Vorwort
Der beschlossene Ausbau der Kindertagesbetreuung sowie die 2013 im Kinderförderungsgesetz verankerte Einführung eines Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr werden zu Recht als
bildungs-, sozial- und familienpolitische Erfolge gefeiert. Mit der Implementierung des Betreuungsangebots und des Rechtsanspruchs sind nach Auffassung der BAGFW wichtige Voraussetzungen für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes gegeben.
Unabhängig von dieser gesellschafts- und familienpolitischen Weichenstellung gewinnt die Frage der Qualität des Erziehungs-, Bildungs- und Betreuungsangebots an Bedeutung. Diese Qualität hängt von verschiedenen Faktoren ab, zu denen auch die pädagogischen Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen zählen.
Vor dem Hintergrund des notwendigen qualitativen und quantitativen Ausbaus und dem damit einhergehenden zusätzlichen Bedarf an Fachkräften erhält die Frage der Qualifizierung und Gewinnung des Personals eine besondere Bedeutung. Und dies, obwohl der Bildungsbericht[1] 2010 zu dem Ergebnis kommt, dass die demographische Entwicklung in den nächsten Jahren zu einem deutlichen Rückgang an Kindern im Vorschul- und Schulalter führen wird und der Fachkräftebedarf mit dem vorhandenen pädagogischen Personal und den zukünftigen Ausbildungsabsolventen zu decken sei. Demgegenüber wird in Kindertageseinrichtungen ein zunehmender Mangel an Fachkräften verzeichnet. Diese Tatsache ist für die Verbände und für die Träger von Einrichtungen Anlass, sich mit der aktuellen Personalsituation sowie mit zukünftigen Prognosen in diesem Bereich auseinanderzusetzen. Die Frage der Qualifizierung sowie die Bindung und Gewinnung von Fachkräften für den Elementarbereich ist und bleibt gerade auch mit dem Blick auf die gestiegenen Anforderungen, die heute an Kindertageseinrichtungen gestellt werden, eine wichtige Herausforderung.
Die BAGFW hat sich mit der Fachkräftesituation im Elementarbereich bereits 2009 auseinandergesetzt und ihre Ansätze und Überlegungen in einer fachpolitischen Position zusammengefasst. Die vorliegenden Empfehlungen knüpfen an diese Position an. Beschrieben und diskutiert werden hierin verschiedene Strategien der Personalförderung, der Personalbindung sowie der Personalgewinnung. Nach Überzeugung der BAGFW wird es vom Umgang mit der Fachkräftesituation maßgeblich abhängen, ob die Ausbauziele erreicht und die Qualität der Kindertageseinrichtungen gesichert beziehungsweise verbessert werden können.
Bei allen Ansätzen und Überlegungen, die dazu beitragen, dass auch künftig ausreichend pädagogische Fachkräfte zur Verfügung stehen, darf nach Auffassung der BAGFW die Qualität der Betreuungsangebote nicht gemindert werden. Geringfügigere Qualifikationsabschlüsse der pädagogischen Fachkräfte sind ebenso wenig akzeptabel wie eine Verschlechterung der Rahmenbedingungen aufgrund größerer Gruppen oder eines erhöhten Fachkraft-Kind-Schlüssels.
1. Das Engagement in der Personalentwicklung ausbauen
Die demografische Entwicklung in Deutschland führt nicht nur zu einer Verringerung der Kinderzahlen, sondern perspektivisch auch zu einem Rückgang an Arbeitskräften. Ebenso ist mit einer Veränderung der Altersstruktur innerhalb der Kindertageseinrichtungen zu rechnen. Vor diesem Hintergrund müssen sich Verbände, Träger und Einrichtungen verstärkt mit der Personalentwicklung in Kindertageseinrichtungen auseinandersetzen. Personalentwicklung meint dabei mehr als die Qualifizierung der pädagogischen Fachkräfte. Sie zielt ebenso auf Maßnahmen der Gesundheitsförderung, die Entwicklung von alters- und alternsgerechten Personalentwicklungskonzeptionen, der Nutzung vorhandener Fachkräftepotenziale, einer längeren Verbleibdauer im Beruf sowie der interdisziplinären und multiprofessionellen Zusammensetzung der Teams.
