Vorbemerkung:
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) beschränkt sich in ihrer Stellungnahme zu den Anträgen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN zur Personalsituation in der Alten- und Krankenpflege auf den Bereich der Langzeitpflege, da nicht alle in der BAGFW zusammengeschlossenen Verbände Träger von Krankenhäusern sind.
Antrag der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/Die GRÜNEN „Sofortprogramm für mehr Personal in der Altenpflege“ (BT-Drs. 19/446)
Die GRÜNEN weisen in ihrem Antrag auf den gravierenden Personalmangel in der Altenpflege hin. Die GRÜNEN setzen sich für ein Sofortprogramm für die Pflege, verbindliche Personalbemessungsinstrumente sowie eine „Konzertierte Aktion Pflege“ zur bedarfsgerechten Weiterentwicklung der Altenpflege einschließlich der Unterstützung für pflegende Angehörige ein. Konkret soll ein Sofortprogramm Pflege aufgelegt werden, das eine Ausbildungsoffensive, Anreize für eine Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit, ein Wiedereinstiegsprogramm, eine bessere Gesundheitsvorsorge für die Beschäftigten sowie die Weiterqualifizierung von Pflegehelfern zu Pflegefachkräften beinhaltet. Zur Finanzierung der zusätzlichen Pflegestellen schlagen die GRÜNEN vor, den Pflegevorsorgefonds aufzulösen. Damit stünden Mittel in Höhe von 1,2 Mrd. Euro jährlich zur Verfügung.
Bewertung:
Das „Sofortprogramm Pflege“, das die GRÜNEN vorschlagen, enthält aus Sicht der in der BAGFW zusammengeschlossenen Verbände genau die richtigen Elemente, um dem Pflegekräftemangel in einem ersten Schritt wirksam entgegentreten zu können.
Die Studie „Pflege-Thermometer 2018“ des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung (dip) zeigt auf, dass derzeit 17.000 Stellen in den rund 13.500 stationären Pflegeeinrichtungen nicht besetzt werden können. Zentrale Ursache ist die Arbeitssituation in der Pflege, die von hoher Arbeitsverdichtung gekennzeichnet ist. Trotz gestiegener quantitativer wie qualitativer Anforderungen sind die Personalschlüssel seit Beginn der Pflegeversicherung fast unverändert geblieben und variieren überdies stark zwischen den Bundesländern. Die im Zuge der Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs erfolgte Mehrpersonalisierung ist nur ein erster Schritt. Nicht eingerechnet sind hier Faktoren wie der gestiegene Bedarf an medizinischer Behandlungspflege und palliativer Versorgung in den stationären Pflegeeinrichtungen. Studien gehen hier von mindestens 50.000 zusätzlichen Stellen aus. Aufgrund der derzeitigen Arbeitssituation in der Altenpflege – von Arbeitsverdichtung bis hin zu schlechterer Bezahlung als in der Krankenpflege (s. u.) – ist es allerdings problematisch, genügend Fachkräfte zu gewinnen. Zentraler Schlüssel zur kurzfristigen Behebung des Personalmangels in der Pflege ist daher aus Sicht der BAGFW die Verbesserung der Arbeitssituation und eine Ausbildungsoffensive
Kurzfristig ist eine Verbesserung der Personalsituation nur möglich durch:
· Aufstockung von Teilzeit- in Vollzeitstellen: Mehr als zwei Drittel der Beschäftigten arbeiten in Teilzeit. Lt. BARMER Pflegereport (2017) sind rund 27 Prozent der Pflegekräfte in der ambulanten Pflege und rund 29 Prozent in der stationären Pflege vollzeitbeschäftigt (Stand 2015). Insbesondere in der stationären Pflege ist dabei ein deutlicher und kontinuierlicher Rückgang der Vollzeitbeschäftigten von rund 48 Prozent im Jahre 1999 auf rund 29 Prozent im Jahre 2015 zu verzeichnen (BARMER Pflegereport 2017). Bei den Teilzeitkräften handelt es sich teilweise um gewollte Teilzeitbeschäftigungen, teilweise um ungewollte Teilzeitbeschäftigungen. Unter den Teilzeitkräften gibt es viele Pflegekräfte, die durchaus gerne Vollzeit arbeiten würden, aber auf dem Pflegearbeitsmarkt keine Vollzeitstellen angeboten bekommen. Nach einer Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung gaben beispielweise 46 Prozent der teilzeitbeschäftigten Altenpflegekräfte in Ostdeutschland als Grund für ihre Teilzeitbeschäftigung an, dass eine Vollzeitstelle nicht zu finden war (Presseinformation des MASGF Brandenburg 018/2018). Darüber hinaus gibt es eine nicht unerhebliche Zahl von Pflege(fach)kräften, die von sich aus wegen der hohen Arbeitsbelastung, der Arbeitsverdichtung und der ungünstigen Arbeitsbedingungen Teilzeit wählen.
