Insbesondere vor dem Hintergrund der Rechtsänderungen durch das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz in den §§ 18, 31, 33, 45a und 45b SGB XI bedürfte es einer Aktualisierung der Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem 11. Buch des Sozialgesetzbuches vom 21.07.1997 in der Fassung vom 11.05.2006. Der GKV-Spitzenverband hat den zu beteiligenden Organisationen im Rahmen des Beteiligungsverfahrens nach § 17 Abs. 1 Satz 2 SGB XI einen Entwurf der überarbeiteten Begutachtungs-Richtlinien übersandt. Im Folgenden nimmt die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege zu den überarbeiteten Begutachtungs-Richtlinien Stellung.
Positiv ist festzustellen, dass
· bei redaktionellen Änderungen eine Sensibilisierung stattgefunden hat. So wurde aus dem Begriff „Windel“, der Begriff „Inkontinenzmaterial“.
· die Verantwortung des MDK für eine qualifizierte Begutachtung erstmalig benannt wird.
· die Aufnahme des Abschnitts G1 Formulargutachten erfolgte, in welchem detailliert geregelt wird, was zu erfassen ist.
· die podologische Therapie in die Begutachtung aufgenommen wurde. Unklar bleibt, warum nur diese Therapie genannt wird und andere Therapien keine Berücksichtigung finden.
Kritisch ist festzustellen, dass präventive Aspekte zwar benannt werden, jedoch
· eine eindeutige Definition des Begriffes Prävention,
· eine Darstellung von Situationen, in denen präventives Handeln sinnvoll wäre sowie
· eine (beispielhafte) Aufzählung von präventiven Maßnahmen fehlt.
Die Begutachtungsrichtlinie bleibt damit hinter dem gesetzlichen Auftrag des § 5 SGB XI[1] zurück. Gerade für Antragsteller, die unter den gesetzlichen Vorgaben für die Pflegestufe 1 liegen und damit keine Pflegeeinstufung erhalten, sollten präventive Maßnahmen erfasst und verbindlich angegeben werden.
Zu einzelnen Bestandteilen des Entwurfs führen wir im Folgenden aus. Darüber hinaus gestatten wir uns weitere Änderungsbedarfe anzuzeigen.
B 1. Verantwortung des MDK für eine qualifizierte Begutachtung
Die Begutachtungen sind durch geschulte und qualifizierte Gutachter durchzuführen. Sie erfolgen durch Ärzte, Pflegefachkräfte und andere Fachkräfte, die der Medizinische Dienst für die Bewältigung des laufenden Arbeitsanfalls vorhält. Der Medizinische Dienst kann zur Bewältigung von Antragsspitzen und zu speziellen gutachterlichen Fragestellungen Ärzte, Pflegefachkräfte oder andere Fachkräfte bei der Erstellung des Gutachtens als externe Kräfte beteiligen. Die Verantwortung für die Begutachtung trägt der Medizinische Dienst auch dann, wenn externe Sachverständige beteiligt waren.
