I. Teil - Statements online verfügbar
II. Teil - Live-Diskussion 24. Juni 2020, 14:30 Uhr bis 15:30 Uhr
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Auf Grund der Corona-Pandemie wurde die ursprünglich als ganztägige Konferenz in Brüssel geplante Veranstaltung in den digitalen Raum gehoben. Statt eines ersten Panels zur Relevanz europäischer Grundsicherungssysteme in den EU-Mitgliedsstaaten, wurden fünf Videostatements vorab aufgezeichnet und online zur Verfügung gestellt. (Vorabstatements und Aufzeichnung der Podiumsdiskussion hier abrufbar) Am 24.06.2020 hat dann eine hochrangige Online-Podiumsdiskussion mit Nicolas Schmit, EU-Kommissar für Beschäftigung und soziale Rechte, Dr. Rolf Schmachtenberg, Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), MdEP Katrin Langensiepen, Stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten im Europäischen Parlament (EMPL-Ausschuss), Bündnis 90/Die Grünen und Eva. M. Welskop-Deffaa, Vertreterin der BAGFW-Mitgliederversammlung statt. Die Veranstaltung wurde von Prof. Dr. Bernd Schlüter, Mitglied im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) für die BAGFW moderiert.
Im ersten Videostatement hat Prof. Dr. Benjamin Benz von der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe sein Gutachten „Ausgestaltung eines europäischen Rahmens für die Mindestsicherung“ vorgestellt. Er hat die Wichtigkeit eines starken Sozialstaats als Instrument gegen soziale Ausgrenzung hervorgehoben. Ein europäischer Rahmen sollte dabei das Subsidiaritätsprinzip wahren, um die bestehenden Systeme der Mitgliedsstaaten nicht zu untergraben und um Handlungsspielräume für die wichtige kommunale Arbeit zu bewahren. Er spricht sich somit für einen Mittelweg aus: Ein Rahmen der Mindeststandards setzt, die genaue Umsetzung allerdings den Mitgliedsstaaten überlässt und der schrittweise angehoben werden muss um eine Aufwärtskonvergenz zu erzielen.
In einem zweiten Video hat Erich Fenninger, Bundesgeschäftsführer der Volkshilfe Österreich, die Auswirkungen einer fehlenden Kindergrundsicherung thematisiert. Er berichtete eindrucksvoll wie Armut und Mangel selbst im reichen Österreich jedes 5. Kind treffen und ihnen Teilhabe und Lebenschancen erschweren.
Dr. András Márton, Caritas-Direktor der Erzdiözese Alba Iulia in Rumänien, hingegen beschreibt die Lage in Rumänien, einem der ärmsten Länder der Europäischen Union, das als postkommunistisches Land Armutsbekämpfung erst seit den 90er Jahren in den Blick genommen hat und noch mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen hat.
Mathias Maucher, Policy Officer beim Europäischen Netzwerk gegen Armut und soziale Ausgrenzung (EAPN) hat in seinem Beitrag einen Überblick über bestehende Mindestsicherungssysteme in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten gegeben. Auch wenn inzwischen jedes Land ein Mindestsicherungssystem hat und es weiterhin positive Entwicklungen zu verzeichnen gibt, überschreitet die Grundsicherung lediglich in den Niederlanden und in Irland die Armutsschwelle. Aus diesem Grund setzt sich EAPN für eine EU-Rahmenrichtlinie ein, die eine angemessene und armutsfeste Mindestsicherung einführt und damit Teilhabe ermöglicht. Auch Heather Roy, Generalsekretärin von Eurodiaconia, betont in ihrem Video die Wichtigkeit einer Grundsicherung die Teilhabe ermöglicht und damit sicherstellt, dass alle Menschen ein selbstbestimmtes und würdevolles Leben führen können.
Die Online-Podiumsdiskussion am 24. Juni wurde von Michael Löher, Vorstand des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V., eröffnet. Er legte dar wie wichtig es den Gastgebern sei national, wie auch auf europäischer Ebene am Austausch zu Sozialpolitik teilzunehmen und auf beiden Ebenen die Umsetzung der Europäischen Säule Sozialer Rechte voranzutreiben und unter anderem durch einen Grundsicherungsrahmen die sozialpolitische Komponente der Europäischen Union zu stärken.