Konzeptionen für eine alterns- und altersgerechte Personalentwicklung
erstellen
Deutschland ist nach Schweden und Österreich das Land mit dem höchsten Altersdurchschnitt bei den pädagogischen Fachkräften in Kindertageseinrichtungen. Das erfordert auch im Bereich der sozialen Arbeit eine verstärkte Auseinandersetzung mit dem Thema „alternsgerechtes Arbeiten und altersgerechte Personalentwicklung“.
Bei der Gestaltung alterns- und altersgerechter Personalentwicklungskonzepte sind Träger und Mitarbeiterinnen aufgefordert, sich mit notwendigen betrieblichen Entwicklungen auseinanderzusetzen. Wichtig ist dabei eine ganzheitliche Betrachtung der Arbeitsorganisation, der Arbeitszeitgestaltung und der Kompetenz- und Personalentwicklung.
Eine alterns- und altersgerechte Personalentwicklung bedeutet nicht, älteren Beschäftigten einen Schutz- oder Schonraum zu verschaffen oder sie von bestimmten belastenden Arbeiten freizustellen. Vielmehr muss es darum gehen, die Erkenntnisse über die Potenziale der Beschäftigten und der Einrichtung langfristig zu nutzen. Denn im Alter beschäftigungsfähig zu sein, ist sowohl von der einzelnen Mitarbeiterin und dem einzelnen Mitarbeiter als auch von den betrieblichen Bedingungen abhängig. Zu diesem Thema gibt es einen dringenden Forschungsbedarf, um Träger bei der Entwicklung entsprechender Konzeptionen unterstützen zu können.
Vorhandene Fachkräftepotentiale nutzen
Jede zweite pädagogische Fachkraft in Kindertageseinrichtungen ist laut einer aktuellen Studie der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) teilzeitbeschäftigt. Die Tendenz ist dabei steigend. Von 2000 bis 2008 ist die Vollzeitquote bei den Fachkräften von 52 Prozent auf 49 Prozent gesunken. Als Gründe für diesen hohen Anteil an Teilzeitkräften werden die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie der Familienstand angegeben. Insbesondere verheiratete Fachkräfte arbeiten zu einem Anteil von 61 Prozent in Teilzeit. Allerdings liegt bei dieser Personengruppe auch eine überproportional häufige Befristung der Verträge vor.[2] Die GEW hatte 2007 bereits ermittelt, dass knapp 40 Prozent der Teilzeitbeschäftigten mit ihrer Situation unzufrieden sind.[3] Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine aktuelle Studie aus Rheinland-Pfalz.[4] Bei einer Befragung von 142 Einrichtungsträgern wurde deutlich, dass 47 Prozent der Beschäftigten Teilzeit arbeiten und rund ein Drittel davon seinen Beschäftigungsumfang gerne aufstocken würde. In der Anhebung der Beschäftigungsumfänge liegt demnach eine Ressource, die nachweislich genutzt werden kann. Allein mit einer Anhebung der Beschäftigungszeiten in Westdeutschland auf das Niveau von 1998 ließe sich der Fehlbedarf an Fachkräften um rund 2.400 pro Jahr reduzieren.[5]
Trotz des sich abzeichnenden Fachkräftebedarfs ist gegenwärtig eher ein Trend zur Ausweitung von Teilzeitbeschäftigung zu erkennen. Viele Kindertageseinrichtungen sehen sich gezwungen, Fachkräfte in Teilzeit zu beschäftigen, um flexibel und zeitnah auf Belegungsschwankungen reagieren zu können oder ihren speziellen Finanzierungssystemen gerecht zu werden. Zudem wird in der Praxis immer häufiger nur mit Zeitverträgen gearbeitet. Unter diesen Bedingungen können pädagogische Fachkräfte weder motiviert noch langfristig an die Einrichtung gebunden werden.
Für die BAGFW ist es zur Sicherung des aktuellen Bedarfs an Fachkräften notwendig, dass Tageseinrichtungen für Kinder grundsätzlich in die Lage versetzt werden, bisher befristete Verträge zu entfristen und Teilzeitbeschäftigungen je nach Bedarf entsprechend aufzustocken.
Als problematisch wird auch die Tatsache bewertet, dass noch immer viele pädagogische Fachkräfte weit vor dem Eintritt in das Rentenalter ganz oder zeitweise aus dem Beruf ausscheiden. Die Gründe hierfür sind vielfältig, oft fehlt es an entsprechenden beruflichen Alternativen. Eine Alternative zum Ausstieg aus dem Tätigkeitsfeld könnte die Kindertagespflege bieten, für die in diesem Zusammenhang stärker geworben werden muss. Etwa ein Drittel der in der Kindertagespflege Beschäftigten verfügt gegenwärtig über eine pädagogische Ausbildung.