Als externe Kräfte sind vorrangig Mitarbeiter anderer Gutachterdienste, insbesondere des öffentlichen Gesundheitswesens und der Versorgungsverwaltung oder anderer Sozialleistungsträger zu beauftragen. Sofern ausnahmsweise niedergelassene Ärzte oder Pflegefachkräfte von Sozialstationen, gewerblichen Pflegediensten sowie in der Pflege selbständig Tätige als externe Kräfte beauftragt werden, ist sicherzustellen, dass keine Interessenkollisionen entstehen.[2]
Der Neuaufnahme des Kapitels B 1., in welchem die Verantwortung des MDK für eine qualifizierte Begutachtung beschrieben ist, wird seitens der BAGFW grundsätzlich positiv bewertet. Erstmalig schreibt der Auftraggeber (Pflegekassen) dem Auftragnehmer (MDK) vor, welche Leistungsqualität er von ihm erwartet. Kritisch anzumerken ist, dass der Auftraggeber nur eine Leistungsgrenze nach unten festsetzt und nicht nach oben. MDK-Gutachter erfassen den Hilfe- und Pflegebedarf und legen damit die Grundlage zur Entscheidung über die Zuteilung einer Pflegestufe bzw. beeinflussen diese Entscheidung mittelbar. Diese wichtige gesundheits- und sozialpolitische Aufgabe, die einen großen Einfluss auf die Verteilung von Finanzmitteln hat, soll nun nach Vorstellung des GKV-Spitzenverbandes auch an Honorarkräfte (niedergelassene Ärzte, Pflegefachkräfte von Sozialstationen, gewerbliche Pflegedienste sowie in der Pflege selbständig Tätige als externe Kräfte) übergeben werden können. Hierzu möchte die BAGFW anregen, die Kriterien dieser Ausnahmeregelung eindeutig zu fassen und zu veröffentlichen. Der Auswahl- und Beauftragungsprozess wäre aus Sicht der BAGFW transparent gegenüber den Versicherten und den Vertragspartnern nach § 75 SGB XI darzulegen, damit ein Ausschluss von Interessenkonflikten öffentlich nachvollziehbar gegeben ist. Des Weiteren müssen auch die externen Kräfte qualifiziert und geschult sein.
B 2. Begutachtung zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit
Darüber hinaus hat der MDK den Pflegekassen einen individuellen Pflegeplan im Sinne von Empfehlungen insbesondere
· zu präventiven Leistungen,
· zu Heilmitteln,
· zu einer Leistung der medizinischen Rehabilitation,
· zur Hilfsmittel-/Pflegehilfsmittelversorgung,
· zu wohnumfeldverbessernden Maßnahmen sowie
· zur Verbesserung/Veränderung der Pflegesituation.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege begrüßt die Ausweitung des Assessment der Begutachtung zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit ausdrücklich. Damit wird den Bedürfnissen von pflegebedürftigen Menschen verstärkt Rechnung getragen.
C 2.2.1 Festlegung der den Besuch durchführenden Person/-en
Die Begutachtung der Pflegebedürftigkeit von Kindern ist in der Regel durch besonders geschulte Gutachter mit einer Qualifikation als Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger oder als Kinderarzt vorzunehmen.
Die Begutachtung von Kindern setzt besondere Qualifikationen und Erfahrungen voraus. Deshalb begrüßen die Verbände der BAG FW, dass die zwingend erforderlichen Neuregelungen aus dem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz nun auch ihren Eingang in die Begutachtungsrichtlinien gefunden haben. Bei der Begutachtung von Kindern mit Behinderungen wird des Weiteren vorgeschlagen, aufgrund der Komplexität des Hilfebedarfes, eine Verpflichtung zur interdisziplinären Begutachtung festzulegen und damit das Gutachterprofil für weitere Berufsqualifikationen zu öffnen.
C 3. Bearbeitungs-/Begutachtungsfristen
Im Regelfall soll dem Antragsteller spätestens fünf Wochen nach Eingang des Antrags bei der zuständigen Pflegekasse die Entscheidung der Pflegekasse mitgeteilt werden. Dies stellt hohe Anforderungen an die Zusammenarbeit zwischen Pflegekasse und MDK sowie die Termin- und Ablaufplanung des MDK und erfordert die Mitwirkung des Antragstellers. Für bestimmte Fallgestaltungen gelten gesetzliche Begutachtungsfristen für den MDK.
