Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union, und innerhalb dieser insbesondere die zweite Säule mit dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER), leistet nicht nur eine wichtige Unterstützung für die Landwirtschaft, sondern investiert auch in die Entwicklung der ländlichen Räume und fördert gleichwertige Lebensverhältnisse. Dadurch trägt die zweite Säule der GAP zu sozialer Gerechtigkeit und dem Zusammenhalt zwischen Stadt und Land, aber auch innerhalb der Europäischen Union bei. Die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) zusammengeschlossenen Verbände[1] teilen diese wichtige Zielsetzung und unterstützen mit ihrem Engagement und ihren Projekten deren Umsetzung in zahlreichen ländlichen Gebieten in Deutschland. Gemeinnützige Träger und Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege sind essenzieller Bestandteil der sozialen und gesundheitlichen Infrastruktur. Oftmals sind die gemeinnützig arbeitenden und traditionell auch in der Fläche fest verankerten Verbände in ländlichen Räumen die einzigen Akteure, die Basisdienstleistungen wie Kinderbetreuung, bildungsbegleitende Angebote, aber auch Gesundheits- und Pflegedienstleistungen anbieten. Als zivilgesellschaftliche Akteure sind die Verbände zudem wichtige Ankerpunkte für Engagement und die Aktivierung von Ehrenamt.
Für die Förderperiode 2021 - 2027 wird Deutschland voraussichtlich rund 43,8 Mrd. Euro aus der Gemeinsamen Agrarpolitik erhalten, wovon 8,6 Mrd. Euro im Rahmen der zweiten Säule der GAP ausgegeben werden sollen. Die EU sieht hinsichtlich der Ergebnisorientierung ihrer Förderung u.a. die Anzahl der Personen, die von Vorhaben zur sozialen Inklusion profitieren, sowie den Anteil der ländlichen Bevölkerung, der von Vorhaben für Basisdienstleistungen profitiert, als Ergebnisindikatoren vor. Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege werden daher auch in der Förderperiode 2021 - 2027 ein wichtiger Partner bei der erfolgreichen Umsetzung der zweiten Säule der GAP und der Entwicklung ländlicher Räume sein. Im Rahmen des für die Strukturfonds festgeschriebenen Partnerschaftsprinzips begleiten die Verbände alle Phasen des Förderzyklus eng. Gerne bieten wir eine entsprechende Kooperation und die Bereitstellung unserer Expertise auch für die Planung, Umsetzung und Evaluierung des ELER an.
Mit den folgenden Anregungen möchte sich die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in die Diskussion zur Ausgestaltung der zweiten Säule der GAP einbringen. Im Folgenden sind Vorschläge und Hinweise dargestellt, die für die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege von besonderer Relevanz sind.
1. Aus Sicht der Freien Wohlfahrtspflege sollte ein Schwerpunkt innerhalb der GAP-Strategiepläne auf soziale Daseinsvorsorge, soziale Inklusion, Basisdienstleistungen, Dorferneuerung und die Entwicklung ländlicher Gebiete mit Blick auf gleichwertige Lebensverhältnisse gesetzt werden. In den Verhandlungen auf europäischer Ebene sollte sich die Bundesregierung zusätzlich dafür einsetzen, dass in Artikel 6, 1 (h) der spezifischen Ziele der Verordnung zu den GAP-Strategieplänen zur „Förderung von Beschäftigung, Wachstum, sozialer Inklusion sowie der lokalen Entwicklung in ländlichen Gebieten, einschließlich Biowirtschaft und nachhaltige Forstwirtschaft“ diese gesellschaftlich wie wirtschaftlich relevanten Bereiche gestärkt werden. Die BAGFW unterstützt hier den Formulierungsvorschlag des EU-Parlamentes zu Artikel 6, 1 (h)[2].
2. Angesichts der Wandlungsprozesse in den strukturschwachen ländlichen Regionen sowie der durch die Covid-19-Pandemie nochmals verschärften sozialen Herausforderungen ist es dringend geboten, schnell, zielgerichtet und auf lokale Gegebenheiten abgestimmte Maßnahmen ergreifen zu können, die eine nachhaltige, krisenfeste Entwicklung der ländlichen Gebiete ermöglichen. Hierfür ist eine starke und verlässliche finanzielle Ausstattung der zweiten Säule der gemeinsamen Agrarpolitik unerlässlich. Eine Verschiebung von Mitteln aus dem – ohnehin schon von Kürzungen betroffenen – ELER zugunsten der ersten Säule birgt die große Gefahr, erfolgreichen Initiativen vor Ort die finanzielle Grundlage zu entziehen und so die Resilienz und Weiterentwicklung dieser Gebiete zu schwächen. Die BAGFW unterstützt daher den Beschluss der Agrarministerkonferenz vom März 2021[3], Umschichtungen von der ersten in die zweite Säule vorzunehmen. Diese Umschichtungen sollten auch nach 2026 fortgeführt und beispielsweise zum Zweck verstärkter Investitionen in Basisdienstleistungen, soziale Innovationen oder Maßnahmen zum Umwelt- und Klimaschutz genutzt werden.
