Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e. V. zum Entwurf eines „Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Unfallversicherung (Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz - UVMG)“

Die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) zusammenarbeitenden Spitzenverbände begrüßen grundsätzlich den Entwurf für ein Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Unfallversicherung (Unfallversicherungsmodernisierungs-gesetz - UVMG).

Die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) zusammenarbeitenden Spitzenverbände begrüßen grundsätzlich den Entwurf für ein Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Unfallversicherung (Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz - UVMG). Auf einige kritische Punkte im Rahmen der in Artikel 1 vorgeschlagenen Änderungen des Siebten Buches Sozialgesetzbuch, die die Freie Wohlfahrtspflege und ihre Einrichtungen besonders stark treffen, soll im Folgenden eingegangen werden:

 

 

1. zu Artikel 1, Ziffer 25:

 

§ 178 SGB VII – neu: Regelungen zur Lastenverteilung – Fehlende Freistellung der freien und gemeinnützigen Träger

 

Die BAGFW bekennt sich grundsätzlich zu der Grundidee der beabsichtigten Neuregelung der Lastenverteilung zwischen den gewerblichen Berufsgenossenschaften, sogenannte alte Lasten solidarisch zu tragen, soweit sie nicht mehr in angemessenem Verhältnis zur wirtschaftlichen Struktur der Gewerbezweige stehen, die diese Lasten in der Vergangenheit verursacht haben.

 

Der Gesetzentwurf zum UVMG widerspricht jedoch hinsichtlich der Regelungen zur Lastenverteilung an zwei wesentlichen Stellen dem Konzept, das die Berufsgenossenschaften im Dezember 2006 auf der Mitgliedversammlung ihres Hauptverbandes beschlossen haben. Weder wird „eine Freistellung der freien und gemeinnützigen Träger wie bisher sichergestellt“[1] noch trägt die Dauer der vorgesehenen Übergangszeit dem Gedanken Rechnung, die Übergangsfrist desto länger zu bemessen, „je größer ... die Differenzen zwischen neuem und altem Modell sind“[2].

 

 

Bislang sind gemeinnützige Unternehmen - namentlich die zur Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) gehörenden Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege - vom Lastenausgleich zwischen den gewerblichen Berufsgenossenschaften vollständig ausgenommen (vgl. § 180 SGB VII geltende Fassung). Nach § 180 SGB VII des Gesetzentwurfs sollen sie nur bei der Verteilung der sogenannten „Überaltlast“ nach § 178 Abs. 2 und 3 SGB VIl-neu außer Betracht bleiben. An der Finanzierung des Unterschreitungsbetrags (Unteraltlast), der sich zwischen den tatsächlich in einem Jahr anfallenden Rentenzahlungen und dem nach einem bestimmten Vielfachen der Neurenten zu berechnenden fiktiven Lastenwert (Rentenwert) nach § 178 Abs. 1 SGB VIl-neu ergeben kann, sind sie dagegen zu beteiligen.

 

Nachdem der Gesetzentwurf die Faktoren zur Berechnung des Rentenwerts in § 178 Abs. 1 SGB VII-neu gegenüber früheren Arbeitsentwürfen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) noch einmal erhöht hat, zeigt eine Modellrechnung der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), wie sehr gerade die Unternehmen der BGW - einschließlich der zur Freien Wohlfahrtspflege gehörenden - durch das neue Recht betroffen wären. Bezogen auf das Jahr 2006 würde die Unteraltlast der BGW - bei rd. 44 Mio. € Unteraltlast für alle Berufsgenossenschaften - knapp 38 Mio. € betragen. Bereits hieraus ergäbe sich bei sonst gleichen Bedingungen eine Erhöhung des BGW-Beitragssatzes um 6,2 %.


Die Freie Wohlfahrtspflege ist über diese Entwicklung bestürzt. Zum einen fühlt sie sich erheblich benachteiligt, weil ihr durch die „Hintertür“ des § 178 Abs. 1 SGB VII-neu eine Subventionierung erwerbswirtschaftlicher Bereiche zugemutet wird. Zum anderen fragt sie sich, wie sie angesichts gedeckelter Budgets und versiegender Zuwendungen der öffentlichen Hand die drohenden Mehrbelastungen refinanzieren soll.

 
Die BAGFW fordert daher, den Rechtsgedanken des § 180 SGB VII-neu konsequent umzusetzen und die von ihm ausgehende Privilegierung auf die Anwendung des § 178 Abs. 1 SGB VII-neu zu erweitern.

 

Hilfsweise könnte daran gedacht werden, die Vervielfältigungsfaktoren in § 178 Abs. 1 SGB VII-neu abzusenken. Bei ihnen handelt es sich um „Stellschrauben“, mit denen je nach Zielrichtung die Überaltlast zugunsten der Unteraltlast angereichert werden kann und umgekehrt.

