I. Vorbemerkung
Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 20.12.2007[1] die in § 44 b SGB II geregelten Arbeitsgemeinschaften für nicht mit der Verfassung vereinbar erklärt. Bis zu einer gesetzlichen Neuregelung, längstens bis zum 31.12. 2010, bleibt die Norm jedoch anwendbar. Die Neuorganisation des SGB II ist von Bedeutung für 7,03 Mio. Empfänger von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende, d. h. für knapp 8 % der deutschen Bevölkerung. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und die Bundesagentur für Arbeit haben am 12.2.2008 Eckpunkte für ein sog. „kooperatives Jobcenter“ vorgelegt, die in der Fassung vom 23.4.2008 modifiziert und erweitert worden sind.
Grundlage dieses Modells ist die Fortführung der bisherigen Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen Bundesagentur für Arbeit und Kommunen, d. h. dass es für die jeweiligen Leistungen getrennte Zuständigkeiten gibt. Die Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit sollen in Zukunft durch das kooperative Jobcenter wahrgenommen werden, das eine neue Geschäftseinheit der örtlichen Agentur für Arbeit darstellt. Es zeigt sich insofern gegenüber den Kommunen „kooperativ“ als dass vorgesehen ist, dass es auf freiwilliger Basis mit der Kommune (ggf. weiterhin in dem Gebäude der ARGE) zusammenarbeitet. Erklärtes Ziel des Vorschlags ist es, „für den Kunden die partnerschaftliche Zusammenarbeit in den ARGEn zwischen Kommunen und Agenturen gemeinsam weiterzuentwickeln“.[2] Die Bedingungen und die mögliche Tiefe der Kooperation von Agenturen für Arbeit und Kommunen sollen im Prozess verfassungsrechtlich geklärt werden.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege möchte mit dieser Stellungnahme einen Beitrag zur öffentlichen Diskussion dieses Modells leisten.
II. Bewertung des Modells „kooperatives Jobcenter“
Die BAGFW hält das Modell des kooperativen Jobcenters als Organisationsform des SGB II nicht für geeignet, um die notwendige enge und verlässliche Zusammenarbeit zwischen der örtlichen Agentur für Arbeit und dem zuständigen kommunalen Leistungsträger sowie insbesondere das Prinzip „Hilfen aus einer Hand“ nach dem Fortfall von § 44b SGB II zu gewährleisten. Gegenüber der aktuellen Rechtslage und Praxis wäre den Betroffenen der Zugang zu existenzsichernden und arbeitsmarktintegrativen Leistungen deutlich erschwert. Positiv ist indes nach der
Überarbeitung der Eckpunkte das Ansinnen zu werten, für besondere Personengruppen, insbesondere arbeitsmarktferne Personen, wohnungslose Menschen, Jugendliche mit Bedarf an erzieherischen Hilfen, Frauen in Frauenhäusern, Alleinerziehende und bestimmte Menschen mit Migrantionshintergrund im Bereich der Eingliederungsleistungen die kommunale Leistungserbringung aus einer Hand zu ermöglichen.
1. Getrennte Aufgabenwahrnehmung erschwert Inanspruchnahme von Leistungen durch Betroffene
Nach dem Fortfall des § 44b SGB II blieben für die Erbringung von Leistungen für Unterkunft und Heizung, einmalige Leistungen und sozialintegrative Leistungen die Kommunen und für die restlichen Leistungen (insbesondere Regelleistung, Mehrbedarfe, Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach § 16 Abs. 1 SGB II) die Agentur für Arbeit zuständig. Diese Aufgaben dürfen nicht mehr gesetzlich und selbst durch freiwillige Vereinbarung der Leistungsträger nicht mehr im bisherigen Umfang einem dritten Träger (den ARGEn oder einem neuen Konstrukt) übertragen werden. Sie sind in Zukunft grundsätzlich von den beiden Trägern allein und eigenverantwortlich wahrzunehmen. Das hat für die Leistungsempfänger/innen folgende Auswirkungen:
a) mehrere Anträge, mehrere Sachbearbeiter und Beratungstermine, mehrere Bescheide, unterschiedliche Rechtsbehelfsverfahren
Sobald zwei Träger für unterschiedliche Bereiche zuständig sind und diese Aufgaben auch getrennt wahrnehmen, sind Leistungsberechtigte verpflichtet, mehrere Anträge zu stellen. Diese werden von mindestens zwei Sachbearbeiter/innen (eine/r bei jedem Träger) mit ggf. mehrfachen Beratungsterminen bearbeitet. Leistungsberechtigte erhalten letztendlich mehrere Bescheide, gegen die sie sich ggf. in unterschiedlichen Rechtsbehelfsverfahren wehren müssen.