· Wiedereinstiegsprogramm für Pflegekräfte: Viele Pflegekräfte verlassen ihr Berufsfeld zwar aufgrund der o.g. belastenden Arbeitsbedingungen, sind aber ggf. für einen Wiedereinstieg zu motivieren. Um den Wiedereinstieg zu erleichtern, bedarf es u.a. entsprechender Schulungsprogramme. Dabei sind auch neue Lernformen wie Blended Learning, d.h. die Verknüpfung von traditionellen Präsenzveranstaltungen und modernen Formen von E-Learning, zu erproben.
Arbeitgeber und Politik müssen gemeinsam Rahmenbedingungen schaffen, damit folgende Maßnahmen zur kurzfristigen Gewinnung von Personalkapazität Wirkung erzielen können:
· „Entschleunigung“ der Pflegearbeit: Mehr Zeit für eine umfassende, personenorientierte Pflege – insbesondere im Hinblick auf die psychosoziale Betreuung durch höhere Personalschlüssel.
· Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wie die Bereitstellung von Kinderbetreuungsmöglichkeiten oder Tagespflegeplätzen für zu pflegende Angehörige.
· Förderung von betrieblichen Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention: Dazu zählt u. a. ein möglichst umfassender Einsatz von Hilfsmitteln zur Reduktion der hohen körperlichen Belastungen und – als Voraussetzung dafür – die Förderung der Akzeptanz technischer Hilfen. Zudem fehlt es an einem flächendeckenden Einsatz von technischen Hilfsmitteln sowohl zur Förderung der Selbstständigkeit der pflegebedürftigen Menschen als auch zur Arbeitsentlastung von Pflegenden. Dabei ist vor allem auch eine entsprechende Refinanzierung technischer Hilfsmittel erforderlich.
· Ein großes und noch nicht erschlossenes Potenzial liegt in der konsequenten Umsetzung der Digitalisierung. So erfolgt z. B. bei der Abrechnung hinsichtlich der Leistungserfassung- und -übermittlung immer noch eine Doppeldokumentation in elektronischer Form und in Papierform, da eine entsprechende Telematikstruktur fehlt.
· In diesem Zusammenhang ist als ein weiterer wichtiger Faktor vor allem die Entlastung von unnötiger Bürokratie zu sehen, wie sie durch das EinSTEP-Projekt zur Entbürokratisierung der Pflegedokumentation geleistet wurde. Der Abbau des immer noch bestehenden unnötigen Bürokratieaufwands, wie bspw. im Abschlussbericht der Ombusfrau für Entbürokratisierung in der Pflege dargelegt, muss konsequent fortgeführt werden.
· Primär im Aufgabenbereich der Einrichtungen und Dienste liegt es, die Arbeitsbedingungen vor Ort weiter zu verbessern durch Maßnahmen wie die Schaffung attraktiver Arbeitszeitmodelle, die die Selbstständigkeit und Handlungsautonomie der Pflegenden erhöhen, eine Verbesserung der Dienst- und Schichtpläne zur Förderung der ausgewogenen Gestaltung von Arbeit und Freizeit sowie die Etablierung einer wertschätzenden Unternehmenskultur und auch die Stärkung von Management- und Führungskompetenzen. Dennoch ist auch hier möglichst umfassende Unterstützung auf Bundes- und Länderebene wünschenswert.
In dieser Legislaturperiode müssen die Weichen unverzüglich gestellt werden, um mittel- und langfristig ausreichend Personal für die Pflege zu gewinnen:
· Die Umsetzung des bis 2020 zu entwickelnden und zu erprobenden Personalbemessungsinstruments ist verbindlich in § 113c SGB XI festzuschreiben. Bis dahin ist im Sinne einer gleichwertigen Versorgungslage in Deutschland wenigstens sicherzustellen, dass der gegenwärtig höchste Personalrichtwert der Bundesländer (Bayern) in allen anderen Bundesländern umgesetzt wird. Für die ambulante Pflege ist eine adäquate Zwischenlösung festzuschreiben.