 

 

2. zu Artikel 1 Ziffer 38:

 

§ 220 Abs. 1 SGB VII-neu: Ausgleich unter den gewerblichen Berufsgenossenschaften - Übergangszeit

 

Die BAGFW hat auch erhebliche Bedenken, hinsichtlich der Dauer der Übergangszeit für die Umstellung vom heutigen auf das neue System. Die DGUV und die BAGFW haben schon in früheren Stellungnahmen darauf hingewiesen, dass der in § 220 Abs. 1 SGB VII-neu vorgesehene sukzessive Systemwechsel über drei Jahre nicht ausreichend sondern eine fünf bis zwölfjährige Übergangszeit für einen so bedeutenden Wechsel erforderlich ist.

§ 118 Abs. 4 des Gesetzentwurfs sieht für den Fall der Vereinigung von Berufsgenossenschaften vor, dass hinsichtlich der Gefahrtarif- und Beitragsgestaltung ein Übergangszeitraum von höchstens 18 Jahren vereinbart werden kann. Warum wird der fusionsbedingte Umbruch für die betroffenen Berufsgenossenschaften bzw. ihre Mitglieder als soviel gravierender eingeschätzt als der Übergang vom Lastenausgleich zur Lastenverteilung, der von den Mitgliedern weniger Berufsgenossenschaften zu finanzieren ist? Nach Ansicht der BAGFW müssen entsprechende Maßstäbe auch für die Einführung eines neuen Systems der Verteilung von Lasten zwischen den Berufsgenossenschaften gelten. Bei der im Gesetzentwurf vorgesehenen Regelung fehlt es daher an der Verhältnismäßigkeit.

 

Die Umstellung vom System des Lastenausgleichs auf ein solches der Lastenverteilung ist von wenigen Berufsgenossenschaften zu schultern. Als Folge der immensen Transferleistungen müssen die „Zahler-Berufsgenossenschaften“ auch ihre Betriebsmittel und Rücklagen aufstocken. Alles zusammen kann nicht innerhalb von drei Jahren von Unternehmen refinanziert werden, die - für die Freie Wohlfahrtspflege kann dies gesagt werden - bereits ihrerseits vielfach wirtschaftlich „mit dem Rücken an der Wand“ stehen. Um wie viele Jahre die Übergangszeit erweitert werden sollte, hängt für die Freie Wohlfahrtspflege auch davon ab, ob der Gesetzgeber noch in ihrem Sinne auf die zuvor angesprochene Problematik der §§ 178 Abs. 1, 180 SGB VII-neu eingeht.

 

Die BAGFW fordert daher, hinsichtlich der Gefahrtarif- und Beitragsgestaltung einen angemessenen Übergangszeitraum 12 Jahren zu gewähren.

 

 

3. zu Artikel 1 Ziffer 22:

 

§ 166 Absatz 2 und Absatz 3 SGB VII-neu: Übertragung der Betriebsprüfung auf die Deutsche Rentenversicherung und Einführung erweiterter Meldeverpflichtungen für die Unternehmen im Rahmen des § 28 a SGB IV-neu

 

Vervielfachung des Meldeaufwandes

Mit dem Zweiten Mittelstandsentlastungsgesetz (MEG II) ist mit Wirkung zum 01.01.2010 die Betriebsprüfung in Bezug auf die Beiträge in der Gesetzlichen Unfallversicherung von den Trägern der Unfallversicherung auf die Deutsche Rentenversicherung (DRV) übertragen worden. Ziel dieser Maßnahme war es, durch die Vermeidung von Doppelprüfungen bei den Unternehmen vor Ort Bürokratiekosten einzusparen. Die im UVMG hierzu vorgesehenen konkretisierenden Regelungen § 166 Abs. 2 und 3 SGB VII-neu und § 28 a SGB IV- neu lassen allerdings befürchten, dass genau das Gegenteil erreicht wird. Weder für die Gesamtheit der Unternehmen noch für die Unternehmen der Freien Wohlfahrtspflege (Mitgliedsunternehmen der BGW) ergibt sich ein Abbau von Bürokratie, vielmehr bedingen die Verlagerung der Prüfung auf die DRV und die geplanten Meldeverpflichtungen eine Vervielfachung des Aufwandes sowie voraussichtlich weitere Beitragssteigerungen für die Mitgliedsunternehmen der BGW.

