Die BAGFW bedankt sich für die Möglichkeit, zum vorliegenden Gesetzentwurf Stellung zu nehmen. Die Einführung eines Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter stellt einen wichtigen Schritt dar, um Betreuungsangebote bundesweit verfügbar zu machen und gleichwertige Lebensverhältnisse herzustellen, dadurch Benachteiligungen bei Bildung und Teilhabe abzubauen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern.
Allgemeine Anmerkungen
Die BAGFW teilt die Auffassung des Gesetzgebers, dass die Schaffung des Rechtsanspruchs ein sowohl kinder- und bildungs- als auch familienpolitisch bedeutsames Vorhaben ist. Familien in Deutschland finden derzeit mit Schuleintritt des Kindes sehr unterschiedliche Formen ganztägiger Bildung und Betreuung vor. Dabei sind zum einen die Bedarfe der Familien nicht immer gedeckt. Zum anderen entscheiden Verfügbarkeit und Ausgestaltung der Angebote darüber, inwieweit Kinder gleiche (Bildungs-)Chancen haben. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf eine rechtliche Grundlage auf Bundesebene zu schaffen, die jedem Kind und seiner Familie in Deutschland die Möglichkeit ganztägiger Erziehung, Bildung und Betreuung eröffnet, befürwortet die BAGFW sehr.
Die BAGFW begrüßt zudem ausdrücklich das Vorhaben, den Rechtsanspruch im Achten Sozialgesetzbuch und somit in der Kinder- und Jugendhilfe zu verankern. Die freien Träger der Kinder- und Jugendhilfe verfügen über eine langjährige Expertise darin, die Entwicklung von Kindern zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten zu fördern. Diese wird auch beim Ausbau der Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter gerne eingebracht und weiterentwickelt.
Ein wichtiges Anliegen ist für die BAGFW die inklusive Umsetzung eines an den individuellen, sozialen und emotionalen Entwicklungsbedarfen von Kindern im Grundschulalter ausgerichteten Rechtsanspruchs auf Ganztagsförderung, um allen Kindern unabhängig von ihren individuellen Voraussetzungen Chancengleichheit zu ermöglichen. Die Kindperspektive ist ein entscheidendes Gestaltungsmerkmal der Förderung im Ganztag. Allerdings sind die damit verbundenen qualitativen Anforderungen im vorliegenden Gesetzentwurf nicht berücksichtigt. Ebenso fehlt eine Regelung einer verbindlichen Kooperation zwischen Schule und der Kinder- und Jugendhilfe. Die BAGFW mahnt hier weiteren Handlungsbedarf an und bringt ihre fachliche Expertise für die (Weiter)Entwicklung qualitativ hochwertiger ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote gerne ein. Ebenso regt die BAGFW an, dass die Länder über ihre Landesschulgesetze ein Kooperationsgebot mit der Kinder- und Jugendhilfe in Analogie zum § 81 SGB VIII aufnehmen.
Zentral für die qualitative Ausgestaltung sind die Fachkräfte. Dabei ist das Fachkräftegebot nach § 72 SGB VIII zu berücksichtigen und eine geeignete Qualifikation des Personals für die Arbeit in Ganztagsangeboten sicherzustellen. Die BAGFW sieht den dringlichen Bedarf, dass sich Bund, Länder und zivilgesellschaftliche Akteure mit dem bestehenden und sich durch den Rechtsanspruch weiter verstärkenden Fachkräftebedarf in der Kinder- und Jugendhilfe auseinandersetzen. Zielstellung muss sein, in einem gemeinsamen fachlichen Diskurs zu konkreten Maßnahmen die notwendigen Weichen zu stellen, um dem mit dem Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung einhergehenden Personalmehrbedarf in den kommenden Jahren wirksam begegnen zu können. Dies stellt aus Sicht der BAGFW neben der erforderlichen Ausbaudynamik die größte Herausforderung für die Umsetzung des Rechtsanspruches ab 2025 dar.
Stellungnahme zu ausgewählten Einzelvorschriften
Artikel 1, Nummer 3
Durch den neuen Absatz 4 wird der Rechtsanspruch in den grundsätzlichen quantitativen Elementen umschrieben. Mit Beginn des Schuljahres im Herbst 2025 oder in den folgenden Schuljahren besteht der Rechtsanspruch für Kinder der ersten Klassenstufe auf Förderung in einer Tageseinrichtung im Umfang von werktäglich 8 Stunden bei max. vier Wochen Schließzeit im Jahr während der Schulferien. Der Umfang von acht Stunden beinhaltet die Unterrichtszeit. Über die acht Stunden hinaus ist ein bedarfsgerechtes Angebot vorzuhalten, welches sich nach individuellem Bedarf richtet. Der Rechtsanspruch gilt bis zum Beginn der fünften Klassenstufe.