In den Fragerunden an die Panelist*innen wurde auf den Ist-Stand in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union eingegangen. Im Detail wurde auch angesprochen welche Möglichkeiten auf Europäischer Ebene für eine Einführung eines Rahmens für Grundsicherungssysteme bisher bestehen würden und welche Hürden zu überkommen seien.
Der EU-Kommissar für Beschäftigung und soziale Rechte, Nicolas Schmit, betonte die Wichtigkeit der Veranstaltung gerade in Krisenzeiten und zeigte sich besorgt über die wachsende Ungleichheit in der EU. Um soziale Konvergenz zu erreichen benötige es wirtschaftliche Konvergenz, was jedoch nicht bedeute, dass es einen Automatismus gäbe – im Gegenteil, die EU müsse sozialpolitisch handeln. Nicolas Schmit berichtete weiterhin, dass die Europäische Kommission plane das Europäische Sozialmodell weiterhin zu stärken und im kommenden Jahr 2021 einen Gesetzesvorschlag für einen Rahmen für Mindestsicherungssysteme zu präsentieren. Hierfür gäbe es bereits Gespräche zu möglichen Instrumenten und Indikatoren, sowie eine Bestandsaufnahme in den Mitgliedsstaaten, damit nationale Gegebenheiten in einem Vorschlag für eine Rahmenrichtlinie mit passenden Indikatoren angemessen berücksichtigt werden können. Abschließend betonte er auch, dass Arbeitsmarktpolitik und damit die Debatte um einen Mindestlohn, Hand in Hand mit Sozialpolitik einhergehen muss.
Dr. Rolf Schmachtenberg, Staatssekretär im BMAS, merkte an, dass durch die noch andauernde Corona-Krise die Wechselbeziehung verschiedener Politikbereiche offensichtlich geworden sei – eine funktionierende Wirtschafts- und Finanzpolitik benötige auch eine starke Sozial- und Gesundheitspolitik, weswegen er europaweite Mindeststandards auch in bisher nationalstaatlich geregelten Bereichen für ein geeignetes Mittel halte um krisenfester zu werden. Im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft würden die Themen Mindesteinkommen und Mindestlohn im Programm stehen. Während für europäische Mindestlöhne im Oktober ein Vorschlag der Kommission erwartet wird, soll es zum Thema Mindesteinkommen voraussichtlich Ratsschlussfolgerungen geben.
Katrin Langensiepen, Mitglied des Europäischen Parlaments, gab ein leidenschaftliches Plädoyer für mehr Solidarität und soziale Gerechtigkeit auch um EU Skeptizismus zu bremsen und um besser auf zukünftige Krisen reagieren zu können. Besonders wichtig sei für sie, dass Armut nicht mehr als selbstverschuldetes Stigma angesehen werden sollte und dass Armutsbekämpfung nicht nur aus Arbeitsmarktpolitik bestehe, sondern mit einer umfangreicheren Strategie einhergehe.
Eva Maria Welskop-Deffaa hat als Vertreterin der BAGFW Mitgliederversammlung die Wichtigkeit einer starken sozialen Infrastruktur für Armutsbekämpfung im Alltag und in Krisenzeiten hervorgehoben. Schwierigkeiten in der Überzeugungsarbeit zu einem Rahmen für europäische Grundsicherungssysteme sieht Frau Welskop-Deffaa vor allem in der Begrifflichkeit, da viele Menschen sofort an ein bedingungsloses Grundeinkommen denken würden. Des Weiteren werde oft befürchtet, dass europäische Mindeststandards zu einer Absenkung des bisherigen Schutzniveaus führen könnten. Somit sehe sie die Notwendigkeit weiterhin Aufklärungsarbeit zu betreiben und bietet die Beteiligung und Unterstützung der Freien Wohlfahrtsverbände an.
I. Teil - Statements online verfügbar
II. Teil - Live-Diskussion 24. Juni 2020, 14:30 Uhr bis 15:30 Uhr