Der vorliegende Referentenentwurf des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend dient der Weiterentwicklung der gesetzlichen Regelungen des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes. Im Wesentlichen soll eine einheitliche Mindestbezugszeit, eine Flexibilisierung der Antragsmöglichkeiten und ein eigenständiger Elternzeitanspruch von Großeltern zur Unterstützung von minderjährigen bzw. sich in Schulausbildung befindlichen Eltern erreicht werden.
Zusammenfassende Bewertung:
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) unterstützt grundsätzlich das Anliegen des Gesetzentwurfs, mit den hier vorgeschlagenen Modifikationen des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes den Schwächen, die sich in der praktischen Umsetzung gezeigt haben, zeitnah abzuhelfen.
Allerdings bewirken die hier vorgeschlagenen Modifikationen noch keine substantiellen Verbesserungen des Elterngeldbezuges und der Elternzeit. So fordert die BAGFW, dass der Geschwisterbonus beim Elterngeld – jedenfalls der Mindestbetrag – wie auch der Erhöhungsbetrag bei Mehrlingsgeburten auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende und der Sozialhilfe anrechnungsfrei bleiben muss.
Die BAGFW erwartet, dass nach Vorliegen des Evaluationsberichtes zum Elterngeld mit den Trägern der Freien Wohlfahrtspflege über notwendige Korrekturen bei der Gestaltung des Elterngeldes und der Elternzeit nachgedacht wird.
Im Einzelnen nehmen wir zu folgenden Punkten Stellung:
1. Einführung einer einheitlichen Mindestbezugszeit (§ 4 Abs. 3 BEEG)
Um die gleichstellungspolitischen Ziele des Elterngeldes zu unterstützen, soll die bisherige Möglichkeit, dass ein Elternteil auch kürzer als zwei Monate Elternzeit und Elterngeld in Anspruch nimmt, ausgeschlossen werden.
Bewertung: Die BAGFW unterstützt eine einheitliche Mindestbezugszeit von zwei Monaten, um Eltern auch gegen Erwartungen von Arbeitgebern, die Arbeit früher wieder aufzunehmen, in Schutz zu nehmen und die Bindung des Kindes zu beiden Elternteilen zu unterstützen.
2. Anpassung des Antrags auf Elterngeld bei Änderungen der beruflichen und persönlichen Situation der Eltern (§ 7 Abs. 2 BEEG)
Bislang können gem. § 5 Abs. 1 BEEG die Eltern ihre Entscheidung, wer wie lange Elterngeld bezieht, nur einmal und auch dann nur bei Vorliegen besonderer Härtefälle, insbesondere bei Eintritt einer schweren Krankheit, Schwerbehinderung oder Tod eines Elternteils oder Kindes sowie bei gefährdeter wirtschaftlicher Existenz, modifizieren. Zukünftig soll die Anpassung des Antrags auf Elterngeld einmal ohne Angabe von Gründen und zusätzlich einmalig bei besonderen Härten möglich sein.
Bewertung: Die BAGFW unterstützt diese Flexibilisierung ausdrücklich. Sie regt darüber hinaus an, die Härtefallklausel grundsätzlich zu öffnen und weitere Antragsänderungen nicht nur in einem einzigen, sondern in jedem weiteren Härtefall zuzulassen. Sollten im Einzelfall tatsächlich mehrere derartige Härten aufeinander folgen, sollte eine dem Einzelfall gerecht werdende Anpassung des Elterngeldbezuges immer Vorzug vor den Interessen eines effektiven Verwaltungsvollzugs eingeräumt werden.