Grundsätzlich positiv zu sehen ist der Begriff „Förderung“ im Tatbestand der Norm; der Begriff weist über die im Koalitionsvertrag genannte „Ganztagsbetreuung“ hinaus. Dies macht deutlich, dass die Betreuungsangebote auch einen qualitativen pädagogischen Anspruch haben sollen.
Auf den Begriff der „offenen“ Ganztagsgrundschule sollte verzichtet oder weitere Beispiele qualitativ hochwertiger Angebote ergänzt werden. Offene Ganztagsgrundschule ist kein überall gebräuchlicher, rechtlich bestimmter Begriff und eine entsprechende Spezifizierung aus Sicht der BAGFW auch nicht notwendig.
Die BAGFW sieht in den zeitlichen Vorgaben die Mindestvoraussetzungen erfüllt, um Familien bundesweit verlässliche Möglichkeiten ganztägiger Bildung und Betreuung anbieten zu können. Die Verankerung des Rechtsanspruches im dritten Abschnitt des SGB VIII ist inhaltlich und rechtslogisch folgerichtig. Die Kontinuität der geltenden Rechtsansprüche bis zum Schuleintritt wird so fortgeführt. Die Grundsätze der Förderung nach § 22 SGB VIII sind somit auch für Ausgestaltung von Ganztagsangebote für Kinder im Grundschulalter handlungsleitend. Die BAGFW betont in diesem Zusammenhang, dass qualitative Anforderungen an ganztägige Bildung und Betreuung auch unabhängig von der jeweiligen Umsetzung auf Landesebene gesichert sein müssen, insbesondere im Hinblick auf die Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule. Für das bestmögliche Zusammenwirken von Jugendhilfe und Schule im Rahmen der ganztägigen Förderung ist die gleichberechtigte Kooperation beider Akteure aus Sicht der BAGFW zwingend erforderlich.
Angesichts der sehr unterschiedlichen Ausgangslagen vor Ort ist mit der stufenweisen Einführung des Rechtsanspruches die Möglichkeit gegeben, den nötigen, teils massiven Ausbau der Platzkapazitäten über einen längeren Zeitraum strecken und so bewältigen zu können. Die BAGFW erkennt die Notwendigkeit dieses Vorgehens an.
Die BAGFW befürwortet, dass in der Begründung benannt wird, dass für anspruchserfüllende Angebote die Erlaubnispflicht nach § 45 SGB VIII gilt, sofern keine entsprechende gesetzliche Aufsicht greift, wie sie insbesondere die Schulaufsicht darstellt.
Artikel 1, Nummer 4
Mit Einfügung des neuen § 24a SGB VIII wird die jährliche Berichtslegung der Bundesregierung gegenüber dem Deutschen Bundestag zum Ausbaustand der ganztägigen Bildungs- und Betreuungsangebote für Grundschulkinder festgeschrieben.
Die BAGFW begrüßt das Anliegen, die Datengrundlage hinsichtlich der verfügbaren Angebote systematisch und regelmäßig vorzuhalten und die Kinder- und Jugendhilfestatistik diesbezüglich zu erweitern. Dies stellt eine wichtige Grundlage für die Steuerung des Ausbauprozesses dar. Dabei regt die BAGFW an, bei der Berichtslegung die unterschiedliche Verortung ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote in Verantwortung von Schule oder der Kinder- und Jugendhilfe auf Landes- bzw. kommunaler Ebene zu berücksichtigen. Aktuell erschwert dies die vollumfängliche Erfassung vorhandener Platzkapazitäten und sollte daher zukünftig Berücksichtigung finden.
Artikel 1, Nummer 6 b)
Im Rahmen des nach dem Referentenentwurf einzubindenden neuen Absatz 7c im § 99 SGB VIII sind als weitere Erhebungsmerkmale qualitative Daten zur Ganztagsförderung zu ergänzen – etwa zur Qualifikation des Personals oder Räumlichkeiten. Dabei sind insbesondere auch inklusive Aspekte zu berücksichtigen, deren Anforderungen noch zu konkretisieren wären.
