Die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) zusammenarbeitenden Spitzenverbände begrüßen das Anliegen des Bundesfinanzministeriums (BMF), europarechtliche Vorgaben in nationales deutsches Steuerrecht umzusetzen. Der Gesetzentwurf enthält materielle Änderungen des Steuerrechts, auf die im Folgenden, soweit sie die Freie Wohlfahrtspflege und ihre Einrichtungen betreffen, eingegangen werden soll.
1. Zu Artikel 2 Änderung des Körperschaftsteuergesetzes
Zu Artikel 2, Ziffer 5:
§ 10b EStG
Mit seinem Urteil vom 27.01.2009 in der Rechtssache „Persche“ (C 318/07) hat der EUGH für den Bereich des Gemeinnützigkeitsrechts klargestellt, dass es der Kapitalverkehrsfreiheit e entgegensteht, wenn nach den Regelungen eines Mitgliedsstaates bei Spenden an gemeinnützige Einrichtungen nur Spenden an im Inland ansässige Einrichtungen von der Steuer abgezogen werden können.
Die im Gesetzentwurf vorgesehenen Änderungen des § 10b EStG sind nach Auffassung der in der BAGFW zusammenarbeitenden Spitzenverbände grundsätzlich geeignet, die europarechtswidrige Vorschrift des § 10b EStG mit den EU-Vorgaben zu harmonisieren.
Kritisch bewerten die in der BAGFW zusammenarbeitenden Spitzenverbände allerdings die neue Regelung des § 10b Abs. 1 S. 6 EStG. Zwar wird durch § 10b Abs.1 S. 6 EStG lediglich die bereits gem. § 51 Abs. 2 AO geltende Voraussetzung des Inlandsbezuges für die Steuerbefreiung nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG nun auch ausdrücklich zur Voraussetzung für die steuerliche Abzugsfähigkeit von Zuwendungen an juristische Personen des öffentlichen Rechts und öffentliche Dienststellen erhoben. Mit dieser Übertragung verfestigt sich jedoch das Gemeinwohlverständnis, das der deutsche Gesetzgeber mit der Einführung des Kriteriums der „Ansehensförderung“ zum Ausdruck gebracht hat. Dieses hatte die BAGFW bereits in der Vergangenheit kritisch bewertet (vgl. Stellungnahme der BAGFW zum Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2009). Nach Ansicht der BAGFW widerspricht das Kriterium der „Ansehensförderung“ dem Selbstverständnis und der Motivation der Freien Wohlfahrtspflege. Darüber hinaus führt der wenig greifbare Rechtsbegriff der „Ansehensförderung“ zu vielen offenen Fragen und dementsprechend zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit.
Auch die praktische Umsetzung der neuen Vorschrift des § 10b Abs. 1 S.1 3. Alt. halten die in der BAGFW zusammenarbeitenden Spitzenverbände für problematisch. In der neuen Regelung wird auf die „hypothetische Anerkennungsfähigkeit“ der ausländischen Körperschaft als gemeinnützig abgestellt. Dabei ist nicht klar, welche Voraussetzungen die Finanzverwaltung an die hypothetische Anerkennungsfähigkeit als gemeinnützige Organisation stellt. Sollte es hier nicht allein auf die gemeinnützige Zweckausrichtung ankommen, sondern sollte darüber hinaus verlangt sein, dass die ausländische Körperschaft z.B. auch alle Anforderungen erfüllt, die die steuerliche Mustersatzung für gemeinnützige Körperschaften (§ 60 Abs. 1 S. 2 AO i.V.m. Anlage 1) stellt, dann dürfte die neu geregelte Möglichkeit des grenzüberschreitenden Spendenabzugs bei Zuwendungen an eine ausländische Körperschaft praktisch nicht umsetzbar sein.
Ebenso unklar in diesem Zusammenhang ist, welche Nachweise der Steuerpflichtige bezüglich seiner Zuwendung dem zuständigen Finanzamt beizubringen hat. Muss der Steuerpflichtige etwa von der ausländischen Einrichtung verlangen, dass diese ihm eine Zuwendungsbestätigung nach amtlichem Muster (BMF-Schreiben vom 13.12.2007) ausstellen soll? Es ist zu befürchten, dass einige Finanzbehörden in restriktiver Anwendung des § 90 Abs. 2 AO nicht zu erfüllende Anforderungen an die von den Spenderinnen und Spendern zu leistenden Nachweise stellen werden. Daher sollte vorsorglich zur einheitlichen Rechtsanwendung und zur Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten zu den Anwendungsfragen ein erläuterndes BMF-Schreiben ergehen.