Die Verbände der BAGFW begrüßen die Übernahme der im Pflege-Weiterentwicklungsgesetz in § 18 Abs. 3 SGB XI eingeführten Fristsetzung von maximal fünf Wochen im Rahmen des Verfahrens zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit und der Prüfung auf das Vorliegen einer erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz nach § 45a SGB XI in die Begutachtungs-Richtlinien. Mit der gesetzlichen Neuregelung werden erstmals verbindliche Fristen für die Begutachtung und Entscheidung festgeschrieben, deshalb ist es nur konsequent, dass diese auch in die Begutachtungs-Richtlinien übernommen werden. Pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen benötigen schnelle Entscheidungen, über die von ihnen beantragten Leistungen, um die Pflegearrangements zeitnah planen und organisieren zu können. Dem wird mit der Übernahme der gesetzlichen Regelung Rechnung getragen. Aus Sicht der BAGFW ist in den Begutachtungs-Richtlinien klarzustellen, dass die Fristsetzung von fünf Wochen sowohl für das Erstgutachten und die Prüfung auf Vorliegen einer erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz nach § 45a SGB XI, als auch für das Gutachten nach einem Änderungsantrag, für das Wiederholungsgutachten sowie für Widerspruchsgutachten gilt, sofern nicht im Gesetz verkürzte Fristen vorgesehen sind. Die hier vorliegende Formulierung ist nicht weitgehend und präzise genug.
Die Formulierung „und erfordert die Mitwirkung des Antragstellers“ sowie die Gestaltung des Begutachtungsformulars, in welchem zahlreiche Gründe, die zu einer zeitlichen Verzögerung führen und in der Verantwortung des Antragstellers liegen, aufgeführt sind, kann darauf hindeuten, dass einerseits sachgerecht die Realität abgebildet werden soll, andererseits könnte dies politisch dazu dienen, die Verantwortung zur Fristeinhaltung in den Zuständigkeitsbereich des Antragsteller zu verschieben. Prinzipiell sind alle Gründe, die zu einer Verlängerung des Begutachtungszeitraums führen, aus Sicht der BAGFW zu erheben, auszuwerten und statistisch darzustellen.
Eine unverzügliche Begutachtung, spätestens innerhalb einer Woche nach Eingang des Antrages bei der zuständigen Pflegekasse ist erforderlich, wenn
· sich der Antragsteller im Krankenhaus oder in einer stationären Rehabilitationseinrichtung befindet und Hinweise vorliegen, dass zur Sicherstellung der ambulanten oder stationären Weiterversorgung und Betreuung eine Begutachtung in der Einrichtung erforderlich ist oder die Inanspruchnahme von Pflegezeit nach dem Pflegezeitgesetz gegenüber dem Arbeitgeber der pflegenden Person angekündigt wurde,
· sich der Antragsteller in einem Hospiz befindet oder
· der Antragsteller ambulant palliativ versorgt wird. Die Frist kann durch regionale Vereinbarungen verkürzt werden (siehe § 18 Abs. 3 SGB XI). Eine Begutachtung innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrages bei der zuständigen Pflegekasse ist erforderlich, wenn der Antragsteller sich in häuslicher Umgebung befindet, ohne palliativ versorgt zu werden, und die Inanspruchnahme von Pflegezeit nach dem Pflegezeitgesetz gegenüber dem Arbeitgeber der pflegenden Person angekündigt wurde. In diesen Fällen hat der MDK den Antragsteller unverzüglich schriftlich darüber zu informieren, welche Empfehlung im Hinblick auf das Vorliegen von Pflegebedürftigkeit er an die Pflegekasse weiterleitet.
In den vorgenannten Fällen der verkürzten Begutachtungsfrist muss die Empfehlung des MDK zunächst nur die Feststellung beinhalten, ob Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI vorliegt. Die abschließende Begutachtung – insbesondere zur Pflegestufe – ist dann unverzüglich nachzuholen.
Sofern sich im Verfahren eine Verzögerung ergibt, die der MDK nicht zu verantworten hat, ist der Grund im Gutachten auszuweisen.
Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege begrüßen eine verkürzte Frist der Begutachtung aus o. b. Gründen, möchten aber auch in diesen Fällen anregen, in den Begutachtungs-Richtlinien aufzunehmen, dass auch hier innerhalb von fünf Wochen die konkrete Pflegestufe vorliegen muss.
