Auch wenn die enormen Dimensionen der Herausforderung erst in der zweiten Jahreshälfte wirklich sichtbar wurden, kann man das politische Jahr 2015 auch insgesamt unter die Überschrift „Umgang mit Flüchtlingen in Deutschland und Europa“ stellen. Kein anderes einzelnes Thema hat die BAGFW in ihren Gremien und operativen Strukturen stärker beschäftigt als die Frage einer menschlichen Willkommenskultur und der anschließenden Integration von Geflüchteten in Deutschland. Dies wurde nicht zuletzt auch beim Spitzengespräch mit der Bundeskanzlerin am 02.11.2015 deutlich: Entgegen den üblichen Gepflogenheiten in der Vergangenheit gab es im Gespräch nur ein Thema, den Umgang mit Flüchtlingen. Darüber hinaus hatte die BAGFW vielfach Gelegenheit gegenüber Vertretern der Bundesregierung, etwa den Bundesministerinnen Manuela Schwesig und Andrea Nahles, aber auch der Flüchtlingsbeauftragten Frau Aydan Özoguz, ihre Positionen zu erläutern und gemeinsame Aktivitäten zu besprechen. Unbeschadet der Tatsache, dass die BAGFW die gesetzlichen Verschärfungen des Asylrechts sehr kritisch kommentiert hat, gab es insbesondere mit den von der Bundeskanzlerin vertretenen Positionen ein hohes Maß an Übereinstimmung. Allein 7 Stellungnahmen und öffentliche Äußerungen der BAGFW zum Themenkreis „Geflüchtete“ bezeugen die intensive Auseinandersetzung mit der aktuellen Lage aber auch mit den Gelingensvoraussetzungen einer Integration in die deutsche Gesellschaft. In enger Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist die Freie Wohlfahrtspflege inzwischen an einer Reihe von Programmen beteiligt, die einer verbesserten Aufnahme und Integration dienen. Hier sind insbesondere das breit angelegte Patenschaftsprogramm, die Verbesserung der Angebote im Bereich psychosozialer Zentren und der besondere Schutz von Frauen und Kindern im Rahmen der Erstaufnahme zu nennen. Dieses Programm wird in Zusammenarbeit mit UNICEF erarbeitet. Die BAGFW hat im Laufe des Herbstes auch ein eigenes Integrationskonzept erarbeitet und im Dezember vorgelegt. Dieses Integrationskonzept bietet die Richtschnur und Grundlage des weiteren politischen Handelns der BAGFW in diesem Arbeitsfeld. Das Ministerium hat für den erhöhten Aufwand der Spitzenverbände für Koordinierungsaufgaben im Flüchtlingskontext die Mittel dafür um 2 Mio. Euro angehoben. Dabei handelt es sich um die erste Anhebung seit vielen Jahren. Die BAGFW war auch vertreten auf den beiden Flüchtlingsgipfeln der Bundesregierung im Herbst und hat mit der Flüchtlingskoordination der Bundesregierung regelmäßige Austauschtreffen vereinbart, von denen eines auch bereits in 2015 stattgefunden hat. Ohne Frage wird uns diese Herausforderung auch in den nächsten Jahren noch sehr beschäftigen, wobei es zunehmend um Fragen einer nachhaltigen Integration gehen wird.
Vor diesem allgemeinen Hintergrund sind die anderen Politikfelder, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung, etwas in den Hintergrund getreten. Für die BAGFW haben sie gleichwohl ebenfalls eine hohe Bedeutung. Dies gilt vor allem für die Verbesserung der Situation behinderter Menschen in Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Die Bundesregierung hatte dazu die Vorlage eines Bundesteilhabegesetzes (BTHG) in dieser Legislaturperiode zugesagt, dessen Beratung in einem breiten Beteiligungsprozess ebenfalls viel Raum im zurückliegenden Jahr eingenommen hat. Auch wenn sich ein endgültiges Ergebnis derzeit noch nicht absehen lässt, so ist der vom Bundesarbeits- und Sozialministerium organisierte umfassende Beteiligungsprozess der Zivilgesellschaft an der Entstehung dieses Gesetzes doch als neue Qualität der Debatte sehr zu begrüßen.
Der langjährige Arbeitszusammenhang mit der Bundesregierung im Rahmen des gemeinsamen „Sozialmonitoring“ wurde unter Leitung der Parlamentarischen Staatssekretärin Lösekrug-Möller, die im Übrigen auch den oben erwähnten Beteiligungsprozess zum BTHG hervorragend moderiert hatte, fortgesetzt. Dabei kommen „ungewollte“ Nebenwirkungen bereits beschlossener Regelungen aus allen sozial relevanten Politikfeldern zur Sprache. Ziel ist es, mit solchen Hinweisen Gelegenheit zum Gegensteuern zu geben.
Ein weiteres Arbeitsfeld war die nach wie vor unbefriedigende Situation vieler Langzeitarbeitsloser, die von den erheblichen Mittelkürzungen der letzten Legislaturperiode betroffen sind und deren Wiedereinstieg in das Berufsleben ein wichtiges Anliegen der Freien Wohlfahrtspflege darstellt. Dazu haben wir uns in verschiedenen Stellungnahmen und Gesprächen positioniert. Hier sind die Adressaten nicht nur das Arbeitsministerium und das Finanzministerium als Mittelgeber, sondern auch die Bundesagentur für Arbeit mit dessen neuem Vorstand, Detlef Scheele, wir den Gesprächsfaden aufgenommen haben.
