Stellungnahme der BAGFW zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Gesundheitsförderung und gesundheitlichen Prävention sowie zur Änderung anderer Gesetze (23.11.2007)

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) begrüßt die Vorlage eines Entwurfs für ein Präventionsgesetz. Neben Elementen, die durchaus zustimmungsfähig sind, sieht die BAGFW jedoch erheblichen Nachbesserungsbedarf.

A. Allgemeines

 

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) begrüßt die Vorlage eines Entwurfs für ein Präventionsgesetz. Neben Elementen, die durchaus zustimmungsfähig sind, sieht die BAGFW jedoch erheblichen Nachbesserungsbedarf.

 

Angesichts des demographischen Wandels, der bei weitem nicht ausgeschöpften Präventionspotenziale im Bereich chronischer Krankheiten, des erheblichen Ausmaßes gesundheitlicher Ungleichheit, des Bedeutungsgewinns insbesondere psychischer Störungen und möglicher gesundheitsökonomischer Effekte ist die Stärkung von Prävention und Gesundheitsförderung eine zentrale gesundheits- und sozialpolitische Aufgabe. Eine gesundheitsfördernde, präventiv ausgerichtete Politik kann einen Beitrag dazu leisten, die skizzierten Herausforderungen und Probleme zu bewältigen. Ein in sich stimmiges Präventionsgesetz kann ein geeignetes Instrument sein, mehr Gesundheit für alle zu erreichen.

 

In Übereinstimmung mit dem letzten Gutachten des Sachverständigenrats für das Gesundheitswesen sowie der schon jetzt im SGB bestimmten Aufgabenstellung (so insbesondere im § 20 SGB V, § 14 SGB VII, § 3 SGB IX und § 5 SGB XI) sieht die BAGFW in der Verringerung sozial bedingter gesundheitlicher Ungleichheit eine wesentliche Aufgabe von Prävention und Gesundheitsförderung. Gesundheit ist Voraussetzung und zugleich wesentliches Element gesellschaftlicher Teilhabe. Durch Primärprävention und Gesundheitsförderung kann der Gesundheitszustand in allen sozialen Schichten und Gruppen verbessert werden. Um mehr gesundheitliche Chancengleichheit zu verwirklichen und damit die Teilhabe aller Menschen zu sichern, ist sie vor allem an den benachteiligten Bevölkerungsschichten und besonders „vulnerablen Gruppen“ auszurichten. Deshalb haben sich Verbände der BAGFW dem Kooperationsverbund „Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten“ angeschlossen und wirken in der lebenslagenorientierten Gesundheitsförderung zusammen.

 

Die Einrichtungen und Dienste der in der BAGFW kooperierenden Verbände erbringen auf der Grundlage ihrer wertorientierten Programmatik in den unterschiedlichsten Settings primärpräventive und gesundheitsförderliche Leistungen. Im Interesse der Menschen, die den größten Belastungen ausgesetzt sind und zugleich die geringsten Ressourcen haben, setzt sich die Freie Wohlfahrtspflege für eine Stärkung und Neuregulierung von (Primär-)
Prävention und Gesundheitsförderung ein.

 

Aufgrund des sehr engen zeitlichen Rahmens beschränkt sich die BAGFW auf einige, aber aus ihrer Sicht zentrale Inhalte des Referentenentwurfs. In diesem Sinne handelt es sich um eine vorläufige Positionierung. Eine detaillierte Bewertung der Einzelvorschriften behalten wir uns vor.

 

B.        Besonderes

 

Trotz Zustimmung zur Zielsetzung des Entwurfs, Gesundheitsförderung und Prävention zu stärken und trotz Zustimmung zu einer Reihe von Regelungen, die Prävention und Gesundheitsförderung stärken, bestehen erhebliche Einwände gegen grundlegende Weichenstellungen des vorliegenden Arbeitsentwurfs.

