Entschiedener politischer Wille zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung
und neue Impulse für den nationalen Aktionsplan Soziale Integration sind erforderlich
Die bisherigen Phasen der nationalen Aktionspläne haben zu einer Auseinandersetzung mit dem Phänomen der sozialen Ausgrenzung geführt. Themen wie Kinderarmut und Bildung sowie Erwerbslosigkeit und Armut sind als zukunftsorientierte Themen zur nachhaltigen Bekämpfung und Prävention von Armut und sozialer Ausgrenzung in den Mittelpunkt gerückt. Es ist gelungen, eine neue Diskussions- und Kooperationsebene zwischen Zivilgesellschaft und Bundesregierung zu schaffen, die sich um die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung bemüht. Es ist ebenfalls gelungen, auf die unterschiedlichen Kompetenzen der verschiedenen handelnden staatlichen Ebenen hinzuweisen und diese zu problematisieren.
Der begonnene Weg muss fortgeführt werden, damit – wie von den Staats- und Regierungschefs vereinbart - ein entscheidender Beitrag zur Bekämpfung von Armut bis zum Jahr 2010 , dem Europäischen Jahr der Armut, geleistet werden kann. Dabei ist es von besonderer Bedeutung, dass der nationale Aktionsplan Eingliederung nicht nur eine Auflistung von Maßnahmen ist, sondern deutlich wird, wie er strategisch, mit welchen Prioritäten umgesetzt werden soll und wie und bis wann welche Ziele erreicht werden sollen.
Der NAP-Prozess geht in seine nächste Runde. Er ist nun ein Teil der drei Prozesse im Rahmen des streamlining Verfahrens im Bereich Sozialschutz und soziale Integration. Durch die Straffung im Rahmen des streamlining Prozesses soll eine insgesamt gestärkte Gesamtstrategie im Bereich Sozialschutz und soziale Integration gleichrangig neben die Strategien im Bereich der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik gestellt und mit diesen verknüpft werden. Die Realität stellt sich anders dar. Die Strategie für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung – das nationale Reformprogramm – erwähnt die soziale Eingliederung nur an einer Stelle. Der nationale Aktionsplan scheint auf einen einfachen 15 Seiten langen Bericht reduziert zu werden. Wie es um das Konsultationsverfahren der Zivilgesellschaft steht, ist noch fraglich, und dies, obwohl der nationale Armuts- und Reichtumsbericht erneut gezeigt hat, dass Armut und soziale Ausgrenzung zugenommen haben.
Erforderlich ist jedoch ein entscheidender politischer Wille, um der sozialen Dimension die Bedeutung beikommen zu lassen, die den sozialstaatlichen Traditionen der Mitgliedsstaaten entspricht und Voraussetzung für das soziale Europa ist. Der Streamlining Bericht sollte diese Grundaussage in seiner Einleitung enthalten.
Die deutsche Ratspräsidentschaft sollte dazu beitragen, den gemeinsamen politischen Willen der Mitgliedsstaaten zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung zu unterstreichen und Vorschläge zu entwickeln, wie der Umsetzung der Strategie in den Mitgliedsstaaten eine neue Verbindlichkeit und Wirksamkeit gegeben werden kann. Denkbar wäre u.a. ein zentrales Thema, das zu benennen wäre, in den Mittelpunkt zu rücken und hier neue Impulse für die Zielsetzung und Kooperation auf europäischer Ebene zu vereinbaren.
Gesetzliche Rahmenbedingungen sind im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf Armut hin zu überprüfen
Gesetzesvorhaben in allen Politiken sind darauf hin zu überprüfen, inwieweit sie soziale Integration fördern oder behindern („poverty proofing“).
Wesentliche Voraussetzungen für den Schutz gegen Armut und soziale Ausgrenzung sind die Sicherung eines bedarfsdeckenden Einkommens für alle Altersgruppen und Familien- und Lebensformen. Besonders von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffene Zielgruppen sind Alleinerziehende, Menschen mit Migrationshintergrund, kinderreiche Familien und erwerbslose Menschen. Festzustellen ist darüber hinaus, dass sich die finanzielle Situation generell verschlechtert hat. Mittlerweile gibt es in der Bundesrepublik 3,1 Millionen überschuldete Haushalte. Für diese Zielgruppen ebenso wie für extreme Formen der Armut sind verbesserte Rahmenbedingungen zu schaffen. Besonders wichtige Bereiche sind in diesem Zusammenhang die Familienpolitik und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Bildung und die Kinder- und Jugendpolitik, die Arbeitsmarktpolitik, aber auch die Finanz- und Steuerpolitik.
Die Beteiligungsstruktur auf der Bundesebene und die Berücksichtigung des Themas Armutsbekämpfung in allen Politikfeldern muss gesichert sein
Die Europäische Kommission weist in ihren verschiedenen Ausführungen zum NAPincl darauf hin, dass nur durch eine Beteiligung aller relevanten Akteure eine erfolgreiche Umsetzung des Aktionsplanes gelingen kann. Dies gilt insbesondere für die Beteiligung der unterschiedlichen staatlichen Ebenen und der Nichtregierungsorganisationen.
