Am 14.2.2020 hat der Bundesrat den Gesetzentwurf „Entwurf eines Gesetzes zum Schutz von Kindern und Jugendlichen in stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe - Änderung des Sozialgesetzbuches (SGB) - Achtes Buch (VIII) - Kinder- und Jugendhilfe“ (Drs. 621/19 Beschluss) der Bundesregierung zur Stellungnahme und Weiterleitung an den Bundestag zugestellt. Die Bundesländer streben damit eine teilweise Gesetzesänderung des SGB VIII unabhängig vom umfassenden Reformvorhaben des SGB VIII der Bundesregierung an. Die angestrebte Reform des SGB VIII ist 2018/2019 über den Dialog- und Beteiligungsprozesses „Mitreden-Mitgestalten“ des BMFSFJ vorbereitet worden. Der Dialogprozess wurde im Dezember 2019 unter Beteiligung der 16 Bundesländer abgeschlossen.
Die BAGFW unterstützt das Anliegen, den Schutz von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen weiter zu verbessern. Sie spricht sich jedoch dagegen aus, dieses Anliegen zum Gegenstand eines eigenständigen und von der umfassenden Reform des SGB VIII abgetrennten Gesetzgebungsverfahrens zu machen. Damit folgt die BAGFW auch der Einschätzung der Bundesregierung, die zum Gesetzentwurf des Bundesrates am 01.04.2020 Stellung genommen hat. Darin heißt es: „Hinzu kommt, dass es durch die Herauslösung einzelner Bereiche aus der geplanten Reform der Kinder- und Jugendhilfe und deren Verfolgung in einem eigenständigen Verfahren zu Friktionen und Unklarheiten innerhalb des Gesamtgefüges der zu erwartenden gesetzlichen Änderungen im Kinder- und Jugendhilferecht kommen könnte. Dies ist vor dem Hintergrund der zwischen CDU, CSU und SPD getroffenen Vereinbarungen im Koalitionsvertrag für die 19. Legislaturperiode zu einer zukunftsfähigen Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe dringend zu vermeiden.“ (Drs.19/18315 S. 25)
Die BAGFW fordert, die 2019 im Dialogprozess diskutierte umfassende Reform des SGB VIII insbesondere im Sinne eines inklusiven SGB VIII umzusetzen und den Schutz von Kindern und Jugendlichen in stationären Einrichtungen zu einem Gegenstand der Reform zu machen.
Der aktuelle Gesetzesantrag des Bundesrates entspricht nahezu wörtlich den Regelungen, die bereits durch das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) eingefügt bzw. geändert werden sollten. Der Gesetzesantrag nimmt jedoch keinen der Kritikpunkte auf, die zum KJSG vorgebracht wurden. Die BAGFW weist insbesondere darauf hin, dass die Legaldefinition der Einrichtung, die hier vorgesehen ist, nicht alle Einrichtungen erfasst, die in der Praxis der Kinder- und Jugendhilfe eine Rolle spielen. Der vorgeschlagene Einrichtungsbegriff schließt familienähnliche Wohnformen nicht mit ein und damit ein Betriebserlaubnisverfahren für diese Einrichtungen aus. Es ist für die BAGFW aus fachlicher Sicht nicht nachvollziehbar, warum solche Einrichtungen nicht den Anforderungen einer Betriebserlaubnis unterliegen sollen. Damit wären die Anforderungen an die Qualität, die Finanzierung und entsprechende Schutzkonzepte auch für diese Angebote klar definiert.
Ein verbesserter Kinderschutz kann nicht allein durch Änderungen aufsichtsrechtlicher Regelungen erreicht werden. Vielmehr muss das Ziel eines deutlich verbesserten Schutzes Maßstab für die bevorstehende große Reform des Rechts der Kinder- und Jugendhilfe sein. Eine isolierte Weiterentwicklung einzelner Vorschriften hilft zum einen nicht weiter und gefährdet zum anderen die Reform insgesamt.
Die BAGFW appelliert daher an den Deutschen Bundestag, das Anliegen, das der Bundesratsinitiative zugrunde liegt, im Rahmen des laufenden umfassenden SGB VIII - Reformprozesses aufzugreifen, den Gesetzesantrag des Bundesrates jedoch abzuweisen. Die Verbesserung des Kinderschutzes bedarf weitaus umfassenderer und zum Teil anderer Maßnahmen, als der Gesetzesantrag des Bundesrates sie vorsieht. So werden unabhängige Ombudsstellen heute als integraler Bestandteil der Qualität sichernden Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe verstanden. Auch der erweiterte Beratungsanspruch von Kindern und Jugendlichen dient nicht zuletzt der Verbesserung des Schutzes. Die Reform des SGB VIII muss der Erkenntnis folgen, dass der Schutz der Betroffenen nur zusammen mit diesen und nicht alleine unter Anwendung des Aufsichtsrechts gelingen kann. Dabei betont die BAGFW, dass sie die Weiterentwicklung des Aufsichtsrechts begrüßt und unterstützt. Sie muss aber eingebettet sein in ein Reformkonzept, dem der Gedanke „Vom Kind aus denken“ zugrunde liegt.