 

Grundsätzlich positiv sind folgende Aspekte zu bewerten:

·         die Zielsetzung des Entwurfs, sozial bedingte und geschlechterbezogene Ungleichheit von Gesundheitschancen zu verringern

·         die Bennennung von „Präventionsträgern“

·         die Finanzierung der lebenslagenbezogenen Primärprävention als Pflichtleistung verschiedener Träger

·         die Bereitstellung eines Verfahrens für die Formulierung vorrangiger Präventionsziele

·         den Lebensweltbezug der Interventionen

·         die Verpflichtung zur Qualitätssicherung

·         Gewährleistung einer Präventionsberichterstattung

 

Zugleich macht die BAGFW grundlegende Bedenken geltend und hält eine Überarbeitung des Entwurfs zu folgenden Punkten für dringend geboten:

 

 

1.            Definition und konzeptionelle Ausrichtung

 

In konzeptioneller Hinsicht ist stärker als im vorliegenden Referentenentwurf die Zielsetzung der gesundheitlichen Chancengleichheit (auch in den §§ 5, 6) zu betonen. Deutlicher als im Entwurf ist (in § 5) die gesundheitsförderliche Gestaltung der Lebenswelten zu benennen.

Zudem wird im Arbeitsentwurf, in dessen Titel allgemein von „gesundheitlicher Prävention“ die Rede ist, noch nicht hinreichend deutlich, dass sich der spezifische Gegenstand des Arbeitsentwurfs für ein Präventionsgesetz ausschließlich auf die lebenslagenbezogene und nichtmedizinische Primärprävention beschränkt.

 

2.            Gesundheitsförderung als gesamtstaatliche Aufgabe

 

Der Arbeitsentwurf stellt Prävention und Gesundheitsförderung als Aufgabe der Sozialversicherungen unter Einbeziehung der privaten Krankenversicherung in den Mittelpunkt der Neuregulierung. Da Prävention und Gesundheitsförderung gesamtgesellschaftliche Aufgaben sind, reicht eine um die private Krankenversicherung erweiterte „Sozialversicherungslösung“ nicht aus. Die BAGFW begrüßt ausdrücklich die Einbeziehung der privaten Krankenversicherung. Jedoch ist die Beteiligung des Staates auf allen seinen Ebenen noch nicht ausreichend gesichert. Eine Stärkung der staatlichen Verantwortung, insbesondere des öffentlichen Gesundheitsdienstes, aber auch der Träger der Kinder- und Jugendhilfe sowie der örtlichen und überörtlichen Sozialhilfeträger in die Verantwortung für die Stärkung der Gesundheitsförderung und Prävention ist notwendig. Die Einbeziehung der öffentlichen Verantwortung für die Primärprävention würde dem Risiko vorbeugen, dass primärpräventive Leistungen der Sozialversicherungen zu Lasten anderer Leistungsinhalte gestärkt werden oder Länder bzw. Kommunen sich mit Verweis auf Leistungen der Sozialversicherungen von öffentlichen Aufgaben zurückziehen.

 

 

3.         Kooperation und Steuerung: Vermeidung von Doppelstrukturen und Einbeziehung der Freien Wohlfahrtspflege

 

Vor dem Hintergrund der vorstehend formulierten Position, hält die BAGFW die Ausgestaltung des Nationalen Präventionsrats als Arbeitsgemeinschaft der in § 3 (Nr. 1-5) definierten Präventionsträger für problematisch. Der Kooperationsverbund „Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten“ hat sich auf seinem Treffen am 23.11.2007 dafür ausgesprochen, eine Kooperations- und Transparenzstelle bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung einzurichten. Die BAGFW unterstützt diese Initiative, die an vorhandene Strukturen anknüpft: Die präventionspolitische Verpflichtung des Bundes und der gesamtgesellschaftliche Charakter der Aufgabe Gesundheitsförderung und Prävention verlangen eine stärkere Einbeziehung des Bundes als es der Entwurf vorsieht. Die BzgA, der bereits jetzt der Kooperationsverbund zugeordnet ist, hat sich als Plattform der lebenslagenbezogenen Prävention bewährt. In dem der BzgA zuzuordnenden Präventionsrat (bzw. einer Arbeitsgemeinschaft) wirken der Bund (BzgA, das RKI, die zuständigen Bundesministerien), die Länder, die Kommunen, die Sozialversicherungszweige, die privaten Kranken- und Pflegekassen und andere Akteure, wie die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege zusammen.

