Die BAGFW bedankt sich für die Möglichkeit, zu dem Gesetzentwurf und zu den Anträgen Stellung nehmen zu können.
Vorbemerkung:
Der Gesundheitsausschuss hat das Anhörungsverfahren eingeleitet. Vorgesehene Änderungen betreffen u. a. die Abschaffung der Benachteiligung von privat versicherten Bezieherinnen und Beziehern von Arbeitslosengeld II, die Abschaffung von Zusatzbeiträgen für Bezieher und Bezieherinnen von Arbeitslosengeld II , den Versicherungsschutz von Solo-Selbstständigen sowie die paritätische Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung. In den Anträgen werden die besonderen Bedarfe von sozial benachteiligten Menschen berücksichtigt. Die BAGFW begrüßt dies ausdrücklich und möchte in Ihre Beratungen einige Gesichtspunkte einbringen, die sich aus der Arbeit der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege ergeben.
Im Einzelnen nehmen wir zu Schwerpunkten wie folgt Stellung:
1. Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der Benachteiligung von privat versicherten Bezieherinnen und Beziehern von Arbeitslosengeld II
Gesetzentwurf BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN (Bundestagsdrucksache 17/548:
Abschaffung der Benachteiligung von privat Versicherten ALG II Beziehern
Der Gesetzentwurf 17/548 sieht vor, im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens durch eine geeignete Regelung sicherzustellen, dass Hilfebedürftige nach dem SGB XII im Hinblick auf ihren Krankenversicherungsschutz keine Finanzierungslücken zur Begleichung ihrer Beitragspflichten hinnehmen müssen .
Die BAGFW, die im Gemeinsamen Monitoring der Bundesregierung mit den Wohlfahrtsverbänden wiederholt auf dieses Problem hingewiesen hat, ergreift daher gerne die Gelegenheit zur Stellungnahme und Unterbreitung nachstehenden Lösungsvorschlags:
Bewertung:
Bis zum 01.01.2009 waren Bezieher von Arbeitslosengeld II grundsätzlich versicherungspflichtig in der GKV. Die Neuregelung ab 1.1.2009 zielt darauf, die Versicherungskreise von GKV und PKV strikt zu trennen und dafür Sorge zu tragen, dass privat krankenversicherte Personen auch bei geringem Einkommen in der PKV verbleiben können und müssen.
In der PKV können diese Versicherten in den sogenannten Basistarif wechseln und ihre Beiträge werden auf die Hälfte der maximalen Beitragshöhe begrenzt, so dass diese sich im Basistarif für maximal Euro 290,62/Monat versichern können. Hinzu kommt die Prämie für die Pflegeversicherung von max. 35 Euro. Die ALG II Träger dürfen maximal den Höchstbetrag für gesetzlich Versicherte übernehmen, der insgesamt ca. 145 Euro pro Monat beträgt. Der dadurch entstehende Fehlbetrag kann von den Betroffenen nicht geleistet werden, da diese Deckungslücke die Leistungsberechtigten unter das Existenzminimum treibt. Zwar werden die Leistungen für Versicherte im Basistarif trotz Zahlungsverzug voll gewährt, allerdings wird der Versicherungsschutz reduziert, sobald die Versicherten nicht mehr hilfebedürftig sind, so dass der Versicherungsschutz dann nur noch auf eine Notversorgung beschränkt ist. Diese Regelung führt bei den Betroffenen entweder zu einer dauerhaften Unterversorgung (Beitragszahlung aus Regelsätzen) oder zu einer Verschuldung bei der Krankenversicherung.
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Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege begrüßt daher eine gesetzliche Regelung, die einen individuellen Leistungsanspruch auf Übernahme der Kosten einer Pflichtversicherung gewährleistet. Die BAGFW spricht sich für eine Absenkung des Basistarifes der PKV aus, so dass dieser dem GKV-Beitrag für ALG II Bezieher/innen entspricht und durch den Zuschuss des SGB II-Leistungsträgers vollständig abgedeckt wird. Damit wird der bereits jetzt identische Leistungsanspruch auch seitens der Mindestbeiträge gleichgestellt.
