Vorbemerkung:
Die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) zu- sammengeschlossenen Verbände begrüßen die Mitteilung der Kommission und un- terstützen das Ziel, die aktive Einbeziehung der arbeitsmarktfernsten Menschen vo- ranzubringen. Als Stakeholder nehmen wir zum Instrument der offenen Methode der Koordinierung (OMK), zum Inhalt der gemeinsamen Grundsätze und zum unterstüt- zenden europäischen Rahmen wie folgt Stellung:
1. Instrument: intensivierte Anwendung der offenen Methode der Koordi- nierung (OMK)
Die Kommission schlägt vor, die offene Methode der Koordinierung (OMK) in diesem Bereich anzuwenden und sie durch die Annahme gemeinsamer Grundsätze und de- ren anschließende Überwachung und Evaluierung zu intensivieren. Hierbei soll der Grundsatz der Subsidiarität der Mitgliedstaaten, deren Unabhängigkeit und die un- terschiedlichen Gegebenheiten und Bedürfnisse respektiert werden.
Die BAGFW begrüßt dieses Vorhaben ausdrücklich. Die Einbeziehung arbeitsmarkt- ferner Personen in den Arbeitsmarkt in Europa kann nur gelingen, wenn sich die Mit- gliedstaaten dieses Zieles im Rahmen dieses transparenten Prozesses ausdrücklich annehmen. Erforderlich ist hier neben der Einbeziehung der Sozialpartner insbeson- dere die der Wohlfahrtsverbände als relevante Partner in das Verfahren.
Die neuen Statistiken belegen, dass Armut in etlichen Mitgliedstaaten der Europäi- schen Union zunimmt. Dies gilt besonders für die arbeitsmarktfernen Personen und Kinder. Deshalb müssen die Bemühungen dazu, „die Beseitigung der Armut ent- scheidend voranzubringen“, intensiviert werden. Dazu kann auch das Europäische Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung 2010 einen wesentlichen Beitrag leisten.
Unklar ist bislang, in welchem größeren europäischen Kontext oder Prozess die Empfehlungen zur Eingliederung arbeitsmarktfernster Personen in den Arbeitsmarkt und die OMK stehen sollen. Sinnvoll ist eine Einbindung in die Lissabon-Strategie.
2. Inhalt der gemeinsamen Grundsätze
Die Europäische Kommission beabsichtigt, eine Empfehlung zur Annahme gemein- samer Grundsätze in folgenden drei Bereichen zu veröffentlichen:
a) Einkommensunterstützung in ausreichender Höhe, um soziale Ausgren- zung zu vermeiden
Unter Bezugnahme auf die Empfehlung von 1992 soll nach Auffassung der Kommis- sion ein grundlegender Anspruch jedes Menschen auf ausreichende Zuwendungen und Leistungen zur Führung eines menschenwürdigen Lebens anerkannt werden. Hierbei sei der Vorbehalt zulässig, dass sich Personen, deren Umstände es zulas- sen, für eine Erwerbstätigkeit oder Ausbildung tatsächlich zur Verfügung halten. Bei der Gewährung des Anspruchs seien praktische Leitlinien zu berücksichtigen, die auf angemessene Indikatoren zur Bemessung der die Existenz sichernden Leistungen Bezug nehmen.
Die BAGFW begrüßt ausdrücklich die Annahme gemeinsamer Grundsätze zur Siche- rung eines Mindesteinkommens, das die menschliche Würde wahrt. Die Berücksich- tigung dieser sozialen Dimension und der materiellen Armut ist für eine Einbeziehung der arbeitsmarktfernen Personen in den Arbeitsmarkt unerlässlich. Für ein men- schenwürdiges Leben ist aus unserer Sicht nicht nur die Sicherstellung der zum Ü- berleben notwendigen Bedarfe, sondern auch eine soziale Teilhabe erforderlich. Vor allem für arbeitsmarktferne Personengruppen sollte das Integrationsziel jedoch nicht auf die Arbeitsmarktintegration beschränkt werden: Die staatliche Gewährung ar- mutsfester Sozialleistungen für ein menschenwürdiges Leben darf für diesen Perso- nenkreis nicht unter den Vorbehalt der Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt gestellt werden. Die Spezifika der in den Mitgliedstaaten gewachsenen staatlichen Unterstüt- zungssysteme sind zu respektieren und dürfen nicht durch die gemeinsamen Grund- sätze und den unterstützenden europäischen Rahmen unterlaufen werden.