 

Insbesondere ist nicht nachvollziehbar, warum die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege in den vorgesehenen Beiräten nicht einbezogen sind. Es entspricht dem Grundsatz von Pluralität und Subsidiarität, die Wohlfahrtsverbände als Hauptträger der maßgeblichen Orte der Prävention, den "Lebenswelten", im Nationalen Präventionsrat, in dessen Beirat und in den Länderpräventionsräten mit einzubeziehen.

 

Zudem müssen Doppelstrukturen, wie § 6 (Maßnahmen der gesundheitlichen Aufklärung) sie verankert, vermieden werden. Mit der Verankerung des Präventionsrats bei der BzgA gehen auch die in § 5 des Entwurfs genannten Aufgaben des Nationalen Präventionsrats (Formulierung von Präventionszielen auf der Grundlage der Berichterstattung des Robert-Koch-Instituts, Entwicklung von Qualitätsstandards, Entwicklung von Modellprojekten, Entwicklung und Durchführung von bundesweiten Kampagnen) auf die bei der BzgA angesiedelten Plattform über.

 

Der bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung angesiedelte Präventionsrat (bzw. eine Arbeitsgemeinschaft) sollte in einer Sektion auch für betriebliche Settings zuständig sein. In der Sektion für die betriebliche Gesundheitsförderung ließen sich die bestehenden Kooperationsstrukturen (Deutsches Netzwerk Betriebliche Gesundheitsförderung und INQA) zusammenführen.

 

Die Einbeziehung der Sozialversicherungen (über die Kranken- und Unfallversicherung  hinaus) in die Primärprävention und Gesundheitsförderung ist aus der Sicht der BAGFW sinnvoll. Bekanntlich haben die Rehabilitationsträger nach SGB IX (§ 3) bereits die Aufgabe darauf hinzuwirken, dass der Eintritt einer Behinderung einschließlich einer chronischen Krankheit vermieden wird. Den Trägern der Rehabilitation gibt die Kooperation auf Bundes- und Landesebene Anlass, ihre Zusammenarbeit (nach § 12 SGB IX) zu vertiefen und ihre gemeinsamen Empfehlungen (nach § 13 SGB IX) zur Umsetzung des Präventionsauftrags nach § 3 SGB IX zu konkretisieren.

 

Eine Erweiterung des Kreises der Präventionsträger erfordert jedoch klare Zuständigkeitsregelungen. Eine bloße Aufnahme möglichst vieler Sozialversicherungszweige in den Kreis der Finanziers der Primärprävention ohne inhaltlich bestimmte Verantwortungszuweisungen ist nicht sinnvoll.

 

 

Nicht nachvollziehbar ist, dass die Bundesagentur für Arbeit sich künftig nicht an der Gesundheitsförderung und gesundheitlichen Prävention beteiligen soll.

 

Auf Landesebene ist aus der Sicht der BAGFW sicherzustellen, dass die „Präventionsträger“ effektive Kooperationsstrukturen ausbilden. Arbeitsgemeinschaften von Präventionsträgern können an bereits bestehenden Strukturen wie „Regionalen Knoten“ des Kooperationsverbunds „Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten“, den Landesarbeitsgemeinschaften für Gesundheit oder Arbeitskreisen zu Gesundheitszielen angebunden werden. Hierbei sind insbesondere der Öffentliche Gesundheitsdienst und die Einrichtungen und Dienste der Familien- und Jugendhilfe einschl. der Freien Wohlfahrtspflege zu beteiligen.

 

4.         Finanzierung auch durch Steuermittel

 

Die lebenslagenbezogene Primärprävention ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die BAGFW gibt zu bedenken, ob diese Aufgabe nicht wesentlich über Steuermittel zu finanzieren ist. Dies entspricht der sozialpolitischen Überzeugung, insbesondere vorsorgende sozialstaatliche Maßnahmen nicht alleine den Sozialversicherungen aufzubürden.

