Forderungen im Überblick
I. Es muss sichergestellt werden, dass Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität ihren Anspruch auf medizinische Grundversorgung ohne Furcht vor Statusaufdeckung geltend machen können.
II. Es muss sichergestellt werden, dass Schwangere in der aufenthalts-rechtlichen Illegalität die notwendige medizinische Versorgung erhalten ohne Risiken für Mutter und Kind und ihr Kind ohne Furcht vor Statusaufdeckung entbinden können.
III. Es muss sichergestellt werden, dass Neugeborene von Eltern in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität ohne Furcht vor Statusaufdeckung eine Geburtsurkunde erhalten.
IV. Es muss sichergestellt werden, dass Kinder und Jugendliche in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität ohne Furcht vor Statusaufdeckung Zugang zu schulischer Bildung haben.
V. Es muss sichergestellt werden, dass Kinder in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität Zugang zu öffentlichen Kindertageseinrichtungen ohne Furcht vor Statusaufdeckung haben.
VI. Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität muss der Rechtsweg zur Durchsetzung ihrer Rechte ohne Furcht vor Statusaufdeckung offen stehen.
Hintergrundinformationen
Begründung des Engagements der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW)
Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege bieten allen Menschen in Not ihre Hilfe und Unterstützung an. Allein die Bedürftigkeit ist für sie Kriterium der Hilfeleistung; eine Unterscheidung nach Geschlecht, Abstammung, Sprache, Heimat und Herkunft, Glauben, religiösen und politischen Anschauungen oder nach dem Aufenthaltsstatus der Menschen findet nicht statt.
Entwicklung der Thematik und der rechtlichen Situation
Im April 1999 haben sich die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) mit der Erklärung Zur rechtlichen und sozialen Situation der Ausländer ohne legalen Aufenthaltsstatus in Deutschland erstmals zu diesem Thema an die Öffentlichkeit gewandt.
Seit der Erklärung der BAGFW gab es auf Seiten der Politik einige positive Entwicklungen für Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität. So mehren sich die Anzeichen, dass in der Politik ein Verständnis für die humanitäre und menschenrechtliche Problematik aufkommt. Teilweise wächst der Wille, sich den Problemen der Betroffenen zu stellen und Veränderungen herbeizuführen. Von großer Bedeutung in diesem Zusammenhang ist die zunehmende Bereitschaft von Vertreter/innen der Bundesregierung, Kindern und Jugendlichen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität den Zugang zu schulischer Bildung zu ermöglichen. Eine positive Entwicklung stellt auch die klarstellende Regelung in der kürzlich verabschiedeten Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur berufsspezifischen bzw. ehrenamtlichen Unterstützung von Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität dar.[1] Denn mit dieser Regelung erhalten humanitäre Helfer die notwendige Rechtssicherheit für ihre sozial wichtige und nützliche Arbeit.
Ein Zeichen für die veränderte politische Wahrnehmung sind auch die Auszeichnungen für das Engagement von Personen, die sich für die Belange von Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität einsetzen.[2]
Seit 1999 hat sich auch die gesellschaftliche und wissenschaftliche Wahrnehmung und Diskussion zum Thema „Leben in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität“ erheblich gewandelt. Die Problematik eines Lebens in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität ist in der Öffentlichkeit angekommen. Das Thema wurde in zahlreichen Publikationen wissenschaftlich und anwaltschaftlich bearbeitet[3] und in einer Reihe von Tagungen diskutiert. Es hat Eingang gefunden in die Publikationen staatlicher und nichtstaatlicher Stellen.
Trotz der positiven Entwicklungen und des Wandels in der Wahrnehmung hat die Erklärung der BAGFW von 1999 nichts an ihrer Aktualität verloren, da sich am rechtlichen Rahmen und an den Lebensbedingungen einer großen Anzahl von Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität in den letzten zehn Jahren nur sehr wenig geändert hat.
Lebenssituation von Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität und Auswirkungen der Gesetzeslage
Die Anzahl der Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität ist schwer zu ermitteln. Die jüngste Studie des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts schätzt für Deutschland eine Zahl zwischen 200.000 und 460.000 Personen und macht damit deutlich, wie unklar die Datenlage ist.[4] Verursacht wird die unsichere Datenlage dadurch, dass die Betroffenen auf Grund der rechtlichen Situation so wenig wie möglich in Erscheinung treten. Zudem ist die Zahl der Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität großen Schwankungen unterworfen.
Während aufenthaltsrechtliche Illegalität die Lebenssituation aller Betroffenen maßgeblich beeinflusst, können die Auswirkungen für den Einzelnen sehr unterschiedlich sein. Einige bedürfen keiner staatlichen Hilfe, andere würden dringend Unterstützung benötigen.