b) Verbindung zum Arbeitsmarkt
Die Kommission schlägt vor, dass in den gemeinsamen Grundsätzen hervorgehoben werden soll, dass in erster Linie dem Arbeitsmarktzugang entgegenstehende Hinder- nisse mit Hilfe von aktiven und präventiven Angeboten (z. B. frühzeitige Ermittlung der Bedürfnisse, Beratung und Weiterbildung im Rahmen personalisierter Aktions- pläne) auszuräumen sind. Ferner seien positive und negative Anreize von Steuer- und Sozialleistungen zu überprüfen und ein angemessener Sozialschutz zu gewäh- ren. Nachfrageseitige Arbeitsmarktmaßnahmen, z. B. finanzielle Einstellungsanreize für Arbeitgeber oder die Erschließung neuer Beschäftigungspotenziale zur Deckung kollektiver Bedürfnisse sollen die Einbeziehung benachteiligter Gruppen unterstüt- zen.
beitsmarktpolitischer Instrumente in Deutschland möchte sie indes folgende Aspekte
betonen:
- Soziale Teilhabe besteht nicht allein in der Arbeitsmarktintegration
Die Einbeziehung arbeitsmarktferner Personen in den Arbeitsmarkt reicht nicht allein, um ihnen soziale Teilhabe zu ermöglichen. Über die berufliche Integration hinaus besteht soziale Teilhabe auch aus Partizipation an Bildung, am kulturellen und ge- sellschaftlichen Leben, aus einem guten Wohnumfeld etc. Häufig geht eine soziale Integration zeitlich einer Arbeitsmarktintegration voraus und bildet die Basis, auf der eine Arbeitsmarktintegration erst möglich wird. Mit der Arbeitsmarktintegration allein werden soziale Problemlagen nicht ausgeräumt. Dies ist bei der Erarbeitung der ge- meinsamen Grundsätze zur Einbeziehung arbeitsmarktferner Personen unbedingt zu beachten.
- Elemente einer sinnvollen Einbeziehung arbeitsmarktferner Personen in den Arbeitsmarkt
Aus den Erfahrungen mit Instrumenten zur Einbeziehung arbeitsmarktferner Perso- nen in den Arbeitsmarkt empfiehlt die BAGFW folgende Elemente, die im Rahmen der gemeinsamen Grundsätze zu beachten sind:
• Instrumente zur Förderung der Beschäftigung arbeitsmarktferner Personen dienen in erster Linie deren sozialer Teilhabe. Sie haben daher nicht nur eine arbeitsmarktpolitische, sondern auch eine sozialpolitische Zielsetzung.
• Die konkrete Beschäftigung muss sinnvoll sein und die Neigungen und Fähig- keiten der arbeitslosen Person berücksichtigen. Vorrangig sollen hier Beschäf- tigungsformen sein, die durch einen Arbeitsvertrag geregelt werden und dem Rechts- und Sozialversicherungsstatus eines regulären Arbeitsverhältnisses entsprechen.
• Bei der Vermittlung und Gestaltung der Arbeit sind Vermittlungshemmnisse zu beachten und darauf Rücksicht zu nehmen. Ein Angebot einer sozialpädago- gischen Begleitung sollte den Betroffenen offenstehen und die Inanspruch- nahme im Bedarfsfall jederzeit möglich sein.
• Qualifizierungsmaßnahmen müssen mit der Beschäftigung verknüpft und all- gemein zugänglich sein, damit die Durchlässigkeit zum ersten Arbeitsmarkt gewahrt ist. Die Strategie der aktiven Einbeziehung spricht nicht zuletzt von berufsbildenden Maßnahmen.
• Dem Wunsch- und Wahlrecht der Betroffenen, darunter ihrem Recht zu ent- scheiden, welche Einrichtung sie in Anspruch nehmen möchten, ist besondere Bedeutung zuzumessen. Ihre Vorstellungen und Wünsche sind bei der Aus- wahl der Tätigkeit und Gestaltung des Arbeitsverhältnisses zu beachten.
• Betroffene sind in den Prozess aktiv einzubeziehen. Nur so ist sichergestellt, dass ihre Vorstellungen auch tatsächlich zum Tragen kommen und ihre sozia- le Teilhabe im Arbeitsmarktgeschehen realisiert wird.