Vorschlag: § 7 Abs. 2 Satz 4 wird wie folgt modifiziert:
„… Der Antrag kann bis zum Ende des Bezugszeitraums einmal geändert werden. Weitere Änderungen sind in Fällen besonderer Härten, … , möglich.“
3. Unterstützung von Eltern durch die Großeltern (§ 15 Abs. 1a BEEG)
Ansprüche auf Elternzeit sollen künftig auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben, wenn sie mit ihrem Enkelkind im Haushalt leben und ein Großelternteil dieses Kind selber betreut und erzieht. Dazu muss ein Elternteil des Kindes minderjährig oder bis zum 21. Lebensjahr Schüler/in einer allgemeinbildenden oder beruflichen Schule sein. Mit dem Anspruch auf Elternzeit verknüpft sich kein eigener Anspruch auf Elterngeld.
Bewertung: Die BAGFW begrüßt die Erweiterung der beruflichen Freistellung für Großeltern. Bereits jetzt tragen die Eltern von jugendlichen oder jungen volljährigen Eltern häufig einen erheblichen Anteil an der Erziehung und Betreuung ihrer Enkelkinder mit, um ihre Kinder zu entlasten und ihnen den eigenen Schul- oder Ausbildungsabschluss zu ermöglichen. Mit der Ausdehnung des Elternzeit-Anspruchs auf die Eltern minderjähriger oder sehr junger Eltern sichert der Gesetzgeber diese Großeltern nunmehr jedenfalls auch arbeitsrechtlich ab und ermöglicht ihnen die Rückkehr an ihren früheren Arbeitsplatz.
Diese zusätzliche Freistellungsmöglichkeit für Großeltern kann eine Hilfe sein, wenn die familiären Beziehungen stabil sind und zu vermuten oder mit fachlicher Begleitung zu erreichen ist, dass – trotz der Betreuung des Enkelkindes durch die Großeltern – die Rollen klar bleiben und die jungen Eltern in der Übernahme der allmählichen Elternverantwortung gestärkt werden. Allerdings ergeben sich nach unseren Erfahrungen in der Beratungspraxis folgende Bedenken bzw. ungelöste Fragen bzgl. der Neuregelung:
a. konfliktbehaftete Beziehungen zwischen Großeltern und Eltern
Aus der Beratungspraxis geben wir zu bedenken, dass insbesondere in Familien, in denen die Beziehungen zwischen den Eltern und den Teenagern schon längere Zeit problematisch waren,
- die Gefahr besteht, dass die Bindung zwischen den Großeltern und dem Enkelkind sehr eng wird, wenn die Großeltern die Elternzeit beanspruchen; die minderjährigen Eltern könnten sich dadurch aus der Elternverantwortung gedrängt fühlen oder sich selbst daraus zurückziehen;
- das Risiko gegeben ist, dass die jungen Eltern in eine verstärkte Abhängigkeit zu ihren eigenen Eltern geraten und die in dieser Lebensphase anstehenden Ablösungsprozesse erschwert werden;
- nicht selten insbesondere für junge Eltern belastende Konkurrenzverhältnisse entstehen, z. B. mit dem eigenen Kind z. B. um die Gunst der ‚Oma’ (d. h. junge Mütter erhoffen sich oft die Zuwendung, die auf das Enkelkind übergeht) oder z. B. hinsichtlich der Frage, ob die junge Mutter selbst oder die Großmutter die ‚bessere’ Mutter ist;
- die Gefahr besteht, dass Väter aus ihrer Verantwortung für das Kind verdrängt werden, wenn die Eltern der jungen Mutter die Betreuung und Erziehung übernehmen.
Sobald die Eltern volljährig sind, steht ihnen das Sorgerecht für ihr Kind vollumfänglich zu. In diesem Fall bedarf die Inanspruchnahme der Elternzeit durch die Großeltern der Zustimmung jedes sorgeberechtigten Elternteils (§ 1626a BGB). Daneben steht auch minderjährigen Eltern ein allerdings gem. § 1673 Abs. 2 BGB eingeschränktes Personensorgerecht zu. Auch ihnen sollte das Gesetz bei der Inanspruchnahme von Elternzeit durch die Großeltern ein Zustimmungsrecht einräumen (§§ 1673 Abs. 2 i. V. m. 1627 Satz 2 BGB).