b) widersprüchliche Entscheidungen zweier Träger zu derselben Sachverhalts- oder Rechtsfrage
Da die Leistungen der Kommunen und der Agenturen für Arbeit z. T. die gleichen Voraussetzungen haben (z. B. das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft), sie aber jeweils eigenständige Entscheidungen hinsichtlich Sachverhalt und rechtlicher Bewertung treffen, kann das zur Folge haben, dass zur selben Sachverhalts- oder Rechtsfrage widersprüchliche Entscheidungen der beiden Träger getroffen werden.
c) keine zwingende Verknüpfung von Leistungen zur Eingliederung in Arbeit von beiden Trägern
Da Leistungen zur Eingliederung in Arbeit teilweise bei der Kommune (§ 16 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 bis 4 SGB II) und im Übrigen bei der Agentur für Arbeit angesiedelt sind, sind diese Leistungen nicht unmittelbar miteinander verknüpft. Letztlich tragen die Leistungsberechtigten das Risiko, dass sie nicht aufeinander abgestimmt sind.
All diese negativen Auswirkungen der getrennten Aufgabenwahrnehmung für die Betroffenen vermag das Modell des kooperativen Jobcenters nicht zu lösen.
2. Einheitliche Durchsetzung des Vorschlags wegen verfassungsrechtlicher Grenzen faktisch nicht möglich
Da das Modell auf eine freiwillige Kooperation setzt, scheitert der Lösungsvorschlag schon überall dort, wo Agenturen für Arbeit oder Kommunen nicht gewillt sind zu kooperieren.
Selbst dort, wo eine Vereinbarung zur Kooperation zwischen Kommune und Agentur für Arbeit geschlossen wird, stehen die verfassungsrechtlichen Vorgaben, die das Bundesverfassungsgericht erneut unterstrichen hat, einer Kooperation im notwendigen Maße entgegen. So betonte das Gericht, dass die zugewiesenen Zuständigkeiten mit eigenem Personal, eigenen Sachmitteln und eigener Organisation wahrzunehmen und jeweils klar dem verantwortlichen Träger zuzuordnen sind. Ferner darf es für den Bund keine weitreichenden Mitplanungs-, Mitverwaltungs- und Mitentscheidungsbefugnisse geben.
Das Modell des kooperativen Jobcenters sieht demgegenüber folgende Formen der Kooperation vor:
· „Leistungen weiterhin wohnortnah und an denselben Standorten wie bisher“
Dass die Leistungen weiterhin wohnortnah und an denselben Standorten wie bisher erbracht werden sollen, ist für die Betroffenen gut, aber auch ohne das Modell des kooperativen Jobcenters möglich. Kommune und Agentur können auch weiterhin im selben Gebäude verbleiben.
· „eine gemeinsame Antragsannahme, möglichst einheitliche Anlaufstellen“
Eine gemeinsame Antragsannahme und möglichst einheitliche Anlaufstellen bedeuten wohl, dass der/die Leistungsempfänger/in weiterhin an einer Infotheke seine Antragsformulare erhält und sie dort abgeben kann. Das ändert aber nichts daran, dass mindestens zwei Sachbearbeiter/innen, nämlich mindestens eine/r der Kommune und eine/r der Agentur für Arbeit den Antrag bearbeiten.