 

Bislang melden Arbeitgeber summarisch die Lohn- und Gehaltssumme ihres Betriebs an die Unfallversicherung. Auch die tätigen Ehrenamtlichen sind an die BGW lediglich als Gesamtzahl mitzuteilen. Die Meldepflichten der Arbeitgeber sollen so angepasst werden, dass sie sich in das Datenverarbeitungs-Verfahren der Rentenversicherung (DEÜV) einfügen. Künftig soll jeder einzelne Arbeitnehmer mit einem versicherungspflichtigen Einkommen, mit seiner Gefahrtarifstelle und der Mitgliedsnummer seines Unternehmens erfasst werden. Die Meldungen sind nunmehr arbeitnehmerbezogen und nicht mehr unternehmensbezogen, nicht mehr jährlich, sondern teilweise (z.B. bei Krankenkassenwechsel) auch unterjährig einzuhalten. Was für die Betriebe einen enormen Zeitaufwand bedeutet, ist für die Rentenversicherung nur eine Prüfhilfe. Die Unfallversicherung benötigt die Daten eines Arbeitnehmers nur im Versicherungsfall.

 

Durch das unterschiedliche Beitragssystem bei den betroffenen Versicherungszweigen (z.B. auch durch den anderen Entgeltbegriff und die Gefahrklassenzuordnung in der UV) können die Prüfer der gesetzlichen Rentenversicherung die Lohnbuchprüfungen nicht ohne zusätzliche Informationen durchführen. Entweder muss sich die DRV die erforderlichen (zur Prüfung anstehenden) Daten von den UV-Trägern verschaffen oder sie muss die Daten sich selbst zusätzlich von den Unternehmern melden lassen. In jedem Fall sind zusätzliche Investitionen in die Datenverarbeitung erforderlich und es entsteht ein erheblich höherer Meldeaufwand für die Unternehmer.

 

Weitere Beitragssteigerungen

Da für die Überprüfung der korrekten Veranlagung zum Gefahrtarif weiterhin die UV-Träger notwendig sind, wird das Ziel des MEG II, „Doppelprüfungen“ zu vermeiden, auch durch die Verlagerung der Lohnsummenprüfung nicht erreicht. Durch die voneinander abweichenden Beitragssysteme und die voneinander abweichenden Faktoren der Beitragsberechnung bleiben die Prüfungen beider Versicherungszweige notwendig.

 

Die den Unternehmen drohenden Mehrkosten liegen nach Berechnungen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) im höheren zweistelligen Millionenbereich. Hinzu kommt, dass der Umweg über die Rentenversicherung eine viermonatige Verzögerung der Beitragserhebung durch die Berufsgenossenschaften bewirkt. Der daraus resultierenden Liquiditätslücke würde die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege nur durch eine Erhöhung ihres Beitrags über die nächsten zwei Jahre begegnen können.

 

Im Vergleich zur bisherigen sehr effizienten Prüfpraxis der BGW ist mit einer erheblichen Steigerung der Prüfintensität durch die DRV zu rechnen (nach Angaben der BGW von 6000 auf 100.000) die jedoch keinen wesentlichen Qualitäts- bzw. Erkenntnisfortschritt bringen wird.

 

Die gewerblichen Berufsgenossenschaften müssen nach § 166 Abs. 3 SGB VII - neu der DRV die im Zusammenhang mit der Beitragsüberwachung entstehenden Kosten erstatten. Ausgehend von einer Kostenpauschale von 180,00 € pro Lohnbuchprüfung bedeutet dies nach Berechnungen der BGW knapp 20.000.000,00 € an Transferleistungen allein für die Mitgliedsbetriebe der BGW. Dies wird sich zwangsläufig in den Beiträgen niederschlagen, denen ohnehin aus den Regelungen zur Lastenverteilung bereits eine Steigerung von mindestens 6,2 % droht (siehe oben).

 

Die BAGFW fordert daher, bei der Umsetzung des MEG II auf Maßnahmen zu verzichten, die zu einer Erweiterung des Meldeverfahrens und damit zu zusätzlichen Pflichten für die Unternehmer führen.

 

Soweit die DRV ohnehin vorhandene Daten der UV-Träger nutzen kann, soll sie auf diese zurückgreifen. Unfallversicherung und Rentenversicherung sollten die Möglichkeit erhalten, innerhalb einer angemessenen Frist – z. B. bis 31.12.2010 – ein einfaches und unbürokratisches Verfahren zur Nachweisung und Prüfung der unfallversicherungspflichtigen Entgelte, welches auf den im Rahmen des Lohnnachweisverfahrens ohnehin anfallenden Daten aufbaut, zu entwickeln und zu vereinbaren.

 

 



[1] Punkt 3c des Beschlusses der Berufsgenossenschaften auf der Mitgliedversammlung ihres Hauptverbandes im Dezember 2006

[2] Punkt 3d des Beschlusses der Berufsgenossenschaften auf der Mitgliedversammlung ihres Hauptverbandes im Dezember 2006