Freiheitseinschränkende Maßnahmen
Aussagen zu freiheitseinschränkenden Maßnahmen werden in den Begutachtungs-Richtlinien an mehreren Stellen getroffen, die an dieser Stelle im Rahmen der Stellungnahme zusammengeführt und bewertet werden.
D 1.4 Umfang der pflegerischen Versorgung und Betreuung
….Werden "freiheitseinschränkende" (unterbringungsähnliche) Maßnahmen (z. B. Einschließen, Fixieren im Bett/Sessel/Rollstuhl, Sedieren) geschildert, sind diese zu dokumentieren. Sofern die Maßnahmen aus dem Wunsch einsichtsfähiger Antragsteller nach Sicherung (z.B. Bettgitter, Therapietisch) resultieren, ist dies zu dokumentieren.
D 2.2 Fremdbefunde
Ergeben sich aus den Fremdbefunden Hinweise auf "freiheitseinschränkende" (unterbringungsähnliche) Maßnahmen (z. B. Einschließen, Fixieren im Bett/Sessel/ Rollstuhl, Sedieren), ist dies hier zu dokumentieren. In Pflegeeinrichtungen sind solche Maßnahmen nachvollziehbar zu dokumentieren; es ist eine Genehmigung des Vormundschaftsgerichts erforderlich, wenn solche Maßnahmen regelmäßig für unverzichtbar gehalten werden. Sofern die Maßnahmen aus dem Wunsch einsichtsfähiger Antragsteller nach Sicherung (z. B. Bettgitter, Therapietisch) resultieren, muss sich dies aus der Pflegedokumentation ergeben und ist hier zu dokumentieren.
D 3. Gutachterlicher Befund
D 3.1 Allgemeinzustand/Befund
Hier ist auch festzuhalten, wie der Antragsteller beim Hausbesuch angetroffen wurde (z. B. selbst die Tür öffnend, im Bett liegend, vollständig bekleidet) einschließlich erster Eindrücke über Interaktion bei der Kontaktaufnahme. Hier sind auch eventuell freiheitseinschränkende (unterbringungsähnliche) Maßnahmen (z. B. Einschließen, Fixieren im Bett/Sessel/Rollstuhl, Sedieren) zu beschreiben, die der Gutachter feststellt.
Der Wunsch von einsichtsfähigen Antragstellern nach sichernden Maßnahmen (z. B. Bettgitter, Therapietisch) ist keine gerichtlich zu genehmigende "freiheitsentziehende" (unterbringungsähnliche) Maßnahme. Dieser Wille muss nachvollziehbar und eindeutig dokumentiert sein
D 6.7. Verbesserung/Veränderung der Pflegesituation
Werden "freiheitseinschränkende" Maßnahmen notwendig, so erwachsen daraus besondere Sorgfaltspflichten (z. B. aufgrund erhöhtem Dekubitusrisiko, Aspirations- und Verletzungsgefahr). In jedem Fall hat der Gutachter besonders sorgfältig zu prüfen, ob eine defizitäre Pflegesituation vorliegt bzw. droht, auch wenn - wie im stationären Bereich erforderlich - eine richterliche Genehmigung vorliegt und ggf. andere geeigneter Maßnahmen zu empfehlen. Der Wunsch von einsichtsfähigen Antragstellern nach sichernden Maßnahmen (z. B. Bettgitter, Therapietisch) ist keine gerichtlich zu genehmigende "freiheitseinschränkende" (unterbringungsähnliche) Maßnahme. Dieser Wille muss nachvollziehbar und eindeutig dokumentiert sein.
Grundsätzlich ist festzustellen, dass die Begutachtungs-Richtlinien der Begutachtung von Pflegebedürftigkeit dienen. Insofern sei an dieser Stelle die Frage gestattet, inwieweit die Prüfer im Rahmen der Begutachtung über die Begutachtung der Pflegebedürftigkeit hinaus Aufgaben übernehmen sollen, wie z. B. die Einhaltung der Grundrechte.