Andererseits kommen auch gut ausgebildete und qualifizierte Kindertagespflegepersonen für die Arbeit in Kindertageseinrichtungen in Betracht. Nach Ansicht der BAGFW sollten weitere Anstrengungen unternommen werden, um Tagespflegepersonen eine modularisierte Qualifizierung zur staatlich anerkannten Erzieherin beziehungsweise Erzieher zu ermöglichen.
Für junge Fachkräfte verlässliche Arbeitsbedingungen schaffen
Bisher gibt es zur Verbleibdauer im Beruf keine verlässlichen Zahlen. Schilling und Rauschenbach gehen in ihren Berechnungen davon aus, dass pädagogische Fachkräfte ihren Beruf durchschnittlich 30 Jahre ausüben.[6] Diese Hypothese ist aber bisher nicht mit validen empirischen Untersuchungen belegt, sondern beruht auf Schätzungen. Ob pädagogische Fachkräfte tatsächlich über einen so langen Zeitraum im Beruf verbleiben, darf angesichts der belastenden Arbeitssituation gerade für ältere Erzieherinnen durchaus bezweifelt werden.
Die Rentenreform wird dazu führen, dass der Verbleib aus ökonomischen Gründen für viele ältere Fachkräfte keine Frage des Wollens, sondern des Müssens wird. Längere Verweildauer setzt aber voraus, dass die Arbeitsbedingungen und Einsatzmöglichkeiten älterer Fachkräfte sich an deren Kompetenzen und Ressourcen orientieren.
Sell und Kersting kommen in ihrer Studie für Rheinland-Pfalz zu Hinweisen, die sicherlich auch bundesweit relevant sind.[7] Danach ist die Stabilisierung von Beschäftigungsverhältnissen der Berufseinsteigerinnen von großer Bedeutung für den Verbleib im Beruf. Befristete Vertragsverhältnisse oder Teilzeitverträge am Beginn des Berufslebens erhöhen das Risiko, dass sich diese Fachkräfte beruflich neu orientieren und so dem System der Kindertagesbetreuung verloren gehen. Um den Fachkraftbedarf zukünftig angemessen erfüllen zu können, muss der Verbleib von Berufsanfängerinnen im System besser als bisher gesichert werden. Einstellungsmuster, die Berufsanfängerinnen zunächst bevorzugt für Elternzeitvertretungen vorsehen, können hier kontraproduktiv wirken. Eine zukunftsorientierte Personalplanung muss die Einstellung von jungen Berufsanfängerinnen stärker als bisher als Langzeitperspektive und nicht als vorübergehenden Ersatz definieren.
Die interdisziplinäre und multiprofessionelle Zusammensetzung der Teams fördern
Erweiterte Anforderungen, die heute an Kindertageseinrichtungen gestellt werden, und der vorhandene Fachkräftebedarf machen es zwingend erforderlich, über eine interdisziplinäre und multiprofessionelle Zusammensetzung der pädagogischen Teams nachzudenken. Dabei ist es aber notwendig, beide Begriffe differenziert zu betrachten und die Einsatzmöglichkeiten eindeutig zu definieren.
In Literatur und in Fachzeitschriften finden sich immer wieder Hinweise und Ausführungen zum Einsatz von multiprofessionellen und interdisziplinären Teams in Kindertageseinrichtungen. Vielfach werden sie als innovative Ansätze bei der Personalentwicklung diskutiert. Bei der Rezeption von Aufsätzen und Artikeln wird allerdings deutlich, dass in der Fachdebatte beide Begriffe genutzt werden, ohne dass eine eindeutige Begriffsklärung vorliegt beziehungsweise sichtbar wird.
Von interdisziplinären Teams wird überwiegend im Kontext integrativer Einrichtungen für Kinder mit und ohne Behinderungen gesprochen. Die Verwendung des Begriffs erfolgt damit überwiegend im Zusammenhang mit strukturellen Beschreibungen. Die Fachkräfte werden bei diesem Modell eher als additiv zum vorhandenen Personal in der Kindertagesbetreuung verstanden. Die Teamarbeit erfolgt über unabhängige, sich ergänzende oder aufeinander aufbauende Aufgabenfelder. Als Beispiel hierfür stehen auch die Familienzentren. Hier werden unter einem Dach unterschiedliche Angebote für Familien und Kinder erbracht. Diese Form der Teamarbeit ist angebotsorientiert. Die Einbindung der Fachkräfte in das Team erfolgt entlang spezifischer Aufgaben.