· „abgestimmte Bescheiderteilung und abgestimmte Auszahlung“
Der Vorschlag sieht eine abgestimmte Bescheiderteilung und Auszahlung vor. Da jeder Träger jeweils die sachliche und finanzielle Verantwortung für die Erledigung seiner Aufgaben trägt, entscheidet er grundsätzlich selbst, ob die Voraussetzungen für die Erbringung seiner Leistungen vorliegen oder nicht. Daraus folgt auch eine eigenständige Entscheidung über die Höhe seiner Auszahlung. Er muss diese Entscheidung auch der eigenen Rechtsaufsicht und den Rechnungsprüfungsämtern gegenüber vertreten. An Entscheidungen des anderen Trägers kann er sich daher rechtlich nicht ungeprüft binden, sofern dies nicht gesetzlich vorgeschrieben ist bzw. wird. Relevant wird dies z. B. bei der Frage, ob eine Bedarfsgemeinschaft oder Leistungsausschlüsse nach § 7 Abs. 4, 4a oder Abs. 5 SGB II vorliegen. Auch bei der Klärung der Hilfebedürftigkeit muss die Agentur für Arbeit wegen der Bedarfsanteilsmethode feststellen, in welcher Höhe die Kosten der Unterkunft als angemessen anzuerkennen sind. Dabei ist ebenso zweifelhaft, ob sie diese Beurteilung allein der Kommune überlassen kann, wenn sie auf die Höhe der Leistungen der Agentur maßgeblichen Einfluss hat.
Das Bundesverfassungsgericht hatte an den ARGEn beanstandet, dass hier organisatorische, personelle und rechtliche Maßnahmen, die einer der beiden Leistungsträger ergreift, unmittelbaren Einfluss auf den Aufgabenvollzug und die Leistung des anderen Leistungsträgers hatten. Das darf auf Grundlage geltenden Rechts nicht mehr sein. Letztlich bedeutet dies, dass beide Träger im Ernstfall zu unterschiedlichen Bewertungen desselben Sachverhalts und der gleichen Rechtsfrage kommen können. Die vorgesehene Abstimmung der Bescheiderteilung vermag dies nicht zu verhindern.
Nach alledem könnte allenfalls über den Zeitpunkt der Bescheiderteilung und Auszahlung eine Einigung zwischen den Trägern erzielt werden. Für die Betroffenen wird das vornehmlich die Auswirkung haben, dass ein Träger solange mit der Auszahlung wartet, bis der andere mit der Bearbeitung seines Antrags fertig ist. Für die Leistungsberechtigten ist diese Kooperation daher nicht unbedingt vorteilhaft.
· Kommunale Leistungserbringung für besondere Personengruppen
Die Eckpunkte sehen in ihrer überarbeiteten Fassung vor, dass Agenturen und kommunale Träger eine Zusammenführung des sozialintegrativen und beschäftigungsorientierten Fallmanagements für besondere Personengruppen bei kommunalen Stellen im Auftragsverhältnis nach §§ 88 ff. SGB X vereinbaren können. Hierdurch soll bei Bürgern, die auf komplexe Hilfen angewiesen sind, Schnittstellen vermieden werden. Für das kommunale Fallmanagement sollen besonders arbeitsmarktferne Personen, evtl. auch wohnungslose Menschen, Frauen in Frauenhäusern oder Jugendliche, die auch Hilfe zur Erziehung erhalten, oder bestimmte Gruppen von Menschen mit Migrantionshintergrund in Betracht kommen. Denkbar seien auch zentrale Anlaufstellen für Alleinerziehende.
Die BAGFW begrüßt das Bestreben, den genannten Personengruppen, die auf komplexe Hilfen angewiesen sind, die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit allein über den kommunalen Träger zu gewähren. Zugleich werden hierdurch Schnittstellen zu anderen kommunalen Leistungen minimiert. Unklar ist indes, ob die Kommune Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nur in dem Umfang gewähren kann, wie Maßnahmen von der Agentur für Arbeit beschafft und bereitgestellt werden oder ob sie selbst diese Angebote beschaffen kann. Problematisch ist auch, dass die Beauftragung vom Willen beider Träger abhängt und daher nicht rechtlich zwingend ist.