· Im Koalitionsvertrag ist vorgesehen, dass in der Altenpflege künftig tarifliche Entlohnungen flächendeckend zur Anwendung kommen sollen. Die Sicherstellung einer tariflichen Entlohnung muss auch die Anerkennung der Tarifbindung im SGB V für die häusliche Krankenpflege umfassen. Gehälter in der Langzeitpflege sind flächendeckend an das Niveau in der Krankenhauspflege anzugleichen. Auszubildende dürfen nicht länger auf den Personalschlüssel angerechnet werden.
· Zusätzliche Personalstellen dürfen nicht zu Lasten der pflegebedürftigen Menschen gehen, indem sich deren Eigenanteile erhöhen. Zur Finanzierung eines Sofortprogramms für zusätzliche Pflegestellen soll der Pflegevorsorgefonds, für den derzeit sogar Negativzinsen zu zahlen sind, wie von den GRÜNEN gefordert, aufgelöst oder zumindest in einem ersten Schritt teilweise umgewidmet werden.
· Die medizinische Behandlungspflege in den vollstationären Einrichtungen muss systemkonform vollständig aus dem SGB V finanziert werden. Hier hat der Koalitionsvertrag die richtigen Weichen gestellt, wenngleich das vorgesehene Finanzvolumen von 400 Mio. Euro nur in etwa ein Sechstel des tatsächlichen Aufwands deckt.
· Die Kompetenzen der Pflegekräfte müssen dringend entsprechend den Vorbildern in den anderen europäischen Ländern erweitert und ausgebaut werden. Ziel muss sein, dass Pflegekräfte auf der Grundlage der im Pflegeberufegesetz definierten Vorbehaltsaufgaben Heilkunde eigenverantwortlich und interprofessionell auf Augenhöhe mit den Ärzten ausüben können. Dadurch kann das eigenständige professionelle Handeln der Pflegenden gestärkt und nicht zuletzt auch die Attraktivität der Pflegeberufe erhöht werden.
· Die professionell Pflegenden müssen künftig entsprechend ihrer zentralen Rolle im Gesundheitswesen angemessen im strukturellen Gefüge und Entscheidungsprozedere des Gemeinsamen Bundesausschusses vertreten sein.
Die Ausbildungskapazitäten müssen unverzüglich erhöht werden. Dazu sind folgende Sofortmaßnahmen zu ergreifen:
· Das Schulgeld muss in allen Bundesländern, in denen es noch besteht, sofort und noch vor Inkrafttreten des Pflegeberufegesetzes abgeschafft werden.
· Neben den Pflegefachkräften benötigen wir gut ausgebildete Pflegehelfer(innen), denen eine Weiterqualifizierung zur Pflegefachkraft offen steht. Daher setzen wir uns für die Einführung einer zweijährigen bundeseinheitlichen Pflegeassistentenausbildung ein, die den Anschluss an die dreijährige Fachkraftausbildung und Verwirklichung individueller Karrierechancen ermöglicht. Daneben sollte die Weiterqualifizierung von Pflegehelfer(inne)n zu Pflegefachkräften gefördert werden, z.B. durch Bildungsgutscheine für Teilzeitausbildung.
· Durch die lange Dauer der Regierungsbildung hat sich die Umsetzung des Pflegeberufegesetzes verzögert. Die BAGFW fordert eine umgehende Beratung und Verabschiedung der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung sowie der Finanzierungsverordnung, damit das Pflegeberufegesetz fristgemäß zum 1.1.2020 in Kraft treten kann und Auszubildende und Ausbildungsstätten die dringend erforderliche Planungssicherheit erhalten.
· Pflegeschulen benötigen zur Umsetzung des Pflegeberufegesetzes und der neuen Pflegeausbildungen für die Curricularentwicklung und die Qualifizierung ihres Lehrpersonals sowie für den Aufbau der Kooperationsbeziehungen zu den Trägern der praktischen Ausbildung eine einmalige Anschubfinanzierung. In den Ländern ist zudem eine verbindliche gesetzliche Grundlage für die Refinanzierung der Investitionskosten der Pflegeschulen zu schaffen.
· Schaffung eines jährlichen Bildungsbudgets zur Fort- und Weiterbildung, damit Pflegende diese nicht selbst finanzieren müssen.