Unklar ist auch, welche Finanzbehörde überhaupt für die Prüfung der Voraussetzungen für einen grenzüberschreitenden Spendenabzug zuständig ist. Soweit hier die Einkommensteuerstelle des jeweiligen Zuwendungsgebers zuständig sein soll, ist zu kritisieren, dass es zu Mehrfachprüfungen kommt und damit zu einem unvertretbaren Mehraufwand für die Einkommensteuerreferate sowie damit verbundene erhebliche zeitliche Verzögerungen der Veranlagung des Steuerpflichtigen / Zuwendungsgebers. Darüber hinaus ist zu befürchten, dass eine solche Vorgehensweise keine bundesweit einheitliche Rechtsanwendung gewährleistet. Nach Ansicht der in der BAGFW zusammenarbeitenden Spitzenverbände empfiehlt sich daher die Prüfung der Voraussetzungen der Gemeinnützigkeit bei den Finanzämtern für Körperschaften zu belassen, das Verfahren zu zentralisieren und eine „Zentralstelle“ zur Prüfung von gemeinnützigen Einrichtungen aus anderen EU-Staaten zu schaffen.
Aus den vorgenannten Gründen sprechen sich die in der BAGFW zusammenarbeitenden Spitzenverbände dafür aus, die Auslegung der Gesetze nicht allein der Interpretation der Finanzverwaltung zu überlassen. Sie bieten ausdrücklich an, bei der Beantwortung der mit den Änderungen verbundenen Folgefragen mitzuarbeiten, um zu praktikablen Lösung zu gelangen. Wie bereits in der Gesetzesbegründung zum Jahressteuergesetz 2009 erfolgt, muß klar gestellt sein, dass durch die Schaffung eines Inlandsbezugs die steuerbegünstigte Tätigkeit inländischer Organisationen im Ausland nicht beeinträchtigt wird.
Zu Artikel 2, Ziffer 1 b Doppelbuchstabe a):
In § 9 Abs. 3 KStG wird die Satzstellung geändert, indem die Angaben zur Haftungshöhe vom bisherigen Satz 4 in Satz 2 verschoben werden. Diese Verschiebung ist nicht zu beanstanden. Die redaktionelle Änderung sollte jedoch zum Anlass genommen werden, die Höhe der Haftung erneut zu überdenken.
Mit dem Gesetz zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements wurde die Haftung des Zuwendungsempfängers nach § 10 b Absatz 4 Satz 3 KStG auf
30 % herabgesetzt. Da jedoch seit der letzten Unternehmenssteuerreform der Körperschaftsteuersatz nach § 23 KStG nur noch 15 % beträgt und zudem eine Haftung des Zuwendungsempfängers im Rahmen des § 9 Nr. 5 Satz 8 bis 11 GewStG ohnehin gesondert erfolgt, lehnt die BAGFW eine Haftung des Zuwendungsempfängers im KStG in Höhe von 30 % ab. Nach der Gesetzesformulierung haftet der Zuwendungsempfänger nur für die entgangene Steuer. Bei einer Haftung, die doppelt so hoch ist wie der Körperschaftsteuersatz, kann von einem Ausgleich für entgangene Steuer jedoch keine Rede mehr sein, die Haftung hat vielmehr Strafcharakter.
Um der Intention des § 9 Abs. 3 KStG wieder gerecht zu werden, fordern die in der BAGFW zusammengeschlossenen Spitzenverbände, die Haftung des Zuwendungsempfängers auf den Körperschaftsteuersatz von derzeit 15% herabzusetzen.
2. Zu Artikel 5 Änderung des Umsatzsteuergesetzes
Zu Artikel 5, Ziffer 2:
Es ist beabsichtigt, § 4 Nr. 11b UStG neu zu fassen und unter bestimmten Voraussetzungen alle Post-Universaldienstleistungen von der Umsatzsteuer zu befreien. Von der Umsatzsteuer befreit sein sollen nach der Gesetzesbegründung nunmehr alle Universaldienstleistungen, mit denen eine Grundversorgung der Bevölkerung sichergestellt wird. Den Nutzern muss ein Universaldienst zur Verfügung stehen, der ständig flächendeckend postalische Dienstleistungen einer bestimmten Qualität zu tragbaren Preisen für alle Nutzer bietet. Ein tragbarer Preis soll dabei vorliegen, wenn er den realen Preis für eine durchschnittliche Nachfrage eines Privathaushalts nicht übersteigt. Nicht mehr umsatzsteuerbefreit sollen Postdienstleistungen sein, die zu Sonderkonditionen erbracht werden.
