1. Das Wettbewerbsmodell des SGB XII
1.1 Mögliche Formen des Wettbewerbs bei der Erbringung von Sozialleistungen
Die Forderung nach mehr Wettbewerb in der Sozialleistungserbringung ist nicht neu. Ab 1993 wurde dem vom Gesetzgeber mit der Abschaffung des Selbstkostendeckungsprinzips im Sozialhilferecht, 1994 im Pflegeversicherungs- und später auch im Jugendhilferecht entsprochen. An Stelle des Selbstkostendeckungsprinzips sollten prospektiv zu vereinbarende, leistungsgerechte Vergütungen treten. Der Vorrang der freien Träger wurde ausgeweitet auf privat-gewerbliche Träger. Seither stehen frei-gemeinnützige und privat-gewerblichen Träger grundsätzlich miteinander im Wettbewerb.
Die Regelungen zum Wettbewerb der Einrichtungen in der Sozialhilfe wurden 1996 durch das BSHG-Reformgesetz[1] nochmals modifiziert. Dieses trat 1999 in Kraft, seine Umsetzung ist allerdings fast sieben Jahre nach In-Kraft-Treten immer noch nicht abgeschlossen. Eine wichtige Ursache hierfür ist das Fehlen eines Konfliktlösungsmechanismus. Entsprechende Forderungen der BAGFW wurden bislang nicht umgesetzt.[2]
Anstelle einer Umsetzung dieses sozialrechtlichen Wettbewerbsmodells setzen Sozialhilfeträger in jüngster Zeit vermehrt auf eine Ausschreibung in Vergabeverfahren nach §§ 97 ff. des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Das vergaberechtliche Wettbewerbsmodell unterscheidet sich vom sozialrechtlichen Wettbewerbsmodell in zentralen Punkten. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Rolle der verschiedenen Akteure bei der Ausgestaltung und Steuerung des Angebots (Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten, Aushandlung der Leistungsinhalte zwischen Sozialleistungsträger und Leistungserbringer, Angebotssteuerung durch den Sozialleistungsträger).
1.1.1 Öffentliche Beschaffung nach Vergaberecht
Öffentliche Auftraggeber beschaffen nach §§ 97 ff. (GWB) Waren, Bau- und Dienstleistungen auf dem Wege transparenter Vergabeverfahren. Aufträge werden an fachkundige, leistungsfähige und zuverlässige Unternehmen vergeben, andere oder weitergehende Anforderungen dürfen an Auftragnehmer nur gestellt werden, wenn dies durch Bundes- oder Landesgesetz vorgesehen ist. Der Zuschlag wird auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt. Die Einzelheiten des Vergabeverfahrens werden in der Vergabeverordnung (VgV) und in den Verdingungsordnungen - für Dienstleistungen in der Verdingungsordnung für Leistungen (VOL) - geregelt, auf die die Vergabeverordnung verweist.
Das Vergaberecht gilt für die Beschaffungstätigkeit öffentlicher Auftraggeber. Es setzt eine Beschaffung von Sozialleistungen durch den Sozialleistungsträger voraus (Einkausfmodell): Der Sozialleistungsträger kauft die Leistungen, die er dem Leistungsberechtigten erbringt, beim Leistungserbringer ein. Er entscheidet über die Anzahl der einzukaufenden Plätze und über die Ausgestaltung der Leistungen. Eine vertragliche Beziehung zwischen Leistungserbringer und Leistungsberechtigtem besteht nicht. Der Leistungserbringer ist lediglich Erfüllungsgehilfe des Sozialleistungsträgers.
Die Vergabe von Sozialleistungen ist regelmäßig verbunden mit einer Belegungsgarantie für den Auftragnehmer.[3] Das Belegungsrisiko trägt damit der öffentliche Auftraggeber. Dieser „kauft“ Betreuungsplätze ein und muss die eingekauften Leistungen bezahlen.
Das vergaberechtliche Einkaufsmodell ist eine objektbezogene Finanzierungsart. Der Sozialhilfeträger steuert das Angebot. Die Leistungsberechtigten können lediglich unter den eingekauften und bezahlten Plätzen wählen. Kurz: Die Menschen folgen dem Geld.
1.1.2 Konzessionierung im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis
Auch im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis dürfen Leistungen durch Einrichtungen oder Dienste von den Sozialleistungsträgern in der Regel nur durch vertragsgebundene Einrichtungen und Dienste erbracht werden. Einrichtungen sind jedoch auch über den prognostizierten Bedarf hinaus zuzulassen. Leistungsvereinbarungen nach Sozialrecht enthalten jedoch keine Belegungsgarantie, das Belegungsrisiko trägt der Einrichtungsträger. Der Abschluss der Leistungsvereinbarung stellt damit keine Beschaffung dar. Er hat vielmehr Zulassungscharakter („Konzessionierung“).
Dem Sozialleistungsträger entstehen durch eventuelle Überkapazitäten keine Kosten, da er nur belegte Plätze bezahlt. Im Rahmen der Leistungsbewilligung entscheidet er im Einzelfall, ob die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen vorliegen (also über das „Ob“ der Leistungsgewährung). Bei seiner Entscheidung hat er – im Rahmen des Mehrkostenvorbehalts – das Wunsch- und Wahlrecht des Leistungsberechtigten zu berücksichtigen. Im Ergebnis entscheidet damit der Leistungsberechtigte in Ausübung seines Wunsch- und Wahlrechts darüber, welche Einrichtung in Anspruch genommen wird (also über das „Wo“ der Leistung).
Der Leistungsberechtigte schließt auch den privatrechtlichen Vertrag mit der Einrichtung über die konkrete Inanspruchnahme der Leistungen. Der Freie Träger ist im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis also Vertragspartner des Leistungsberechtigten. Er ist kein Erfüllungsgehilfe des Sozialhilfeträgers.