3. Durch das Instrument LEADER können sich regionale Akteure miteinander vernetzen, ihre Region aktiv gestalten und Förderungen passgenau an ihren Bedarf anpassen. Die Freie Wohlfahrtspflege schätzt LEADER vor allem als wichtiges Instrument regionaler Entwicklung und lokaler Politikgestaltung. In den lokalen Aktionsgruppen (LAG) sollte auf eine ausgewogene Besetzung geachtet werden, und zivilgesellschaftliche Akteure und Wohlfahrtsverbände aktiv zu einer Teilnahme aufgefordert werden. Gleichzeitig darf LEADER nicht der einzige Ansatz zur Förderung sozialer Inklusion im ELER sein. Aus Sicht der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege sind die Ergebnisindikatoren „Anzahl der Personen, die von Vorhaben zur sozialen Inklusion profitiert“ und „Anteil der ländlichen Bevölkerung, der von Vorhaben für Basisdienstleistungen profitiert“ von der gesamten zweiten Säule der GAP zu bedienen und entsprechende Projekte zur sozialen Inklusion und für Basisdienstleistungen auch über weitere ELER-Förderrichtlinien umzusetzen.
4. Die Freie Wohlfahrtspflege sieht weiterhin den Bedarf eines Bürokratieabbaus und einer administrativen Vereinfachung im ELER sowie in den Strukturfonds. Gerade kleinere Träger sind mit dem hohen administrativen Aufwand der EU-Förderung überfordert und steigen aus der Umsetzung dieser wichtigen Programme aus. Daher bekräftigt die Freie Wohlfahrtspflege ihre Forderung nach der Nutzung vereinfachter Kostenoptionen wie Pauschalfinanzierungen oder Standardeinheitskosten. Auf eine personenbezogene Datenerfassung sollte verzichtet werden, klare Zuständigkeiten bei Prüfungen festgelegt und einfach zu bedienender IT-Systeme sichergestellt werden. Bei einer LEADER-Förderung muss sichergestellt werden, dass projektbezogene Spenden als Eigenmittel zur Ko-Finanzierung anerkannt werden.
5. Die Arbeit der Wohlfahrtsverbände ist ein wesentlicher Bestandteil der Daseinsvorsorge im ländlichen Raum, auch und gerade, wenn sie von überregionalen Wohlfahrtsstrukturen geleistet wird. Gemeinnützige Akteure wie die Freie Wohlfahrtspflege werden häufig dort tätig, wo es für KMU nicht hinreichend wirtschaftlich attraktiv ist. Bei der Umsetzung des ELER sollte darauf geachtet werden, dass eine Förderfähigkeit der Arbeit von Wohlfahrtsverbänden nicht von der Größe oder ihrer Qualifizierung als KMU abhängig gemacht wird. Dies gilt insbesondere dort, wo die ELER-Förderung mit der Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe Agrar- und Küstenschutz (GAK) oder bundeslandspezifischen Richtlinien zur Förderung der integrierten ländlichen Entwicklung zur zusätzlichen Ko-Finanzierung gekoppelt ist. Die ZILE-Richtlinie aus Niedersachsen kann hierfür als Maßstab dienen: „Antragsberechtigt sind Gemeinden und Gemeindeverbände sowie gemeinnützige juristische Personen. Dazu gehören auch gemeinnützige Großunternehmen, die nicht die KMU-Definition nach Anhang I AGVO erfüllen, sofern sie soziale Dienstleistungen erbringen (z. B. Caritas, Arbeiterwohlfahrt, Deutsches Jugendherbergswerk usw.) […]“
6. Die Freie Wohlfahrtspflege unterstützt ausdrücklich die Einführung regionaler Unterkapitel im GAP-Strategieplan Deutschlands und die Beibehaltung und Stärkung regionaler Unterausschüsse des Bundesbegleitausschusses. Die Kompetenzen bei der Umsetzung des ELER sollten vorrangig bei den Ländern und den 13 ELER-Regionen verbleiben.
Aufgrund ihrer Verankerung in ländlichen Räumen und ihrer Expertise im ELER sind die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege ein wertvoller Partner in der Umsetzung der Fördermaßnahmen. Die oben genannten Hinweise können dabei helfen, den ELER für soziale Träger attraktiv zu machen und eine sozial gestaltete regionale Entwicklung im ländlichen Raum zu unterstützen. Wir freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit.
[1] Arbeiterwohlfahrt, Deutscher Caritasverband, der Paritätische Gesamtverband, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonie Deutschland – Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung, Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland
[2] Formulierungsvorschlag des EU-Parlamentes zu Artikel 6, 1 (h): „ Förderung des sozialen und territorialen Zusammenhalts in ländlichen Gebieten, unter anderem im Wege der Schaffung von Arbeitsplätzen, Wachstum, Investitionen, sozialer Inklusion und Bekämpfung von Armut im ländlichen Raum, sowie durch lokale Entwicklung, einschließlich hochwertiger lokaler Dienste für ländliche Gemeinschaften, mit besonderem Augenmerk auf Gebieten mit naturbedingten Benachteiligungen; Förderung angemessener Lebens-, Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen; Diversifizierung von Tätigkeiten und Einkommen wie etwa Agrotourismus, nachhaltige Biowirtschaft, Kreislaufwirtschaft, nachhaltige Bewirtschaftung und Schutz von Wäldern bei gleichzeitiger Gewährleistung der Geschlechtergleichstellung; Förderung der Chancengleichheit in ländlichen Gebieten durch spezifische Unterstützungsmaßnahmen und Anerkennung der Arbeit von Frauen in Landwirtschaft, Handwerk, Tourismus und lokalen Diensten;“
[3] Siehe Beschluss der Agrarministerkonferenz am 25. Und 26 März 2021: https://mlr.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-mlr/intern/dateien/PDFs/L%C3%A4ndlicher_Raum/2021_03_26_amk-beschluss.pdf