 

Sollte sich der Gesetzgeber für eine Mischfinanzierung entscheiden, ist auf jeden Fall sicherzustellen, dass die Aufwendungen der Sozialversicherungszweige und der privaten Versicherungen nicht in die Vorhaltung der Infrastruktur fließen. Bundesaufgaben dürfen ausschließlich durch Steuermittel des Bundes finanziert werden. Dies betrifft vor allem den bei der BzgA anzusiedelnden Präventionsrat (bzw.) Arbeitsgemeinschaft, gilt entsprechend aber auch für die Arbeitsgemeinschaften auf Landesebene: Die „Regionalen Knoten“ im Rahmen des Kooperationsverbundes „Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten“ werden bereits jetzt teilweise durch Landesmittel und Mittel der Krankenversicherungen mischfinanziert. In eine solche Mischfinanzierung wären schließlich auch die privaten Kranken- und Pflegeversicherungen einzubeziehen.

 

Entschieden abzulehnen ist, dass nach dem Arbeitsentwurf in Zukunft die für Teilhabeleistungen budgetierten Finanzmittel der Rentenversicherung (§ 220 SGB IX) auch für Präventionsleistungen verwendet werden. Eine Umverteilung von medizinischer Rehabilitation zu Primärprävention lehnen wir strikt ab.

 

Im Übrigen ist bei verhaltenspräventiven Maßnahmen (Kursen) eine Ausgabenbegrenzung notwendig, da der Schwerpunkt der Primärprävention bei lebenslagenbezogenen Interventionen liegt.

 

5.         Weiterer Änderungs- bzw. Klarstellungsbedarf

 

Wie bereits eingangs erwähnt, behalten wir uns eine detaillierte Auseinandersetzung mit Einzelvorschriften vor. An dieser Stelle sei nur auf Folgendes hingewiesen:

·         Das Verfahren zur Projektförderung durch den Präventionsrat Land (§ 8 Abs. 2) bedarf insbesondere hinsichtlich des angemessenen Eigenanteils der Klärung. Des Weiteren stellt sich die Frage nach der Rollenverteilung bei der Initiative für Maßnahmen.

·         Das auf S. 19 der Begründung erläuterte Verfahren zur Aufbringung und Verteilung der Finanzmittel ist unklar. Der Beitrag der Gesetzlichen Unfallversicherung (Artikel 5, Änderung des Siebten Buches Sozialgesetzbuch) erschließt sich nicht.

 

 

·         In § 8a Abs. 1 werden Leistungsträger des Sozialgesetzbuches, nämlich die Träger der Leistungen der Arbeitsförderung (§ 19 SGB I) und die Träger der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende (§ 19a SGB I) gleichrangig mit Verbänden und Vereinen aufgezählt. Nach der Logik des Arbeitsentwurfs wäre es folgerichtig gewesen, diese als Präventionsträger (§ 3) zu benennen. Damit stellt sich auch die Frage nach ihrer finanziellen Verantwortlichkeit.

·         Die Hervorhebung der Sport- und Wandervereine unter den verbandlichen und vereinsbezogenen Trägern der Lebenswelt ist zu kritisieren (§ 8). Die Liste ist um Selbsthilfegruppen und -organisationen zu erweitern.

 

C.        Schluss

 

Ein Präventionsgesetz kann den steuerungspolitischen Rahmen der Primärprävention und Gesundheitsförderung festlegen. Darüber hinaus brauchen wir eine breite gesundheitspolitische Diskussion darüber, wie Primärprävention und Gesundheitsförderung in den verschiedenen Lebensfeldern insbesondere zugunsten benachteiligter und vulnerabler Bevölkerungsgruppen verstärkt wird. Die BAGFW setzt sich dafür ein,

·         Doppelstrukturen zu vermeiden,

·         bestehende Kooperationsstrukturen (Kooperationsverbünde) unter Einbeziehung der Freien Wohlfahrtspflege zu stützen,

·         die staatlichen Aufgaben zu stärken (BzgA),

·         für einen erweiterten Kreis von Präventionsträgern verbindliche Kooperationsstrukturen zu formulieren

·         klare Zuständigkeiten zuzuweisen und

·         die lebenslagenbezogene Primärprävention und Gesundheitsförderung auch über Steuermittel gerecht zu finanzieren.

 

 

 

 

Berlin, 04.12.2007