Die Konzessionierung im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis ist eine subjektbezogene Finanzierungsart. Die Leistungsberechtigten können unter allen zugelassenen Leistungserbringern wählen. Eine Angebotssteuerung durch den Sozialleistungsträger erfolgt nicht. Kurz: Das Geld folgt den Menschen.
1.2 Wettbewerb in der Sozialhilfe
1.2.1 Das Konzessionierungsmodell des SGB XII
Dem Leistungserbringungsrecht der Sozialhilfe in den §§ 75 ff. SGB XII liegt das Konzessionierungsmodell zugrunde. Leistungen durch Einrichtungen und Dienste können vom Sozialhilfeträger in der Regel nur gewährt werden, wenn mit der Einrichtung oder dem Dienst Vereinbarungen nach § 75 Abs. 3 SGB XII bestehen. In der Leistungsvereinbarung verpflichtet sich der Träger der Einrichtung, im Rahmen des vereinbarten Leistungsangebots, Leistungsberechtigte aufzunehmen und zu betreuen (§ 76 Abs. 1 Satz 2 SGB XII). Der Sozialhilfeträger erfüllt durch den Abschluss der Leistungsvereinbarung seine Verpflichtung, darauf hinzuwirken, dass die zur Ausführung von Sozialleistungen erforderlichen Dienste und Einrichtungen rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen (§ 17 Abs. 1 Nr. 2 SGB I). Mit dem Abschluss der Leistungsvereinbarung ist jedoch keine Belegungsgarantie verbunden. Sie ermöglicht dem Einrichtungsträger lediglich, überhaupt Leistungen an Leistungsberechtigte zu erbringen.
Über die Bewilligung von Leistungen entscheidet der Sozialhilfeträger im Einzelfall. Dabei soll er Wünschen des Sozialhilfeberechtigten entsprechen, soweit sie angemessen sind. Er soll in der Regel Wünschen nicht entsprechen, deren Erfüllung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden wäre (§ 9 Abs. 2 Satz 3 SGB XII). Damit entscheidet – im Rahmen des Mehrkostenvorbehaltes – faktisch der Leistungsberechtigte über die Auswahl der Einrichtung. Er schließt auch den privatrechtlichen Vertrag mit dem Leistungserbringer ab, wie er z.B. für stationäre Einrichtungen der Behindertenhilfe im Heimgesetz ausdrücklich vorgesehen ist. Der Einrichtungsträger erbringt seine Leistungen in Erfüllung dieses privatrechtlichen Heim- oder Dienstleistungsvertrags mit dem Leistungsberechtigten. Die Vergütung hat grundsätzlich der Leistungsberechtigte zu tragen. Ist er hierzu nicht in der Lage übernimmt der Sozialhilfeträger insoweit die Vergütung. Auch wenn der vom Sozialhilfeträger zu tragende Anteil meist direkt an den Leistungserbringer bezahlt wird, so ändert dies nichts daran, dass es sich dabei nicht um eine Leistung an das Heim, sondern in erster Linie um eine Leistung an den Leistungsberechtigten handelt.[4]
Der Freie Träger ist nach der Konzeption des SGB XII nicht Erfüllungsgehilfe des Sozialhilfeträgers, sondern bleibt Träger eigener sozialer Aufgaben. Die Sozialhilfeträger sollen bei der Zusammenarbeit mit Kirchen und Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege deren Selbständigkeit in Zielsetzung und Durchführung ihrer Aufgaben achten (§ 5 Abs. 2 SGB XII).
Auch im Konzessionierungsmodell ist Wettbewerb möglich und vom Gesetzgeber ausdrücklich gewünscht. Wichtigstes Ziel der Neuregelung der §§ 93 ff. BSHG, die inzwischen als §§ 75 ff. in das SGB XII übernommen wurden, war die Ausgabenbegrenzung[5]. Dieses Ziel sollte jedoch nur vorübergehend (1996 bis 1998) durch eine Budgetierung der Pflegesätze erreicht werden. Danach sollte der Wettbewerb die Träger von Einrichtungen und Diensten zur Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven veranlassen.[6] Um diesen Wettbewerb in Gang zu setzen, sollte über Bundesempfehlungen und Landesrahmenverträge eine Vergleichbarkeit des Leistungsangebots erreicht werden. Für vergleichbare Leistungskomplexe sollen nun Pauschalen (Grundpauschale, Maßnahmepauschale und Investitionsbetrag) bezahlt werden, die sich „unabhängig von den Kosten der konkreten Einrichtung an den Kosten für eine Leistung ausrichtet, die an bestimmte Bedarfsgruppen von Hilfeempfängern erbracht wird.“[7] Entscheidend für die Vergütungshöhe und damit für den Leistungsanspruch des Hilfebedürftigen ist damit dessen individueller Hilfebedarf, nicht in welcher Einrichtung er sich befindet.
Damit wurden auf zwei Ebenen Anreize zu wirtschaftlichem Handeln gesetzt und ein Wettbewerb der Einrichtungen in Gang gesetzt:
- auf der Ebene der Preisfindung durch den externen Vergleich der Einrichtungen
- auf der Ebene der Leistungsbewilligung im Wege des Mehrkostenvorbehalts
Auf der Ebene der Preisfindung in der Schiedsstelle ist nach der Rechtsprechung ein Einrichtungsvergleich erforderlich.[8] Die einrichtungsbezogene Prüfung, ob einzelne Posten der Kalkulation einer sparsamen und wirtschaftlichen Betriebsführung entsprechen, ist deshalb durch einen sogenannten externen Vergleich zu ergänzen. Dabei wird die von der Einrichtung geforderte Vergütung mit den Vergütungen anderer Einrichtungen verglichen. Obergrenze für die Vergütung ist die im Wege dieses Einrichtungsvergleichs ermittelte Bandbreite der Entgelte für vergleichbare Leistungen, der sogenannte „marktgerechte Preis“. Damit wurden die Fehlanreize des Selbstkostendeckungsprinzips beseitigt.