Die Einbeziehung des Beraterkreises in den NAP-Prozess wird ausdrücklich unterstützt. Damit hat der Prozess eine Struktur und Qualität für die Beteiligung aller relevanten Akteure erhalten. Diese Beteiligung muss sowohl für die Umsetzung der generellen Ziele im Bereich Sozialschutz und soziale Integration als auch für die Erstellung des NAPincl und den Monitoring-Prozess gelten. Die Unter-AG FORTEIL sollte als kleines Gremium zur Vorbereitung von politischen Beratungen im zivilgesellschaftlichen Beraterkreis des BMAS genutzt werden.
Der deutsche Bundestag und die Länder(parlamente) sollten in die Konsultation zum Nationalen Aktionsplan einbezogen werden, um eine breitere Unterstützung und Beratung auf allen Ebenen zu erhalten.
Auch seit der Neuformulierung im Jahr 2005 steht die Lissabon Strategie unter dem Vorzeichen der „Kohäsionspolitik“. Wirtschaftswachstum und Beschäftigung sind zwar aus unserer Sicht wichtige Instrumente, um Sozialschutz und soziale Integration zu sichern und zu stärken. Ziele und Umsetzung des Nationalen Reformprogramms „Wirtschaft und Wachstum“ müssen jedoch systematisch darauf hin überprüft werden, inwieweit sie Sozialschutz und soziale Integration fördern und nicht etwa behindern. Hierzu gehört auch die Berücksichtigung von Fragen sozialer Eingliederung in der Umsetzung der Strukturpolitik.
Die Strategie Sozialschutz und soziale Eingliederung ist gerade im Zusammenwirken mit der revidierten Lissabon Strategie von besonderer Bedeutung, weil sie einen breiteren Ansatz verfolgt als „Wachstum und Beschäftigung“. Während „inclusion“ – Integration im Rahmen der revidierten Lissabon Strategie auf die Integration in den Arbeitsmarkt abzielt, ist die Zielsetzung von inclusion im Rahmen der Strategie für Sozialschutz und soziale Eingliederung weiter gefasst und schließt nicht-erwerbsfähige Personen ebenso ein wie erwerbsfähige, die anderer Mittel als Beschäftigung zur Integration bedürfen.
Strukturen müssen geschaffen werden für Information und Kooperation zwischen den Akteuren auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene sowie den Akteuren der Zivilgesellschaft
Um eine breite Diskussion des NAPincl, seines strategischen Ansatzes und der vorgeschlagenen Maßnahmen zu ermöglichen, gilt es, die Zivilgesellschaft und die kommunale Ebene zu aktivieren. Dazu sollte von zivilgesellschaftlicher Seite aus eine Plattform geschaffen werden (z. B. angesiedelt beim Deutschen Verein), um die Diskussion zwischen den föderalen Ebenen sowie den Austausch zwischen Regierung, Politik und Zivilgesellschaft auf eine breitere Basis zu stellen und zu verstetigen. Die Erfahrungen im Rahmen von NAPsens und FORTEIL sollten für die Strukturierung einer solchen Plattform oder mehrerer Arbeitsforen genutzt werden. Aufgaben sollten sein:
- Durchführung von Workshops auf der Bundes- und regionalen Ebenen zu Fragen wie Sozialplanung auf örtlicher, Landes- und Bundesebene, Strategien für besonders gefährdete Zielgruppen etc.,
- Unterstützung lokaler und regionaler Aktivitäten im Rahmen des NAP-Prozesses.
Die Erfahrungen, die mit den Kampagnen FORTEIL und NAPsens bislang gemacht wurden, gilt es rasch zu evaluieren und die Ergebnisse in der anstehenden Erstellung des nationalen Aktionsplanes 2006-2008 aufzugreifen. Das Gleiche gilt für die Erfahrungen, die mit den Bundesprogrammen „Soziale Stadt“, E & C sowie LOS gemacht wurden. Es wird zu überprüfen sein, welche Aktivitäten so Erfolg versprechend sind, dass sie flächendeckend gefördert werden sollten.
Die Initiativen und Aktivitäten auf kommunaler Ebene zur Bekämpfung sozialer Ausgrenzung sind vielfältig und arbeiten erfolgreich, sie sind aber bislang wenig bekannt und nicht systematisch erfasst und dokumentiert.
Die geplante Datenbank zu best practice-Modellen im Bereich Armut und soziale Ausgrenzung ist ein Schritt in Richtung Information und Kooperation. Dabei sollten die erarbeiteten Indikatoren und best practice-Modelle durch eine weite Verbreitung und im Rahmen von Arbeitsstrukturen auf Länder- und kommunaler Ebene als Orientierung für die Qualität von Projekten aufgegriffen werden.
Hier sollten auch die Erfahrungen der Sozial-, Armuts- und Reichtumsberichte von Bund, Ländern und Gemeinden sowie von Landkreisen gesichtet und bewertet werden. In einem weiteren Schritt können sie als Grundlage für Projekte und Schwerpunktbildungen bei der Armutsbekämpfung auf den unterschiedlichen Ebenen genutzt werden.
Sensibilisierung der Öffentlichkeit
Durch Kampagnen in der Öffentlichkeitsarbeit sollte zu einem besseren Verständnis der Lebenslagen von Menschen, die in Armut leben und ausgegrenzt sind, beigetragen werden. Zusammen mit der Sensibilisierung aller Akteure einschließlich Bundestag und Bundesrat ist dies eine weitere wichtige Voraussetzung für das erforderliche öffentliche und politische Engagement zu diesem Thema.