Soweit der Leistungsberechtigte nicht zu einer der von Kommune und Agentur bestimmten Sondergruppen gehört, aber auch einen Bedarf an sozialintegrativen Leistungen hat, ist die Abstimmung seiner Eingliederungsvereinbarung durch die beiden Träger erforderlich. Rechtlich zulässig ist ein Gespräch zwischen den Sachbearbeiter/innen bei getrennten Zuständigkeiten aus datenschutzrechtlichen Gründen nur mit Einwilligung der Leistungsberechtigten. Wichtig wäre unter Einbeziehung der Betroffenen z. B. eine Abstimmung über den zeitlichen Umfang einer erforderlichen Trainingsmaßnahme unter Berücksichtigung der ebenfalls in Anspruch zu nehmenden Suchtberatung. Sofern dies auf freiwilliger Basis funktioniert, ist es zu begrüßen. Die Gefahr ist jedoch groß, dass ein solcher Austausch an knappen Personalressourcen, zeitlicher Engpässe oder fehlendem Willen eines Beteiligten im Einzelfall scheitert. Das geht einseitig zu Lasten der Betroffenen.
3. Kooperationsausschuss ohne Verbindlichkeit – Kommunen außen vor
Das Modell sieht vor, beim Kooperativen Jobcenter einen Kooperationsausschuss einzurichten, der auch das lokale Arbeitsmarkt- und Integrationsprogramm abstimmt. Der Ausschuss soll die Rolle der bisherigen Trägerversammlung übernehmen.
Gerade die Trägerversammlung ist indes vom Bundesverfassungsgericht als ein Gremium benannt worden, in dem es zu einer Verschränkung von Bundesagentur und kommunalen Trägern und damit zu einer Vergemeinschaftung der Willensbildung komme. Die Folgen seien einerseits die unumgängliche Mitentscheidung des jeweils anderen Verwaltungsträgers bei der Aufgabenwahrnehmung und andererseits systemimmanente Blockademöglichkeiten und Kompromisszwänge.[3] Auch in den überarbeiteten Eckpunkten wird nun klargestellt, dass das Letztentscheidungsrecht beim jeweils zuständigen Träger liegt und auch auf freiwilliger Basis nicht abgegeben oder geteilt werden kann. Das zeigt, dass der Kooperationsausschuss die Trägerversammlung nicht ersetzen kann und ihm auch keine Verbindlichkeit zukommen kann.
Ob und inwieweit den Kommunen ein Mitgestaltungsrecht bei der Planung des örtlichen Arbeits- und Integrationsprogramms eingeräumt wird, hängt vom guten Willen der Bundesagentur im kooperativen Jobcenters ab. Insgesamt werden die Kommunen aus ihrer derzeitigen Rolle als Mitgestalter des lokalen Arbeitsmarkts weitgehend heraus gedrängt.
4. Konzeption und Begleitung des Umstrukturierungsprozesses durch Gremien
Die überarbeiteten Eckpunkte sehen vor, dass eine Projektgruppe bei der Bundesagentur für Arbeit unter Einbeziehung kommunaler Mitarbeiter begleitet von einem Fachbeirat besetzt mit Fachleuten, die von BA, kommunalen Spitzenverbänden und BMAS benannt werden, das Konzept weiter entwickeln und Hilfestellung bei der Gestaltung und Umsetzung anbieten. Ferner soll zur Begleitung des gesamten Vorhabens eine Monitoringgruppe unter Beteiligung der BA, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände eingesetzt werden, die Transparenz herstellt und die Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten sicherstellt.
Die BAGFW empfiehlt, den Fachbeirat und die Monitoringgruppe – parallel zu den Beiräten auf örtlicher Ebene - nicht nur mit Vertretern der öffentlichen Hand, sondern auch mit Vertretern der Zivilgesellschaft, auch der Betroffenen, zu besetzen. Die Freie Wohlfahrtspflege erfährt über ihr Netz an Beratungsstellen, Diensten und Einrichtungen unmittelbar die Auswirkungen von Organisationsformen auf die Betroffenen und verfügt zudem als Anbieter von sozialintegrativen Leistungen und Maßnahmen auf dem Arbeitsmarkt über die entsprechende Expertise.
