I. Einleitung
Die BAGFW begrüßt, dass nach jahrelangem Ringen ein sachgerechter Kompromiss für die Neuorganisation des SGB II gefunden wurde. So wird die Leistungsgewährung aus einer Hand sowohl in den gemeinsamen Einrichtungen als auch in Optionskommunen sichergestellt. Die Entscheidung des Gesetzgebers aus dem Jahr 2004, das Nebeneinander von kommunal verwalteter Sozialhilfe und gesamtstaatlich verwalteter Arbeitslosenhilfe in eine einheitliche Aufgabenwahrnehmung zu überführen, war richtig. Auch das Bundesverfassungsgericht hat dies in seiner Entscheidung vom Dezember 2007 betont: „Diese historisch bedingte Aufteilung des Sachverstands auf den Gebieten der Fürsorge und der Arbeitsvermittlung auf die Kommunen als öffentliche Träger der Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz einerseits und die Bundesarbeitsverwaltung andererseits einer einheitlichen Aufgabenwahrnehmung zuzuführen, wird allgemein als sinnvoll und notwendig angesehen.“ Die nun gefundene Lösung schafft einen verfassungsgemäßen Rahmen, in dem dieses Prinzip zukunftsfähig umgesetzt werden kann. Die BAGFW ist erleichtert, dass eine Trennung der Aufgabenwahrnehmung vermieden werden konnte.
II. wesentliche Elemente der Neuorganisation
1. Gemeinsame Einrichtungen
Zur einheitlichen Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende bilden die Bundesagentur für Arbeit und die kommunalen Träger im Gebiet jedes kommunalen Trägers eine gemeinsame Einrichtung, sofern der kommunale Träger nicht optiert. Eine getrennte Aufgabenwahrnehmung ist nicht mehr möglich.
Bewertung
Die gemeinsamen Einrichtungen als Nachfolgeorganisationen der ArGen werden so weiter entwickelt, dass Probleme des heutigen ArGe-Modells teilweise gelöst werden können. Zu nennen sind insbesondere die vorgesehene Regelung einer einheitlichen Personalvertretung, die neuen Konfliktlösungsmechanismen in der Kooperation von Arbeitsagenturen und Kommunen sowie Ansätze für eine stärker dezentrale Aufgabenwahrnehmung etwa im Kompetenzbereich der Trägerversammlung. In diesem Zusammenhang ist auch die für 2011 angekündigte Instrumentenreform in der Arbeitsmarktförderung zu begrüßen, mit der die Voraussetzungen für einen flexibleren und ortsnäher zu gestaltenden Instrumentenkasten in der Arbeitsmarktförderung geschaffen werden können. Insbesondere ist dies eine Gelegenheit, Neuerungen, die mit der letzten Instrumentenreform eingeführt wurden zu evaluieren und ggf. nachzubessern.
2. Neuzulassung zur alleinigen Aufgabenwahrnehmung nach Eignungsprüfung
Die Zahl der Optionskommunen soll erhöht werden. Für neu hinzukommende Optionskommunen ist ein Auswahlverfahren mit Eignungsprüfung vorgesehen.
Bewertung
Die BAGFW hält das vorgesehene Verfahren einer Eignungsprüfung für grundsätzlich sinnvoll, um optionswillige Kommunen für die Aufgabenwahrnehmung zuzulassen. Damit werden grundsätzlich sinnvolle Mindeststandards bei der Umsetzung der Grundsicherung für Arbeitsuchende durch optierende Kommunen sichergestellt.
3. Bund-Länder-Ausschuss (§ 18c SGB II neu)
Beim BMAS wird ein Ausschuss gebildet, der zentrale Fragen der Umsetzung und der Aufsicht beobachtet und berät. Die Besetzung des Ausschusses variiert je nach dem, ob Fragen der Umsetzung oder Aufsicht berührt sind.
Bewertung
Die BAGFW regt an, auch die Freie Wohlfahrtspflege an den Beratungen zu zentralen Umsetzungsfragen zu beteiligen. Dies korrespondiert mit der in § 17 SGB II genannten besonderen Rolle der freien Träger in der Umsetzung des SGB II. Die Verbände der BAGFW verfügen durch die direkte Arbeit mit den Leistungsempfängern in den Einrichtungen über praktische Erfahrungen mit der Umsetzung des
SGB II. Bei der Beratung der Leitlinien der Arbeitsmarktpolitik sind die spezifischen Einblicke wertvoll.
4. örtliche Beiräte (§ 18d SGB II neu)
Bei jeder gemeinsamen Einrichtung sollen örtliche Beiräte eingerichtet werden, die bei der Auswahl und Gestaltung der Eingliederungsinstrumente eine beratende Funktion innehaben. Neben der Freien Wohlfahrtspflege sollen auch Vertreter der Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie Kammern und berufsständische Organisationen beteiligt sein. Wer am örtlichen Arbeitsmarkt Eingliederungsleistungen nach dem SGB II anbietet, kann nicht Mitglied des Beirats sein.