Der Begriff „multiprofessionelle Teams“ zielt eher auf eine konzeptionelle Ebene. Hier werden durch speziell geschulte Fachkräfte besondere Angebote in Kindertageseinrichtungen etwa im Rahmen von Lernwerkstätten, Projekten oder der Sprachförderung gemacht, die konzeptioneller Bestandteil der Einrichtung sind. Bei der Beschäftigung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geht es im Kern um den Einsatz spezieller (nicht pädagogischer) Kompetenzen. Dabei können die Fachkräfte aus dem eigenen Team kommen oder extern für bestimmte Aktivitäten oder Projekte in den Einrichtungen beschäftigt werden. Ihre Anbindung im Team erfolgt über die Konzeption der Einrichtung und ist auf die Personalausstattung entsprechend anzurechnen. Für den Einsatz von Fachkräften im Rahmen der multiprofessionellen Arbeit muss eine Klärung der finanziellen und rechtlichen Rahmenbedingungen erfolgen.
2. Neue Fachkräfte gewinnen
In naher Zukunft werden Verbände, Träger und Einrichtungen noch stärker als bisher beispielsweise in Konkurrenz zur Industrie, dem Handel und dem Handwerk treten müssen, wenn es darum geht, Fachkräfte zu gewinnen. Diese Situation erfordert von der gesamten Sozialwirtschaft neue Konzepte und Handlungsstrategien.
Die gesellschaftliche Anerkennung des Berufsfeldes stärken
Wer gut ausgebildete und gut motivierte Fachkräfte in ausreichender Zahl für Kindertageseinrichtungen gewinnen will, der muss sich noch stärker als bisher für eine gesellschaftliche Anerkennung und für bessere Vergütungsstrukturen in diesem Arbeitsfeld einsetzen. Dabei ist mehr als bisher die Bereitschaft der Landes- und Kommunalpolitik gefordert, nicht nur die Bedeutung und Verantwortung der Fachkräfte zu sehen, sondern sich ebenso für eine den Anforderungen angemessene Vergütung einzusetzen.
Zu beobachten ist, dass die Entwicklung auf den verschiedenen Ebenen auseinanderläuft: Einerseits hat das öffentliche Ansehen und die Bedeutung von Kindertageseinrichtungen in den letzten Jahren zugenommen. Dementsprechend sind auch die Anforderungen gestiegen, die heute an die pädagogischen Fachkräfte gestellt werden. Andererseits ist aber auch festzustellen, dass die Rahmenbedingungen zur Umsetzung der Aufgaben für die Träger eher schwieriger und die Vergütungsstrukturen für die Fachkräfte eher schlechter geworden sind.
Erschwerend kommt hinzu, dass – anders als in der Wirtschaft – bisher kaum offensiv für den Beruf der pädagogischen Fachkraft in Kindertageseinrichtungen geworben wird. Die Wahl für dieses anspruchsvolle Tätigkeitsfeld bleibt mehr oder weniger dem Zufall überlassen. Erforderlich sind hier Maßnahmen, in der die Vorteile des Arbeitsfeldes zielgenau für junge Menschen herausgearbeitet werden und durch die es gelingt, für den Beruf einer pädagogischen Fachkraft in Kindertageseinrichtungen zu werben.
Pädagogische Fachkräfte mit Migrationshintergrund gewinnen
In einem Land, in dem rund jedes dritte Kind unter sechs Jahren einen Migrationshintergrund aufweist, zählt die interkulturelle Kompetenz zu einer der Kernkompetenzen für die pädagogischen Fachkräfte. In Deutschland ist es bisher aber kaum gelungen, Menschen mit Migrationshintergrund oder mit Migrationserfahrungen für den Beruf der pädagogischen Fachkraft in Kindertageseinrichtungen zu gewinnen.
