Ich bedanke mich sehr für die Einladung zu Ihrer Veranstaltung. Es ist mir nicht nur eine Ehre hier sprechen zu können. Für mich als Chefredakteurin ist es vor allem auch eine Freude, bei der Verleihung eines Preises für besondere Journalistische Leistungen beteiligt zu sein.
Sie werden hier heute Arbeiten auszeichnen, die nicht nur herausragend in Stil und Schreibe sind. Sie zeichnen Arbeiten aus, die in besonderer Weise zum Ausdruck bringen, was ich mit dem Begriff „Haltung“ bezeichne. Haltung meint nicht Parteilichkeit oder ein „sich auf eine Seite stellen“. Haltung meint einerseits die stets fragende, kritische Distanz zu den Themen, Menschen oder Organisationen, über die jemand schreibt. Haltung meint aber auch, dass sich der Schreibende seinem Gegenstand mit einem klaren Wertegerüst nähert. Erst das Zusammenspiel dieser drei, gute Schreibe, kritischen Distanz und klares Wertegerüst macht aus einem Text einen ausgezeichneten Text.
Guten Journalismus auszuzeichnen ist in Zeiten, die für die Medien Krisenzeiten sind, besonders wichtig. Es ist ja mittlerweile Allgemeingut geworden, die Zeitungen für tot zu erklären. Es vergeht kein Kongress, keine Veranstaltung, in denen die Krise der Medien nicht beleuchtet, beschworen, dramatisiert und seziert wird. Der Schuldige ist auch immer klar: Das Internet. Ich glaube so einfach ist das nicht.
Die Krise hat zwei Gesichter. Es gibt die Krise des Geschäftsmodells anzeigenfinanzierte Zeitung. Und es gibt eine Art Identitätskrise der klassischen journalistischen Medien, die sich fragen müssen, welche Rolle sie in einer Welt spielen, die immer schneller, immer differenzierte wird, einer Welt, in der sie auf Nachrichten und Information kein Monopol mehr haben, weil die Menschen heute über Möglichkeiten der direkten Kommunikation verfügen, von denen wir noch vor 15 oder 20 Jahren nicht mal geträumt haben.
Reden wir zunächst über die Krise des Geschäftsmodells.
Eine Zeitung herauszugeben war bis vor einigen Jahren eine lukrative Sache. Die Zeitung finanzierte sich ganz grob gesprochen zu 70 Prozent durch Anzeigen und zu 30 Prozent durch Verkaufserlöse. Die Zeitung war also schon immer, wenn man so will, subventioniert. Der Verkaufspreis bildete den Wert der Zeitung nicht ab. Dieses erfolgreiche Modell der Finanzierung durch Werbung wollten die Verleger dann ins Internet übertragen. Alle Zeitungen entwickelten Internet Auftritte, auf denen die Inhalte kostenlos abrufbar sind, und die sich, so der Plan, durch Werbung finanzieren sollten.
Was man heute sagen kann ist: Dieses Modell ist gescheitert. Man hat die neue Technologie und ihre Möglichkeiten, vor allem aber ihren Veränderungsdruck, ihre Kreativität und Beweglichkeit für jede Art der Verbreitung von Inhalten und Werbung völlig unterschätzt.
Seither ist fast eine Generation junger Menschen mit der Vorstellung groß geworden, Information, Unterhaltung, Meinung, in hoher Qualität umsonst ist und nichts kostet. Spiegel online, zeit.de, die Berliner Zeitung, die FAZ, die Süddeutsche, fast alle Regionalzeitungen und Magazine, bieten ihre hochwertigen, teuren Inhalte im Netz umsonst an. Die Nutzer kamen und nutzten.
Warum auch nicht?
Stellen Sie sich vor die Bäcker hätten beschlossen, dass Brötchen nur noch bezahlt werden müssen, wenn man sie im Laden kauft und in einer mit Werbung bedruckten Tüte nach Hause trägt. Wer die Brötchen im Netz bestellt bekommt sie umsonst. Da wäre man doch nicht wirklich schlau, zum Bäcker zu laufen, bloß weil man es immer so gemacht hat oder man den Bäcker nett findet, oder sich Gedanken darüber macht, dass der Bäcker auch leben muss.
Die Nutzer von Journalismus wanderten also in großer Zahl ins Netz. Wer aber nicht mit wanderte ins Netz, waren die Anzeigenkunden, jedenfalls nicht in ausreichender Zahl. Und zu viel billigeren Preisen. Es war der große Irrtum der Verleger, zu glauben, die Anzeigenkunden würden an die Marke gebunden bleiben, sie würden sozusagen das Trägermedium Zeitung durch das Trägermedium Internet austauschen.