Seit 1949 besteht das Sozialwerk Wohlfahrtsmarken, bei dem die Zuschlagserlöse aus dem Verkauf der Sonderpostwertzeichen in die wichtige soziale Arbeit der in der BAGFW zusammengeschlossenen Wohlfahrtsverbände fließt. Seit Einführung der Wohlfahrtsmarken in 1949 wurden über 4 Milliarden Wohlfahrts- und Weihnachtsmarken abgenommen, die einen rechnerischen Zuschlagserlös von mehr als 600 Millionen Euro für die soziale Arbeit in Deutschland erbracht haben.
Nachdem nach der Gesetzesbegründung Postdienstleistungen, die zu Sonderkonditionen erbracht werden, nicht mehr von der Umsatzsteuer befreit sein sollen, besteht die Gefahr, dass der Zuschlagserlös bei Wohlfahrtsmarken als zusätzliches Entgelt und damit als Sonderkondition fehl interpretiert werden könnte. Dies hätte für die Freie Wohlfahrtspflege und ihre soziale Arbeit gravierende finanzielle Konsequenzen.
Kritisch bewertet wird auch der in der Gesetzesbegründung zu § 4 Nr.11b UStG-E (S. 42 Mitte) angekündigte Wegfall der Steuerbefreiung für „Leistungen zu festgelegten Tarifen, die zwar grundsätzlich für jedermann zugänglich sind, aber nicht für den durchschnittlichen Nachfrager eines Privathaushalts bestimmt sind (z. B. der Versand von Postvertriebsstücken ab einer Einlieferungsmenge von 1000 Exemplaren)“. Durch eine solche Regelung würden sämtliche Mailing-Aktionen bzw. der Versand von Zuwendungsbestätigungen, die regelmäßig in größeren Mengen versandt werden, für Spenden sammelnde Organisationen zukünftig umsatzsteuerpflichtig. Die Verwaltungskosten für Mailing-Aktionen und Spendenbriefe gemeinnütziger, nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Organisationen werden sich dadurch erheblich verteuern. Gemeinnützige Organisationen werden dadurch unverhältnismäßig belastet.
Eine solche Regelung widerspricht auch den Europäischen Vorgaben. Denn nach Auffassung der Europäischen Kommission und des EuGH sind gerade die Postdienstleistungen nicht der Umsatzsteuer zu unterwerfen, die dem Gemeinwohl dienen. Erfüllen Postdienstleistungen diese Voraussetzungen, müssen sie befreit werden. Ziel der EU-Vorgaben ist die Verbilligung der Postdienstleistungen für den Endverbraucher. Dies beinhaltet auch, dass die Nutzung von Postdienstleistungen durch gemeinnützige Organisationen, die umsatzsteuerlich wie ein Endverbraucher behandelt werden, ebenfalls von der Umsatzsteuer befreit werden.
Die in der BAGFW zusammenarbeitenden Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege begrüßen grundsätzlich die Beibehaltung der Umsatzsteuerbefreiung für Post-Universaldienstleistungen, da damit der Absatz von Wohlfahrtsmarken durch eine mehrwertsteuerbedingte Anhebung des Verkaufspreises nicht nachhaltig beeinträchtigt wird.
Die BAGFW fordert jedoch eine Klarstellung dahingehend, dass die Zuschlagserlöse zu Wohlfahrtsmarken kein Entgelt für Postdienstleistungen und damit keine Sonderkondition darstellen.
Die BAGFW regt außerdem an, § 4 Nr. 11b UStG-E um eine Konkretisierung dahingehend zu ergänzen, dass eine Umsatzsteuerpflicht auch dann nicht eintritt, wenn gemeinnützige Organisationen Briefsendungen in größeren Mengen bewirken und dabei Tarife zur Anwendung kommen, die grundsätzlich jedermann zugänglich sind, auch wenn diese Tarife faktisch für den durchschnittlichen Nachfrager eines Privathaushalts nicht bestimmt sind.