Die Bundesagentur für Arbeit ist aufgefordert, über ihre Berufsinformationszentren aktiv um junge Menschen mit Migrationshintergrund für eine pädagogische Fachschulausbildung zu werben. Dazu sollte in den Oberschulen explizit über dieses Berufsfeld informiert und entsprechend Materialien zur Verfügung gestellt werden.
Auch ist festzustellen, dass die grundsätzliche Anerkennung[8] von im Ausland erworbenen Berufs- und Bildungsabschlüssen für Menschen mit Migrationserfahrungen in einem ordentlichen Verfahren nicht unbürokratisch geregelt ist. Dies ist vor dem Hintergrund der Nutzung vorhandener Ressourcen bei gleichzeitigem Bedarf an pädagogischen Fachkräften unverständlich.
Die Bundesregierung hat Ende 2009 ein Eckpunktepapier zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung von im Ausland erworbenen beruflichen Qualifikationen und Berufsabschlüssen vorgelegt. Insbesondere der dort formulierte grundsätzliche Anspruch für Migrantinnen und Migranten – nicht nur für EU Bürger und Spätaussiedler – auf ein Verfahren, in dem geprüft wird, ob und in welchem Maße im Ausland erworbene Qualifikationen deutschen Ausbildungen entsprechen, ist zeitnah umzusetzen. Die BAGFW unterstützt eine schnelle Realisierung dieses Vorhabens.
Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Zuständigkeiten für diesen Bereich von Bund, Ländern, Kammern etc. spricht sich die BAGFW für ein bundesweit abgestimmtes und einheitliches Verfahren mit entsprechenden Standards aus. Die Basis hierfür sollte ein individuelles Anerkennungsverfahren bilden, das mit entsprechenden landesrechtlichen Ausführungsbestimmungen flankiert wird.
Nach Ansicht der BAGFW muss zudem ein Qualifizierungsangebot für anerkannte Fachkräfte vorgehalten werden. Hierbei sollte eine stärkere Einbindung der freien Träger bei der Ergänzungs- und Anschlussqualifizierung von pädagogischen Fachkräften mit im Ausland erworbenen Berufsabschlüssen erfolgen. Dabei ist es erforderlich, den freien Trägern im Rahmen der Kompetenzfeststellung im praktischen Bereich eine wichtige Aufgabe zukommen zu lassen.
Wiedereinstieg fördern und erleichtern
Ein weiteres Potenzial findet sich in der Gruppe der Berufsrückkehrer. Frauen und Männern, die etwa in der Familiengründungsphase zeitweise oder ganz aus dem Erwerbsleben ausgestiegen sind, könnten zum Beispiel über Eingliederungsmaßnahmen nach SGB III zielgerichtete Angebote zum Wiedereinstieg in den Beruf gemacht werden. Eine Möglichkeit hierzu bietet das Berufsrückkehrerinnen-Programm der Bundesregierung. Im Rahmen dieses Programms – aber auch darüber hinaus – ist es sinnvoll, Projekte zu initiieren und zu fördern, die Berufsrückkehrer aus dem Bereich der pädagogischen Fachkräfte ansprechen. In diesem Zusammenhang ist es erforderlich, einschlägige Qualifizierungsmöglichkeiten im pädagogischen und administrativen Bereich anzubieten, um sie auf die veränderten Anforderungen in den Kindertageseinrichtungen vorzubereiten.
Quereinstieg ermöglichen
Für die Gewinnung von Fachkräften kommen auch Umschulungsmaßnahmen nach
§ 77 SGB III in Betracht. Für Facharbeiter oder examinierte Pflegekräfte und für andere Berufsgruppen sollte, bei entsprechender Eignung und je nach vorhandener Qualifikation, eine Anrechnung der Berufsabschlüsse auf die Ausbildungszeit möglich sein. Darüber hinaus muss ein Verfahren entwickelt und umgesetzt werden, das die persönliche Eignung für den Beruf der pädagogischen Fachkraft feststellt und eine berufsbegleitende Qualifizierung ermöglicht. Diese praxisbezogene Qualifizierung hat den Vorteil, dass die zukünftigen Fachkräfte von Beginn an in die jeweiligen Fachkräfteteams integriert werden.
Vor dem Hintergrund der notwendigen Fachkräftegewinnung etwa über den Quereinstieg ist die vorhandene Ausgestaltung des § 77 SGB III kritisch zu überprüfen. Eine modular aufgebaute Qualifizierung von Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern dürfte sich in der Regel kaum über eine zweijährige Ausbildungszeit realisieren lassen.
