Die BAGFW unterstützt nachdrücklich den Ansatz der GRÜNEN, dass die Wertschätzung der Pflege in Deutschland sich dringend in besseren, tariflichen Arbeitsbedingungen und in tariflicher Bezahlung widerspiegeln muss. Die Pandemie hat wie in einem Brennspiegel gezeigt, wie systemrelevant die Pflegeberufe für das Gesundheitssystem sind. Ihre Aufwertung ist dringend geboten. Daher ist der Gesetzgeber noch in dieser Legislatur gefordert, die Kompetenzen der Pflegeberufe zu erweitern, den Pflegekräften die eigenverantwortliche Ausübung von Heilkunde zu ermöglichen und so eine Neujustierung der Aufgabenteilung zwischen den Gesundheitsberufen zu erreichen.
Zu den Forderungen im Einzelnen:
Ad 1. und 7. Corona-Prämie und tarifgebundene Bezahlung in der Altenpflege
Nicht nur die Pflegekräfte, sondern auch andere Beschäftigte in Gesundheit, Pflege und in der Eingliederungshilfe haben in der Pandemie Herausragendes geleistet. Es reicht aber nicht aus, diese Leistung gewissermaßen symbolisch durch eine einmalige Prämie zu honorieren („Klatschen allein reicht nicht“). Erforderlich ist vielmehr, was unter Ziffer 7 gefordert wird, nämlich, dass alle Pflegekräfte in der Altenhilfe eine tarifgebundene Bezahlung erhalten und dass die Tarifparteien diesen Schritt schnellstmöglich umsetzen. Dafür setzen sich die Verbände der BAGFW seit langem ein. Des Weiteren fordert die BAGFW, dass Tarifbindungen in allen Bereichen des Gesundheitswesens auf gesetzlicher Grundlage als wirtschaftlich bei Vergütungsverhandlungen anerkannt werden.
Ad 2. Versorgung mit Schutzausrüstung für Pflege-, Assistenz- und Betreuungskräfte in allen Sektoren verbessern
Die Schlüsselrolle einer guten Schutzausrüstung hat sich zu Beginn der Pandemie gezeigt. Das Fehlen adäquater Schutzmaterialien hat dazu geführt, dass pflegebedürftige und Menschen mit Beeinträchtigungen in der Häuslichkeit auf die Versorgung durch Pflegedienste verzichtet haben und dass Tagespflegen geschlossen werden mussten. Das gleiche Problem betraf auch die Einrichtungen der Behindertenhilfe und viele andere Bereiche der Versorgung durch soziale Dienste. Die BAGFW unterstützt nachdrücklich die Produktion einer ausreichenden Menge von Schutzausrüstung in Deutschland und Europa, da in einer weltweiten Pandemie jedes Land darauf angewiesen ist, selbst genügend Vorräte an Schutzausrüstung vorzuhalten. Obwohl es im Augenblick bundesweit genug Schutzmaterial gibt, treten immer wieder in einzelnen Regionen oder bei einzelnen Produkten längere Lieferzeiten auf. Im Augenblick wird über sehr lange Lieferzeiten bei den Handschuhen und den Schutzkitteln berichtet. Darüber hinaus liegen die Preise für die Produkte deutlich höher als vor der Pandemie.
Ad 3. Testungen für professionelle Pflege-, Assistenz- und Betreuungskräfte
Pflegebedürftige Menschen und viele Menschen mit einer Beeinträchtigung haben aufgrund häufig vorhandener Vorerkrankungen ein hohes Risiko zu erkranken. 30-60 % aller an COVID-19 verstorbenen Menschen sind Menschen, die in Einrichtungen der Pflege und Eingliederungshilfe leben. Beschäftigte in Pflege- und Behinderteneinrichtungen müssen sowohl vor Ansteckung geschützt werden als auch davor, die von ihnen zu versorgenden Menschen anzustecken. Daher müssen Beschäftigte in Einrichtungen des Gesundheitswesens und Betreuungs- und Assistenzkräfte in der Behindertenhilfe prioritär getestet werden. Darüber hinaus muss aber auch in anderen sozialen Einrichtungen, in denen Menschen auf engerem Raum zusammenleben, wie z.B. in Einrichtungen für Geflüchtete oder in Wohnungsloseneinrichtungen prioritär getestet werden können. Wir weisen darauf hin, dass die Gesundheitsämter ihrer Verpflichtung nachkommen müssen, diese Testungen auch anzuordnen. Die Verbände der BAGFW nehmen nach wie vor deutlich wahr, dass dies in regional sehr unterschiedlicher Weise geschieht. Es darf nicht sein, dass Einrichtungen bei notwendigen Testungen ihrer Mitarbeitenden die Kosten in Höhe eines Privathonorars nach GOÄ für eine Testung selbst tragen müssen. Wir weisen darauf hin, dass neben den Rehaeinrichtungen auch Vorsorgeeinrichtungen in die präventiven Testungen einzubeziehen sind.