Zur Finanzierung der Maßnahmen eines Sofortprogramms sollte der Pflegevorsorgefonds aufgelöst bzw. in einen Pflegepersonalfonds umgewidmet werden. Gegenwärtig müssen auf die Einnahmen aus den Beitragsmitteln für den Pflegevorsorgefonds sogar Negativzinsen entrichtet werden, sodass das Ziel des Aufbaus einer Demographiereserve nicht erreicht werden kann. Mit den jährlich zur Verfügung stehenden Mitteln in Höhe von 1,2 Mrd. Euro könnten ca. 20.000 zusätzliche Vollzeitstellen für Pflegefachkräfte finanziert werden, ohne die Leistungsempfänger mit zusätzlichen Kosten zu belasten.
Des Weiteren unterstützt die BAGFW das im Antrag der GRÜNEN genannte Ziel, die pflegenden Angehörigen zu stärken. Seit langem setzt sich die BAGFW u.a. dafür ein, ein sog. Entlastungsbudget zu schaffen, das die Mittel für die Kurzzeitpflege, Verhinderungspflege, Tages- und Nachtpflege sowie den monatlichen Entlastungsbetrag nach § 45b SGB XI zusammenführt, damit pflegende Angehörige und Betroffene ganz flexibel das für ihre jeweilige Situation passende Angebot zusammenstellen und finanzieren können.
Antrag der Bundestagsfraktion DIE LINKE „Sofortprogramm gegen den Pflegenotstand in der Altenpflege“ (BT-Drs. 19/79)
Ebenso wie die GRÜNEN fordert die Fraktion DIE LINKE ein Sofortprogramm gegen den Pflegenotstand in der Altenpflege. Zur Bekämpfung des Pflegekräftemangels soll ein bundeseinheitlicher verbindlicher Personalschlüssel im Tag- und Nachtdienst eingeführt werden. Damit eine Mehrpersonalisierung die Eigenanteile der Pflegebedürftigen nicht erhöht, soll der Pflegevorsorgefonds in einen Pflegepersonalfonds umgewidmet werden. Der Mindestlohn soll bundeseinheitlich auf 14,50 Euro je Stunde angehoben und das Gehaltsniveau von Altenpflegefachkräften an das Niveau im Krankenhaus angehoben werden. Als Gegenfinanzierung fordert die LINKE den Einstieg in die solidarische Pflegeversicherung bei Erweiterung der Beitragsbasis und Einbeziehung der Besserverdienenden. Die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung sowie das Finanzierungskonzept auf der Grundlage des Pflegeberufegesetzes sollen umgehend vorgelegt werden. Des Weiteren fordert die LINKE, den Vergütungsanspruch des Unternehmerrisikos aus dem SGB XI zu streichen.
Bewertung:
Die BAGFW teilt die Einschätzung der LINKEN zur Personalsituation in der Altenpflege und unterstützt die Forderung nach der Einführung verbindlicher Personalschlüssel auf der Grundlage eines Personalbemessungsinstruments, wie oben zum Antrag der GRÜNEN bereits ausgeführt. Unterstützt wird auch die Forderung nach Auflösung des Pflegevorsorgefonds zur Finanzierung der zusätzlich dringend erforderlichen Pflegefachkraftstellen (vgl. auch dazu obige Stellungnahme zum Antrag der GRÜNEN). Eine weitere Anhebung des Pflegemindestlohns ist wünschenswert; es ist allerdings Aufgabe der Pflegemindestlohnkommission, die konkrete Höhe zu verhandeln. Die Verbände der BAGFW unterstützen ausdrücklich die Forderung der LINKEN, das Gehaltsniveau in der Altenpflege an das Niveau der Krankenpflege anzugleichen. Dafür setzen wir uns auch im Rahmen des Bündnisses für gute Pflege seit langem ein. Die Forderung der LINKEN, für den Nachtdienst in der Altenpflege einen Schlüssel von 1:20 als vorläufige Mindestbesetzung bis zur Einführung eines verbindlichen Personalbemessungsinstruments festzusetzen, unterstützt die BAGFW nachdrücklich. Dafür sind zusätzliche, aus Mitteln der Pflegeversicherung zu finanzierende Pflegekräfte vorzusehen; eine Verlagerung von Personal aus den Tagesschichten in den Nachtdienst darf nicht erfolgen. Des Weiteren setzen wir uns für die Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung der Fachkraftquote entsprechend der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse ein. Im Sinne der Gewährleistung einer hochwertigen Versorgung pflegebedürftiger Menschen ist es aus Sicht der Freien Wohlfahrtspflege nicht vertretbar, die Fachkraftquotenregelungen – die ohnehin in den Ländern bereits diverse pragmatische Abweichmöglichkeiten oder sonstige Regelungen zur Vereinfachung (z.B. im Zuge der Umsetzung PSG II) aufweisen – ohne wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse abzuschaffen oder grundlegend zu verändern. Dies begründet sich auch durch die Ergebnisse internationaler Studien, die darauf hinweisen, dass zwischen dem Qualifikationsniveau von Pflegenden und der Versorgungsqualität in stationären Pflegeeinrichtungen ein Zusammenhang besteht.
