Sehr geehrte Präsidentin,
sehr geehrte Preisträgerinnen und Preisträger,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
nichts ist spannender als Menschen. Die Beschäftigung mit Menschen - mit ihren kleinen und großen Geschichten, mit ihren Sorgen, Ängsten und Nöten, aber auch ihren Triumphen: Das ist eine der erfüllendsten Tätigkeiten, die es gibt. Deshalb sind gute Journalisten privilegiert! Privilegiert, weil sie einen Job machen dürfen, der sie täglich ganz nah heran kommen lässt an das, was wirklich wichtig ist, was spannend und mit unserem Leben besonders eng verknüpft ist.
Ein guter Reporter, eine gute Reporterin kann uns den Vorhang zum Leben der anderen ein bisschen lupfen, uns hinter die Kulissen schauen und uns teilhaben lassen an einer Wirklichkeit, die eine andere ist als unsere - und oft genug sehr viel mit unser aller Leben zu tun hat. Ein guter Journalist macht Geschichten, die mit dem Leben etwas relevantes zu tun haben. Der Deutsche Sozialpreis prämiert nun seit 35 Jahren solche besonderen Geschichten - und natürlich deren Macherinnen und Macher. Dies ist immer wieder eine große Ermutigung, und deshalb freue ich mich über die Gelegenheit, heute - bei diesem Jubiläum - zu Ihnen zu reden.
Wie wichtig dieser Preis ist, kann jeder ermessen, der den Medienalltag zwischen Quotendruck und Qualitätsanspruch aus der Nähe kennt.
Die Versuchung ist groß, zugunsten des routinierten Politiker-Statements oder einer bebilderten Pressemeldung die Mühen der eigenen Recherche an exklusiven Geschichten zu unterlassen. Dies liegt in aller Regel nicht an der Bequemlichkeit der Journalisten. Vielmehr leiden die Printmedien wie auch das kommerzielle Fernsehen unter den Folgen der Werbekrise und das öffentlich-rechtliche Fernsehen muss wegen geringerer Gebührenzuwächse bei deutlich wachsenden Aufgaben Planstellen eher abbauen, als dass neue Kollegen eingestellt werden.
Das bedeutet für die Redakteure häufig: Arbeitsverdichtung. Dies ist keine Entschuldigung, aber vielleicht manchmal eine Erklärung für die fehlende Bereitschaft zur Recherche in manchen Redaktionen. Die Versuchung ist groß, auf Vorgefertigtes, Vorhersehbares zurückzugreifen.
Dennoch: Neben der Massenware hält sich hartnäckig der Journalismus mit Qualitätsanspruch - und es wird Sie nicht verwundern, meine Damen und Herren, wenn ich betone, dass diese Art von Journalismus unverändert im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, sowohl in der ARD als auch bei den Kollegen vom ZDF, zu Hause ist. Ich konzentriere mich heute auf den NDR, weil ich den am besten kenne und weil auch er viele öffentlich-rechtliche Programm-Höhepunkte schafft.
Die älteren Kollegen im NDR erinnern sich noch an Zeiten ohne Konkurrenz zum öffentlich-rechtlichen Angebot. Zeiten, in denen zum Beispiel der Musikredakteur ausschließlich die Musik gespielt hat, die ihm gefiel. Diese - aus Sicht mancher Redakteure mutmaßlich paradiesische Zeit - endete in den 80er Jahren infolge der neuen Konkurrenz durch die kommerziellen Sender.
Plötzlich wurde eine gewisse Orientierung an der Quote wichtig für unsere Arbeit. Und das ist auch richtig: Schließlich stehen hinter der Quote Zuschauer aus Fleisch und Blut. Es dürfte unmittelbar einleuchten, dass öffentlich-rechtliches Fernsehen auch im veränderten Konkurrenzumfeld nicht am Interesse seiner Zuschauer vorbeisenden darf - (eine Erkenntnis übrigens, die sich in den Anstalten zuweilen erst nach und nach durchgesetzt hat.) Dieser also im Kern richtigen Entwicklung galt es irgendwann wieder in die andere Richtung gegenzusteuern: Denn in den vergangenen Jahren hat sich dieser Quotengesichtspunkt gelegentlich ein bisschen verselbständigt.
Dort, wo das so war, müssen wir korrigieren. Und diese Korrekturen haben bereits begonnen: Im NDR wird eine von mir initiierte lebhafte Debatte um Profilschärfung - also um Qualität - geführt. Sie wirkt sich mittlerweile zunehmend im Programm des NDR aus.