Sollte diese Regelung nicht durchsetzbar sein, sieht die BAGFW eine Alternativlösung darin, die Beiträge über den Leistungsträger nach dem SGB II zu finanzieren.
2. Keine Zusatzbeiträge für Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld II
Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN (Bundestagsdrucksache 17/674): Zusatzbeiträge für SGB II-Empfänger in der GKV
Der Antrag sieht die Abschaffung der Zusatzbeiträge vor. Mit Einführung der Gesundheitsreform 2007 haben die Krankenkassen die Möglichkeit, gem. § 242 SGB V Zusatzbeiträge zu erheben. Die Höhe ist auf max. 1 % der beitrasgpflichtigen Einnahmen des Mitglieds begrenzt, allerdings gilt diese Begrenzung erst ab einem Zusatzbeitrag von über 8 Euro. Damit kann der Versicherte nicht einwenden, dass 1% seines Einkommens einen Betrag von weniger als 8 Euro ausmachen würde. Bezieher von ALG II haben den Zusatzbeitrag generell selbst zu tragen. In Härtefällen kann der Zusatzbeitrag gem.§ 26 Abs.4 SGB II übernommen werden. Voraussetzung ist, dass der Wechsel zu einer Krankenkasse, die keine Zusatzbeiträge erhebt, eine besondere Härte darstellt.
Bewertung:
ALG II-Empfänger müssen diese Mehrbelastung aus der Regelfinanzierung leisten. Die Zusatzbeiträge, die gegenwärtig von einigen Kassen erhoben werden, sind in der Regelsatzberechnung nicht enthalten. Es ist nicht vorgesehen, dass die Beiträge zur Krankenversicherung aus der Regelleistung gezahlt werden müssen.
Da die Beträge monatlich anfallen, droht eine dauerhafte Unterdeckung des Existenzminimums. Solange nicht alle Kassen Zusatzbeiträge erheben, müssen SGB II-Empfänger die Kasse wechseln. Diese Regelung berücksichtigt nicht, dass allein die mit einem Wechsel der Krankenkasse verbundenen Formalitäten für viele Menschen, die im Umgang mit Ämtern ungeübt sind, eine Überforderung darstellt. Zudem wird der „Effekt“ häufig nur von geringer Dauer sein, da auf absehbare Zeit alle Krankenkassen einen Zusatzbeitrag erheben werden. Außerdem wird die Wahlfreiheit der SGB II-Empfänger eingeschränkt und damit der Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt.
Die BAGFW sieht folgenden Lösungsansatz: Der Zusatzbeitrag für SGB II-Empfänger wird in gleicher Weise wie der GKV-Zuschuss der BA auf einen Einheitsbeitrag begrenzt und durch den Bund übernommen. Wenn alle Kassen den Zusatzbeitrag erheben, soll die Regelleistung um diesen Betrag erhöht werden.
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Die BAGFW begrüßt daher die Forderung nach einem Gesetzentwurf, der die Übernahme der Zusatzbeiträge für Bezieher/Innen von ALG II durch den Bund vorsieht.
3. Paritätische Finanzierung in der gesetzlichen Krankenkasse wieder herstellen
Antrag der Fraktion der SPD (Bundestagsdrucksache 17/879):
Wiederherstellung der paritätischen Finanzierung in der GKV
Der Antrag sieht die Forderung nach einem Gesetzentwurf vor, der durch gesetzliche Regelungen daraufhin wirkt, dass alle kurzfristig zu erschließenden Effizienz- und Wirtschaftlichkeitsreserven erschlossen werden, die Einführung eines Finanzausgleichs zwischen der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung und damit die Streichung der individuellen Zusatzbeiträge erfolgt, sowie die Rückkehr zu paritätisch finanzierten Beitragssätzen.