(Nur dass ich nicht missverstanden werde: Ich werfe den Verlegern nicht vor, dass sie diese Entwicklung nicht vorhergesehen haben. Niemand konnte das damals wissen. Aber aus heutiger Sicht wird kaum einer widersprechen, dass die Entscheidung von damals nicht richtig war.)
Die Anzeige hat fast über Jahrhunderte hinweg die Zeitung gebraucht und genutzt um sich zu verbreiten. Mit Entstehung des Netzes hat sich die Anzeige von der Zeitung emanzipiert. Sie nutzt jetzt viele Möglichkeiten. Möglichkeiten, die sie zielgenauer zu ihren Interessenten bringt, als es eine Zeitung, oder eine Zeitungsmarke im Netz, es je kann.
Wenn es im Netz in hochwertiger Qualität alles umsonst gibt, wundert sich wirklich jemand darüber, dass die Leute keine Zeitung mehr kaufen? Was aber glauben diese Nutzer, wer die Inhalte bezahlt?
Derzeit tun das die Zeitungskäufer. Die Zeitungskäufer subventionieren die Umsonst-Nutzer. Wundert sich also jemand, dass die Auflagen zurückgehen?
Soweit, so schlecht.
Heute würden viele diese Entwicklung gerne rückgängig machen. Wie aber entwöhnt man die Nutzer von der Selbstverständlichkeit der unbegrenzten Verfügbarkeit von Inhalten im Netz? Wie kann man diese Umsonst-Kultur zurückdrängen, wie die Wertigkeit des Journalismus wieder klar machen? Denn darum genau geht es: Klar zu machen, wie viel Arbeit in einem gut recherchierten Text, einer interessanten Reportage oder in einem kenntnisreichen Leitartikel steckt.
Unter dem Stichwort „paid content“ entwickeln international Verlage Modelle für Bezahlschranken im Netz. Es gibt das sogenannte „metered model“, das heißt, man bekommt eine bestimmte Anzahl Texte im Monat frei, dann ploppt der Bezahlbutton auf. Es gibt auch Verlage, die ihre Texte generell kostenpflichtig machen, es gibt die Variante einen Bereich generell frei und einen anderen Bereich generell kostenpflichtig zu machen. Es gibt Einzeltext Bezahlmodelle oder Abomodelle.
Um es gleich zu sagen: Keines der Modelle funktioniert richtig. Das hat viele Gründe, unter anderem fehlt ein unkompliziertes, sicheres und leicht zu handhabendendes Abrechnungssystems.
Das größte Hindernis aber ist das Unverständnis der Nutzer, die nicht einsehen, warum sie für etwas bezahlen sollen, was jahrzehntelang umsonst war.
Aber auch die Verleger agieren gebremst – aus Konkurrenzgründen. Denn statt mutig gemeinsam voranzugehen beäugen sie sich gegenseitig misstrauisch, und versuchen so lange wie möglich von den Bezahlschranken anderer zu profitieren. So lange aber noch fast alles umsonst ist, und die Verleger sich nur in Trippelschritten bewegen, wird sich das Nutzerverhalten, die Umsonst-Kultur nicht ändern.
Die Medienbranche ist in einem gigantischen Umbruchprozess. Wir leben in Zeiten einer medialen Revolution. Niemand weiß derzeit ob am Ende Anarchie oder eine neue Ordnung steht. Sicher ist nur: Wenn sich kein Weg auftut, Inhalte nicht nur in der Zeitung, sondern auch im Netz zu verkaufen, hat der qualifizierte Journalismus keine Chance. Und ich könnte noch hinzufügen: Dann hat auch eine qualifizierte öffentliche Auseinandersetzung, die für eine Demokratie unerlässlich ist, keine Chance.
Keine Angst, dieser düstere Satz ist nicht das Ende.
Die andere Krise, die Identitätskrise der Tageszeitung ist lösbar und hat mit der ökonomischen Lage der Zeitungen nichts zu tun. Sie hat etwas zu tun mit Geschwindigkeit, der Vorstellung ständiger Erreichbarkeit, dem Wunsch nach direkter Kommunikation. Welche Aufgabe, so fragen sich heute Chefredakteure und ihre Redaktionen, welche Aufgabe hat eigentlich dieses behäbige Medium Zeitung in Zeiten von lifestreams auf dem Handy und Kurznachrichten auf twitter?
Ich sage: Eine ganz entscheidende. Die Zeitung übernimmt für Sie, die Leser, die Aufgabe, zu ordnen, zu sortieren, zu bewerten. Sie ist der Navigator, eine Art Scout, durch die wilde Welt des world wide web. Sie trennt wichtiges von unwichtigem. Eine Redaktion macht sich viel Arbeit und Gedanken und daraus wird dann die Zeitung. Im Gegensatz zum Netz ist sie ein Produkt mit Profil und Haltung. Sie ist stetig und zuverlässig.
