Die BAGFW bedankt sich für die Möglichkeit, zum vorliegenden Referentenentwurf Stellung zu nehmen.
Die BAGFW begrüßt die Anpassung der Regelungen zur angemessenen Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit von Familien bei der Bemessung der Einkommensteuer für die Jahre 2021 und 2022 mit dem Ziel, Familien wirtschaftlich weiter zu fördern und zu stärken.
Damit wird das im Koalitionsvertrag verankerte Ziel umgesetzt, nach den bereits in Kraft getretenen Verbesserungen in einer weiteren Stufe das Kindergeld pro Kind ab 1. Januar 2021 um 15 Euro pro Monat zu erhöhen und die steuerlichen Kinderfreibeträge entsprechend anzupassen.
Ebenso begrüßt die BAGFW die Anhebung des Grundfreibetrags, der die verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Freistellung des Existenzminimums der steuerpflichtigen Bürgerinnen und Bürger sicherstellt sowie die Verschiebung der übrigen Eckwerte des Einkommensteuertarifs für die Veranlagungszeiträume 2021 und 2022 nach rechts zum Ausgleich der kalten Progression.
Für die BAGFW ist die Anhebung des Höchstbetrages für den Abzug von Unterhaltsleistungen nach § 33a Absatz 1 EStG wie die Anhebung des Grundfreibetrages ab Veranlagungszeitraum 2021 folgerichtig.
So begrüßenswert diese pauschal vorgesehenen Anhebungen sind, dürfen sie evidenzbasierte Erkenntnisse über die tatsächlichen Bedarfe jedoch nicht verdrängen.
Sollten die im Herbst 2020 zu erwartenden Ergebnisse des Existenzminimumberichts sowie des Steuerprogressionsberichts, die Grundlage der Anhebungen sind, zeigen, dass die nunmehr vorgesehene Anhebung das Existenzminimum noch nicht abdeckt, muss es eine weitere Korrektur des Kindergeldes und der weiteren Beträge geben.[1]
Um bei der Höhe des freizustellenden Existenzminimums eine mögliche Differenz zulasten der Leistungsberechtigten zwischen dem nunmehr festgelegten Kindergeldbetrag und den durch eine sachgerechte Festlegung der Regelbedarfe ermittelten Werte auszugleichen, schlägt die BAGFW vor, eine Regelung in das vorgelegte Zweite Familienentlastungsgesetz aufzunehmen, damit das Kindergeld und die Kinderfreibeträge sowie die Grundfreibeträge entsprechend um diesen Differenz-Betrag erhöht werden.
Die Feststellung des Existenzminimums von Kindern und Jugendlichen ist für das Steuerrecht, aber auch für alle familienbezogenen und sozialen Leistungen von entscheidender Bedeutung. Willkürliche Abzüge oder Anrechnungen führen dazu, dass das Existenzminimum und damit die Auszahlungsbeträge unterschiedlich hoch ausfallen, abhängig davon, ob die Eltern für ihre Kinder neben dem Kindergeld Grundsicherung, Kinderzuschlag und/oder Unterhaltsvorschuss beziehen oder durch die Kinderfreibeträge ein zusätzliches Plus haben.
Im Sozialrecht wird damit keine ausreichende gesellschaftliche Teilhabe gewährleistet. Diese Ungleichbehandlung von Kindern und Jugendlichen ist zu beenden. Es bedarf daher einer einheitlichen, transparenten, konsequent sach- und realitätsgerechten Ermittlung und Umsetzung des kindlichen Existenzminimums für alle Rechtsbereiche.
Auch kritisiert die BAGFW, dass viele Familien und Kinder von der Erhöhung des Kindergeldes nicht profitieren werden, weil das Kindergeld auf die Regelsätze, den Unterhalt, Unterhaltsvorschuss und beim Bezug von Sozialleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz angerechnet wird.
Weil das Kindergeld im Grundsicherungsbezug, soweit es nicht zur Sicherung des Lebensunterhalts des Kindes benötigt wird, für die Sicherung des Lebensunterhalts der übrigen Bedarfsgemeinschaft anzurechnen ist (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 5 SGB II, § 82 Abs.1 SGB XII), führt das insbesondere in Fallkonstellationen mit auskömmlichem Unterhalt dazu, dass das Haushaltseinkommen der Familie nicht steigt und letztendlich von der Kindergelderhöhung nichts verbleibt.[2]Die BAGFW fordert daher schon seit Langem, dass das hälftige Kindergeld einschränkungslos für die Bedarfsdeckung des Kindes zu verwenden ist.[3]
Eine Kindergelderhöhung kommt auch bei Familien, die Unterhaltsvorschussleistungen beziehen, nicht an, da das Kindergeld – im Unterschied zum Unterhalt – vollständig angerechnet wird. Die volle Minderung des Unterhaltsvorschusses in Höhe des Kindergeldes erhöht das Armutsrisiko gerade für die Personengruppe, die ihre Kinder häufig bereits unter erschwerten Bedingungen und in prekären Lebenslagen erziehen muss. Da Alleinerziehende besonders häufig von Armut betroffen sind, gilt es gerade diese Personengruppe zu entlasten. Durch die Anrechnung nur des hälftigen Kindergeldes würde eine deutlich spürbare Verbesserung der finanziellen Situation von Alleinerziehenden und ihren Kindern erreicht. Die vorgelagerten Sicherungssysteme aus Kinderzuschlag, Wohngeld und Unterhaltsvorschuss könnten so früher greifen.
Die BAGFW fordert deshalb, dass das Kindergeld auf den Unterhaltsvorschuss nur hälftig angerechnet werden darf, um dem hohen Armutsrisiko von Alleinerziehenden entgegenzuwirken.
[1] Eine weitere relevante Erkenntnisquelle für die Bedarfe von Menschen in Armut liefert die im nächsten Jahr 2021 turnusgemäß vom Statistischen Bundesamt vorgelegte Einkommens- und Verbrauchsstichprobe, die ihrerseits Grundlage für die Regebedarfe nach dem SGB II und XII ist. Hierzu liegt bereits ein entsprechender Gesetzentwurf des Bundesarbeitsministeriums für das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen vor, der sich in der Frühkoordinierung mit dem Kanzleramt befindet.
[2] Die Anrechnungsregelung im SGB II berücksichtigt nicht, dass die hälftige Anrechnung des Kindergeldes auf den Kinderunterhalt wie eine Leistung des Unterhaltspflichtigen an das Kind wirkt, das den sozialrechtlichen Bedarf des Kindes decken soll. Denn der Unterhaltsanspruch setzt sich aus dem Zahlbetrag und dem hälftigen Kindergeld zusammen (siehe Düsseldorfer Tabelle).
[3] Vgl. Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. zur Weiterentwicklung des Systems monetärer Unterstützung von Familien und Kindern vom 11.9.2019