Ich möchte Ihnen konkret sagen, meine Damen und Herren, was ich unter erfolgreicher Profilschärfung verstehe:
Die Wirtschaftssendung "markt" am Montagabend im NDR Fernsehen hat sich im Laufe der letzten Monate nach und nach praktisch neu erfunden. Die klassische Wirtschaftsberichterstattung, die aus abgefilmten Konzernpressemeldungen oder Berichten von der Börse besteht, wurde zugunsten einer stärker verbraucherorientierten Berichterstattung erheblich reduziert.
(Und es ist durchaus erfreulich, meine Damen und Herren, aber reiner Zufall, dass die nächste Rednerin Teil dieser Erfolgsstory ist).
"markt" ist mittlerweile eine Verbrauchersendung, die sich stärker an lebenspraktischen Verbraucherthemen orientiert und durch mehr Ratgeber- und Ombuds-Elemente verstärkt auf Zuschauernähe und Servicewert setzt. So wird den wichtigen Sozialthemen regelmäßig und qualitativ hochwertig ein Forum geboten.
Und das mit großem Erfolg bei den Zuschauern! Im vergangenen Jahr hatte "markt" im Durchschnitt noch 5,4 Prozent Marktanteil, in diesem Jahr sind es im Durchschnitt 7 Prozent! In der Spitze konnte "markt" sogar einen Marktanteil von 12,3 Prozent verbuchen!
Das ist aus unserer Sicht ein großer Erfolg, der beweist, dass Qualität und Quote durchaus zusammen gehen.
Lassen Sie mich noch ein zweites Beispiel nennen:
Der Regisseur Michael Richter stieß mit seiner Themenidee, eine Reportage über die Abschiebung von Ausländern zu machen, bei den Verantwortlichen in den Fernsehsendern auf wenig Gegenliebe. "Das haben wir doch alles schon gemacht, was willst Du denn noch damit?", wurde er gefragt. Doch die NDR Feature-Redaktion erkannte das Potential dieses Themenvorschlags, und bot Richter die Möglichkeit zur Umsetzung. Richters Film: "Abschiebung im Morgengrauen" bekam neben dem Medienpreis Civis in diesem Jahr auch den Grimme-Preis.
Darüber hinaus haben wir im NDR im vergangenen Jahr einen Reporterpool etabliert und mittlerweile sogar auf 7 Reporter pro Tag aufgestockt, der für Hörfunk und Fernsehen exklusive Geschichten recherchiert.
Mit Erfolg: Seit seinem Start hat der Reporterpool mehr als 580 Reportagen und Hintergrundberichte produziert. Darunter waren viele Beiträge, die exklusiv recherchiert waren und als Pressemitteilung herausgegeben wurden. Es gibt aber auch hintergründige Reportagen über zahlungsunwillige Väter, das Nazihotel in Delmenhorst oder die Erfahrungsberichte von Angehörigen von Alzheimer-Kranken.
Ein Blick noch auf das Erste Programm: Der NDR produziert mit Panorama nach wie vor das erfolgreichste politische Magazin im Deutschen Fernsehen insgesamt. Bis zu 4,2 Millionen Menschen haben in diesem Jahr donnerstags Panorama im Ersten eingeschaltet.
Und nicht zuletzt haben wir durch die vom NDR initiierte ARD-Themenwoche Krebs Anfang diesen Jahres bewiesen, dass man auch sperrige, angstbesetzte Themen so aufbereiten kann, dass Experten die hohe Qualität der Berichterstattung loben und das Publikum einschaltet. Das - meine Damen und Herren - verstehen wir unter Profilschärfung!
Dass wir diese öffentlich-rechtliche Profilschärfung vorantreiben, ist nicht nur aus programmlicher Sicht sinnvoll. Vielmehr wird immer deutlicher, dass in Zeiten, in denen solidarfinanzierte Systeme nicht gerade Hochkonjunktur haben, sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk zusätzlich legitimieren muss.
Die Medienkampagne rund um die von den Ländern bereits vor zwei Jahren beschlossene Erweiterung der Gebührenpflicht auf internetfähige Computer hat gezeigt, dass die mit unserer Konkurrenz verbundenen Printmedien, aber auch ein zunehmender Teil der Bevölkerung ein Modell favorisiert, bei dem jeder nur das Programm bezahlt, was er auch nutzt. Oder - wem das zu radikal formuliert ist: Zumindest ist dies ein Finanzierungsmodell, das diesen Menschen mehr einleuchtet als das derzeitige solidarfinanzierte Modell.