Zentral für die Lebenssituation von Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität sind die Übermittlungspflichten nach § 87 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz. Durch die Übermittlungspflichten sind alle öffentlichen Stellen verpflichtet, die Ausländerbehörden zu unterrichten, wenn sie im Zusammenhang mit der Erfüllung ihrer Aufgaben Kenntnis von dem Aufenthalt eines Ausländers erlangen, der keinen erforderlichen Aufenthaltstitel besitzt. Die Übermittlungspflichten haben zur Folge, dass Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität den Kontakt mit öffentlichen Stellen meiden, um so einer Offenlegung ihres Status und einer drohenden Ausweisung zu entgehen. Somit versperren die Übermittlungspflichten den Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität den Zugang zu elementaren Lebensbereichen, wie beispielsweise den Zugang zu medizinischer Versorgung, zu schulischer Bildung und zu Gerichten.
Die verschiedenen Dienste und Einrichtungen der Wohlfahrtsverbände erfahren in den letzten Jahren eine wachsende Nachfrage von Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität. Diese reicht vom Zugang zur Gesundheitsversorgung bis zum Zugang zu Kindergarten und Schule von Kindern und Jugendlichen. Als Reaktion auf diesen Bedarf wurden insbesondere im Bereich der Gesundheitsversorgung in den letzten Jahren verschiedene nichtstaatliche Angebote entwickelt, die in mehreren Städten eine weitgehend kostenlose medizinische Versorgung anbieten. Diese Angebote könnten ohne freiwilliges Engagement nicht geleistet werden. Die oftmals spendenbasierte Finanzierung ist prekär. Spendenmittel und freiwilliges Engagement stellen keine Grundlage für eine flächendeckende, nachhaltige und kontinuierliche Gesundheitsversorgung dar. Dies führt dazu, dass trotz der in den letzten Jahren stetig gewachsenen und von der öffentlichen Diskussion geförderten Unterstützung eine große Versorgungslücke für Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität bleibt.
Mindestanforderungen an einen humanitär verantwortungsvoll handelnden Staat
Die Grundordnung eines demokratischen und sozialen Rechtsstaates wie der Bundesrepublik Deutschland gebietet es, jedem Menschen in einer Notsituation ein Mindestmaß an Beistand und ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen. Es geht darum, Notsituationen zu entschärfen, schwerwiegende physische und psychische Verletzungen zu verhindern sowie elementare Grundrechte, wie das Recht auf Bildung, umzusetzen.
Diese Grundrechte sind in Deutschland nicht nur durch das Grundgesetz garantiert, sondern auch durch völkerrechtliche Verträge. Die UN-Kinderrechts-konvention ist in der Bundesrepublik im Jahre 1992 in Kraft getreten. Die Konvention dient dem Schutz aller Kinder. Der von Deutschland bei der Unterzeichnung abgegebene Vorbehalt schließt aber unter anderem Kinder in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität von diesem Schutz aus. Deshalb fordern die Verbände der BAGFW die UN-Kinderrechtskonvention vorbehaltlos umzusetzen.[5]
In der Praxis führen in Deutschland vor allem die Übermittlungspflichten dazu, dass Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität von diesen elementaren Grundrechten keinen Gebrauch machen können und Notsituationen entstehen. Daher fordern die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege eine Einschränkung der generellen gesetzlichen Übermittlungspflicht des § 87 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz für Schulen, Kindertageseinrichtungen, Sozialämter, Standesämter, Gerichte, öffentliche Krankenhäuser[6] und Gesetzliche Krankenversicherungen.
Forderungen im Einzelnen
Hintergrund
Für Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität können grundsätzlich zweierlei Ansprüche auf Finanzierung der Gesundheitskosten bestehen. Das sind zum einen Ansprüche aufgrund der Mitgliedschaft in einer Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), zum anderen Ansprüche nach Asylbewerberleistungsgesetz. Arbeitnehmer/innen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität müssten eigentlich kraft Gesetzes in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) versichert sein, sobald ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis besteht. Leistungen aus der Krankenversicherung sind in der Praxis jedoch nicht zu realisieren. Derzeit[7] nicht zu realisieren ist in der Praxis in der Regel auch der Anspruch der Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität auf medizinische Notversorgung nach §§ 4 und 6 Asylbewerberleistungsgesetz.[8] Eine Inanspruchnahme der Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung und der Leistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz erfolgt aus Furcht vor Statusaufdeckung und der Gefahr einer folgenden Abschiebung in der Regel nicht. Zentraler Grund für die Nichtinanspruchnahme sind die behördlichen Übermittlungspflichten des Aufenthaltsgesetzes. Danach haben öffentliche Stellen, wozu im Gesundheitsbereich unter anderem Gesetzliche Krankenversicherungen, Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft sowie Gesundheits- und Sozialämter gehören, die Ausländerbehörden zu unterrichten, wenn sie Kenntnis vom Aufenthalt eines Ausländers in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität erlangen.