Auf der Ebene der Leistungsbewilligung besteht aufgrund des Mehrkostenvorbehaltes ein Anreiz zu möglichst niedrigen Vergütungen. Nach der Rechtsprechung setzt der Abschluss von Vereinbarungen nach § 75 ff. SGB XII den Mehrkostenvorbehalt nicht außer Kraft.[9] Auch bei vertragsgebundenen Einrichtungen ist somit zu prüfen, ob die Hilfe nicht in einer anderen Einrichtung billiger erbracht werden kann. Entstehen durch die Hilfe in einer bestimmten Einrichtung unangemessene Mehrkosten, so soll der Sozialhilfeträger diesem Wunsch in der Regel nicht entsprechen. Bei einem ausreichenden Angebot an Einrichtungsplätzen entsteht so ein starker Anreiz für die Einrichtungsträger, gute Leistungen anzubieten und dennoch die Vergütungen so zu kalkulieren, dass die Einrichtung zu den günstigen Anbietern zählt und so nicht Gefahr läuft, aufgrund des Mehrkostenvorbehalts Belegung zu verlieren.
1.2.2 Europarecht zwingt nicht zur Ausschreibung von Sozialhilfeleistungen
Europarechtlich besteht kein Anlass, von dem sozialhilferechtlichen Konzessionierungsmodell abzurücken. Das europäische Vergaberecht soll bei Beschaffungstätigkeit des Staates bzw. öffentlicher Auftraggeber den Binnenmarkt gewährleisten. Europarecht fordert nicht, dass alle Sozialleistungen vom Staat beschafft werden.
Leistungsvereinbarungen im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis sind keine öffentlichen Aufträge. Sie werden von der Rechtsprechung als Dienstleistungskonzessionen eingestuft, auf die das Vergaberecht nicht anwendbar ist.[10] Europarecht zwingt also nicht dazu, die Verträge mit Leistungserbringern als öffentliche Aufträge auszugestalten und auszuschreiben. Verträge können auch in Form von Dienstleistungskonzessionen geschlossen werden. Eine Ausschreibung ist dann nicht erforderlich.
1.2.3 Ausschreibung exklusiver Vereinbarungen als Eingriff in die Berufsfreiheit
Auch verfassungsrechtlich ist das Konzessionierungsmodell als gegenüber dem Einkaufsmodell milderer Eingriff in die Berufsfreiheit vorzuziehen. Das Vergaberecht setzt voraus, dass der öffentliche Auftraggeber eine Auswahl unter potentiellen Leistungserbringern treffen und exklusive Vereinbarungen mit einzelnen Anbietern schließen darf. Genau diese Auswahlentscheidung ist dem Sozialhilfeträger jedoch nicht nur nach Sozialhilferecht, sondern auch nach Verfassungsrecht verwehrt. Der Sozialhilfeträger darf nach der Rechtsprechung Bedarfsgesichtspunkte nicht in sein Ermessen bei der Entscheidung über den Abschluss der Leistungsvereinbarung einbeziehen.[11] Der Abschluss von Vereinbarungen darf also gerade nicht auf die Zahl der benötigten Einrichtungs- oder Maßnahmeplätze begrenzt werden. Dieses Verbot der Angebotssteuerung findet seine Grundlage letztlich im Verfassungsrecht. Denn die Beschränkung der Zulassung zur Sozialleistungserbringung stellt eine Berufsausübungsregelung und damit einen Eingriff in die Berufsfreiheit des Art. 12 GG dar, der einer gesetzlichen Ermächtigung bedarf. Zu Recht hat die Rechtsprechung deshalb den Abschluss exklusiver Leistungserbringungsverträge und entsprechende Vergabeverfahren im Bereich der Sozialhilfe untersagt.[12]
Jede Beschränkung der Zulassung zur Sozialleistungserbringung ist eine Berufsausübungsregelung und damit ein Eingriff in die Berufsfreiheit des Art. 12 GG. Wenn der Sozialleistungsträger über ein regionales Monopol verfügt und der Betrieb einer entsprechenden Einrichtung aufgrund der geringen Zahl von Selbstzahlern ohne Vereinbarung mit dem Sozialleistungsträger wirtschaftlich nicht möglich ist, kommt diese Berufsausübungsregelung in ihrer Intensität sogar einer objektiven Berufswahlregelung nahe. In diesem Fall sind zur Rechtfertigung des Eingriffs die Maßstäbe für objektive Berufswahlregelungen anzulegen.[13] Die Rechtfertigung einer Bedarfszulassung erfordert deren Notwendigkeit zur Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut. Ein solches überragendes Gemeinschaftsgut ist beispielsweise die finanzielle Stabilität der sozialen Sicherungssysteme. Diese Rechtfertigung mag dort gelingen, wo dem Sozialleistungsträger die Steuerung im Einzelfall verwehrt ist.[14] In Bereichen, in denen über jeden Leistungsanspruch im Einzelfall durch Verwaltungsakt entschieden wird, ist ein entsprechend dringendes Bedürfnis für eine zusätzliche Angebotssteuerung bei der Zulassung von Leistungserbringern jedoch nicht zu erkennen. Dem Sozialhilfeträger entstehen durch die Zulassung von Einrichtungen keine Kosten.[15]
1.3 Vorteile der Konzessionierung gegenüber einer öffentlichen Beschaffung
1.3.1 Konzessionierung als freiheitlichere und flexiblere Form des Wettbewerbs; Preis- und Leistungswettbewerb
Die Konzessionierung stellt gegenüber der Ausschreibung die freiheitlichere und flexiblere Form der Ausgestaltung des Wettbewerbs bei der Erbringung von Sozialleistungen dar.