Doch jedes Modell, das (nur) auf die tatsächliche Nutzung des Programms fußt, bedeutet in der Konsequenz: Statt wie bisher für eine relativ niedrige Gebühr allen die uneingeschränkte Mediennutzung zu ermöglichen - sogar jenen, die nicht zahlen können und von der Zahlung befreit werden - würde gelten: "All you can eat" für die, die es sich leisten können, für die weniger Wohlhabenden bleiben nur die Informationskrümel vom medialen Tisch.
Ich sage ganz deutlich, dass ich dies nicht für eine erstrebenswerte Zukunftsvision halte!
Meine Damen und Herren,
ich beobachte in letzter Zeit zunehmend, dass die Zuschauer eher geringe Erwartungen an die Programm-Qualität der kommerziellen Sender haben. Darin steckt durchaus auch eine Chance für die öffentlich-rechtlichen Sender. Ein Beispiel: Im Oktober hatte Sat.1 einen anspruchsvollen Vierteiler im Programm: "Blackout" - von der Kritik im Vorfeld hoch gelobt. Doch beim Publikum fiel "Blackout" mit Pauken und Trompeten durch. Warum? Nicht, weil die Zuschauer nach einiger Zeit weggezappt hätten - nein: Sie schalteten gar nicht erst ein. "Deutschlands kommerzielle Sender haben ihre Zuschauer so lange für dumm verkauft, dass sie sich daran gewöhnt haben", so lautete eine Erklärung in der Presse.
Meine Damen und Herren,
es kann nicht Anspruch der Medien (zumindest nicht der seriösen Medien) sein, das Publikum für dumm zu verkaufen. Vielmehr ist es notwendig, die relevanten Themen sorgfältig zu recherchieren und so prägnant zu präsentieren, dass sie Aufmerksamkeit erregen und zum gesellschaftlichen Diskurs einladen.
Diese Notwendigkeit wird umso größer, je mehr Programme den Zuschauerinnen und Zuschauern in der digitalen Zukunft zur Verfügung stehen. Diese Unterscheidbarkeit gewährleisten wir unter anderem durch sauber recherchierte Geschichten, die ihre Publikum finden - davon bin ich überzeugt.
Das kann allerdings nicht heißen, dass wir nur noch Informationen, Dokumentationen und Kultur senden und auf fiktionale Angebote und Shows verzichten: Der Zuschauer hat auch das Recht auf Unterhaltung und Zerstreuung.
Hier das richtige Maß zu finden, ist immer wieder eine neue Herausforderung für die Sender, aber auch eine Aufgabe, der wir uns stellen müssen.
"Aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden",
...hat schon Immanuel Kant gesagt. Für die Programm-Macher manifestiert sich das in der Erfahrung, dass der theoretische Anspruch der Meinungsführer an das Fernsehprogramm und das tatsächliche Nutzungsverhalten der Masse weit auseinander klaffen (können).
Gern fordern die Menschen mehr Kultur, Wissenschafts- und Zukunftsthemen von den Sendern.
Der deutsch-französische Kulturkanal ARTE, der diesen Anspruch konsequent umsetzt und dafür überschwänglich gelobt wird, hat aber in Deutschland nur einen durchschnittlichen Marktanteil von 0,7 Prozent. Wenn allerdings auf ARTE ein Themenabend über den "Orgasmus" läuft - wie neulich geschehen - dann hat ARTE plötzlich einen Marktanteil von sage und schreibe 4,3 Prozent. Das beweist, meine Damen und Herren, dass die Zuschauer ARTE durchaus auf der Fernbedienung finden - wenn Sie denn wollen. Der Mensch ist eben schwächer als er sich selbst einschätzt.
In diesem Dilemma zwischen Anspruch und Wirklichkeit befinden wir uns. Dass dies keine Entschuldigung für schlechtes Programm sein kann, habe ich bereits ausgeführt. Im Gegenteil: Ich freue mich über jeden Journalisten, der den Mut und die Professionalität hat, jenseits des medialen Mainstreams besondere Geschichten zu suchen und umzusetzen. Journalisten, die eine Story auch mal gegen den Strich bürsten und mit alten (liebgewonnenen) Vorurteilen aufräumen.
Für diese Kolleginnen und Kollegen ist der Deutsche Sozialpreis gedacht. Die vier diesjährigen Gewinnerinnen und Gewinner werden wir jetzt gleich näher kennen lernen. Darauf bin ich gespannt.
Haben Sie Dank für Ihre Aufmerksamkeit.