Zudem sollte die Möglichkeit geschaffen werden, für den Quereinstieg vorhandene Kompetenzen und Qualifizierungen auf die Ausbildungszeit anrechnen zu können. Über das Maß der Anrechnung könnte nach Ansicht der BAGFW eine Fachkommission entscheiden, die sich aus Vertreterinnen und Vertretern der Praxis, der Wissenschaft sowie aus Vertreterinnen und Vertretern der Länder und Kommunen zusammensetzt. Für das weitere Verfahren sind verschiedene Wege möglich. Folgende Möglichkeit wird empfohlen: Bewerberinnen und Bewerber für eine Umschulung zum/r staatlich anerkannten Erzieher/in müssen sich einer Eignungsprüfung unterziehen. Diese Prüfung wird durch die zuständige Arbeitsagentur beziehungsweise durch ein Jobcenter durchgeführt. Auf diese Prüfung folgt ein Gespräch in der für das Praktikum vorgesehenen Kindertageseinrichtung. Einrichtung und Bewerberin beziehungsweise Bewerber ist es dabei möglich, ohne Angabe von Gründen den Praktikumseinsatz abzulehnen. Werden sich Bewerberin beziehungsweise Bewerber und Einrichtung einig, erfolgt ein Eignungspraktikum von drei Monaten in der Kindertageseinrichtung. Im Anschluss wird eine berufsbegleitende Qualifizierung zum/r staatlich anerkannten Erzieher/in aufgenommen.
Männliche Fachkräfte für den Beruf gewinnen
Der Anteil männlicher pädagogischer Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen lag im Jahr 2008 in Deutschland bei 2,4 Prozent. Die Europäische Union sieht einen Anteil von 20 Prozent männlicher Erzieher als Ziel vor. Die OECD konstatierte 2004, dass der Mangel an männlichen Fachkräften fast überall bedauert wird, aber keine Maßnahmen ergriffen werden, um ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen den Geschlechtern herzustellen.
Die Steigerung des Anteils männlicher Fachkräfte ist eine Möglichkeit zur Gewinnung zusätzlicher Fachkräfte. Das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend initiierte ESF-Modellprogramm „Mehr Männer in Kitas“ greift dieses Thema aktuell auf und fördert die Entwicklung und Implementierung von Strategien zur Steigerung des Anteils männlicher Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen.[9] Ziel ist unter anderem, das Interesse von Jungen und Männern am Beruf des Erziehers zu wecken und sie bei ihrer Entscheidung, diesen Beruf zu wählen, zu unterstützen. Auf diese Weise erweitert sich deren Berufswahlspektrum. Um die Motivation zu verbessern, wird die Vermittlung eines realistischen Blicks auf die anspruchsvolle Tätigkeit zwingend notwendig sein, um die Bilder vom „nur Spielen“ und dem damit verbundenen schlechten Image zu korrigieren. Diese Korrektur in der öffentlichen Wahrnehmung des Berufs ist allerdings für Männer und Frauen notwendig.
Langfristig ist anzustreben, dass Männer genauso wie Frauen Verantwortung für das Aufwachsen von Kindern übernehmen. Ausgewogenere Geschlechterverhältnisse in Kindertageseinrichtungen tragen dazu bei, Rollenbilder zu erweitern und Männer in Kindertageseinrichtungen, gleich ob Erzieher oder Väter, nicht mehr als Ausnahme, sondern als Normalität zu betrachten.
Um den Anteil männlicher Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen zu erhöhen, ist es ebenso notwendig, Netzwerke zwischen allgemeinbildenden Schulen, Ausbildungsstätten für Erzieherinnen und Erzieher und Arbeitsagenturen zu schaffen. Darüber hinaus ist das Thema „Männer in Kitas“ in der Öffentlichkeit stärker hervorzuheben. Zielgruppenspezifische Informationsmaterialien können hierbei ebenso förderlich sein wie öffentliche Kampagnen und Thementage in den Medien.
Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ)
Im Zeitraum 2008/2009 absolvierten insgesamt 34.464 Jugendliche das Freiwillige Soziale Jahr. Knapp 8.000 Jugendliche hatten davon ein Einsatzgebiet im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe.[10] Von Seiten der Bundesregierung ist beabsichtigt, den Ausbau des FSJ zu unterstützen und mehr Mittel für diesen Freiwilligendienst zur Verfügung zu stellen.