Wenn die Frage bejaht wird, dann wäre über die o. b. Regelungen in der Begutachtungs-Richtlinie hinaus zu erwarten, dass
· eine Detaildarstellung erfolgen muss, wann eine freiheitseinschränkende Maßnahme vorliegt,
· entsprechende Sachverhalte in der ambulanten und stationären Pflege gleichermaßen erfasst werden,
· für die Prüfer eine Aussage zur haftungsrechtlichen Problematik gegeben wird.
Wenn die Frage verneint wird, dann wären in der Konsequenz alle Fragen zu freiheitseinschränkenden Maßnahmen irrelevant und zu entfernen.
D.2.2. Fremdbefunde
Auch wenn an dieser Stelle keine Änderungen in den Begutachtungs-Richtlinien vorgenommen wurden, ist zu dem Sachverhalt anzumerken: Die Beschränkung der Aufzählung der bei der Begutachtung zu berücksichtigenden Berichte beim 3. Spiegelstrich auf die Werkstatt für behinderte Menschen halten wir für nicht gerechtfertig. Hier sollten unserer Auffassung nach auch Fördertagesstagesstätten, stationäre Einrichtungen und/oder ambulante Dienste für Menschen mit Behinderungen sowie Familienunterstützende Dienste (FUD) genannt werden.
D 4.0/III./2. Hilfebedarf auf Dauer
Liegen die Voraussetzungen für die Zuordnung zu einer Pflegestufe für mindestens 6 Monate vor und ist mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass sich der Hilfebedarf z. B. durch therapeutische oder rehabilitative Maßnahmen pflegestufenrelevant verringert, ist der Pflegekasse eine befristete Leistungszusage zu empfehlen
Hier werden die in § 33 Abs. 1 SGB XI getroffenen Änderungen durch Pflege-Weiterentwicklungsgesetz in die Begutachtungs-Richtlinien aufgenommen. Leider werden keine Konkretisierungen zum Vorliegen eines Befristungsgrundes getroffen. Dies kann zu Unsicherheiten seitens des Versicherten führen. Daneben können zu kurz gewählte Fristen zu zusätzlichem Aufwand für den pflegeberechtigten Menschen wie für den MDK und die Pflegekasse führen. Insofern schlagen die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege vor, ergänzend Gründe für eine Befristung in die Begutachtungs-Richtlinien aufzunehmen.
D 4.0/III./8. Besonderheiten der Ermittlung des Hilfebedarfs bei Menschen mit psychischen Erkrankungen oder geistigen Behinderungen
Auch wenn an dieser Stelle keine Änderungen in den Begutachtungs-Richtlinien vorgenommen wurden, ist zu dem Sachverhalt anzumerken: Kritisch gesehen wird die ungenügende Konkretisierung der Bandbreite des Erscheinungsbildes der Hilfeart der Anleitung. Hier sollte im letzten Absatz auch konsequenterweise beschrieben werden, dass diese dort beschriebene Ausprägung der Hilfeform auch dann zur entsprechenden zeitlichen Anerkennung der Hilfeleistung der Anleitung durch die Pflegeperson führt.
D 4.2./9. Aufnahme der Nahrung
Absatz 1 Satz 2
Notwendige Aufforderungen zur bedarfsgerechten Aufnahme der Nahrung in fester, breiiger und flüssiger Form (Essen und Trinken), die eine Überwachung und/oder Erledigungskontrolle erfordern, sind beim Hilfebedarf zu berücksichtigen, wenn der Antragsteller aufgrund fehlender Einsichtsfähigkeit dazu nicht in der Lage ist (z. B. bei mukoviszidosekranken Kindern abhängig vom Lebensalter oder bei geronto-psychiatrisch veränderten Menschen).