• Auch bei der Beschäftigung von arbeitsmarktfernsten Personen mit mehrfa- chen Vermittlungshemmnissen muss der Grundsatz der Freiwilligkeit gelten.
sonengruppen besonders intensiv zu fördern. Die Erfahrungen der BAGFW zeigen jedoch, dass vorrangiges Ziel nicht die Schnelligkeit der Vermittlung sein kann. Von besonderer Bedeutung ist außerdem die Nachhaltigkeit der Förderung. Entscheidend ist auch die Qualität des Vermittlungsangebots, z. B. dessen Passgenauigkeit auf individuelle Fähigkeiten und Bedürfnisse sowie der Betreuungsschlüssel. Jugendliche sind vorrangig in Ausbildung zu vermit- teln. Jugendliche, die noch nicht über die notwendige Ausbildungsreife verfü- gen, sollten so gefördert werden, dass sie die entsprechenden Voraussetzun- gen nachholen.
Die Auffassung, dass die Einbeziehung arbeitsmarktferner Personen sich uneinge- schränkt mit dem Flexicurity-Ansatz ergänzt, wird von der BAGFW nicht geteilt. Das Konzept der Flexicurity meint die Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse – in Verbin- dung mit einer hohen sozialen Absicherung im Falle des Arbeitsplatzverlustes und der Forcierung einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik. Aus Sicht der BAGFW legt der Flexicurity-Ansatz indes seinen Schwerpunkt auf konkrete Forderungen nach einer Deregulierung des Arbeitsrechts. Er trägt dem Aspekt der Sicherheit der Arbeits- verhältnisse deutlich weniger Rechnung. Die partizipative, eingliedernde Dimension, die der Einbeziehung arbeitsmarktfernster Personen in den Arbeitsmarkt zu Grunde liegt, wird im Flexicurity-Ansatz nicht ausreichend einbezogen.1
c) Verbindung zu einem besseren Zugang zu Dienstleistungen hoher Qualität
Die Kommission hält zur Integration der arbeitsmarktfernen Personen in den Ar- beitsmarkt eine Verbindung zu einem besseren Zugang zu Dienstleistungen hoher Qualität für erforderlich. Dies umfasst die Zugänglichkeit von Dienstleistungen (Ver- fügbarkeit und Erschwinglichkeit) und ihre Qualität. Hierunter fallen ausdrücklich auch Dienstleistungen, die Einzelpersonen zugute kommen, präventiv wirken, dem sozialen Zusammenhalt dienen, die Integration befördern und die Wahrnehmung der Grundrechte fördern, insbesondere Hilfen bei individuellen Schwierigkeiten (Arbeits- losigkeit, Überschuldung, Sucht etc.). Ferner gehören dazu Maßnahmen zur Inte- gration in den Arbeitsmarkt (Rehabilitierung, Sprachkurse, Berufsbildung, Kinder- betreuung), Maßnahmen zur Eingliederung von Personen mit Behinderungen oder langfristigen gesundheitlichen Problemen oder der soziale Wohnungsbau.
Die BAGFW hebt hervor, dass die genannten Dienstleistungen besondere Charakte- ristika aufweisen. Für diese personenbezogenen Dienstleistungen sind in besonde- rem Maße Nähe zu Betroffenen, Empathie und Empowerment kennzeichnend. Sie sind deshalb nicht mit wirtschaftsnahen Dienstleistungen gleichzusetzen.
1 Vgl. zur Kritik am Flexicurity-Ansatz auch die Stellungnahme des Deutschen Vereins für öffentliche und pri- vate Fürsorge zur „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirt- schafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen „Gemeinsame Grundsätze für den Flexicurity- Ansatz herauszuarbeiten: Mehr und bessere Arbeitsplätze durch Flexibilität und Sicherheit“ [KOM (2007) 359 endgültig]“ v. 26.9.2007
zusammenarbeitenden Verbände bieten vielfältige Dienste zur Integration arbeits-
marktferner Personen an. Unter Qualität verstehen wir eine Leitbildorientierung der Dienste, eine Nutzerorientierung, eine Gemeinwesen- und Bürgerorientierung, eine Mitarbeiterorientierung, eine Dienstleistungsorientierung, eine partnerschaftliche Gestaltung der Zusammenarbeit zwischen den sozialen Diensten und den Kosten- trägern. Dieser Qualitätsbegriff macht deutlich, dass neben einer marktbezoge- nen/wirtschaftlichen Betrachtung auch soziale Zielsetzungen bei der Leistungs- erbringung sozialer Dienste in den Blick genommen werden müssen.