Für die Testungen bedarf es dringend einer gezielten nationalen Teststrategie. Besonders in den Fokus zu nehmen sind Kontaktpersonen von Risikogruppen, zu welchen insbesondere ältere und pflegebedürftige Menschen sowie viele Menschen mit Beeinträchtigung zählen. Die BAGFW weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Gesundheitsämter Testungen in Pflegeeinrichtungen nach wie vor in unzureichendem Maße anordnen, wobei das Anordnungsgeschehen von Kreis zu Kreis sehr unterschiedlich ist. Es ist nicht hinzunehmen, dass pflegebedürftige Menschen, ihre Angehörigen oder Einrichtungen auf Testkosten im Umfang von 150 Euro pro Test sitzen bleiben.
Zudem weisen wir darauf hin, dass Testungen in Einrichtungen der Behindertenhilfe in keiner Weise in den Vergütungen als Mehraufwendungen geltend gemacht werden können. Menschen mit Beeinträchtigungen sind aber mitunter ebenso wie pflegebedürftige Menschen der Risikogruppe zuzuordnen, daher ist hier eine verbindliche gesetzliche Grundlage für die Berücksichtigungsfähigkeit dieser Mehraufwendungen zu schaffen. (s. auch Kommentierung zu Ziffer 11).
Ad 5. und 6. Unterstützung der Mitarbeitenden im Arbeitsalltag der Pandemie
Die Erkenntnisse über die Pandemie entwickeln sich stetig fort. Sofern neue Erkenntnisse und Methoden coronaspezifische Schulungen und Fortbildungen der Mitarbeitenden erforderlich machen, z.B. im Umgang mit bestimmten Schutzmaterialien oder Hygienemaßnahmen, müssen diese außerplanmäßigen Mehraufwendungen refinanzierbar sein. Darüber hinaus wird es dauerhaft Mehraufwendungen für Schutzmaterialen sowie für Hygiene und Schutzmaßnahmen geben, die auch in den kommenden Jahren deutlich über dem Niveau der Zeit vor Corona liegen.
Des Weiteren ist es im Hinblick auf die Unterstützung wichtig, dass sich die Bundesländer, die Ordnungsbehörden und der öffentliche Gesundheitsdienst auf ein einheitliches Vorgehen verständigen und nicht die Mitarbeitenden in den Einrichtungen und Diensten mit widersprüchlichen Anforderungen konfrontiert werden.
Ad 8. Personalbemessungsverfahren in der Alten- und Krankenpflege einsetzen
Aufgrund der demographischen Entwicklung steigt die Anzahl pflegebedürftiger und multimorbider hochaltriger Menschen an. Sowohl der Bedarf an Grundpflege als auch an medizinischer Behandlungspflege hat sich in den letzten Jahren erhöht. Sterbende Menschen zuhause, in den stationären Pflegeeinrichtungen und im Krankenhaus brauchen eine gute palliative Versorgung, Betreuung und Begleitung, die zeit- und personalintensiv ist und Tag und Nacht zur Verfügung stehen muss. Trotz dieser gestiegenen quantitativen und qualitativen Anforderungen sind die Personalschlüssel in der Altenpflege seit den 1990er Jahren nahezu unverändert geblieben. Sie schwanken zwischen den einzelnen Bundesländern stark und diese historisch gewachsenen Bandbreiten der Personalrichtwerte haben sich in den letzten 20 Jahren fortgeschrieben, was zu deutlichen regionalen Unterschieden in den Personalschlüsseln führt. Die Verbände der BAGFW weisen darauf hin, dass die 20.000 zusätzlichen Pflegehilfskräfte, die im Rahmen des GPVG als ersten Umsetzungsschritt zur Einführung eines Personalbemessungssystems im neuen § 8 Absatz 6a vorgesehen sind, nur einen allerersten Schritt darstellen.