Die Ausschreibung sozialer Dienstleistungen erfordert lange Vorlaufzeiten. Die benötigten Leistungen müssen geplant werden. Bewilligt werden können lediglich die ausgeschriebenen und vergebenen Leistungen. Weicht der tatsächliche Bedarf von der Planung ab (was nach der Lebenserfahrung eher die Regel als die Ausnahme darstellt) so werden zu viele Leistungseinheiten eines Leistungstyps eingekauft, während andere Leistungstypen in zu geringer Anzahl vorgehalten werden. Ein kurzfristiger Ausgleich ist nicht möglich. Das Einkaufsmodell führt so - entgegen den ihm zugrunde liegenden idealtypischen theoretischen Annahmen - nicht dazu, dass Leistungsberechtigte passgenaue Hilfe erhalten. In der Realität erhalten sie vielmehr das, was eingekauft wurde.
Entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg ist im Einkaufsmodell nicht die Zufriedenheit der Leistungsberechtigten, sondern der Gewinn der Ausschreibung. Hierfür ist nach den Erfahrungen im Sozialbereich der letzten Jahre in der Regel nicht die Qualität des Angebots, sondern vor allem der Preis entscheidend. Ausschreibungsverfahren führen so zu einer Dominanz des Preiswettbewerbs. Qualitätssichernde Verfahren und Kundenbefragungen können dies nicht ausgleichen.
Statt auf staatliche Planung und Steuerung setzt das Konzessionierungsmodell auf die Initiative von Einrichtungsträgern und auf Wahlrechte der Leistungsberechtigten. Durch das Sachleistungsprinzip bleibt dabei der Einfluss des Sozialleistungsträgers auf Qualität und Preise der Leistungen sicher gestellt.
Das Konzessionierungsmodell fördert die Autonomie der Leistungsberechtigten. Sie werden zu Kunden, die durch ihre Auswahlentscheidung bestimmen, welcher Leistungserbringer sich als Anbieter behaupten kann und wer aus dem Markt ausscheiden muss. Es führt so zu einem Leistungswettbewerb der Einrichtungen und Dienste um die Leistungsberechtigten.
Das Konzessionierungsmodell fördert die Autonomie der Leistungserbringer. Es ist ihre Entscheidung, ob sie bestimmte Leistungen anbieten wollen. Die Zulassung hängt lediglich von ihrer Eignung zur Leistungserbringung ab, nicht von einem durch den Sozialleistungsträger prognostizierten Bedarf. Mit dieser Freiheit untrennbar verbunden ist die Tragung des vollen Belegungsrisikos durch den Leistungserbringer.
Konkurrierende Angebote der Träger führen zu Flexibilität und Auswahlmöglichkeiten für die Leistungsberechtigten. Erst ein vielfältiges Angebot ermöglicht die angestrebte passgenaue Hilfe für die Leistungsberechtigten. Entstehende Überkapazitäten führen nicht zu zusätzlichen Kosten für den Sozialleistungsträger, sondern zu einem Preiswettbewerb der Einrichtungen. Denn wenn Alternativen zur Verfügung stehen, hat angesichts des Mehrkostenvorbehalts der günstigste Anbieter die höchsten Belegungschancen.
1.3.2 Wahlrechte und Trägerpluralität
Das Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten Bürgerinnen und Bürger ist Ausdruck der Menschenwürde und der Freiheit des Einzelnen. Es wurzelt in der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG.[16] Wahlrechte stärken die Stellung der Betroffenen und verhindern, dass diese lediglich zum Objekt der Hilfe gemacht werden.
Voraussetzung für die Realisierung von Wahlrechten ist ein plurales Angebot. Die Pluralität des sozialen Hilfeangebots entspricht einer freiheitlichen Gesellschaft und einer freiheitlichen Verfassung. Hierzu gehört auch die Möglichkeit, wertgebundene soziale Dienstleistungen der freien Wohlfahrtspflege wählen zu können.
Im Konzessionierungsmodell entscheidet nicht der Staat (in Gestalt des Sozialleistungsträgers) darüber, wie viel Pluralität notwendig ist und welche Träger ausgewählt werden, um dem Pluralitätsgebot zu entsprechen. Dies erfolgt vielmehr im Wege einer Selbststeuerung des Systems: Alle geeigneten Leistungserbringer können Leistungen anbieten. Über ihre Akzeptanz entscheidet nicht der Sozialleistungsträger sondern die Leistungsberechtigten in Ausübung ihres Wahlrechtes.
1.3.3 Die Rolle freier Träger
Freie Träger sind keine Erfüllungsgehilfen des Staates bzw. der Sozialleistungsträger. Träger der freien Wohlfahrtspflege sind Träger eigener Aufgaben. Diese hervorgehobene Stellung freier Träger wurzelt im Staatskirchenrecht (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV) und im Einigungsvertrag (Art. 32). Die allgemeine einfachgesetzliche Regelung für das Sozialrecht findet sich in § 17 Abs. 3 Satz 2 SGB I. Danach haben die öffentlichen Leistungsträger die Selbständigkeit der freien Träger in Zielsetzung und Durchführung ihrer Aufgaben zu achten. Bei der Ausschreibung von Leistungen im offenen Verfahren ist für eine Selbständigkeit freier Träger in Zielsetzung und Durchführung ihrer Aufgaben kein Raum. Die Leistungsbeschreibung wird einseitig vom öffentlichen Auftraggeber erstellt, der Vertrag über die Erbringung von Leistungen liegt der Ausschreibung bei und muss vom Leistungserbringer ohne Änderungsmöglichkeit akzeptiert werden.
Im Konzessionierungsmodell besteht dagegen die Möglichkeit, freie Träger in die Ausgestaltung der Leistungen einzubeziehen. Dies kann zum einen auf individueller Ebene zwischen dem einzelnen Einrichtungsträger und dem zuständigen Sozialhilfeträger geschehen. Das Angebot zum Vertragsabschluss muss im Konzessionierungsmodel nicht vom Sozialhilfeträger ausgehen. Auch einzelne Einrichtungsträger können dem Sozialhilfeträger ein Angebot auf Abschluss einer Leistungsvereinbarung nach § 75 Abs. 3 SGB XII vorlegen. Der Einrichtungsträger hat einen Anspruch darauf, dass der Sozialhilfeträger sein Angebot ermessensfehlerfrei prüft. Diese Konstellation war in der Vergangenheit vielfach Ausgangspunkt für wichtige Innovationen.