Bewertung:
Bereits nach aktueller Rechtslage können, allein von den Arbeitnehmern getragene, Zusatzbeiträge erhoben werden. Gegenwärtig sind diese jedoch auf die Höhe von maximal Ein-Prozent der beitragsfähigen Bruttoeinnahmen der Arbeitnehmer begrenzt.
In der künftigen Deckung des Finanzbedarfs der Krankenkassen durch Zusatzbeiträge, die allein vom Arbeitnehmer zu entrichten sind, sieht die BAGFW den Grundsatz der paritätischen Beitragsentrichtung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu Lasten der Arbeitnehmer verschoben. Die paritätische Finanzierung ist- neben der Solidarität- ein entscheidendes Element der gesetzlichen Krankenversicherung. Dies abzuschaffen, bedeutet die Arbeitgeber aus ihrer Mitverantwortung für die Arbeitnehmer zu entlassen und die Versicherten müssen dann alleine für Kostensteigerungen im Gesundheitswesen aufkommen.
Die Ankündigung der Krankenkassen, Zusatzbeiträge pauschal auszugestalten, bedeutet eine Schwächung des sozialen Zusammenhaltes; durch eine pauschale Beitragserhebung wird die Solidarität innerhalb der Versichertengemeinschaft aufgehoben und Geringverdiener würden gegenüber Besserverdienenden überdurchschnittlich belastet. Es muss hier darauf geachtet werden, dass dem Kriterium der Solidarität und des sozialen Ausgleichs hinreichend Rechnung getragen wird.
Die BAGFW hält an der paritätischen und solidarischen Finanzierung der GKV fest. Sie sieht Reformbedarf bei der Verbreiterung der Einnahmenbasis der GKV. Es ist nach Auffassung der BAGFW kritisch zu prüfen, inwiefern dies über Steuermittel zu verwirklichen ist, wie von der Regierungskoalition verschiedentlich erklärt. Dabei sind die Verteilungswirkung und die Verlässlichkeit der Finanzierung wichtige Kriterien.
Dem bisherigen Zusatzbeitrag steht die BAGFW kritisch gegenüber, weil dadurch Haushalte mit niedrigem Einkommen finanziell überlastet werden. Insbesondere wendet sich die BAGFW dagegen, die Beschränkungen des Zusatzbeitrags (auf 1 Prozent des Bruttoeinkommens) und der Zuzahlungen (auf 1-2 Prozent des Bruttoeinkommens) aufzuheben.
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Die BAGFW lehnt die Zusatzbeiträge ab und wendet sich insbesondere gegen jede zusätzliche Belastung der Versicherten durch Überschreitung der ein Prozent Deckelung. Zudem hält die BAGFW an der paritätischen und soli-darischen Finanzierung der GKV fest.
4. Gesetzliche Krankenversicherung für Solo-Selbstständige bezahlbar gestalten
Antrag der Fraktion DIE LINKE (Bundestagsdrucksache 17/777):
Gesetzliche Krankenversicherung für Solo-Selbstständige bezahlbar gestalten.
Der Antrag stellt die Forderung an die Bundesregierung, eine sachgerechte Definition für Solo-Selbstständige zu erarbeiten, Maßnahmen zu ergreifen, die eine finanzielle Überforderung von Solo-Selbstständigen ausschließen und dazu die Mindest-beitragsbemesungsgrundlage für Selbstständige auf die allgemeine Mindestbeitragsbemessungsgrundlage freiwillig Versicherter abzusenken. Außerdem sieht der Antrag die Prüfung der Regelungen für Beitragsstundung, zum Erlass von Beiträgen und zur Ratenzahlung vor im Hinblick darauf, ob diese Maßnahmen ausreichen, damit alle Menschen einen vollwertigen Krankenversicherungsschutz erhalten.
Bewertung:
Ein veränderter Arbeitsmarkt und veränderte familiäre Lebensformen erfordern Strategien, um einen allgemeinen Krankenversicherungsschutz zu erreichen.