Auf Grund der überwiegenden Bedürftigkeit dieser Personengruppe, übersteigt meist auch eine Behandlung auf Selbstzahlerbasis die finanziellen Möglichkeiten der Betroffenen.
Wegen des fehlenden tatsächlichen Zugangs zu medizinischer Versorgung nehmen Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität keine oder viel zu spät medizinische Versorgung in Anspruch. Dadurch droht der Krankheitsverlauf der Betroffenen schwerer zu werden, nicht selten werden Krankheiten verschleppt oder chronifizieren sich. Dies hat auch zur Folge, dass die Behandlung aufwendiger und dadurch teurer wird. Es besteht zudem die Gefahr, dass sich ansteckende Krankheiten verbreiten.
Handlungsbedarf
1. Um Arbeitnehmer/innen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität den Anspruch auf Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung tatsächlich zu ermöglichen, müssen die Übermittlungspflichten nach § 87 Abs. 2 AufenthG im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherungen eingeschränkt werden. Zusätzlich muss gesetzlich klargestellt werden, dass Gesetzliche Krankenkassen Daten auch nicht freiwillig an die Ausländerbehörden übermitteln dürfen.
2. Für Personen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität müssen freiwillige Versicherungsmöglichkeiten geschaffen werden, wie z. B. der Zugang zu einer privaten Krankenversicherung.
3. Die mit der Gesundheitsversorgung von Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität und deren finanzieller Abrechnung befassten öffentlichen Einrichtungen, insbesondere die Sozialämter, Gesundheitsämter müssen von den Übermittlungspflichten nach § 87 Abs. 2 AufenthG ausgenommen werden.
Hintergrund
Frauen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität haben, sofern die Schwangerschaft so weit fortgeschritten ist, dass eine Abschiebung aus tatsächlichen Gründen vorübergehend nicht mehr möglich ist, Anspruch auf Finanzierung der Vorsorge, Entbindung und Nachsorge. Aus Furcht vor Statusaufdeckung und Abschiebung wird dieses Recht nur selten in Anspruch genommen. Schwangerschaft und Geburt in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität stellen deshalb besondere Herausforderungen für die werdenden Mütter dar.
Sind bereits Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität oftmals durch die Unsicherheiten vor einer Entdeckung und die Angst vor Abschiebung einer sehr hohen psychosozialen Belastung ausgesetzt, gilt dies insbesondere für Schwangere in der Illegalität. Denn diese müssen neben der Sorge um ihr eigenes Leben auch die Sorge um das werdende Kind tragen. Die hohe psychosoziale Belastung aus der Furcht vor einer Entdeckung und die Unmöglichkeit, die Entbindung für das Kind selbst zu finanzieren, führen dazu, dass sich viele Schwangere in der schwierigen Situation befinden, dass sie ihr Kind behalten wollen, aber keine Möglichkeit sehen, die Entbindung und die notwendige Erstversorgung für das Kind zu bezahlen und sich deswegen häufig gegen das Kind entscheiden.[9] „Eine Schwangerschaft in der Illegalität ist daher als Risikoschwangerschaft zu betrachten, die einer besonders sorgfältigen Betreuung durch Ärztinnen bzw. Ärzte und Hebammen bedarf (…).“[10] Häufig unterbleiben jedoch die ärztliche Begleitung der Schwangerschaften und der Geburten sowie ärztliche Untersuchungen an Neugeborenen oder werden erst viel zu spät durchgeführt. Dadurch erhöht sich das Risiko für Komplikationen in der Schwangerschaft oder während der Entbindung.
Handlungsbedarf
1. Die mit der Gesundheitsversorgung und deren Abrechnung befassten öffentlichen Einrichtungen, insbesondere die Sozialämter, müssen von den Übermittlungspflichten nach § 87 Abs. 2 AufenthG ausgenommen werden.
2. Die Ausländerbehörden sind anzuweisen, dass Schwangerschaften in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität als Risikoschwangerschaften zu behandeln sind. Deshalb liegt ein Abschiebehindernis vor und es muss mindestens drei Monate vor und drei Monate nach der Entbindung eine Duldung erteilt werden.