Freie Träger werden aber auch auf der kollektiven Ebene der Landesrahmenverträge in die Festlegung der Leistungen und die Modalitäten der Leistungserbringung einbezogen. Auf diese Weise werden die staatlichen/kommunalen Aufgaben des Sozialleistungsträgers mit den eigenen Aufgaben der freien Träger in Einklang gebracht.
1.3.4 Bedarfsdeckung durch Marktmechanismen
Nur in der Theorie führt staatliche Planung zur optimalen Bedarfsdeckung. In der Praxis führt sie zu Fehlallokation und Mangelversorgung. Die Verlockung für Sozialhilfeträger, bereits die Antragstellung durch eine Verknappung des Angebots zu vermeiden, ist groß.[17] Die Praxis der Angebotssteuerung ist deshalb - entgegen der gesetzlichen Vorgaben – weit verbreitet. Der teilweise immer noch ungenügende Ausbau ambulanter Versorgungsformen in der Behindertenhilfe ist nicht zuletzt Folge dieser (rechtswidrigen) Angebotssteuerung.
Im Hinblick auf die Bedarfsdeckung ist es wesentlich Erfolg versprechender, die Leistungsberechtigten mittels des Leistungsanspruchs mit Nachfragemacht auszustatten und das Angebot der Initiative potentieller Anbieter zu überlassen. Dies belegen – bei aller berechtigter Kritik an Mängeln der konkreten Ausgestaltung - die Erfahrungen in der ambulanten Pflege nach SGB XI.
Aufgabe der Sozialplanung ist es, Lücken, die in diesem Prozess z.B. aufgrund eines zu geringen Nachfragepotentials in ländlichen Gebieten dennoch entstehen können, zu erkennen und durch Initiative des Sozialhilfeträgers zu schließen. Diese Anregungsfunktion ist Aufgabe der Sozialhilfeträger. Sie ist streng zu unterscheiden von einer Sozialplanung im Sinne einer Angebotssteuerung, die die Zulassung von Leistungserbringern von einem zuvor festgestellten Bedarf abhängig macht. Letztere greift in die Freiheit der Berufswahl ein und bedarf insofern einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung. Der Schluss von der Sozialplanung als Aufgabe auf eine Befugnis zur Angebotssteuerung ist verfassungsrechtlich nicht zulässig.
Die bedarfsunabhängige Zulassung kann in der Sozialhilfe nicht zu ungerechtfertigten Leistungsausweitungen führen, da der Sozialhilfeträger in jedem Einzelfall über das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen entscheidet.
2. Konkrete Anforderungen an die Ausgestaltung des Wettbewerbs im sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis
2.1 Was hemmt derzeit den Wettbewerb?
Sowohl der externe Vergleich wie der Mehrkostenvorbehalt können nur unter zwei Voraussetzungen ihre volle Wirkung entfalten:
- weitgehende Standardisierung der Leistungen
- Verzicht auf eine Angebotssteuerung
Beide Voraussetzungen werden derzeit in der Praxis selten erfüllt.
Der externe Vergleich setzt vergleichbare Leistungen voraus. Hierzu müssen die Leistungsvereinbarungen in den Landesrahmenverträgen standardisiert werden. In der Praxis waren Sozialhilfeträger (und teure Einrichtungen) in der Vergangenheit jedoch regelmäßig stärker an einer „budgetneutralen Umsetzung“ des neuen Rechts interessiert als an einer Umsetzung des Wettbewerbsgedankens. Die Neuregelungen des BSHG-Reformgesetzes von 1999 zur Standardisierung der Leistungen (Personalschlüssel etc.) sind in einigen Bundesländern bis heute nicht umgesetzt. Als besonders hinderlich hat sich dabei das Fehlen eines Konfliktlösungsmechanismus erwiesen: Anders als z.B. im SGB XI ist im SGB XII die Schiedsstelle weder für die Leistungs- und Prüfungsvereinbarungen, noch für die Landesrahmenverträge zuständig.
Der Mehrkostenvorbehalt wiederum kann nur wirken, wenn das Angebot nicht künstlich begrenzt wird. Denn er kann nur geltend gemacht werden, wenn dem Leistungsberechtigten eine Alternative benannt werden kann. Steht nur ein Platz zur Verfügung oder gibt es sogar Wartelisten, so geht der Mehrkostenvorbehalt auch bei starken Differenzen zwischen den Vergütungen einzelner Einrichtungen mangels verfügbarer Alternative ins Leere. Die von den Kostenträgern der Sozialhilfe – entgegen der Rechtsprechung des BVerwG – praktizierte Angebotssteuerung ist so eine der wichtigsten Ursachen dafür, dass der vom Gesetzgeber gewünschte Wettbewerb der Einrichtungen bis heute nicht richtig in Gang gekommen ist.
Die unzureichende Umsetzung des BSHG-Reformgesetzes und die rechtswidrige Angebotssteuerung durch viele Sozialhilfeträger sind keine Argumente gegen das Konzessionierungsmodell. Statt einen Paradigmenwechsel in Richtung eines Einkaufsmodells und einer Ausschreibung von Sozialleistungen anzustreben, sollte endlich das geltende Recht umgesetzt und im Rahmen des sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnisses ein funktionsfähiger Wettbewerb der Einrichtungen etabliert werden. Das derzeitige Recht bietet hierfür im Großen und Ganzen eine tragfähige Grundlage.
