Stellungnahme der BAGFW zum Referentenentwurf einer Verordnung zum Anspruch auf Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 (Coronavirus-Impfverordnung – CoronaImpfV) vom 02.03.2021

Vorschläge zu Änderungen der Impfverordnung berücksichtigt


Zusammenfassende Bewertung

Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege bedanken sich für die Einladung zur Stellungnahme und geben diese nachfolgend gemeinsam ab.

Wir begrüßen, dass einige der von uns vorgeschlagenen Änderungen aus der letzten Impfverordnung nun in diese Impfverordnung Eingang gefunden haben, wie z.B. die Erweiterung der ambulanten Pflegedienste auf das gesamte Spektrum ambulanter Dienste.

Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege hatten sich dafür ausgesprochen, das behinderungsbedingte Infektionsrisiko als Kriterium für die Definition von Impfzielen, nach denen sich die STIKO richten muss, in den Blick zu nehmen. Dieses Kriterium ist im Rahmen des Vierten Bevölkerungsschutzgesetzes in § 20i SGB V aufgenommen worden. Die STIKO sollte daher einen Prüfauftrag erhalten, um das erhöhte Erkrankungsrisiko von Menschen mit Behinderung in den Blick zu nehmen. So weisen z.B. blinde oder taubblinde Menschen nicht aufgrund von Vorerkrankungen, sondern wegen des Umstands, dass sie auf Assistenzpersonen für ihren Lebensalltag angewiesen sind, wie z.B. bei der Begleitung oder beim Lormen, ein erhöhtes Ansteckungsrisiko auf.

In folgenden Punkten sehen wir Änderungsbedarfe:

  • Der Rechtsanspruch auf Impfungen muss grundsätzlich auch die Menschen in aufenthaltsrechtlicher Illegalität umfassen. Zu dieser Personengruppe können hochvulnerable Personen mit Vorerkrankungen zählen. Der Rechtsanspruch in § 1 ist um „tatsächlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland“ zu erweitern und es ist klarzustellen, dass die Mitteilungspflichten an die Ausländerbehörden gemäß § 87 AufenthG pandemiebedingt ausgesetzt werden müssen. Zudem ist in der Begründung klarzustellen, dass nachvollziehbar Ausreisepflichtige unter den Personenkreis der Menschen mit gewöhnlichem Aufenthaltsstatus fallen. Bei Asylsuchenden und Nichtversicherten ist zudem die Finanzierung für die Ausstellung ärztlicher Atteste für die Impfberechtigung in § 9 sicherzustellen.
  • In der Begründung zu § 2 ist klarzustellen, dass zu den Menschen, die in der höchsten Priorität berücksichtigt werden, auch Menschen mit Behinderungen, die pflegebedürftig sind und in besonderen Wohnformen leben, zählen.
  • Bezüglich der Abweichung von der Reihenfolge der Priorisierung für die zeitnahe Verwendung vorhandener Impfstoffe, ist zunächst anzumerken, dass es dringend einer Aufklärungskampagne der Bundesregierung bedarf, dass dieser Impfstoff ebenso sicher und effizient für die Individualprophylaxe ist wie die anderen zugelassenen Impfstoffe. Abgelehnt wird die Regelung, dass jedes Bundesland hierfür ohne in der Impfverordnung vorgegebene Kriterien Empfehlungen erlassen kann, aufgrund derer dann Abweichungen von der Impfverordnung erfolgen können. Maßgabe für eine Abweichung von der Verordnung sollte sein, dass bei fehlender Nachfrage der jeweiligen Prioritätengruppe der jeweils nachfolgenden Prioritätengruppe die Impfung angeboten wird.
  • Die STIKO hat in Kategorie 3 ihrer Empfehlungen positioniert, dass neben den Obdachlosenunterkünften und Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete auch die Frauenhäuser und Gemeinschaftsunterkünfte für Kinder und Jugendliche einzubeziehen sind. Die in der BAGFW zusammengeschlossenen Verbände bitten daher dringlich um Aufnahme dieser Institutionen in § 3 Absatz 2 Nummer 7 (Frauenhäuser, vergleichbare Schutzunterkünfte, Gemeinschaftseinrichtungen für Mutter/Vater und Kind nach § 19 SGB VIII sowie ambulante und stationäre Einrichtungen der Hilfe zur Erziehung). Eine Benachteiligung des Personals dieser Betreuungsformen, die Menschen rund um die Uhr betreuen gegenüber Kitas und Schulen, die mit der letzten Änderung der ImpfV in § 3 aufgenommen wurden, ist sachlich und fachlich nicht zu rechtfertigen. Bei den Einrichtungen der Obdachlosenhilfe ist klarzustellen, dass sie auch Tagestreffs, Hilfen nach § 67 sowie niedrigschwellige Angebote zur Sicherstellung der Hygiene und Versorgung umfassen.
  • Wir begrüßen, dass die ImpV nun auch mehr als eine enge Kontaktperson von zu pflegenden und zu betreuenden Menschen sowie von Menschen mit Vorerkrankungen umfasst. Da es aber auch Konstellationen gibt, bei denen mehr als zwei Kontaktpersonen im Setting der An- und Zugehörigen unterstützen, sollte die Beschränkung auf zwei Personen aufgehoben werden. In der Begründung sollte ergänzt werden, dass es sich bei den Kontaktpersonen auch um Assistenzpersonen von Menschen mit Behinderung sowie um live-in-Kräfte handeln kann.
  • Menschen mit einer geistigen Behinderung oder psychischen Erkrankung, zu denen auch Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen zählen, werden nicht nur von ambulanten Pflegediensten, sondern von ambulanten Diensten und stationären Einrichtungen der Suchthilfe und der Eingliederungshilfe betreut, dies ist entsprechend unter § 3 Absatz 1 Nummer 4 zu ergänzen.
  • In § 3 ist auch das medizinische, pflegerische und therapeutische Personal Personal von Reha- und Vorsorgeeinrichtungen gleichwertig zum Personal in Krankenhäusern und niedergelassenen Arztpraxen aufzunehmen.
  • Sehr zu begrüßen ist die Öffnungsklausel des § 6 Absatz 6, das für die Personengruppen unter den §§ 3 und 4 gilt. Das ermöglicht eine Einzelfallprüfung nicht nur für Menschen mit seltenen Erkrankungen, sondern auch für Menschen mit schwersten Behinderungen, die alle möglichen Komorbiditäten aufweisen, für die bislang überhaupt keine Möglichkeit besteht, dass der Effekt ihrer Krankheit auf den Verlauf einer Infektion mit dem Coronavirus in Studien nachgewiesen werden konnte. Die Feststellung müssen jedoch ausdrücklich auch die diese behandelnden Ärztinnen und Ärzte treffen können. Die STIKO sollte aus Sicht der Freien Wohlfahrtspflege auch den Prüfauftrag erhalten, ob Ärzte im Einzelfall, etwa bei Autoimmunerkrankungen, zu Empfehlungen für einen bestimmten Impfstoff berechtigt werden könnten. Die Begrenzung der Attestierung auf die Ärztinnen und Ärzte in den Impfzentren und in von den Ländern bestimmten Schwerpunkt-Praxen ausweislich der Begründung lehnen wir als nicht sachgerecht ab. Ebenso unverständlich ist der Umstand, dass die Impfverordnung nicht auf die Möglichkeit vorsieht, dass durch ein entsprechendes Zeugnis ebenso eine Zuordnung in die erste Impfgruppe ermöglicht wird.
  • Es ist unbedingt erforderlich, dass die Barrierefreiheit des Impfprozesses abgesichert wird. Neben einer barrierefreien Erreichbarkeit und Zugänglichkeit von Impfzentren, bedeutet dies, dass sicherzustellen ist, dass Menschen mit Behinderungen vor Ort notwendige Unterstützung erhalten. Es gilt sicherzustellen, dass die Informationen zur Impfaufklärung in barrierefreier Form bereitgestellt werden. Insbesondere ist ein barrierefreier Zugang zur telefonischen und digitalen Terminvergabe unbedingt erforderlich. Daher ist die Kassenärztliche Bundesvereinigung zu verpflichten, das Tool zur Terminvermittlung barrierefrei zu programmieren.

 

Die vollständige Stellungnahme befindet sich im Download.