Vorschlag: § 15 Abs. 1 a wird wie folgt modifiziert:
„Anspruch auf Elternzeit haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch, wenn sie … eine allgemeinbildende oder berufliche Schule besucht und jeder personensorgeberechtigte Elternteil der Inanspruchnahme von Elternzeit zustimmt.“
b. Verhältnis zur Jugendhilfe
Fraglich ist, ob mit der Elternzeit der Großeltern der Kern des Problems, dem minderjährige oder junge erwachsene Eltern gegenüberstehen, zu lösen ist. Unzweifelhaft haben minderjährige und junge volljährige Eltern einen erhöhten Unterstützungsbedarf. Sie benötigen ein gut ausgebautes Unterstützungssystem (betreute Wohnformen, Kindertagesbetreuung, Unterstützung bei der Erziehung, Unterstützung zur Weiterführung der Schulausbildung bzw. bei der Aufnahme einer Berufsausbildung in Teilzeit usw.). Unabhängig von Unterstützungsleistungen der Großeltern müssen Eltern auf diese Hilfen vertrauen können. Die Inanspruchnahme von Elternzeit durch die Großeltern muss eine von diesen frei gewählte Option bleiben. Sie darf nicht dazu führen, dass Träger der Jugendhilfe Leistungen der Tagespflege oder andere Jugendhilfeleistungen mit dem Hinweis auf die Möglichkeit der Betreuung des Kindes durch die Großeltern verweigern. Dies kann durch eine Ergänzung der Begründung im Gesetzentwurf festgehalten werden.
c. Beschränkung auf Eltern bis zum 21. Lebensjahr unzureichend
Die Elternzeit der Großeltern lässt der Entwurf grundsätzlich nur solange zu, wie das Kind minderjährig ist oder bis es das 21. Lebensjahr vollendet hat, wenn es bis zu diesem Zeitpunkt noch in einer schulischen Ausbildung steht.
Der Hinweis in der Gesetzesbegründung, dass „bis auf sehr wenige Ausnahmefälle“ die Schulausbildung bis zum 21. Lebensjahr nicht abgeschlossen sein wird, sollte den Gesetzgeber ermutigen, hier den Interessen der Familien Vorfahrt vor den Interessen der Arbeitgeber einzuräumen und auf das Abstellen auf das Alter verzichten.
Zudem ist nicht allein der Schulabschluss, sondern auch der Abschluss einer Berufsausbildung für die wirtschaftliche Zukunft junger Eltern und ihrer Kinder von erheblicher Bedeutung. Wie Untersuchungen zeigen, erreicht ein hoher Anteil junger Mütter zwar noch den Hauptschulabschluss; sie erfahren dann aber keine weitere berufliche Qualifikation. Wenn hier die Elternzeit der Großeltern im Einzelfall eine Hilfe ist, sollte der Anspruch aus § 15 Abs. 1a auch gelten, solange sich die jungen Eltern in der Berufsausbildung befinden.
Vorschlag: § 15 Abs. 1 a Nr. 2 soll wie folgt modifiziert werden:
„ein Elternteil des Kindes eine allgemeinbildende oder berufliche Schule besucht.“
d. Armutsrisiko bei der Inanspruchnahme der Elternzeit der Großeltern
Der Anspruch auf Elternzeit durch die Großeltern korrespondiert nicht mit einem eigenständigen Elterngeldanspruch. Aus diesem Grunde ergibt sich für die Familien, in denen die Großeltern Elternzeit in Anspruch nehmen, ein nicht zu unterschätzendes finanzielles Risiko: Die Inanspruchnahme von Elternzeit setzt zwingend eine vorübergehende Reduzierung oder gar den Wegfall der Erwerbstätigkeit und damit auch des Einkommens voraus. Zugleich steht der elterngeldberechtigte Elternteil des betreuten Kindes in der Regel noch in der Schulausbildung und verdiente vor der Geburt des Kindes noch kein Geld. Von daher wird die Familie nur den in § 2 Abs. 5 BEEG gesetzlich zugesprochenen Minimalbetrag in Höhe von 300 Euro erhalten.