2.2 Leistungs- und Prüfungsvereinbarung
2.2.1 Notwendige Inhalte, Überprüfbarkeit, Sanktionierung
Der Preiswettbewerb erfordert klare und überprüfbare Regelungen zur Qualität der Leistungen in Leistungs- und Prüfungsvereinbarung. Zu Recht schreibt § 76 Abs. 1 SGB XII deshalb eine Vereinbarung über die wesentlichen Leistungsmerkmale vor. Die Qualifikation des Personals und die erforderliche personelle und sächliche Ausstattung müssen klar geregelt werden. Die entsprechenden Vereinbarungen müssen auch überprüft und sanktioniert werden, da externer Vergleich und Mehrkostenvorbehalt bei der Festlegung der Vergütungen sonst notwendigerweise zu einer Abwärtsspirale im Hinblick auf die Qualität der Leistungen führen. Denn jeder Wettbewerber, der Leistungsvorgaben wie Personalschlüssel o.ä. nicht einhält, kann die Leistung günstiger anbieten als Einrichtungen, die eine vertragsgemäße Leistung anbieten. Die Überprüfung liegt somit nicht nur im Interesse der Sozialhilfeträger, sondern auch im Interesse der Einrichtungen. Entsprechend sollten Überprüfungen durch gemeinsame Prüfungskommissionen erfolgen.
2.2.2 Kollektivebene oder Individualebene?
Soweit ein trägerübergreifender Rahmen für den Wettbewerb festgelegt werden soll, ist grundsätzlich eine Regelung der Inhalte der Leistungs- und Prüfungsvereinbarungen in den gemeinsamen und einheitlichen Landesrahmenvereinbarungen nach § 79 Abs. 1 SGB XII vorzuziehen, da dort alle Träger über Ihre Verbände beteiligt sind (Drittwirkungsproblematik).
Möchte ein Träger Leistungstypen der Landesrahmenvereinbarung anbieten, so ist vom zuständigen Sozialhilfeträger lediglich die Leistungsfähigkeit des potentiellen Leistungserbringers zu prüfen und bei deren Vorliegen eine Leistungs- und Prüfungsvereinbarung entsprechend der Regelung im Landesrahmenvertrag abzuschließen. Kann eine Einigung über die Vergütung nicht erzielt werden, so entscheidet die Schiedsstelle.
Daneben müssen aber auch Vertragsangebote von Einrichtungsträgern für andere in der Landesrahmenvereinbarung nicht geregelte Leistungstypen vom Sozialhilfeträger im Einzelfall geprüft werden. Zu prüfen ist in diesem Fall auch, ob die Leistungen zum Leistungsumfang der Sozialhilfe gehören, insbesondere ob sie den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit entsprechen. Die Einrichtung hat insofern einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung. Durch die Möglichkeit des Angebots neuer Leistungstypen wird vermieden, dass lediglich bekannte Angebotspaletten perpetuiert und so Innovationen ausgeschlossen werden.
2.2.3 Keine Angebotssteuerung, unbefristete Vereinbarungen
Auf Seiten der Sozialhilfeträger muss in Zukunft auf jede Angebotssteuerung unter Bedarfsgesichtspunkten verzichtet werden. Nur so kann der Mehrkostenvorbehalt Wirkung entfalten.
Grundsätzlich ist nichts dagegen einzuwenden, wenn Sozialhilfeträger nicht nur Vertragsangebote von Einrichtungsträgern entgegennehmen, sondern selbst aktiv auf potentielle Leistungserbringer zugehen und sie zur Abgabe eines entsprechenden Vertragsangebots auffordern. Ergeben sich im Rahmen der Sozialhilfeplanung Lücken in der Versorgung so ist dieses Vorgehen sogar zwingend. Findet der Sozialhilfeträger keine vertragsbereiten Einrichtungsträger, so muss er selbst entsprechende Angebote bereitstellen.
Leistungsvereinbarungen sind nach der Konzeption des SGB XII grundsätzlich unbefristet abzuschließen.
2.2.4 Rechtsschutz
Der Rechtsschutz gegen die rechtswidrige Verweigerung einer Leistungsvereinbarung aus Bedarfserwägungen ist derzeit nicht effektiv. Vor dem Sozialgericht kann wegen des grundsätzlichen Ermessens des Sozialhilfeträgers über den Abschluss der Vereinbarung in der Regel nicht die angestrebte Leistungsvereinbarung selbst erstritten werden. Der Sozialhilfeträger wird meist lediglich dazu verurteilt, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Zeitnahe Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutz ergehen regelmäßig nicht. Angesichts der fatalen Auswirkungen der Angebotssteuerung auf das Funktionieren des Wettbewerbs muss die Zuständigkeit der Schiedsstelle vom Gesetzgeber wie vor 1999 auch auf Leistungs- und Prüfungsvereinbarungen erstreckt werden.
2.3 Vergütungsvereinbarung/Preisfindung
2.3.1 Ausgangsbasis für die Vereinbarung der Vergütungen
Ausgangsbasis für die Vergütungen können nach Abkehr vom Selbstkostendeckungsprinzip nicht mehr die einrichtungsindividuellen Selbstkosten sein. Soweit es keinen Vergleichsmarkt gibt, auf dem sich Preise unbeeinflusst von den im Bereich der Sozialhilfe marktbeherrschenden Sozialhilfeträgern bilden können, ist ein reiner Preisvergleich mit Vergütungsvereinbarungen anderer Einrichtungen zur Findung leistungsgerechter Vergütungen grundsätzlich nicht geeignet. Der Sozialhilfeträger hätte sonst die Möglichkeit, willkürliche Preisobergrenzen zu setzen. Ein Preisvergleich mit Einrichtungen, die Defizite mittels Eigenmitteln ausgleichen und/oder demnächst Insolvenz anmelden müssen, verstößt gegen Art. 12 und Art. 14 GG.