3. Weiterer Reformbedarf im Umsatzsteuerrecht
Im Umsatzsteuerrecht ist die neu gefasste Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem zu berücksichtigen. Diese Neufassung enthält für die hier einschlägigen sozialen Dienstleistungen keine inhaltlichen Änderungen im Vergleich zu ihrer Vorläuferin, der 6. Mehrwertsteuerrichtlinie, weshalb deren Vorgaben weiterhin aktuell bleiben.
Bezogen auf das Umsatzsteuergesetz greift der Gesetzentwurf keine der wesentlichen Probleme der Freien Wohlfahrtspflege im Zusammenhang mit der Erhebung der Umsatzsteuer auf.
Diese Probleme resultieren zum einen aus der Weiterentwicklung sozialer Konzepte, die im deutschen Umsatzsteuergesetz bisher keinen Niederschlag gefunden haben. Zum anderen sind - wie in verschiedenen gerichtlichen Entscheidungen der letzten Monate festgestellt - nach wie vor diverse Vorgaben der EU-Richtlinie nicht in deutsches Recht umgesetzt worden bzw. steht das deutsche Recht im Widerspruch zu deren Inhalten. Wie vom Bundesfinanzhof mehrfach bestätigt, kann sich der Steuerpflichtige in diesen Fällen unmittelbar auf die günstigere Regelung der EU-Richtlinie berufen (u. a. Urteil vom 18.08.2005; Aktenzeichen V R 71/03).
Bei den folgenden Vorschlägen geht es den Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege nicht um eine Privilegierung bestimmter Anbieter sozialer Dienstleistungen, sondern um eine sachgerechte und wettbewerbsneutrale Besteuerung der Erbringung sozialer Dienstleistungen.
Als ergänzend regelungsbedürftig erachtet die BAGFW insbesondere die im Folgenden ausgeführten Punkte:
Umsatzsteuerbefreiung für das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ)
Von Seiten der Finanzverwaltung wird bei der Durchführung des FSJ zwischen Maßnahmeträger und Einsatzstelle eine umsatzsteuerpflichtige Personalgestellung angenommen, die derzeit nur durch den Abschluss eines dreiseitigen Vertrages nach § 11 Abs. 2 JFDG vermieden werden kann. Diese Lösung ist unbefriedigend, da sie dem Wesen des FSJ als Jugendbildungs- und Orientierungsmaßnahme nicht gerecht wird, zu zusätzlicher Bürokratie führt und bei FSJ-Einsätzen im Ausland nicht möglich ist.
Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege fordern deshalb nach wie vor für die Umlagen im Rahmen des FSJ auf Grundlage des Art. 132 Abs. 1 Buchstabe h, i und k MwStSystRL eine eigene Umsatzsteuerbefreiung.
Dass dies möglich ist, zeigen das Urteil des Bundesfinanzhofs zur Übertragung von Verwaltungsaufgaben nach § 5a Abs. 2 ZDG vom 23. Juli 2009 (Aktenzeichen V R 93/07) sowie das rechtskräftige Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 27. November 2008 (Aktenzeichen 6 K 2348/07) zur Personalgestellung an ein Krankenhaus.
Umsatzsteuerbefreiung für die Personalgestellung zwischen gemeinnützigen
Organisationen
Nach Ansicht der Finanzverwaltung handelt es sich bei der Überlassung von Personal gegen Kostenerstattung regelmäßig um einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, bei dem die weiterbelasteten Personalkosten dem Umsatzsteuerregelsatz (19 %) unterliegen. Eine Umsatzsteuerbefreiung sieht das deutsche Umsatzsteuergesetz derzeit in § 4 Nr. 27a UStG lediglich für die Gestellung von Mitgliedern geistlicher Genossenschaften und Angehörige von Mutterhäusern für gemeinnützige oder schulische Zwecke vor. Darüber hinaus regeln die Umsatzsteuer-Richtlinien eine Steuerbefreiung für den Krankenhausbereich (R 100 Nr. 4, 5 und 9 UStR zu § 4 Nr. 16 UStG).
Die EU-Richtlinie 2006/112/EG befreit hingegen in Art. 132 Abs. 1 Buchstabe k die Gestellung von Personal durch religiöse und weltanschauliche Einrichtungen für Tätigkeiten im Bereich der Krankenhäuser, der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit, der Kinder- und Jugendbetreuung sowie im schulischen Bereich. Die Deutsche Regelung ist nach Auffassung der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege folglich keine vollständige Umsetzung der EU-Richtlinie. Diese Rechtsauffassung wurde zwischenzeitlich durch das Finanzgericht Rheinland-Pfalz (rechtskräftiges Urteil vom 27.11.2008, Aktenzeichen 6 K 2348/07) bestätigt.
