch zu Recht mehrfach erwähnt. Im Bereich der sozialen Dienstleistungserbringung sind jedoch darüber hinaus in vielen Mitgliedstaaten nicht-gewinnorientierte Dienstleister und Organisationen tätig. Angesichts der auch von der Kommission erkannten zunehmenden Bedeutung dieses Sektors im Hinblick auf Beschäftigung ist es zukünftig von großer Bedeutung, diese Akteure in den Dialog mit einzubeziehen.

 

Insgesamt wird die Zivilgesellschaft in der Mitteilung jedoch kaum erwähnt. Deren Einbeziehung gerade auf lokaler Ebene ist jedoch für die Sicherstellung sozialer Gerechtigkeit von großer Bedeutung. Die Möglichkeiten der inhaltlichen Einflussnahme von Institutionen und Organisationen der Zivilgesellschaft auf die Erbringung sozialer Leistungen wird durch europaweite Ausschreibungen sozialer Dienste erheblich geschwächt