In Frage kommt eine einrichtungsübergreifende Orientierung an den empirisch ermittelten durchschnittlichen Kosten der Leistungserbringung[18]. Auch eine rechnerische Ermittlung der Bandbreiten ist grundsätzlich denkbar. Eine solche Berechnung muss jedoch in transparenter Form durch ein paritätisch besetztes Gremium erfolgen.[19]
Insbesondere in Leistungsbereichen, in denen häufige Nutzerwechsel erfolgen und deshalb der Mehrkostenvorbehalt eine starke Wirkung entfaltet, ist auch eine Orientierung an den prospektiven Vertragsangeboten anderer Anbieter denkbar. Hierzu kann es sinnvoll sein, die Laufzeiten der Vergütungsvereinbarungen aneinander anzupassen, so dass die Angebote aller Leistungserbringer in die Preisfindung einfließen können.
Angebote neuer Anbieter dürfen nur in den externen Vergleich einbezogen werden, wenn sie die entsprechenden sächlichen und personellen Mittel bereits vorhalten. Bei einer Einbeziehung von Trägern, deren Leistungsfähigkeit lediglich anhand ihres Angebots zum Vertragsabschluss („Papierform“) geprüft werden kann, bestünde die Gefahr, dass aufgrund von nicht auskömmlichen Dumpingangeboten etablierten Einrichtungen kostendeckende Vergütungen vorenthalten würden.
2.3.2 Festlegung eines Preiskorridors; Aufgaben der Schiedsstelle
Der vom Gesetzgeber gewünschte Wettbewerb der Einrichtungen setzt notwendig die Möglichkeit unterschiedlich hoher Vergütungen voraus. Denn die Festlegung eines Einheitspreises würde jeden Wettbewerb verhindern. Der Gegensatz zwischen der Forderung nach „gleichem Entgelt für gleiche Leistung“ und dem Forderung nach Wettbewerb ist jedoch ein scheinbarer: Funktionierender Wettbewerb führt zu einer Annäherung der Entgelte für vergleichbare Leistungen.
Die Festlegung des Preiskorridors (BVerwG: „Bandbreite des marktgerechten Preises“) darf nicht einseitig durch den Sozialhilfeträger erfolgen. Auch hier sind die Landesrahmenverträge der richtige Ort für entsprechende Vereinbarungen zwischen Sozialhilfeträgern und Verbänden der Einrichtungsträger (§ 79 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII). Über konkrete Streitigkeiten im Einzelfall entscheidet die Schiedsstelle.
Bei bereits bestehenden Einrichtungen sind in einigen Bereichen derzeit noch sehr große Preisunterschiede bei vergleichbaren Leistungen festzustellen. Bei einer solchen Ausgangslage kann es notwendig sein, zunächst einen sehr weiten Preiskorridor zuzulassen und diesen erst nach und nach zu verkleinern.
Die Kosten/Vertragsangebote von Einrichtungen in kommunaler Trägerschaft bzw. in Trägerschaft überörtlicher Träger der Sozialhilfe fließen in den externen Vergleich ein, wie die Daten aller anderen Träger. Den „Eigenerstellungskosten“ kommt keine Sonderstellung , z.B. als Obergrenze des Preiskorridors zu.
Geht man bei der Bildung des Preiskorridors nicht von den durchschnittlichen Kosten der Leistungserbringung, sondern von den Preisangeboten aller Anbieter aus, so dürfen lediglich auskömmliche Angebote in die Berechnung einfließen.
2.3.3 Rechtsschutz; Aufgaben der Schiedsstelle
Die Schiedsstelle hat im Wettbewerbssystem des SGB XII die Aufgabe, eine schnelle Konfliktlösung bei Uneinigkeit über die Vergütungen zu ermöglichen. Dies hat für Einrichtungen existenzielle Bedeutung, da sie kurzfristig auf Vergütungen angewiesen sind, die eine Kostendeckung ermöglichen.
Seit In-Kraft-Treten des BSHG-Reformgesetzes haben jedoch Klagen gegen Schiedsstellenentscheidungen aufschiebende Wirkung. Die Schiedsstelle kann seither ihre Aufgabe einer schnellen Konfliktlösung nur noch bedingt erfüllen. War die Neuregelung ursprünglich zum Schutz der Sozialhilfeträger vor zu hohen Festsetzungen der Schiedsstellen gedacht, so hat sich inzwischen gezeigt, dass sie bei Preisabsenkungen durch die Schiedsstelle auch zu deren Nachteil gereichen kann.
Der Gesetzgeber sollte auch hier zu der Regelung des BSHG vor 1999 zurückkehren und die aufschiebende Wirkung von Klagen gegen Schiedsstellenentscheidungen beseitigen.
2.4 Bewilligungsverfahren; Ausübung des Wahlrechts
Laut Angaben einiger Sozialhilfeträger üben nur 10 % der Leistungsberechtigten tatsächlich ihr Wahlrecht aus. Diese Tatsache lässt jedoch eher auf Unkenntnis der Leistungsberechtigten und mangelhafte Verfahrensabläufe bei den Sozialhilfeträgern schließen, als auf fehlendes Interesse der Leistungsberechtigten. In den Landesrahmenverträgen sollten deshalb auch Regelungen zum Bewilligungsverfahren bzw. zur Ausübung des Wunsch- und Wahlrechts durch die Leistungsberechtigten getroffen werden.
Der Leistungsberechtigte ist im Hilfeplanverfahren (für die Eingliederungshilfe: § 58 SGB XII) auf sein Wunsch- und Wahlrecht im Hinblick auf die Gestaltung der Hilfe (ambulant, stationär) und im Hinblick auf die Auswahl der Einrichtung hinzuweisen. Ihm oder seinem Betreuer ist eine Liste der Anbieter der einschlägigen Leistungen vorzulegen und Gelegenheit zu geben, sich über einzelne Einrichtungen zu informieren bzw. diese vor Ort zu besichtigen.
3. Zusammenfassung
Wettbewerb ist auch bei der Erbringung von Sozialhilfeleistungen möglich. Dem Status und dem Selbstverständnis freier Träger wird dabei der Wettbewerb im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis („Konzessionierung“) eher gerecht als ein Wechsel zu Einkaufsmodellen. Einkaufsmodelle wie eine Vergabe von Sozialhilfeleistungen sind mit dem geltenden Sozialhilferecht nicht vereinbar. Sie werden auch vom Europarecht nicht gefordert.