Sofern nicht also ein anderer Familienangehöriger über ein hinreichendes Einkommen verfügt und die Einkommensreduzierung infolge der Elternzeit überbrücken kann, besteht die erhebliche Gefahr, dass die Familie durch die Inanspruchnahme der Elternzeit die Grenze des Existenzminimums unterschreitet.
Vorschlag: Da der Gesetzgeber nicht beabsichtigt, berufstätigen Großeltern, die zugunsten ihres Enkelkindes und einer Ausbildung ihres Kindes vorübergehend auf ihr bisheriges Erwerbseinkommen verzichten, die gleiche finanzielle Absicherung zukommen zu lassen wie leiblichen Eltern, wäre zumindest sicherzustellen, dass die Großeltern während der Elternzeit sozialversicherungsrechtlich entsprechend abgesichert sind.
Dies gilt zum einen für die beitragsfreie Versicherung in der Kranken- und Pflegeversicherung, für die das SGB V und das SGB XI auf den Bezug von Elterngeld abstellen; zum anderen gilt das für die Arbeitslosenversicherung, bei der § 26 Abs. 2a SGB III zwar Personen als versicherungspflichtig berücksichtigt, solange diese ein Kind erziehen, das das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Dies gilt nämlich nur für die eigenen Kinder der Erziehenden, was bei der Inanspruchnahme von Elternzeit durch die Großeltern ebenfalls nicht gegeben ist.
e. Erwerbsobliegenheit von Großeltern, die sonst hilfebedürftig nach SGB II werden
Großeltern können an der Inanspruchnahme der Elternzeit gehindert sein, wenn sie hierdurch auf Erwerbseinkommen verzichten und dadurch selbst auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II angewiesen sind. Nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II ist nur dann eine Arbeit unzumutbar, wenn dadurch die Erziehung des eigenen Kindes oder des Kindes des Partners gefährdet würde. Für den erweiterten Personenkreis der Großeltern gilt diese Ausnahmeregelung grundsätzlich nicht.
Vorschlag: § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II ist wie folgt zu ändern:
„Dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen ist jede Arbeit zumutbar, es sei denn, dass
...
3. die Ausübung der Arbeit die Erziehung seines Kindes oder des Kindes seines Partners, bei Großelternteilen auch des Enkelkindes, für das ein Elternzeitanspruch besteht, gefährden würde;....
f. Einschränkung der Großelternzeit durch Unterhaltsverpflichtung der barunterhaltspflichtigen Großeltern gegenüber anderen minderjährigen Kindern
Ebenso ist darauf hinzuweisen, dass barunterhaltspflichtige Großeltern, die gegenüber ihren weiteren minderjährigen Kindern gesteigert unterhaltsverpflichtet sind, daran gehindert sein können, die Großelternzeit in Anspruch zu nehmen, weil sie durch die Inanspruchnahme der Großelternzeit ihre Leistungsfähigkeit reduzieren bzw. verlieren und daher keinen Barunterhalt mehr leisten können.
g. Beratungsanspruch
Da es sich bei der Inanspruchnahme von Elternzeit nicht um eine Leistung nach dem SGB handelt, kommen die in §§ 13 und 14 SGB I verankerten Ansprüche auf Aufklärung und Beratung nicht unmittelbar zum Tragen.
Gleichwohl sind Großeltern im Vorfeld ihres Antrags hinreichend über die vielfältigen potentiellen Folgen eines Antrags auf Elternzeit wie auch über die gesetzlichen Möglichkeiten zur Reduzierung der Arbeitszeit im Rahmen des Teilzeitgesetzes aufzuklären. Es muss zumindest sichergestellt werden, dass Informationsmaterial verfügbar gemacht und über die Arbeitgeber an die Interessent(inn)en weitergereicht wird.