Zur langfristigen Finanzierung einer angemessenen Personalausstattung in der Altenpflege bedarf es einer nachhaltigen Sicherung der Finanzierungsbasis der Pflegeversicherung. Zur Verbreiterung der Einnahmebasis sollen aus Sicht der BAGFW weitere Einkommensarten auf der Grundlage der steuerlichen Einkommensarten in die Beitragsbemessung einfließen. Des Weiteren soll die Beitragsbemessungsgrenze bis auf das Niveau der Gesetzlichen Rentenversicherung angehoben werden. Diese beiden Maßnahmen entsprechen den Forderungen des Antrags der LINKEN. Des Weiteren setzen sich die Verbände der BAGFW für eine jährliche, an den Kriterien der Kostenentwicklung orientierte Dynamisierung der Leistungen der Pflegeversicherung ein, um einen Realwertverlust dieser Leistungen zu vermeiden. Der Koalitionsvertrag enthält eine Formulierung zur Dynamisierung, die aus Sicht der BAGFW in dieser Weise politisch ausgestaltet werden kann. Nur so ist gewährleistet, dass die Sozialhilfeabhängigkeit pflegebedürftiger Menschen nicht weiter zunimmt.
Auch die Forderungen der LINKEN zur umgehenden Umsetzung der Verordnungen des Pflegeberufegesetzes unterstützen wir (s. auch dazu die obigen Ausführungen zur Stellungnahme zum Antrag der GRÜNEN).
Eine Streichung des Unternehmerrisikos nach § 84 Absatz 2 SGB XI für Einrichtungsbetreiber der vollstationären Pflege wird hingegen von der BAGFW abgelehnt. Hier sei zudem verwiesen, dass das Gesetz auch für den ambulanten Bereich einen Risikozuschlag garantiert (§ 89 Absatz 1 Satz 3 SGB XI). Bei der Neuregelung des Unternehmensrisikos in § 84 Absatz 2 bzw. § 89 Absatz 1 SGB XI geht es nicht darum, „Anreize, den betriebswirtschaftlichen Nutzen für Träger zu maximieren“, wie der Antrag der LINKEN formuliert, sondern um eine Absicherung betriebswirtschaftlicher Unternehmerrisiken. Die im PSG III vorgenommene Neuregelung ist nur eine Klarstellung, welche die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nachvollzieht. Das BSG hat in seinem Urteil vom 29. Januar 2009 (Az. B 3 P 7/08 R u.a.) klargestellt und in einem weiteren Urteil bestätigt (BSG-Urteil vom 16.05.2013, Az.: B 3 P 2/12 R), dass Pflegesätze und Entgelte im Bereich der sozialen Pflegeversicherung nur dann leistungsgerecht sind, wenn sie die Kosten einer Pflegeeinrichtung hinsichtlich der voraussichtlichen Gestehungskosten unter Zuschlag einer angemessenen Vergütung ihres Unternehmerrisikos und eines etwaigen zusätzlichen persönlichen Arbeitseinsatzes sowie einer angemessenen Verzinsung ihres Eigenkapitals decken.
Chancen zum Risikoausgleich sind die Grundlage einer auskömmlichen Finanzierung. Da § 84 Absatz 2 Satz 7 2. Hs. SGB XI vorsieht, dass Verluste von der Pflegeeinrichtung zu tragen sind, hätte ein Unternehmen ohne die Möglichkeit, Rücklagen aus Überschüssen zu bilden, keine Chance, solche Verluste auszugleichen. Dies gilt für private wie für freigemeinnützige Träger gleichermaßen. Der Unterschied zwischen privaten und freigemeinnützigen Trägern liegt darin, dass eine Gewinnentnahme zur Mehrung des Privatvermögens der Anteilseigner bei freigemeinnützigen Trägern ausgeschlossen ist, denn sie sind durch die Abgabenordnung verpflichtet, Gewinne zeitnah entsprechend ihrer gemeinnützigen Satzungsvorgaben zu verwenden.
Berlin, 12.04.2018
Bundesarbeitsgemeinschaft
der Freien Wohlfahrtspflege e. V.
Dr. Gerhard Timm
Geschäftsführer
Kontakt:
Nora Roßner (nora.rossner@caritas.de)