Von zentraler Bedeutung für die BAGFW ist, dass ein in der Erprobung und modellhaften Einführung bewährtes Personalbemessungssystem verbindlich umgesetzt und auf der Grundlage gesetzlicher Maßgaben bundesweit verbindlich eingeführt wird. Dabei können länderspezifische Besonderheiten durchaus Berücksichtigung finden. Dazu bedarf es einer gesetzlichen Verpflichtung der Anerkennung des Bedarfs bei den Verhandlungen auf Landesebene. Das Personalbemessungssystem muss insgesamt Grundlage einer Finanzierung der Pflegevergütungen sein. Es bedarf eines Gesamtkonzeptes für die Umsetzung der einzelnen Schritte. Die BAGFW setzt sich für eine zügige Umsetzung des § 113c SGB XI ein.
Ad 9. Höhere Ausbildungszahlungen in den Pflegeberufen
Die BAGFW setzt sich mit Nachdruck für eine Erhöhung der Ausbildungszahlen ein.
Neben den Pflegefachkräften benötigen wir gut ausgebildete Pflegehelfer(innen), denen eine Weiterqualifizierung zur Pflegefachkraft offen steht. Daher setzen wir uns für die Einführung der ein- bis zweijährigen bundeseinheitlichen Pflegeassistentenausbildung ein, die den Anschluss an die dreijährige Fachkraftausbildung und Verwirklichung individueller Karrierechancen ermöglicht. Daneben sollte die Weiterqualifizierung von Pflegehelfer(inne)n zu Pflegefachkräften gefördert werden, z.B. durch Bildungsgutscheine für Teilzeitausbildung.
Ad 10. Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten
Eine der wenigen Bereiche, in denen die Gesetzgebung angesichts der Covid-19-Pandemie noch gar nicht umgesetzt wurde, stellt § 5a des IfSG dar. Danach sollte die Pandemie die eigenverantwortliche Ausübung von Heilkunde durch Pflegefachkräfte beschleunigen. Eine entsprechende Rechtsverordnung nach § 5a Absatz 2 IfSG steht immer noch aus.
Die Kompetenzen der Pflegekräfte müssen dringend entsprechend den Vorbildern in den anderen europäischen Ländern erweitert und ausgebaut werden. Ziel muss sein, dass Pflegekräfte auf der Grundlage der im Pflegeberufegesetz definierten Vorbehaltsaufgaben Heilkunde eigenverantwortlich und interprofessionell auf Augenhöhe mit den Ärzten im Rahmen einer Neujustierung der Aufgabenteilung im Gesundheitswesen ausüben können. Dadurch kann das eigenständige professionelle Handeln der Pflegenden gestärkt und nicht zuletzt auch die Attraktivität der Pflegeberufe erhöht werden. Mit den Ergebnissen der AG 3 der Konzertierten Aktion Pflege liegt ein Handlungskonzept vor, dessen Umsetzung durch die Pandemie ins Stocken geraten ist. Die weiteren Beratungen dazu sollten unverzüglich aufgenommen werden.
Von herausragender Bedeutung bei der Kompetenzvermittlung wird auch die Vermittlung digitaler Kompetenzen sein. Der Gesetzgeber tut sich schwer, konkret diese Form von Kompetenzen in den Berufsgesetzen zu verankern. In diesem Punkt sieht die BAGFW ein großes Desiderat.
Ad 12. Bekämpfung des Fachkräftemangels
Wesentlich für eine Bekämpfung des Fachkräftemangels ist, dass Arbeitgeber, Kostenträger und Politik gemeinsam Arbeitsbedingungen schaffen, um Pflegekräfte gewinnen zu können. Dazu zählt:
- Entschleunigung der Pflegearbeit: Mehr Zeit für eine umfassende, personenorientierte Pflege, insbesondere mit Blick auf die psychosoziale Betreuung
- Förderung von betrieblichen Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention am Arbeitsplatz
- Bessere Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf
- Nutzung des Potenzials der Digitalisierung
- Offensive zur Entbürokratisierung
Die Konzertierte Aktion Pflege hat zu all diesen Bereichen Bündel von Maßnahmen vorgeschlagen, die jetzt zügig umgesetzt werden müssen.