Das FSJ bietet eine gute Möglichkeit, für das Arbeitsfeld Kindertageseinrichtungen zu werben und Nachwuchskräfte zu gewinnen. Dies setzt jedoch voraus, dass die Vorteile des Einsatzfeldes „Kindertageseinrichtungen“ bei den FSJ-Trägern und bei den Jugendlichen bekannter gemacht werden. Erforderlich ist demzufolge eine Informationsbroschüre, in der das Einsatzgebiet „Kindertageseinrichtungen“ werbend dargestellt und in der über Ausbildungsmöglichkeiten, Entwicklungschancen und Berufsmöglichkeiten informiert wird. Perspektivisch wäre es von Vorteil, wenn das FSJ in einer Kindertageseinrichtung bundesweit als berufliche Zulassungsvoraussetzung für die Ausbildung zur Erzieherin/zum Erzieher anerkannt würde. In den Ausbildungsordnungen der Länder ist dieses Einsatzfeld bislang nicht explizit aufgeführt.
BA-Absolventinnen und Absolventen
An den rund 66 Hochschulstandorten mit Studiengängen der Frühpädagogik stehen knapp 3.000 Studienplätze zur Verfügung.
Aus Sicht der BAGFW ist es unabdingbar, die vorhandenen Studienkapazitäten im Bereich der Frühpädagogik auszuweiten. Voraussetzung ist dabei jedoch, dass für die Kernbereiche der BA-Studiengänge ein verbindlicher bundesweiter Orientierungsrahmen eingeführt wird. Dieser sollte durch die Einführung einer geschützten Berufsbezeichnung flankiert und mit einer staatlichen Anerkennung verknüpft sowie durch entsprechende Änderungen in den Ausführungsbestimmungen der Kindertagesstättengesetze der Länder ergänzt werden. Mit diesen Maßnahmen lassen sich vorhandene Hürden für die Einstellung von BA-Absolventinnen und Absolventen in Kindertageseinrichtungen abbauen.
Vor dem Hintergrund des steigenden Bedarfs an qualifizierten Fachkräften kommt auch der Berufseinmündungsphase von BA-Absolventinnen und Absolventen eine besondere Bedeutung zu. Diese Phase im Berufsleben sollte grundsätzlich in der gemeinsamen Verantwortung der Ausbildungs- und Anstellungsträger liegen. Mit der Einführung der Studiengänge in der Frühpädagogik haben sich oft auch die Praxisanteile in der Ausbildung erheblich verkürzt. Damit wirkt die Berufseinmündungsphase gleichsam als Bindeglied zwischen dem theoretisch Erlernten und der Praxis. Entscheidend für den Wert der Berufseinmündungsphase ist dabei nicht die Dauer, sondern die Qualität, die sich vor allem in der fachlichen Begleitung der BA-Absolventinnen und Absolventen durch entsprechend qualifizierte Fachkräfte niederschlägt.
Träger von Einrichtungen und Diensten leisten gegenwärtig – und werden auch zukünftig – bei der Praxisanleitung von Berufseinsteiger/innen ihren Beitrag erbringen. Allerdings ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass die damit verbundenen zeitlichen und finanziellen Ressourcen für Träger von Einrichtungen zur Verfügung stehen müssen.
Gesundheitsförderung mehr in den Blick nehmen
Die Gesundheitsförderung zählt seit längerem zu den wichtigen Themenfeldern in der Kinder- und Jugendhilfe. Spätestens seit der Veröffentlichung des 13. Kinder- und Jugendberichts hat das Thema noch einmal an Bedeutung gewonnen. Gesundheitsfördernde Maßnahmen zielen darauf, Menschen in die Lage zu versetzen, mehr Einfluss auf ihren Gesundheitszustand zu nehmen und ihre Gesundheit zu erhalten beziehungsweise zu verbessern. Damit sind aber nicht nur Anforderungen an die pädagogische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen verbunden. Die Situation der Beschäftigten in Kindertageseinrichtungen rückt ebenso in den Blick. Gesundheitsförderung findet ihren Mehrwert nicht nur in der Leistungsbereitschaft und Motivation der pädagogischen Fachkräfte. Sie wirkt sich auch auf die Arbeitszufriedenheit und auf die Qualität der pädagogischen Arbeit aus.