Die Einfügung des Wortes "bedarfsgerecht" lässt einen großen Interpretationsspielraum zu. Zudem setzt diese inhaltliche Einschränkung auch eine entsprechende inhaltliche Klärung in Bezug auf diese so genannte "bedarfsgerechte" Ernährung voraus. In Anbetracht der Einschätzung, dass dies nur schwierig möglich sein wird, schlagen die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege vor, die inhaltliche Ergänzung und nähere Bestimmung "bedarfsgerechte" Aufnahme der Nahrung ..." ersatzlos zu streichen.
D.4.3. Mobilität
D 4.3 Mobilität 11. - Das An- und Auskleiden
Absatz 2
Vollständiges An- bzw. Auskleiden fällt in der Regel 2x täglich, also morgens und abends an. Beim Mittagsschlaf ist in der Regel nur eine Teilentkleidung notwendig. Zusätzliche (Teil-)Kleidungswechsel, z.B. wegen starkem Schwitzen, Erbrechen, Einnässen oder zur Physiotherapie, sind im notwendigen Umfang berücksichtigungsfähig, wenn diese regelmäßig mindestens 1x wöchentlich und auf Dauer, mindestens für 6 Monate anfallen. Auch der notwendige Hilfebedarf beim An- und Auskleiden im Zusammenhang mit berücksichtigungsfähigen Anlässen des Verlassens und Wiederaufsuchens der Wohnung (s. lfd. Nr. 15), so etwa der Hilfebedarf beim An- und Auskleiden z. B. im Rahmen eines Arztbesuches oder einer Therapie, ist hier zu dokumentieren.. Nicht berücksichtigungsfähig sind aber Kleidungswechsel im Zusammenhang mit Freizeitbeschäftigungen wie Sport, Unterhaltung, Bildung oder mit Schule oder Erwerbstätigkeit.
Wir halten es für eine nicht in allen Fällen belegbare Aussage, dass "beim Mittagsschlaf ... in der Regel nur eine Teilentkleidung notwendig" ist. Insofern sollte dieser inhaltliche Hinweis aus Sicht der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege an dieser Stelle ersatzlos gestrichen werden. Ob im Rahmen des Mittagsschlafs eine vollständige oder Teilentkleidung notwendig ist, kann bzw. sollte immer im konkreten Einzelfall erhoben und entsprechend dokumentiert werden.
Aufzunehmen ist dagegen ein inhaltlicher Verweis darauf, dass ein zusätzlicher (Teil)Kleidungswechsel auch bei einer größeren Wahrscheinlichkeit oder Möglichkeit der Selbstverschmutzung z. B. bei dem Essen oder der sonstigen Nahrungsaufnahme anfallen kann. Diese Ergänzung und inhaltliche Klärung erscheint uns insbesondere in Bezug auf die Erfordernisse der aktivierenden Pflege, d. h. hier der Möglichkeiten der Betroffenen, die so genannten "Verrichtungen" auch selbständig durchführen zu können bzw. entsprechend zu erlernen, als zwingend.
D. 4.3. Mobilität/ Das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung
Auch wenn an dieser Stelle keine Änderungen in den Begutachtungs-Richtlinien vorgenommen wurden, ist zu dem Sachverhalt anzumerken: Positiv zu bewerten ist, dass im letzten Absatz dieses Punktes die Zeiten der Beaufsichtigung von Kindern hier neben den Warte- und Fahrtzeiten mit berücksichtigt werden müssen.
Nicht akzeptabel ist des Weiteren, dass das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung im Zusammenhang mit Leistungen der medizinischen Rehabilitation und primären Prävention nicht berücksichtigungsfähig ist. Die Gutachter haben die Aufgabe, Stellung zu nehmen, ob und ggf. welche Leistungen der Prävention und medizinischen Rehabilitation im Rahmen eines individuellen Pflegeplans zu empfehlen sind. Während das Aufsuchen von Ärzten zu therapeutischen Zwecken bei der Erfassung des Bereichs der Mobilität berücksichtigungsfähig ist, gilt dies nicht für das Aufsuchen von Diensten und Einrichtungen der medizinischen Rehabilitation oder Primärprävention. Die Abgrenzung zwischen „therapeutisch“ und „rehabilitativ“ ist künstlich, nicht sachgerecht.