3.1 Forderungen an die Vertragspartner
Die Vertragspartner vor Ort und auf Bundes- und Landesebene müssen endlich das geltende Recht umsetzen und den vom Gesetzgeber gewünschten Wettbewerb im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis etablieren. Hierzu müssen die Leistungen transparent vereinbart und insbesondere die erforderliche personelle und sächliche Ausstattung klar geregelt werden. Dies erfordert Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten. Insbesondere teure Einrichtungen mit hohem Leistungsstandard werden sich darauf einstellen müssen, dass ein zukünftiger landesweiter Standard angesichts der finanziellen Situation der öffentlichen Haushalte möglicherweise ihr derzeitiges Leistungsniveau nicht auf Dauer abbilden kann. Damit der Mehrkostenvorbehalt seine steuernde Wirkung entfalten kann, müssen die Sozialhilfeträger auf eine Angebotssteuerung verzichten.
3.2 Forderungen an den Gesetzgeber
Das derzeitige Recht bietet zwar im Großen und Ganzen eine tragfähige Grundlage für eine Umsetzung von Wettbewerb im Dreiecksverhältnis. Auch Ende 2005 liegen jedoch immer noch nicht in allen Bundesländern die erforderlichen Rahmenverträge vor. In weiten Bereichen ist es immer noch nicht gelungen, über das Stadium einer budgetneutralen Umstellung auf die Entgeltbestandteile des neuen Rechts hinaus zu kommen. Diese langwierigen Umsetzungsprobleme belegen die Notwendigkeit eines Konfliktlösungsmechanismus. Nicht nur die Vergütungsvereinbarungen, sondern auch Leistungs- und Prüfungsvereinbarungen und Landesrahmenverträge sollten deshalb schiedsstellenfähig ausgestaltet werden. Die Regelungen des SGB XI könnten insofern als Vorbild dienen.
[1] Vom 23.07.1996, BGBl. I, 1088; in Kraft getreten am 1.1.1999.
[2] Die Schiedsstelle nach SGB XII ist nach wie vor lediglich für Vergütungsvereinbarungen, nicht aber für Leistungsvereinbarungen und Rahmenverträge zuständig; vgl. hierzu die Stellungnahme der BAGFW vom Mai 2002: „Leistungsvereinbarungen nach § 93 Abs. 2 BSHG schiedsstellenfähig gestalten“.
[3] Vgl. z.B. OLG Düsseldorf 09.06.2004, Az.: VII Verg 18/04: Eine garantierte Auslastung von nur 70 % verstößt gegen § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A, der dem Auftraggeber untersagt, dem Auftragnehmer ein ungewöhnliches Wagnis für Umstände und Ereignisse aufzubürden, auf die er keinen Einfluss hat und deren Einwirkung auf die Preise er nicht im Voraus schätzen kann.
[4]Die Pflegesatzvereinbarung begründet keine Zahlungsansprüche der Einrichtung gegen den Sozialhilfeträger im Einzelfall, die Einrichtung hat deshalb keinen Anspruch auf Zahlung der Sozialhilfeleistung an sie, vgl. hierzu aktuell VGH Bayern, Beschluss vom 24.11.2004, 12 CE 04.2057. Ein solcher Anspruch kann sich lediglich aus der Kostenübernahmeerklärung im Einzelfall ergeben, die in der Literatur überwiegend als zivilrechtlicher Schuldbeitritt qualifiziert wird, vgl. Brünner, Vergütungsvereinbarungen für Pflegeeinrichtungen nach SGB XI, 2001, 26 (m.w.N.).
[5] BT-Drucks. 13/2440, S. 27.
[6] BT-Drucks. 13/2440, S. 28.
[7] BT-Drucks. 13/2440, S. 29.
[8] BVerwG ZFSH/SGB 1999, 281.
[9] BVerwG 30.09.1993, BVerwGE 94, 202 (209).
[10] OLG Düsseldorf, 22.09.04, Az.: VII – Verg 44/04 (für Vereinbarungen nach § 77 SGB VIII über die Erbringung von Leistungen der sozialpädagogischen Familienhilfe). Die Entscheidung folgt dem im Auftrag des Deutschen Caritasverbandes und des Diakonischen Werkes erstellten Gutachten Neumann/Nielandt/Philipp, Erbringung von Sozialleistungen nach Vergaberecht?, Baden-Baden, 2004, S. 58.
[11] BVerwGE 94, 202; VGH Bayern 13.07.2005, Az. M 18 K 04.6551
[12] OVG NRW 27.09.2004, Az.: 12 B 1309/04; Sozialrecht aktuell 2004, 238; ähnliche Entscheidungen ergingen auch zur Jugendhilfe: OVG Hamburg 10.11.04, Az.: 4 Bs 388/04; OVG NRW 18.03.2005, Az.: 12 B 1931/04; OVG Berlin 04.04.2005, Az.: OVG 6 S 415.04.
[13] BVerfGE 11, 30.
[14] Über die Inanspruchnahme ärztlicher Behandlung z.B. entscheidet nicht die Krankenkasse.
[15] VGH Bayern 13.07.2005, Az. M 18 K 04.6551
[16] BVerfG 17.12.2002, Az. 1 BvL 28/95.
[17] Vgl. z.B. VGH Bayern 13.07.2005, Az. M 18 K 04.6551.
[18] In diesem Sinn wohl die Begründung zum BSHG-Reformgesetz, BT-Drucks. 13/2440, S, 25 (am Ende).
[19] Einseitige Festlegungen wie die vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe im sogenannten Interessenbekundungsverfahren praktizierte Bestimmung eines fiktiven Eigenpreises als Preisobergrenze stellen kein geeignetes Preisbemessungsverfahren dar.