Überdacht werden sollte deshalb, auch für die Personalgestellung im Bereich sozialer Dienstleistungen eine eigene Umsatzsteuerbefreiung einzuführen, wie sie die EU-Richtlinie 2006/112/EG in Artikel 132 Abs.1 Buchstabe k vorsieht.
Eine entsprechende Regelung würde der Rechtssicherheit dienen und hätte lediglich klarstellenden Charakter, denn gemeinnützige Organisationen können sich bereits jetzt schon unmittelbar auf die Umsatzsteuerbefreiung der EU-Richtlinie berufen.
Als „best practice“ Beispiel sei auf Großbritannien verwiesen, wo die Arbeitnehmerüberlassung zwischen Wohltätigkeitsorganisationen umsatzsteuerbefreit ist, wenn die Arbeitnehmer in beiden Organisationen ausschließlich im nichtkommerziellen Bereich eingesetzt werden und das Entgelt die Vergütung des Arbeitnehmers nicht übersteigt. [1]Ein weiteres Beispiel für die praktische Umsetzung der EU-Richtlinie 2006/112/EG ist § 4 Nr. 18a UStG, wonach Kostenerstattungen zwischen den selbständigen Gliederungen einer politischen Partei – soweit diese Leistungen im Rahmen der satzungsgemäßen Aufgaben ausgeführt werden – umsatzsteuerfrei sind.
Überarbeitung der Umsatzsteuerbefreiung für Heilbehandlungsleistungen nach
§ 4 Nr. 14 UStG
Mit dem Jahressteuergesetz 2009 sollten die Entwicklungen im Bereich des Gesundheitswesens sowie der Finanzgerichtsbarkeit aufgegriffen und die Umsatzsteuerbefreiung für ambulante und stationäre Heilbehandlungen in § 4 Nr. 14 UStG - entsprechend der Regelung des Artikel 132 Abs. 1 b und c der Richtlinie 2006/112/EG - weiterentwickelt werden. Es war bislang nicht erkennbar, dass bis dahin umsatzsteuerfreie Leistungen nach in Kraft treten der Gesetzesnovelle zum 1. Januar 2009 steuerpflichtig werden sollten.
Offenbar unbeabsichtigt hat der Gesetzgeber jedoch die Steuerbefreiung weiter eingeschränkt. So sieht Art. 132 Abs. 1 Buchstabe b der Richtlinie 2006/112/EG eine Befreiung für Krankenhausbehandlungen und ärztliche Heilbehandlungen sowie eng verbundene Umsätze vor, die u. a. von Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik durchgeführt bzw. bewirkt werden.
Bei der Umsetzung in das deutsche Umsatzsteuergesetz (§ 4 Nr. 14 b Doppelbuchstabe bb UStG) hat der Gesetzgeber jedoch als weitere Voraussetzung für die
Steuerbefreiung bestimmt, dass diese Einrichtungen an der vertragsärztlichen Versorgung nach § 95 SGB V teilnehmen. Gemäß § 95 SGB V nehmen an der vertragsärztlichen Versorgung nur die zugelassenen bzw. ermächtigten Ärzte bzw. Versorgungszentren teil. Somit greift die Steuerbefreiung z.B. nicht bei diagnostischen Leistungen, bei denen aus berufsrechtlichen Gründen nicht das Zentrum für Heilbehandlung die Abrechnungsbefugnis ausübt, sondern die vom Zentrum angestellten Ärzte. Gleiches gilt für diagnostische Leistungen, die im Rahmen eines Kooperationsvertrages gegenüber einem Krankenhaus erbracht und von diesem abgerechnet werden, so dass eine Abrechnungsbefugnis für die diagnostischen Leistungen gar nicht erforderlich ist.
Um der Regelung des Artikel 132 Abs. 1 Buchstabe b und c der Richtlinie 2006/112/EG vollumfänglich gerecht zu werden, fordern die in der BAGFW zusammenarbeitenden Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege eine Klarstellung dahingehend, dass auch diagnostische Leistungen ohne Abrechnungsbefugnis als Heilbehandlungsleistungen kurzfristig von der Umsatzsteuer befreit werden.