Des Weiteren fehlt im ersten Satz des 5. Absatz; "Erhält der Antragsteller während eines Aufenthaltes z. B. in einer Einrichtung ..." die inhaltliche Ergänzung "mehrtägig" - d.h. es müsste heißen; "Erhält der Antragsteller während eines mehrtägigen Aufenthaltes z. B. in einer Einrichtung ...". Dies ergibt sich aus der gängigen Praxis, dass viele ambulante und hier genannte ärztlich verordnete Therapieformen wie Ergotherapie, Logopädie etc. in vielen sozialpädiatrischen Zentren auch ambulant ohne entsprechende stationäre Aufnahme angeboten werden. Aus Sicht der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege sollte eine inhaltliche Diskriminierung solcher ambulanten Angebote der sozialpädiatrischen Zentren gegenüber entsprechenden Angeboten niedergelassener Praxen ausgeschlossen werden. Wir halten solche Angebote der sozialpädiatrischen Zentren gerade für den ländlichen Raum für unerlässlich.
Weiterhin bildet die Berücksichtigung der Fahrtzeiten in diesem Punkt nicht hinlänglich die Realität ab. Nach unseren Erfahrungen gibt es hier insbesondere für Familien mit mehreren und kleineren Kindern durchaus auch einen hohen zeitlichen Bedarf bzw. auch ggf. sehr viel höheren Beaufsichtigungsbedarf bei der Zurücklegung von gemeinsamen Fußwegen. Daher sollte an dieser Stelle eher allgemeiner von Wegezeiten gesprochen werden.
D. 5.1. Stimmt der unter 1.4 von Pflegepersonen angegebene Pflegeaufwand mit dem gutachterlich festgestellten Hilfebedarf überein?
Auch wenn an dieser Stelle keine Änderungen in den Begutachtungs-Richtlinien vorgenommen wurden, ist zu dem Sachverhalt anzumerken: Der Satz "Da insbesondere Zeiten der allgemeinen Betreuung und Beaufsichtigung hierbei nicht zu berücksichtigen sind“ im 2. Absatz, Satz 2 entspricht nach unserer Einschätzung eindeutig nicht dem Willen des Gesetzgebers, der akt. Kommentierung und auch nicht der akt. Rechtssprechung. Insofern schlagen die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege vor, diesen zusammen mit dem folgenden Halbsatz ersatzlos zu streichen. Die zeitliche Bewertung sollte sich - auch angesichts des Fehlens eines nachvollziehbaren und transparenten Verfahrens für diese zeitliche Erhebung - auf den unter. D 1.4 zusammen mit den Pflegepersonen erhobenen zeitlichen Umfang beziehen.
Im Folgenden soll der Vorschlag begründet werden: Bezugsgröße der Erhebung des wöchentlichen Umfangs der Versorgung des zu pflegenden Menschen, der der Beitragszahlung der Pflegekasse zur Rentenversicherung der Pflegepersonen zugrunde liegt, ist nach § 4 Abs. 2 SGB XI auch oder zusätzlich „die familiäre ... Pflege und Betreuung“. Diese Zeitgröße ist daher von dem Zeitrahmen, der der Erhebung der Pflegebedürftigkeit nach § 14 SGB XI im MDK-Gutachten zugrunde liegt, zu unterscheiden, da hier 1. von Pflege und Betreuung gesprochen wird und 2. die Leistungen der Pflegeversicherung diese Pflege und Betreuung nach § 4 Abs. 2 SGB XI ergänzen sollen und somit hier keine Deckungsgleichheit dieser zwei zu erhebenden Zeitrahmen vorliegen kann.