Für das soziale Sicherungssystem in Deutschland ist die kontinuierliche sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit der Regelfall zur Absicherung des schutzbedürftigen Teils der Bevölkerung. Angesichts der strukturellen Arbeitslosigkeit, veränderter Beschäftigungsverhältnisse und neuer Formen selbstständiger Tätigkeit gibt es immer mehr Ausnahmen von dieser Regel.
Seit 1.4.07 bzw. 1.1.09 sind alle in Deutschland lebenden Menschen pflichtversichert in einer Krankenkasse und damit beitragspflichtig. Manche Menschen wissen dies nicht und werden dann beim ersten Kontakt mit der Krankenkasse (häufig aufgrund eines beginnenden Leistungsbezugs nach SGB II) mit Nachforderungen konfrontiert, die sich im hohen drei- oder gar vierstelligen Bereich bewegen. Über § 186 Abs. 11 Satz 4 SGB V ist sichergestellt, dass die Krankenkassen in ihren Satzungen für solche Härtefälle die Möglichkeit vorsehen, von den Nachforderungen abzusehen bzw. diese zumindest zu stunden oder zu mindern. Aus der Praxis erfahren die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege, dass insbesondere Wohnungs- bzw. Obdachlose immer noch mit Nachforderungen belastet werden. Die Eintreibung dieser Kosten ist in diesen Fällen regelmäßig aussichtslos. Dennoch machen die Kassen keinen Gebrauch von der im Gesetz explizit erwähnten Möglichkeit.
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Die BAGFW fordert daher, in einem erneuten Schreiben des Bundesministers an die Kassen, diese auf die Möglichkeit des Erlasses hinzuweisen.
Auch wenn rückständige Beiträge noch offen sind, endet das Ruhen des Anspruchs auf Versicherungsleistungen, sobald Versicherte hilfebedürftig nach dem SGB II oder SGB XII werden, § 16 Abs. 3a Satz 2, 2. Halbsatz SGB V bzw. § 193 Abs. 6 Satz 5 VVG. Entgegen dieser eindeutigen gesetzlichen Vorgabe melden Einrichtungen und Beratungsstellen, dass manche Krankenkassen nur den eingeschränkten Versicherungsschutz gewähren oder gar Leistungen vollständig versagen, solange die Beitragsrückstände nicht beglichen sind.
Die BAGFW ist der Auffassung, dass es für die betroffenen Leistungsbezieher eine übermäßige Belastung darstellt, sich in diesen Fällen außergerichtlich oder gar auf dem Rechtsweg gegen das Vorgehen der Kassen wehren zu müssen. Ein erneuter Hinweis seitens des Ministers könnte hier vermutlich Abhilfe schaffen. Letztlich sind diese Fälle der Versicherungsaufsicht zu melden. Dieses rechtswidrige Vorgehen der Kassen darf nicht auf dem Rücken der schwächsten Glieder der Kette - den Versicherten - ausgetragen werden.
Selbstständige werden in der GKV als freiwillig Versicherte geführt. Die Festsetzung ihres Beitrages erfolgt gem. § 242 SGB V gemäß des gesetzlich festgelegten Mindesteinkommens für Selbstständige, allerdings haben Solo-Selbstständige oftmals geringere Einkommen als den gesetzlich festgesetzten Betrag. Der für gesetzlich Versicherte geltende einheitliche Beitragssatz von 14,9 % des Einkommens wird daher in den Fällen überschritten, in denen das Einkommen besonders niedrig ist, dies gilt insbesondere bei Solo-Selbstständigen. Dies kann von den Betroffenen nicht geleistet werden.
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Die BAGFW sieht daher Reformbedarf bezüglich der Beitragssätze für Solo-Selbstständige.
Es ist zu prüfen, inwiefern dies für Solo-Selbstständige über die Absenkung der Mindestbeitragsbemessungsgrenze für Selbstständige auf die allgemeine Mindestbeitragsbemessungsgrenze für freiwillig Versicherte zu verwirklichen ist.