Hintergrund
Der Erhalt einer Geburtsurkunde für Neugeborene in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität bereitet oftmals große Schwierigkeiten, da Standesämter, die für die Ausstellung der Geburtsurkunde zuständig sind, den Aufenthaltsstatus überprüfen und als öffentliche Stellen an die Ausländerbehörden übermittlungspflichtig sind. Ein Leben ohne Geburtsurkunde stellt für Kinder ein großes Problem dar, da jede weitere Dokumentenbeschaffung erschwert bzw. unmöglich gemacht wird. Unter Umständen können die Kinder später weder ihre Familienzugehörigkeit noch ihre Staatsangehörigkeit belegen.
Handlungsbedarf
Die Standesämter müssen von den Übermittlungspflichten nach § 87 Abs. 2 AufenthG ausgenommen werden.
Hintergrund
Grundsätzlich fällt der rechtliche Rahmen des Schulzugangs in die Zuständigkeit der Bundesländer. Deshalb ist die Rechtslage für den Schulbesuch von Kindern in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität in Deutschland nicht einheitlich. So besteht für Kinder in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität beispielsweise derzeit in den Landesgesetzen in Bayern, Bremen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein eine Schulpflicht. Durch die bundesgesetzlichen Übermittlungspflichten nach § 87 Abs. 2 AufenthG sind grundsätzlich auch Schulen von der Übermittlungspflicht betroffen. Erhält die Ausländerbehörde Hinweise auf Personen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität wird sie eine Abschiebung in Gang setzen. Die unterschiedlichen Landesregelungen und die Übermittlungspflichten führen in der Praxis zu erheblichen Rechtsunsicherheiten bei Kindern in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität und deren Eltern sowie bei Schulbehörden, Schulleitungen und Lehrern. Nicht selten folgt daraus, dass Kinder und Jugendliche aus Angst vor Aufdeckung des fehlenden Aufenthaltsstatus nicht zur Schule gehen. Die psychologischen, lebensperspektivischen und auch gesellschaftlichen Konsequenzen eines versäumten Schulbesuches müssen als äußerst schwerwiegend eingeschätzt werden. Kinder und Jugendliche in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität haben in der Regel keinen Einfluss auf ihre Situation und bleiben ohne eigenes Verschulden ohne Schulbesuch. Sie und die Gesellschaft in der sie leben, tragen lebenslang an dem Versäumnis.
Handlungsbedarf
1. Öffentliche Institutionen im Bereich der Bildung müssen von den Übermittlungspflichten nach § 87 Abs. 2 AufenthG ausgenommen werden.[11]
2. Das Recht auf bzw. die Pflicht zum Schulbesuch muss für Kinder in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität in allen Landesschulgesetzen ausdrücklich verankert sein.
3. Die für Bildung zuständigen Ministerien der Bundesländer müssen klarstellen, dass die Erhebung von Daten zum Aufenthaltsstatus von Schüler/innen nicht vorgesehen ist, Meldebescheinigungen von den Schulbehörden also nicht verlangt werden dürfen.
Hintergrund
Die Grundlage für die Persönlichkeitsentwicklung eines jeden Kindes und die späteren Bildungschancen werden früh gelegt. Deshalb muss der Zugang zu Kindertageseinrichtungen für alle Kinder unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus gewährleistet sein. Derzeit verhindern verschiedene gesetzliche Regelungen in der Praxis den Zugang, insbesondere zu öffentlichen Kindertageseinrichtungen. Gerade Kinder in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität müssen die Chance haben, im Rahmen von Kindertageseinrichtungen ein Stück Normalität zu erleben.
Handlungsbedarf
1. Öffentliche Institutionen im Bereich der Erziehung müssen von den Übermittlungspflichten nach § 87 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz ausgenommen werden.
2. Nach § 6 Abs. 2 SGB VIII sind Kinder in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität vom Zugang zu Leistungen nach SGB VIII ausgeschlossen. § 6 Abs. 2 SGB VIII muss dahingehend modifiziert werden, dass die Bestimmungen des § 24 SGB VIII davon unberührt bleiben.
3. Es muss gesetzlich oder mittels einer Verwaltungsvorschrift klargestellt werden, dass bei der Aufnahme in Kindertageseinrichtungen keine Meldebescheinigung verlangt wird.