Träger und Einrichtungen sind aufgefordert, die Gesundheitsförderung zum festen Bestandteil ihrer Personalführung zu machen und sich mit den Fachkräften gemeinsam über konkrete Maßnahmen zur Gesundheitsförderung wie etwa Supervision oder Couching zu verständigen. Die Qualifizierung der pädagogischen Fachkräfte zu Gesundheitsthemen wie Entspannung, Stressbewältigung, burn-out-Prävention gehören ebenso zu diesen Maßnahmen wie Schulungen zu körper- und bewegungsgerechter Arbeit.
3. Ausblick
Der Bedarf an pädagogischen Fachkräften für Kindertageseinrichtungen bleibt beziehungsweise wird in den kommenden Jahren steigen. Die in diesem Papier aufgezeigten Maßnahmen der Personalentwicklung und der Personalgewinnung sollen dazu beitragen, den notwendigen Ausbau des Angebots in der Kindertagesbetreuung nicht zu gefährden und die Qualität des Erziehungs-, Bildungs- und Betreuungsangebots beizubehalten beziehungsweise zu verbessern.
Die im Kapitel „Das Engagement in der Personalentwicklung ausbauen“ aufgeführten Impulse haben nicht nur die einzelne Mitarbeiterin oder den einzelnen Mitarbeiter in der Kindertageseinrichtung im Blick. Sie zielen vielmehr darauf, in unseren Kindertageseinrichtungen eine Lernkultur einzuführen, mit der es gelingt, die Arbeitssituation und die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass diese die Attraktivität des Arbeitsplatzes fördert. Die Verantwortung hierfür müssen die Träger und ihre Verbände übernehmen. Auf sie kommt es entscheidend an, wenn es darum geht, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an die Einrichtung zu binden, vorhandene Ressourcen zu nutzen und die Qualität der Arbeit durch eine hohe Zufriedenheit und Motivation der pädagogischen Fachkräfte zu fördern.
Im Kapitel „Neue Fachkräfte gewinnen“ werden Maßnahmen empfohlen, für deren Umsetzung in erster Linie die politischen Entscheidungsträger, aber auch die Verbände innerhalb der BAGFW zuständig sind. Die hier vorgelegten Empfehlungen werden aber nur dann ihren Zweck erfüllen, wenn es Politik und Verbänden gelingt, die Qualität der Kindertageseinrichtungen durch verbesserte Rahmenbedingungen langfristig zu sichern. Menschen mit Migrationshintergrund, potenzielle Quereinsteiger oder auch junge Menschen, die vor ihrer Berufswahl stehen, werden einen Beruf in einer Kindertageseinrichtung in Erwägung ziehen, wenn die gesellschaftliche Anerkennung stimmt und die Arbeitsbedingungen attraktiv gestaltet sind. Darin liegt eine Aufgabe, die Verantwortliche in der Politik und in den Verbänden nur gemeinsam lösen können.
[1] Vgl. Bildung in Deutschland 2010; Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Perspektiven des Bildungswesens im demographischen Wandel, Bundesministerium für Bildung und Forschung; 2010
[2] Vgl. GEW (Hrsg.): Fuchs-Rechlin Dr., Kirsten: Erzieherinnen und Kinderpfleger/innen im Mikrozensus, TU Dortmund; 2010
[3] Vgl. GEW: Wie geht`s im Job, Kita-Studie, Darmstadt; 2007
[4] Vgl. Sell/Kersting: Remagener Beiträge zur aktuellen Kinder- und Jugendhilfe; 04-2010
[5] Vgl. Rauschenbach/Schilling, a. a. O.
[6] Vgl. Rauschenbach/Schilling, a. a. O.
[7] Vgl. Sell /Kersting, a. a. O.
[8] Bei der Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen und Berufsabschlüssen wird zwischen verschiedenen Gruppen unterschieden. Während Unionsbürger/innen und Spätaussiedler/innen bereits Rechtsansprüche auf Überprüfung der Anerkennung haben, fehlt für sogenannte Drittstaatenangehörige bisher ein verbindliches Verfahren bzw. ein Rechtsanspruch auf Überprüfung.
[9] Weitere Informationen unter <link http:>www.esf-regiestelle.eu;Laufzeit des Modellprojekts 01.01.2011 -31.12.2013
[10] In katholischen Kindertageseinrichtungen beispielsweise waren 4.000 Jugendliche im Rahmen ihres FSJ tätig.