III. Anforderungen an eine Neuorganisation
Die Neugestaltung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende muss sich an den Bedarfen arbeitsuchender Menschen und an der Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Hilfesystems orientieren. Sie sollte so bürgerfreundlich, unbürokratisch und effektiv wie möglich sein. Hierfür hält die BAGFW folgende Aspekte für wesentlich:
· Leistungen müssen gleichsam „aus einer Hand“ gewährt werden
Für die Leistungsberechtigten ist es wichtig, eine/n persönliche/n Ansprechpartner/in zu haben, der/die ihren Antrag bearbeitet, die Leistungsvoraussetzungen prüft und mit ihnen eine Integrationsstrategie erarbeitet. Hierin sollten sowohl die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als auch die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit erfasst sein. Da z. B. über die Sanktionsregelungen Leistungen zur Eingliederung in Arbeit mit den existenzsichernden Leistungen verknüpft sind, ist es wichtig, dass es nur ein Verwaltungsverfahren gibt, in das alle Leistungen integriert sind und in dem ggf. auch gerichtlicher Rechtsschutz gesucht werden kann. Dies ist nicht über freiwillige Kooperationen, sondern nur durch klare gesetzliche Regelungen zu erreichen, für die ggf. eine verfassungsrechtliche Grundlage geschaffen werden muss.
· Kommunen müssen in Aufgabenwahrnehmung des SGB II stark eingebunden sein
Die Erfahrungen in den Arbeitsgemeinschaften haben gezeigt, dass die Kommunen wertvolle Partner bei der Leistungserbringung sind. Es bestehen zahlreiche Schnittstellen zu anderen kommunalen Aufgaben, wie etwa der kommunalen Wohnungsversorgung, dem SGB XII oder der Jugendhilfe. Zudem haben kommunale Akteure sowohl Kenntnis über den örtlichen Arbeitsmarkt als auch über das örtliche Angebot an Diensten und Einrichtungen in freier Trägerschaft. Ihr Verantwortungsbewusstsein für ein funktionierendes Gemeinwesen zeichnet sich auch dadurch aus, dass sie die Leistungsfähigkeit örtlicher Anbieter gut einschätzen können.
· Arbeitsmarktferne Personen sollen angemessen gefördert werden
Die bisherige Förderpraxis zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass das mit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe gegebene Versprechen, alle Arbeitsförderungsinstrumente für alle Erwerbslosen zu öffnen, nicht gehalten wird. Stattdessen zeigt sich eine Spaltung der Arbeitsmarktpolitik derart, dass ALG II-Berechtigte hauptsächlich auf Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung verwiesen werden und nur zum geringen Teil Zugang zu den Förderleistungen des SGB III erhalten (wie es über § 16 Abs. 1 SGB II ja möglich wäre). Im Rahmen der Zuweisung in Arbeitsgelegenheiten fehlt es mitunter an der Passgenauigkeit der Hilfen und Nachhaltigkeit der Arbeitsintegration.
Ein weiteres wesentliches Problem liegt in der Steuerungslogik, Erwerbslose möglichst schnell in eine Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu vermitteln. Erforderlich ist vielmehr die Bereitstellung passgenauer Hilfen durch ein qualifiziertes Fallmanagement.