Neufassung von § 4 Nr. 18 UStG
Nach der derzeitigen Formulierung des § 4 Nr. 18 UStG sind Leistungen der amtlich anerkannten Verbände der Freien Wohlfahrtspflege umsatzsteuerbefreit, wenn die Entgelte für diese Leistungen hinter den durchschnittlich für gleichartige Leistungen von Erwerbsunternehmen verlangten Entgelten zurück bleiben. Nach Auffassung der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege handelt es sich hierbei um keine richtlinienkonforme Umsetzung des Artikels 132 Abs. 1 Buchstabe g in Verbindung mit Artikel 133 Buchstabe c der Richtlinie 2006/112/EG.
Diese Auffassung wurde in 2009 durch den Bundesfinanzhof bestätigt (Urteil vom 17. Februar 2009, Aktenzeichen XI R 67/06). Der BFH stellt in dem Urteil den Leitsatz auf, dass das in § 4 Nr. 18 Satz 1 Buchstabe c UStG geregelte Abstandsgebot insofern gemeinschaftsrechtswidrig ist, als nach Artikel 13 Teil A Abs. 2 Buchstabe a 3. Gedankenstrich der EU-Richtlinie 77/388/EWG (entspricht Artikel 133 Buchstabe c der Richtlinie 2006/112/EG) das Abstandsgebot auch für behördlich genehmigte Preise gilt. Die Umsetzung dieses Halbsatzes fehlt im deutschen Umsatzsteuerrecht, so dass die Wettbewerbsklausel des Artikel 13 Teil A Abs. 2 Buchstabe a 3. Gedankenstrich der EU-Richtlinie 77/388/EWG nicht vollständig in deutsches Recht umgesetzt worden ist.
Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege fordern deshalb die Wettbewerbsklausel des Artikel 133 Buchstabe c der Richtlinie 2006/112/EG vollumfänglich in deutsches Recht umzusetzen, oder vollständig auf sie zu verzichten.
Umsatzsteuerbefreiung für neue Entwicklungen im sozialen Bereich
Zu den genannten Punkten ist neuen Entwicklungen im sozialen Bereich Rechnung zu tragen. In diesem Zusammenhang ist z.B. die Umsatzsteuerbefreiung von Seniorenbüros zu nennen. Dabei ist sicherzustellen, dass nicht nur unmittelbare Zahlungen aus öffentlichen Kassen umsatzsteuerbefreit sind, sondern auch Leistungen durch Selbstzahler, z.B. auch aus dem persönlichen Budget.
4. Weiterer Reformbedarf in der Abgabenordnung (AO)
Angleichung der AO und der Ausführungen im AEAO an das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (§ 68 Nr. 1a AO)
Nach § 68 Nr. 1a AO zählen zu den steuerbegünstigten Zweckbetrieben u.a. „Alten-, Altenwohn- und Pflegeheime“. Im AEAO zu § 68 Nr. 1 (Textziffer 2) wird wegen des Begriffs „Alten-, Altenwohn- und Pflegeheime“ auf § 1 Heimgesetz verwiesen. Dieser Verweis läuft jedoch zunehmend ins Leere, da diese Vorschrift außer Kraft gesetzt ist, sobald die jeweiligen Bundesländer eigene Regelungen verabschiedet haben.
Um Unsicherheiten in der Rechtsauslegung zu vermeiden, bzw. um auch weiterhin eine bundeseinheitliche Anwendung der Zweckbetriebseigenschaft für Wohn-, Pflege- und Betreuungseinrichtungen zu gewährleisten, sollte die Zweckbetriebsdefinition in § 68 Nr. 1a AO zeitnah den aktuellen Gegebenheiten angepasst werden. Dabei ist auch neuen konzeptionellen Entwicklungen Rechnung zu tragen, indem nicht nur die klassischen „Heime“ als Zweckbetriebe genannt werden, sondern auch moderne Wohnformen wie z.B. Wohngruppen oder Wohngemeinschaften.
Darüber hinaus sollte § 68 AO um die Zweckbetriebe des Hausnotrufdienstes, des Betreuten Wohnens und des Behindertenfahrdienstes erweitert werden. Die Tätigkeiten entsprechen in ihrer Bedeutung den Zweckbetrieben in § 68 Nr. 1 a AO. Sie stellen jedoch neuere und zeitgemäßere Betreuungsformen dar, die die Mobilität und Selbständigkeit der betroffenen Menschen unterstützen und somit dem Grundsatz „ambulant vor stationär“ folgen.
[1] vgl. „Deutscher Bundestag“ – Wissenschaftliche Dienste WD 4-3000-157/08