Bewertung
Die verpflichtende Einrichtung von örtlichen Beiräten wird begrüßt. Wo sie bereits jetzt bestehen, können sie die Arbeit der Grundsicherungsträger sinnvoll ergänzen. Die BAGFW regt an, die bestehenden Mitwirkungsmöglichkeiten der Beiräte noch zu erweitern. So können Frage- und Initiativrechte sowie Auskunftspflichten der Grundsicherungsträger es den Beiräten ermöglichen, ihre Expertise noch gezielter einzubringen.
Der Ausschluss von der Mitgliedschaft im Fall der Erbringung konkreter Leistungen soll Interessenkonflikte vermeiden. Diese Argumentation überzeugt nicht, denn in der Regel erfolgt die Vertretung der Wohlfahrtsverbände in der Praxis häufig durch örtliche Arbeitsgemeinschaften der Verbände und nicht durch Vertreter einzelner Einrichtungen, so dass eine träger- und einrichtungsübergreifende Neutralität der Vertretung gesichert werden kann. Durch ihre Sozialberatungen und Hilfsangebote haben gerade die Träger vor Ort sehr gute Kenntnisse über Probleme der Leistungsverwaltung, die bei der Auswahl und Gestaltung der Eingliederungsmaßnahmen eingebracht werden können.
5. System der Steuerung über Ergebnisberichterstattung und Zielvereinbarungen (§§ 48a, 48b SGB II neu)
Es wird ein einheitliches System der Steuerung über Zielvereinbarungen und Ergebnisberichterstattung geschaffen. Das BMAS erstellt auf der Grundlage der übermittelten Daten Kennzahlenvergleiche und veröffentlicht die Ergebnisse vierteljährlich. Hierzu legt das BMAS die für die Vergleiche notwendigen Kennzahlen in einer Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats fest.
Zielvereinbarungen werden zwischen folgenden Akteuren abgeschlossen:
- BMAS und BMF mit der BA
- BA und kommunale Träger mit den Geschäftsführern der gemeinsamen Einrichtung
- BMAS mit den zuständigen Landesbehörden
- Landesbehörden mit den Optionskommunen
Der Bund-Länder-Ausschuss (§ 18c SGB II neu) berät über eine einheitliche Grundlage für die Vereinbarungen des BMAS mit den Landesbehörden (3. Punkt). Die Beratungen hierüber führen dann die Kooperationsausschüsse nach § 18b SGB II neu.
Bewertung
Die Beteiligung der Länder in der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist neu. Dadurch ergeben sich neue Möglichkeiten für die Umsetzung der Arbeitsmarktpolitik auf Länderebene, so z.B. im Rahmen von ESF-Landesprogrammen. Es besteht die Perspektive, die Arbeitsmarktpolitik des Bundes besser mit den regionalen und lokalen Besonderheiten abzustimmen. In der Umsetzung ist darauf zu achten, dass die regionalen und lokalen Handlungsspielräume der örtlichen Grundsicherungsstellen erhalten bleiben.
6. Datenerhebung und –verarbeitung (§ 51b SGB II neu)
Die bei der Durchführung der Grundsicherung von den Sachbearbeitern erhobenen Daten sollen von der BA gesammelt werden. Die kommunalen Träger und die zugelassenen kommunalen Träger übermitteln die näher bezeichneten Daten an die BA, die sie entsprechend den gesetzlichen Vorgaben verarbeitet und nutzt.
Bewertung
Die BAGFW schlägt vor, eine fachkundige Stelle wie z.B. das Statistische Bundesamt oder das IAB mit der statistischen Datensammlung als Grundlage für die weitere Auswertung zu betrauen, um ein von allen Seiten akzeptiertes, transparentes Verfahren sicherzustellen. Diese unabhängige Stelle soll die Daten nach einheitlichen Kriterien aufbereiten und anonymisiert und aggregiert zur Verfügung gestellt bekommen.
7. Wirkungsforschung (§ 55 SGB II neu)
Die Wirkungen der Eingliederungsleistungen und der passiven Leistungen sollen regelmäßig und zeitnah untersucht werden. Hierbei können BMAS und BA die Einzelheiten festlegen. Das BMAS analysiert vergleichend die unterschiedlichen Organisationsstrukturen, Umsetzungsstrategien und Steuerungsprozesse der Grundsicherungsstellen. So sollen gute Praktiken identifiziert und institutionelle Lernprozesse angestoßen werden, um eine kontinuierliche Verbesserung der Effektivität und Effizienz der Leistungserbringung zu erreichen.
Bewertung
Die BAGFW regt an, die Einzelheiten der Wirkungsforschung zum Gegenstand der Beratungen des Bund-Länder-Ausschusses zu machen. Die Festlegung der Einzelheiten der Wirkungsforschung ist elementar. Da im Bund-Länder-Ausschuss die Leitlinien der Arbeitsmarktpolitik beraten werden, sollte dieses Gremium auch die Wirkungsforschung begleiten. In einem zusätzlichen Schritt hat das BMAS dem Bundestag jährlich Bericht zu erstatten. So können Ziele und Umsetzung der Grundsicherung transparent gemacht und vom Parlament kontrolliert werden. Vor dem Hintergrund der finanziellen Bedeutung dieses Gesetzes erscheint ein solches Vorgehen aus Sicht der Freien Wohlfahrtspflege geboten. Die methodischen Festlegungen der Wirkungsforschung müssen unbeeinflusst von politischer Einflussnahme durch die befassten wissenschaftlichen Institute erfolgen.