Wichtig ist auch, eine große Zahl von qualifizierenden Arbeitsförderangeboten für so genannte integrationsferne Personen bereitzuhalten und hierfür die gesetzlichen Instrumente (z. B. § 16a SGB II) extensiv zu nutzen. Das bisherige System der Betreuungsstufen und Integrationsfortschritte soll fortgeführt werden, um den Betreuungs- und Förderbedarfen von integrationsfernen Kunden gerecht zu werden
· Unvermeidbare Schnittstellenprobleme durch Kooperation lösen
Auch bei einer Gewährung von Leistungen nach dem SGB II „aus einer Hand“ bleiben Schnittstellen zu anderen Leistungsgesetzen und Trägern unvermeidbar. Erforderlich ist daher eine verbindlichere Kooperation zwischen Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende und Jugendämtern bei der beruflichen und sozialen Integration von Jugendlichen sowie mit den Trägern der Sozialhilfe, die insbesondere Hilfen zur Überwindung besonderer sozialen Schwierigkeiten und der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung erbringen. In diesem Zusammenhang wäre zu überlegen, ob nicht die Leistungen der Jugendhilfe vorrangig gestellt werden und die Leistungen des § 16 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 bis 4 SGB II für besonders gefährdete Personengruppen evtl. über den Sozialhilfeträger gesteuert werden könnten.
· Lokale Handlungsspielräume für die dezentrale Arbeitsmarktpolitik sichern
Die lokalen Handlungsspielräume für die Umsetzung der Eingliederungsleistungen müssen deutlich erweitert werden, damit die gezielte Ansprache der regional ansässigen Arbeitgeber unterstützt und die passgenaue, individuelle Förderung der Arbeitslosen ermöglicht wird. Den Trägern der Grundsicherung soll ermöglicht werden, von den rechtlich derzeit schon zulässigen Alternativen zum Vergaberecht Gebrauch zu machen. Dies erleichtert die bedarfsgerechte und lokal abgestimmte Leistungserbringung. Die Träger der Grundsicherung sollten sich vor diesem Hintergrund stärker als bisher um die örtliche Zusammenarbeit der Beteiligten gem. § 18 SGB II bemühen.
· Kooperative Zusammenarbeit vor Ort sichern
Die Planung und Umsetzung der lokalen Arbeitsmarktpolitik ist als gemeinsame Gestaltungsaufgabe der Träger der Grundsicherung, der lokalen Wirtschaft und den Beteiligten des örtlichen Arbeitsmarkts (insb. Freie Wohlfahrtspflege, Vertretungen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer) zu verstehen.
Im Verhältnis zwischen den Trägern der Grundsicherung und freien Trägern sollten die Vorgaben des § 17 SGB II stärker Beachtung finden, damit in der Umsetzung des Gesetzes auf die Leistungen der freien Träger zurückgegriffen wird.
IV. Empfehlungen
Die Neuorganisation erfordert eine komplexe und bedeutsame Entscheidung, die unmittelbare Auswirkungen auf eine Vielzahl von Menschen hat. Profunde Diskussionen und Überprüfungen verschiedenster Modelle sind daher zwingend notwendig. Die in der BAGFW zusammengeschlossenen Spitzenverbände sind unterschiedlicher Ansicht, welche Lösung die sachgerechteste ist.
Die BAGFW ist sich jedoch darin einig, dass das „kooperative Jobcenter“ auch in seiner überarbeiteten Fassung die dargestellten Anforderungen nicht optimal erfüllt und kein taugliches Modell ist, um den Fortfall des § 44b SGB II zu kompensieren. Sie empfiehlt daher – auch vor dem Hintergrund des vom Bundesverfassungsgericht eingeräumten Zeitrahmens bis Ende 2010 – von einer vorschnellen Neuregelung im Sinne des „kooperativen Jobcenters“ Abstand zu nehmen. Insbesondere sollten die Bedingungen und die mögliche Tiefe der Kooperation von Agenturen und Kommunen nicht erst im Prozess, sondern schon vor Umsetzung des Modells verfassungsrechtlich geklärt sein. Die Ergebnisse der großangelegten Evaluation des SGB II sollten einbezogen und zunächst alternative Lösungen geprüft und mit Fachleuten und in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Womöglich weisen die Evaluationsergebnisse auf Veränderungsbedarfe hin, die über die Frage der Trägerschaft hinausgehen.
[1] Az. 2 BvR 2433/04; 2 BvR 2434/04.
[2] S. 1. des Eckpunktepapiers.
[3] BVerfG Tz.182.