Eine hohe Dynamik hat auch das Politikfeld „Pflege“ im zurückliegenden Jahr entwickelt. Mit dem Pflegestärkungsgesetz II hat die Bundesregierung hier eine lange diskutierte Reform endlich auf den Weg gebracht. Gegenüber der bisherigen Systematik seit Einführung der Pflegeversicherung kommt es dadurch z.T. zu gravierenden Veränderungen. Insbesondere geht es um die Implementierung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes, der sich am Grad der Selbstständigkeit orientiert und damit unterschiedliche Beeinträchtigungen besser in den Blick bekommen kann. Die Freie Wohlfahrtspflege hatte dies lange gefordert und ist mit der gesetzlichen Neuregelung daher insgesamt auch zufrieden. Die vorgesehene Neuorganisation der Pflegeselbstverwaltung hätte demgegenüber konsequenter ausfallen können, ist aber gleichwohl auch als Schritt in die richtige Richtung zu bewerten. Dies gilt auch für das Präventionsgesetz, das der Deutsche Bundestag verabschiedet hat, das hinsichtlich seiner finanziellen Ausstattung sicherlich hinter den Erwartungen zurückbleibt, in seiner generellen Ausrichtung aber unsere Zustimmung findet.
Auch hier in einem vorbildlichen Beteiligungsprozess hat sich das BMFSFJ eine eigene Engagementstrategie gegeben, die für den Rest der Legislaturperiode engagementpolitische Ziele und ihre Umsetzung definiert. Da für uns der Bereich des bürgerschaftlichen Engagements einen zentralen Bereich darstellt, hat es uns sehr gefreut, dass unser „Hausministerium“ – als Engagementministerium – sich mit solcher Intensität diesen Fragen zuwendet.
Die federführend vom Bundesinnenministerium betreute Deutsche Islamkonferenz hat ihren Dialogprozess zum Thema „Wohlfahrtspflege“ im Laufe des zurückliegenden Jahres abgeschlossen. Die BAGFW hat sich als Teilnehmerin und Sachverständige eingebracht. Die ohnehin anstehende stärkere Beschäftigung mit den Besonderheiten islamischer Wohlfahrtspflege ist durch diesen Prozess beschleunigt worden. In einem ersten Spitzengespräch im September konnten sich führende Vertreter der islamischen Verbände mit den Spitzen der Freien Wohlfahrtspflege über gemeinsam interessierende Fragen austauschen. Es wurde vereinbart, diesen Prozess auch auf der Arbeitsebene und in weiteren Spitzengesprächen fortzusetzen und zu intensivieren.
In der strategischen Betrachtung spielten die beiden Themen „Wirkungsorientierung“ und „Digitalisierung des Sozialen“ eine zunehmende Rolle in der Arbeit der BAGFW und ihren Gremien. Mit dem Zentrum für soziale Innovation und Investition an der Universität Heidelberg wurde die Erstellung eines Gutachtens zur Methodik der Wirkungsfeststellung in der sozialen Arbeit vereinbart. Das Gutachten soll Wege aufzeigen, wie eine stärkere Wirkungsorientierung der Freien Wohlfahrtspflege praktisch umgesetzt werden kann. Dem diente auch ein Workshop, den wir im Juli durchgeführt haben. Auch das Thema einer digitalen Transformation im Bereich der sozialen Arbeit wurde in einem Workshop thematisiert und wird die Arbeit der BAGFW und der Spitzenverbände weiter begleiten. Hier werden beträchtliche Chancen aber auch Risiken für die Weiterentwicklung der sozialen Arbeit gesehen und vermutet.
Die Arbeit im Beirat des Bundeswirtschaftsministers zum Transatlantischen Handels- und Investitionsabkommen (TTIP) wurde im Rahmen eines breiten Bündnisses zivilgesellschaftlicher Organisationen, die sich sehr kritisch mit dem Abkommen auseinandersetzen, fortgesetzt. Wir hoffen, dass unsere wiederholten fundierten Interventionen auf deutscher und europäischer Ebene insgesamt zu einem kritischeren Blick auch der Bundesregierung auf das Abkommen geführt haben.
Anknüpfend an eine lange Tradition wurde im Oktober, auf Einladung der ZWST, eine erneute Informations- und Besuchsreise nach Israel organisiert. Es hat uns besonders gefreut, dass für den ersten Teil der Reise auch Herr Staatssekretär Dr. Ralf Kleindiek unserer Einladung gefolgt ist. Neben verschiedenen politischen Gesprächen mit Ministerien und in der Knesset, galt die Reise auch diesmal wieder den Besuchen von konkreten Projekten der sozialen Arbeit und dem Erfahrungsaustausch mit Praktikern.
Wir möchten uns an dieser Stelle bei allen Unterstützern und Freunden der Freien Wohlfahrtspflege und bei den zahlreichen sehr engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Spitzenverbänden und in der Geschäftsstelle für ihren Einsatz und für ihr Engagement für die gemeinsamen Ziele im Rahmen der BAGFW herzlich bedanken.