Zeitungen haben viele Jahre versucht, immer schneller zu werden. Sie wollten mithalten mit dem Internet, haben versucht es zu kopieren, ja zu überholen. Daran mussten die Zeitungen scheitern.
Heute sage ich meiner Redaktion das Gegenteil. Unsere Chance liegt in der Langsamkeit. Wir müssen genau hinsehen, in die Tiefe gehen. Wir müssen nicht in erster Linie informieren, wir müssen interpretieren, kommentieren, analysieren. Wir müssen den Zusatznutzen bieten. Gelingt uns das, bin ich nicht bang um die Zeitung.
Ein Blick auf die Realität gibt eigentlich viel Anlass zur Hoffnung.
Es gibt in Deutschland 329 Zeitungen. 329 unabhängige Titel, Regionale und überregionale Tageszeitungen, Wochenzeitungen, politische Magazine.
Täglich werden 22 Millionen Zeitungen verkauft.
71 Prozent aller Bürger über 14 Jahre lesen Zeitungen.
41 Prozent aller Bürger über 14 Jahre informieren sich auf den elektronischen Seiten der Zeitungsverlage.
Noch nie zuvor nutzten so viele Leute täglich die Zeitung oder die Zeitungsinformationen im Netz. All diese Leute wissen es zu schätzen, mit journalistisch aufbereiteten, mit geprüften Informationen versorgt zu werden. All diese Leute wissen, dass Facebook und Twitter, dass Blogs und alle anderen Social-Media-Kanäle den Journalismus zwar bereichern und ergänzen können. Aber dass dies eben kein Journalismus ist. Sie wollen Vertrauen haben zu einem Medium, das Standards verspricht und einhält, das einem Pressekodex folgt, das sich vom Presserat kontrollieren lässt, das ausbildet und gut ausgebildete Leute beschäftigt.
Das heißt es gibt einen wachsenden Bedarf an seriöser Information, an Hintergrundtexten, an Analysen, Reportagen über lokale, bundesweite und internationale Themen. Die Leute wollen wissen! Sie suchen Information!
Eine bessere Nachricht kann es für Journalisten und Verleger, für eine Chefredakteurin, eigentlich nicht geben.
Was machen wir draus?
Ich sagte Eingangs schon: Es ist derzeit ganz große Mode, die Zeitung schlecht zu reden, ja sie für tot zu erklären.
Damit einher geht das große Jammern der Verlage über die zu teuren Redaktionen. Fast alle Zeitungsredaktionen, vor allem die Redaktionen der Regionalzeitungen, mussten viel einsparen.
Langsam aber zeichnet sich eine Trendwende ab. Die Verleger und Geschäftsführer begreifen, dass die Redaktionen ihr einziges Kapital sind, dass es ohne qualifizierte Redakteure, Reporter, Kommentatoren die Zeitung, die Texte im Netz, das e-papier nicht gäbe. Sie merken auch, dass man ohne eine qualifizierte Redaktion über Bezahlmodelle im Netz gar nicht nachzudenken braucht. Wer in Zukunft nicht ganz besondere oder exklusive Texte und Informationen anzubieten hat, braucht im universellen Netz, in dem man mit allen Medien der Welt in Konkurrenz steht, nicht anzutreten.
Die gedruckte Zeitung ist natürlich ein Dinosaurier. Wir können heute Daten in kürzester Zeit weltweit an jeden Ort bringen. Niemand wird heute behaupten, dass es zeitgemäß, ökologisch und nachhaltig wäre, ein Produkt aus hochwertigen Rohstoffen herzustellen, das eine Lebensdauer von einem Tag hat. Und das kiloschwer frühmorgens bei Wind und Wetter ausgetragen werden muss.
An der gedruckten Zeitung zu hängen hieße, das Reisen mit der Postkutsche nicht nur romantisch, sondern auch praktikabel zu finden.
Aber darum geht es nicht. Solange wir nicht wissen, wo die Reise des Journalismus hingeht, solange nicht klar ist, welches neue Produkt die Leser akzeptieren und wofür sie bereit sind zu bezahlen, solange also die Metamorphose der Zeitung nicht abgeschlossen ist, so lange müssen wir die Zeitung als ein Produkt hochwertigen Journalismus behutsam hegen und pflegen. So lange dürfen wir ihren guten Ruf nicht gefährden. Und wir dürfen nicht nachlassen, sie täglich besser zu machen.
Daran arbeite ich. Dazu tragen Sie bei, die heutigen Preisträger. Dabei helfen Sie, Herr Stadler mit, die Sie mit ihrer Organisation diese Preise ausloben. Und dafür sind alle wichtig, die Zeitung lesen und hoffentlich Wert schätzen.
Vielen Dank.