Im Zusammenhang mit der jüngst erschienenen „Mitteilung der EU-Kommission zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse unter Einschluss von Sozialdienstleis- tungen: Europas neues Engagement (KOM (2007) 724 endgültig)“ erwartet die BAGFW von der Europäischen Kommission Kohärenz in dem Sinne, dass der in die- ser Mitteilung vorhandene Schutzgedanke für Bedürftige auch auf den Prozess um die Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse übertragen wird und die Be- sonderheiten der Sozialdienstleistungen auch im Rahmen des Wettbewerbs- und Binnenmarktrechts tatsächlich berücksichtigt und geschützt werden. Aus Sicht der BAGFW wird die Qualität und Zugänglichkeit von Sozialdienstleistungen dann ge- stärkt, wenn dem Nutzer (als Teilhabeaspekt) mit seinem Wunsch- und Wahlrecht die entscheidende Rolle im System zukommt. Dabei muss gewährleistet sein, dass der Nutzer seinen Kenntnissen entsprechend befähigt wird und dafür eine notwendige Unterstützungsstruktur zur Verfügung steht. Maßnahmen, die den Teilhabeaspekt außer Acht lassen, behandeln die Betroffenen als Objekte behördlicher Tätigkeit, auch wenn die Akteure und Stakeholder im guten Sinne zu handeln glauben. Es ist durchweg davon auszugehen, dass die Betroffenen in ihrer Biografie Phasen gesell- schaftlicher Ausgrenzung aufzuweisen haben, in denen sich bei ihnen Misstrauen aufgebaut hat, das durch gut gemeinte Maßnahmen nicht überwunden wird.
Im Übrigen wendet sich die BAGFW gegen die Verwendung des Begriffs „Humanka- pital“, der den Menschen auf seinen Wert für den Betrieb reduziert. Der Begriff Hu- manressourcen beinhaltet demgegenüber eine größere Wertschätzung des einzel- nen Mitarbeiters.
3. Unterstützender europäischer Rahmen
Die Europäische Kommission schlägt vor, die Umsetzung der gemeinsamen Grund- sätze auf EU-Ebene durch systematische Evaluierung und durch sonstige Initiativen oder Instrumente zur Ergänzung der Bemühungen der Mitgliedstaaten zu unterstüt- zen. Bei der Entwicklung von Einbeziehungsstrategien soll den EU-Finanz- instrumenten, insbes. dem Europäischen Sozialfonds (ESF), eine Schlüsselrolle zu- kommen. Ferner beabsichtigt die Kommission, in Partnerschaft mit den EU-Netzen von lokalen Behörden, Dienstleistungserbringern und NGO, ein Netz von lokalen Be- obachtungsstellen zu unterstützen, das vorbildliche Verfahren, insbesondere hin- sichtlich des Zugangs zu Dienstleistungen hoher Qualität fördern soll.
Die BAGFW hält den unterstützenden europäischen Rahmen für sinnvoll und not- wendig, um arbeitsmarktferne Personen effektiv einzubeziehen und entsprechende Maßnahmen auf europäischer und mitgliedstaatlicher Ebene zu beobachten und zu
Eingliederungsstrategien entwickeln zu können. Die Verbände der Freien Wohl- fahrtspflege bieten sich ausdrücklich als Partner bei der Umsetzung dieser Eingliede- rungsstrategien in den unterschiedlichsten Förderinstrumenten, insbesondere im ESF an. Ebenso bieten sie sich mit ihren Organisationsformen in Ländern und Kom- munen als Partner im Netz von lokalen Beobachtungsstellen an.
Die BAGFW begrüßt ausdrücklich den Vorschlag der Kommission, die Personen- gruppe der arbeitsmarktfernen Personen stärker als bislang in der operationellen Umsetzung des ESF zu berücksichtigen. Sowohl im Nationalen Strategischen Rah- menplan als strategischem Instrument als auch in den Operationellen Programmen (OPs) sollte in dem Schwerpunkt C nach Antworten auf die Eingliederungsmöglich- keiten arbeitsmarktferner Personen gesucht werden. Entsprechend sollten in den Mitgliedstaaten ESF-Programme im Schwerpunkt C mit dem Fokus der sozialen Ein- gliederung und Armutsbekämpfung auf der Grundlage der Leitlinie 19 der Beschäfti- gungspolitischen Maßnahmen der EU entwickelt werden.
Die Kommission wird gebeten, diese Anliegen in geeigneter Weise im Rahmen der partnerschaftlichen Begleitung der ESF-Umsetzung mit den Mitgliedsstaaten zu erör- tern.
Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege verfügen über weit reichende Erfahrung in der Eingliederung arbeitsmarktferner und armer Personen. Sie sind bereit, durch ihre aktive Mitarbeit in den ESF-Begleitausschüssen diese Erfahrungen in die Weiterent- wicklung der OPs einzubringen, um die Personengruppe der arbeitsmarktfernen Per- sonen stärker in den Mittelpunkt der ESF-Interventionen zu stellen.