Hintergrund
Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität sind häufig von Ausbeutung, unmenschlicher Behandlung, Missbrauch oder auch Menschenhandel bedroht. Insbesondere Frauen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität müssen diese Gefahren befürchten: Ihre rechtliche Wehrlosigkeit kann sie noch leichter zu Opfern von Abhängigkeiten, Ausbeutung und Zwangsprostitution machen. So können im Falle von häuslicher Gewalt die Schutzmöglichkeiten des Gewaltschutzgesetzes (z. B. Platzverweis durch die Polizei) nicht wahrgenommen werden, ebenso wie bestehende Lohnansprüche nicht eingeklagt werden können, ohne ausländerrechtliche Sanktionen befürchten zu müssen. Ursache dieser Situation sind die Übermittlungspflichten nach § 87 Abs. 2 AufenthG, da danach auch Gerichte an die Ausländerbehörde meldepflichtig sind.
Handlungsbedarf
1. Gerichte müssen von den Übermittlungspflichten nach § 87 Abs. 2 AufenthG ausgenommen werden.
2. Die Rechte von Beschäftigten in der Illegalität müssen, wie in der Sanktionsrichtlinie[12] vorgesehen, gewahrt werden. Das heißt, es muss u. a. sichergestellt werden, dass Arbeitnehmer/innen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität ausstehende Löhne ohne Furcht vor Statusaufdeckung einklagen können.
3. Den Opfern von unmenschlicher Behandlung, sexuellem Missbrauch und Menschenhandel ist adäquater Rechtsschutz zu bieten. Dazu gehört, dass ihnen, soweit aus humanitären Gründen geboten, unabhängig von der Frage der Strafverfolgung der Tat eine temporäre oder auch längerfristige Aufenthaltserlaubnis zugestanden wird.
4. Um Frauen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität einen besseren Schutz vor häuslicher Gewalt zu ermöglichen, müssen Frauenhäuser eine einzelfallunabhängige finanzielle Absicherung im Rahmen einer bundesweiten Regelung erhalten oder die Aufnahme von Frauen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität auf andere Weise ohne Furcht vor Statusaufdeckung ermöglicht werden.
[1] Siehe Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (Bundesratsdrucksache 669/09), vor 95.1.4.
[2] So wurde z.B. das Engagement der Malteser Migranten Medizin (MMM) vom Bundesministerium des Innern als „Botschafter der Toleranz“ ausgezeichnet. Im Oktober 2006 überreichte der Bundespräsident der Berliner MMM-Ärztin Dr. Adelheid Franz das Bundesverdienstkreuz.
[3] Siehe u. a. Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.): Bericht der Bundesarbeitsgruppe Gesundheit/Illegalität: Frauen, Männer und Kinder ohne Papiere in Deutschland – Ihr Recht auf Gesundheit. Berlin 2008.
[4] Pressemitteilung des HWWI vom 16.09.2009.
[5] Sehr zu begrüßen ist die im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP festgehaltene Absicht, die Vorbehaltserklärung zur UN-Kinderrechtskonvention zurückzunehmen.
[6] Positiv zu bewerten ist in diesem Zusammenhang die Klarstellung in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (Bundesrat Drucksache 669/09, 88.2.3.). Danach können Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität in öffentlichen Krankenhäusern ohne Furcht vor Statusaufdeckung medizinische Notfallbehandlungen erhalten, da das Personal der Abrechnungsstellen der Krankenhausverwaltung aufgrund des so genannten verlängerten Geheimnisschutzes bei Notfallbehandlungen ebenfalls zu den berufsmäßigen ärztlichen Gehilfen zählt und somit der ärztlichen Schweigepflicht unterliegt.
[7] Auch an dieser Stelle ist die in der neuen Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz angelegte Entwicklung, die die Einschränkung der Übermittlungspflicht für öffentliche Krankenhäuser im Rahmen einer Notfallbehandlung in der Praxis zur Folge hat, mit Nachdruck zu begrüßen.
[8] Grundsätzlich hält die BAGFW die medizinischen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz für unzureichend. Siehe Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e.V. zur öffentlichen Anhörung von Sachverständigen am 4. Mai 2009 zum Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) (BT-Drucksache16/10837). Berlin 28. April 2009.
[9] vgl. Cyrus, Norbert: Aufenthaltsrechtliche Illegalität in Deutschland. Sozialstrukturbildung – Wechselwirkungen – Politische Optionen. Oldenburg 2004. S. 55.
[10] Bell, Urte: Erfahrungen bei der Versorgung schwangerer Frauen mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus. In: Robert-Koch- Institut (Hg.): Schwerpunktbericht der Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Migration und Gesundheit. Berlin, 2008, S. 63
[11] Sehr positiv ist in diesem Zusammenhang die Ankündigung im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP, die aufenthaltsgesetzlichen Übermittlungspflichten dahingehend zu ändern, dass der Schulbesuch von Kindern in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität ermöglicht wird.
[12] Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen, Amtsblatt Nr. L 168 vom 30.06.2009 S. 0024 – 0032.
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