In den Erläuterungen zu den Regelungstexten wird in diesem Zusammenhang ein klassisches Benchmarking beschrieben (allerdings ohne Verwendung dieses Begriffs). Grundgedanke des Benchmarkings ist zum einen der analysierende Vergleich verschiedener Institutionen und zum anderen der dadurch in Gang gesetzte Lernprozess. Dieser findet im Idealfall überregional und institutionsübergreifend statt und bietet allen Partnern die Möglichkeit, durch den Austausch unmittelbar voneinander zu lernen.
8. Gegenstand der Zielvereinbarungen (§ 48b Abs. 3 SGB II neu)
Die Ziele des § 1 SGB II werden im Rahmen der Regelungen über die Zielvereinbarungen in verkürzter Form wiedergegeben. So sollen die Zielvereinbarungen insbesondere die folgenden Ziele umfassen:
- Verringerung der Hilfebedürftigkeit
- Verbesserung der Integration in Erwerbstätigkeit und
- Vermeidung von Langzeitbezug
Bewertung
Diese gesetzliche Hervorhebung an dieser Stelle wird begrüßt. In Bezug auf das zuerst genannte Ziel – Verringerung der Hilfebedürftigkeit – ist klarzustellen, dass dies durch eine ganzheitliche Integrationsstrategie zu gewährleisten ist. Bei der gesetzlichen Ausgestaltung des Steuerungssystems ist sicherzustellen, dass Abweichungen bei den Kennzahlenvergleichen nicht automatisch, d.h. ohne Berücksichtigung der örtlichen Situation, zu zwingenden Zielvereinbarungen führen, die von den gemeinsamen Einrichtungen und den Optionskommunen und im Weiteren auch von den Wohlfahrtsverbänden und anderen Leistungserbringern erfüllt werden müssen.
9. Betreuungsschlüssel
Die Trägerversammlung der gemeinsamen Einrichtung berät zu gemeinsamen Betreuungsschlüsseln. Dabei sind die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel zu berücksichtigen. Sie hat sich an den Anteilsverhältnissen 1:75 für die Betreuung von Menschen unter 25 Jahren bzw. 1:150 für die Betreuung sonstiger Leistungsbezieher zu orientieren. Die genannten Betreuungsschlüssel beziehen sich lediglich auf Leistungen zur Eingliederung in Arbeit (sogenannte aktive Leistungen).
Bewertung
Durch eine Trennung der Betreuungsschlüssel im Hinblick auf Leistung zur Eingliederung in Arbeit einerseits und passive Leistungen andererseits kann theoretisch eine Verbesserung bei der Förderung der Arbeitslosen erreicht werden. Grundsätzlich sind Betreuungsschlüssel sinnvoll, um die individuelle Arbeitsmarktintegration erfolgreich gestalten zu können. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die angegebenen Anteilsverhältnisse als Höchstzahlen verstanden werden. Aus Sicht der BAGFW ist die Kopplung an die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel jedoch nicht zielführend. So besteht die Gefahr, dass die für Eingliederungsleistungen vorgesehenen Mittel ggf. gekürzt werden müssen, um die vorgegebenen Betreuungsschlüssel erfüllen zu können. Durch die gesetzliche Vorgabe wird der Anschein erweckt, die Betreuungsschlüssel könnten mühelos und ohne Auswirkungen auf andere Finanztitel umgesetzt werden. Es obliegt aber der Verantwortung des Bundestags bei der Haushaltsaufstellung, ausreichende Mittel bereit zu stellen, um solche Betreuungsschlüssel auch tatsächlich finanzieren und in der Praxis realisieren zu können.
Vorschlag
Die BAGFW schlägt folgende Formulierung für § 44c Abs. 4 SGB II neu vor:
(4) Die Trägerversammlung berät zu gemeinsamen Betreuungsschlüsseln. Bei der Personalbedarfsplanung dürfen im Regelfall folgende Anteilsverhältnisse zwischen eingesetztem Personal und Hilfebedürftigen nach diesem Buch nicht überschritten werden:
1. …
2. …
10. Sozialintegrative Leistungen der Kommunen (§ 16a SGB II)
Die sozialintegrativen Leistungen nach § 16a SGB II werden in das Angebot der gemeinsamen Einrichtungen aufgenommen. Im Einzelfall wird über die Erbringung dieser Leistungen in der gemeinsamen Einrichtung entschieden.
Bewertung
Die BAGFW begrüßt, dass beide Träger die Verantwortung für eine ganzheitliche Integrationsstrategie der einzelnen Hilfebedürftigen übernehmen. Nur so kann die Hilfebedürftigkeit letztlich dauerhaft überwunden werden. In diesem Zusammenhang regt die BAGFW auch an, das Ermessen der Leistungsträger bei der Bewilligung sozialintegrativer Leistungen wieder einzuschränken und das Wort „kann“ in § 16a SGB II in ein „soll“ abzuändern.