Im Folgenden nehmen Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege und Nationale Armutskonferenz nur zu den Inhalten des Aktionsplanentwurfs (Stand 09.05.2006) Stellung. Zu den Punkten
Ø Entschiedener politischer Wille zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung
Ø und neue Impulse für den nationalen Aktionsplan Soziale Integration sind erforderlich
Ø Gesetzliche Rahmenbedingungen sind im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf Armut hin zu überprüfen
Ø Die Beteiligungsstruktur auf der Bundesebene und die Berücksichtigung des Themas Armutsbekämpfung in allen Politikfeldern muss gesichert sein
Ø Strukturen müssen geschaffen werden für Information und Kooperation zwischen den Akteuren auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene sowie den Akteuren der Zivilgesellschaft
Ø Sensibilisierung der Öffentlichkeit
verweisen wir auf unsere Stellungnahme vom 24.03.2006.
1. Wir vermissen in dem Entwurf des Aktionsplans die Strategie zur Förderung der sozialen Integration als integriertes Handlungskonzept aller föderalen Ebenen mit der Armuts- und Reichtumsberichterstattung als Grundlage und der Zivilgesellschaft als einem der tragenden Pfeiler, wie sie in ersten Grundlagen in dem Aktionsplan 2003-2005 (Aktualisierung 2004) angelegt war.
2. Zu den Zielen im Einzelnen:
a) Ziel 2.2.1 Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung ist als Querschnittsaufgabe aller Politiken einzufordern, sie kann nicht einzig durch Erreichen von besseren Arbeitsmarktdaten gelingen. Die Erhöhung der Arbeitsmarktbeteiligung von älteren Arbeitnehmer/innen und von Frauen (aller Altersstufen) ist präventiv im Sinne von Altersarmut angezeigt. Integration in den Arbeitsmarkt ist dagegen für arbeitsmarktferne Personen als Mittel zur gesellschaftlichen Integration nur dann tauglich, wennes gelingt, eine Zwischenlösung von subventionierter und öffentlich
gestützter Beschäftigung vorzuhalten. Da es in Deutschland 1.5 Millionen Arbeitsverhältnisse mit nicht bedarfsdeckendem Einkommen gibt, ist die Stützung solcher Einkommen durch Kombilohnmodelle zur Verhinderung von „working poor“ erforderlich. Diese Zahl zeigt außerdem, dass allein die Integration in den Arbeitsmarkt noch nicht notwendigerweise vor Armut schützt.
b) Ziel 2.2.2. Ein Abbau von Benachteiligung in Bildung und Ausbildung kann nur gelingen, wenn benachteiligte Kinder und Jugendliche über mehrere Lebensabschnitte durch
· Betreuung für unter Dreijährige,
· Förderung von Sprach- und Sozialkompetenz im Kindergarten und
· gezielte schulische Unterstützung korrespondierend mit einer tatsächlichen Lernmittelfreiheit
gefördert werden.
c) Zum Ziel 2.2.3 Kinder- und Familienpolitik geben wir zu Bedenken, dass wir die Reduzierung des bisher über den Verlauf von drei Jahren gezahlten Bundeserziehungsgeldes auf eine einjährige Mindestleistung für nichterwerbstätige Eltern für nicht tauglich halten, Armut von Familien im unteren Einkommensbereich zu verhindern. Das gesetzlich eingeführte Elterngeld hat eine andere Zielsetzung und ist in diesem Kontext eine Umverteilung von unten nach oben, weil es sich an erzieltem Einkommen orientiert und nicht vordringlich Armut bekämpft oder vermindert. Ebenso ist die Praxis des Kinderzuschlags kritisch zu sehen, weil er kompliziert zu beantragen und zu berechnen ist und viele Familien nicht erreicht.
d) Die Ziele 2.2.4 und 2.2.5, die Stärkung der Integration von Zuwanderinnen und Zuwandern und die Überwindung der Diskriminierung und Stärkung der Integration behinderter Menschen sollte in einem neuem Ziel 2.2.4 „Stärkung der Integration von Menschen in besonderen Problemlagen“ mit Unterkapiteln Zuwanderinnen und Zuwanderer, Menschen mit Behinderungen, umgewandelt und um Wohnungslose und Suchtkranke ergänzt werden.
e) Erheblich zur Integration wird beitragen, wenn bei Zuwanderung die Problematik der Kettenduldungen ausgesetzt und den Menschen eine gesicherte Lebenssituation zugesprochen werden könnte.
f) Ein neues Kapitel 2.2.5 ist einzufügen als „Sicherung der Daseinsvorsorge“. Wir halten eine allgemein zugängliche Infrastruktur sozialer Dienste für erforderlich, auf die Menschen in unterschiedlichen Notlagen und mit unterschiedlichen Bedarfen zurückgreifen können. Als Bedarf in Notlagen kann Beratung (bei drohender und) bei Überschuldung angeführt werden. Diese besondere psychisch wie materiell bedrückende Lebenslage könnte auch unter Ziel 2.2.4 subsumiert werden.