Artikel 3
Mit dem Ganztagsfinanzhilfegesetz (GaFinHG) wird dargelegt, in welcher Höhe sich der Bund am investiven Ausbau ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote ab sofort bis Ende 2027 beteiligt. Für den investiven Ausbau werden über das mit dem Ganztagsfinanzierungsgesetz geschaffene Sondervermögen bis zu 2,75 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt.
Die BAGFW erachtet den schnellstmöglichen Fluss der Mittel an die Letztempfänger als unabdingbar, um den erforderlichen Ausbau von ganztägigen Bildungs- und Betreuungsangeboten im gegebenen Zeitrahmen überhaupt leisten zu können. Die dafür noch notwendigen Schritte auf Verwaltungsebene von Bund und Ländern sind daher zeitnah mit der Verkündung des Gesetzes auf den Weg zu bringen.
Gleichzeitig erscheinen die Kombinationsmöglichkeiten von Bonus- und Basismitteln (Art. 3 § 5 Absatz 2) - die Bonusmittel nach § 1 Abs. 3 können ab dem Jahr 2022 von den Ländern in Anspruch genommen werden, die bis zum 31. Dezember 2021 Basismittel nach § 1 Abs. 2 abgerufen haben - kompliziert und wenig praktikabel. Die Verbindung der Fördermittel für den investiven Ganztagsausbau mit den Corona-Konjunkturpaketen ist zwar als Idee nachvollziehbar, wird aber der Praxis nicht gerecht. Bis Ende des laufenden Jahres können nur in begrenztem Umfang notwendige Neubau-, Umbau- oder Sanierungsprojekte auf den Weg gebracht werden. Die Finanzierung muss so aufgestellt sein, dass es den Ländern möglich ist, auf alle verfügbaren Mittel zuzugreifen.
Es ist aus Sicht der BAGFW zu begrüßen, dass auch Investitionen förderfähig sind, durch die räumliche Kapazitäten geschaffen oder verbessert werden. Hierdurch ist ein Anreiz für die Bundesländer geschaffen, die bereits über ein recht hohes Platzkontingent verfügen. Außerdem kann durch diese Festlegung eine inklusive sowie kindgerechte räumliche Ausgestaltung ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote erreicht werden.
Artikel 4
Mit der Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern bestimmt der Bund, in welcher Höhe er sich an den laufenden Kosten der ganztägigen Förderung von Kindern im Grundschulalter ab 2025 beteiligt. Der stufenweisen Ausweitung des Rechtsanspruchs entsprechend steigt der festgelegte Betrag jährlich ab 2025 und beträgt ab 2029 konstant 384 Millionen Euro.
Die BAGFW begrüßt, dass so die finanziellen Belastungen der Länder reduziert werden sollen. Berechnungen zeigen jedoch, dass die vorgesehen 384 Millionen Euro des Bundes als Beteiligung an den Betriebskosten der Ganztagsbetreuung - nach Maßgabe verschiedener u.a. vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) eröffneter Zukunftsszenarien - nicht ausreichen, da auf die Länder laufende jährliche Zusatz-Kosten in Milliardenhöhe zukommen. Für eine tragbare Lastenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen fordern wir den Bund auf, seine finanzielle Beteiligung zu erhöhen, um qualitativ hochwertige Angebote ganztägiger Erziehung, Bildung und Betreuung sicherzustellen. Der Ausbau darf nicht zu Lasten anderer Angebote der Kinder- und Jugendhilfe gehen.
Schlussbemerkung
Die BAGFW begrüßt ausdrücklich die mit dem Gesetzentwurf vorgesehene Schaffung eines Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter. Hierdurch können Bildungs- und Teilhabechancen von Kindern verbessert werden. Damit ganztägige Erziehung, Bildung und Betreuung in diesem Sinne wirksam sein kann, ist aus Sicht der BAGFW die Schaffung qualitativ hochwertiger Angebote unabdingbar. Die vorhandene fachliche Expertise der Freien Wohlfahrt in der Kinder- und Jugendhilfe bringt die BAGFW gern in die Konkretisierung des Rechtsanspruchs zu diesem Zweck ein.
Abschließend betont die BAGFW noch einmal den dringlichen Handlungsbedarf beim Thema Fachkräfte. Die Ausweitung der Ausbildungskapazitäten an Fachschulen, Fachhochschulen und Universitäten ist weiter voranzubringen; auch sind die verschiedenen Konzepte der berufsbegleitenden Ausbildung, Nachqualifizierung und Quereinstiege auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen und ggf. auszubauen. Die Bund-Länder-AG Fachkräfte muss unverzüglich ihre Arbeit aufnehmen.