Europa am Scheideweg
Im November 2014 nahm die neue EU-Kommission ihre Arbeit auf und bereits in seiner Antrittsrede versprach Präsident Jean-Claude Juncker ein "Triple-A on social issues" und beschrieb seine Behörde als "Kommission der letzten Chance". Die Betonung der gleichberechtigten Stellung von EU-Sozial- und Wirtschftspolitik weckt viele Erwartungen, u. a. auch bei der Freien Wohlfahrtspflege.
Die BAGFW EU-Vertretung war Mitveranstalter einer Konferenz zu dem Thema „Social Impact Investment“ im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss in Brüssel am 16.2.2015. Über 170 Teilnehmer/innen aus Politik, Finanz- und Sozialwirtschaft diskutierten mit Vertretern/innen der EU-Institutionen und der Organisationen der Zivilgesellschaft über die Chancen und Risiken von privaten wirkungsorientierten Investitionen im Sozialbereich. |
In 2015 hat die EU-Kommission ihre Versprechen aufgrund aktueller Prioritätenverschiebungen noch nicht einhalten können. Zwar verwiesen sowohl Jean-Claude Juncker als auch EU-Sozialkommissarin Marianne Thyssen auf eine Stärkung des sozialen Europas, nur blieben bislang breiter angelegte Initiativen aus. Die Halbzeitbewertung der Europa 2020 Strategie, die unter anderem das Ziel beinhaltet die Anzahl der von Armut gefährdeten Menschen in der EU um 20 Millionen zu verringern, wurde verschoben. Eine Initiative zur Einführung einer sogenannten „Europäischen Säule sozialer Rechte“ wurde ebenfalls erst für 2016 angekündigt. Die BAGFW EU-Vertretung verfolgte die Diskussionen nicht nur, sondern brachte sich auch aktiv ein. Unter anderem reichte die BAGFW eine Stellungnahme zur Konsultation der Europäischen Kommission zur Erbringung von Dienstleistungen für Langzeitarbeitslose in den Mitgliedstaaten und auf EU-Ebene ein. Außerdem erarbeitete der Vertreter der BAGFW im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA), Herr Prof. Schlüter, eine Initiativstellungstellungnahme zu Grundsätzen wirksamer und verlässlicher Sozialleistungssysteme, die im September 2015 durch das EWSA-Plenum verabschiedet wurde. Diese wurde mit großer Zustimmung aufgenommen und führte u. a. zu einem Gespräch mit dem Kabinett der EU-Sozialkommissarin Marianne Thyssen.
Zusätzlich wurden die Verhandlungen zum EU-US Freihandelsabkommen TTIP detailliert verfolgt. Eine gemeinsame Stellungnahme vom Bundeswirtschaftsministerium und der BAGFW wurde im Februar 2015 verabschiedet, in der die Positionen der BAGFW klar fixiert sind. Die Freie Wohlfahrtspflege fordert u. a. eine grundsätzliche Transparenz der Verhandlungen, die Herausnahme von gemeinnützigen Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen aus den Verhandlungen und lehnt jegliche Form von nichtstaatlichen Schiedsgerichten im Rahmen des Investorenschutzes ab. |
Weiterhin verfolgte die BAGFW in 2015 einschlägige Beschwerdeverfahren im Bereich des EU-Beihilferechts. Die Themen „Soziales Unternehmertum“, „Soziale Innovationen“ und „Soziale Wirkungsmessung“ spielten auf der europäischen Ebene ebenfalls eine Rolle.
Schließlich überschattete das Thema „EU-Flüchtlingspolitik“ ab Sommer 2015 alle politischen Auseinandersetzungen. Die EU-Innenminister beschlossen als Antwort auf die ansteigenden Flüchtlingszahlen die Verteilung von 160.000 Flüchtlingen auf die EU-Mitgliedstaaten nach einem festen Verteilungsschlüssel. Bislang (Stand Dezember 2015) sind nur ca. 130 Flüchtlinge über diesen Mechanismus verteilt worden.
Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten werden 2016 und in Folge nur erfolgreich sein, wenn sie es schaffen, nationale Egoismen zu überwinden und eine gemeinsame solidarische Politik zu verwirklichen. Dabei müssen die soziale und die wirtschaftliche Dimension der EU gleichberechtigt behandelt werden. |