3. Wir empfehlen, die Schnittstellen zwischen Integration und Alterssicherung
- Stichwort Altersarmut - sowie Integration und Gesundheit/Pflege zu beleuchten, um die Vorteile des Streamlining zu nutzen. Beispielhaft möchten wir dies an der Schnittstelle von Armutsfragen und Langzeitpflege deutlich machen: die pflegebedingte Sozialhilfeabhängigkeit sollte stärker unter Gesichtspunkten von Armut und Integration betrachtet werden (S. 45 des Entwurfs). Im Bericht wird eine erhebliche Verringerung der pflegebedingten Sozialhilfeabhängigkeit ausgewiesen. Der zweite Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung zeigt dagegen, dass die Anzahl der Empfänger
von Hilfe zur Pflege bereits zwischen 2000 und 2002 wieder leicht angestiegen ist. Diese Tendenz zum Anstieg setzte sich 2003 mit einer Steigerung von 3,1% gegenüber dem Vorjahr nochmals deutlich fort. 73% dieser Sozialhilfeempfänger leben in vollstationären Einrichtungen, 69% davon sind Frauen. Immerhin 50% aller Empfänger von Hilfe zur Pflege beziehen keine Leistungen aus der Pflegeversicherung. Eine wesentliche Ursache für diese hohen Prozentzahl liegt nach unserer Einschätzung darin, dass viele Pflegebedarfe von demenziell oder psychisch Erkrankten in der Pflegeversicherung nicht leistungsauslösend sind, aber durchaus in der Hilfe zur Pflege berücksichtigt werden können. Insgesamt zeigt die eindeutige Tendenz zum Anstieg der Empfänger von pflegebedingten Sozialhilfeleistungen, dass die Leistungen in der Pflegeversicherung dringend einer Dynamisierung bedürfen. Die entsprechende Ankündigung der Bundesregierung im Koalitionsvertrag sollte in den Aktionsplan aufgenommen werden. Ebenso wären im Aktionsplan Änderungen der Leistungssätze für vollstationäre Pflege unter dem Vorzeichen der Stärkung des Grundsatzes „ambulant vor stationär“ zu diskutieren, denn bei einer Senkung wäre ein weiterer Anstieg der pflegebedürftigen Sozialhilfeempfänger zu befürchten.
4. Wir halten fest daran, dass grobe Prognosen und zumindest allgemeine Zielsetzungen, wenn nicht quantifizierbare oder qualitative Indikatoren, ein gutes Mittel sind die Wirksamkeit von polischen Maßnahmen und die Fortschritte in der Bekämpfung von Armut und Ausgrenzung zu messen.
5. Wenngleich die öffentliche Diskussion des Entwurfs des Aktionsplan ein richtiger Schritt ist, vermissen wir die Beteiligung der politischen Ebenen - Bundestag, Bundesrat und Landtage - in dem Prozess.
6. Die Überschneidungen zum Nationalen Reformprogramm sollten dringend bearbeitet werden.
7. Die Frage, wie die Bundesländer in diesem Prozess wirksam teilhaben, ist für uns weiterhin ungeklärt.
31. Mai 2006
Rückfragen bitte an die Mitglieder der Projektgruppe „NAP soziale Integration“ von BAGFW und NAK:
Saskia Jung, Projektgruppenleitung, Diakonisches Werk der EKD (grundsatzfragen@diakonie.de, 030/83001-353)
Erika Biehn, BAG Sozial- und Erwerbslosenhilfeinitiativen (bagshi.erika@web.de, 02941/78930)
Dr. Rudolf Martens, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband (rudolf.martens@paritaet.org, 030/ 24636-313)
Anita Morhard, Arbeiterwohlfahrt Bundesverband (mor@awobu.awo.org, Sekr. 0228/6685-268; 0228/9669757)
Thomas Schade, Deutsches Rotes Kreuz (schadet@drk.de, 030/85404-356)
Alfred Schleimer, Deutscher Caritasverband (alfred.schleimer@caritas.de, 0761/200-385)
Jens E. Schröter, BAG Sozial- und Erwerbslosenhilfeinitiativen (institut-angewandte.armut@web.de)
Paulette Weber, Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland e.V. (weber@zwst.org, 069/944371-31)
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