Wir verweisen hierzu auch auf den expliziten Willen des Gesetzgebers zur Berücksichtigung dieser ergänzenden Arbeitsleistungen der Pflegepersonen nach § 4 Abs. 2 SGB XI (siehe hierzu Bundestagsdrucksache 12/5262 S. 101). Dies entspricht auch der akt. Kommentierung und Rechtssprechung (siehe z. B. NOMOS LPK 3. Aufl. 2009 Rz. 10 zu § 19 SGB XI: "Zur Bemessung der Mindestpflegezeit ist damit auch die Zeit einzubeziehen, die für ergänzende Pflege, Betreuung sowie zur Erfüllung kommunikativer Bedürfnisse des pflegebedürftigen Menschen benötigt wird. Der Pflegeaufwand im Sinne der hier kommentierten Norm kann daher sehr viel weiter gehen, als der für die Feststellung der Pflegebedürftigkeit und ihrer Stufe maßgebliche Bedarf (so jetzt auch das LSG Sachsen-Anhalt Urteil vom 20.09.2006 - Az. L 4 P 17/03, ... OLG Saarbrücken, Urteil vom 19.11.2003 - Az 9 UF 25/03, ... LSG Niedersachsen, Urteil vom 12.02.2002 Az L 3 P 7/01..."). Unsere Erfahrungen in der Beratung zeigen dass es hier entgegen der Einschätzungen in der Kommentierung durchaus auch immer wieder Probleme in der Praxis für die Übernahme von Rentenversicherungsbeiträgen für Familienangehörige der Betroffenen gibt.
D 6. Empfehlungen an die Pflegekasse/Individueller Pflegeplan
Pflegebedürftigkeit ist regelmäßig kein unveränderbarer Zustand, sondern ein Prozess, der durch aktivierende Pflege, Maßnahmen der Krankenbehandlung, Leistungen mit präventiver und rehabilitativer Zielsetzung oder durch medizinische Rehabilitation beeinflussbar ist. Hier hat der Gutachter unter Würdigung der Ergebnisse der Pflegebegutachtung für den häuslichen und stationären Bereich Stellung zu nehmen, ob über die derzeitige Versorgungssituation hinaus (siehe Punkte 1.1 bis 1.4 "Derzeitige Versorgungs- und Betreuungssituation", Punkt 2.1 "Pflegerelevante Aspekte der ambulanten Wohnsituation" und Punkt 2.3 "Pflegerelevante Vorgeschichte (Anamnese)" des Formulargutachtens) präventive Maßnahmen, Heilmittel als Einzelleistungen (Physikalische Therapie, Ergotherapie, Stimm-, Sprech- und Sprachtherapie, podologische Therapie) oder eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation (ambulante einschließlich mobile oder stationäre Rehabilitation) erforderlich sind.
Die Feststellung, dass Pflegebedürftigkeit regelmäßig kein unveränderbarer Zustand, sondern ein Prozess ist, der durch aktivierende Pflege, Maßnahmen der Krankenbehandlung, Leistungen mit präventiver und rehabilitativer Zielsetzung oder durch medizinische Rehabilitation beeinflussbar ist, ist gleichzeitig zu begrüßen, wie auch zu kritisieren: Zu Begrüßen deshalb, weil eine Abkehr von der grundsätzlichen Verneinung des Nutzens von Prävention und Rehabilitation erfolgt. Zu Kritisieren deshalb, weil indirekt unterstellt wird, dass die Anstrengung nur genügend groß sein muss, damit eine Verbesserung des Zustandes zu erreichen ist. Die Altenpflege ist sich sehr bewusst, dass schon das Konstanthalten eines Gesundheitszustandes ein herausforderndes Ziel ist, dass für die Großzahl der pflegebedürftigen Menschen gelten dürfte.
Wenn in der Studie zum Pflegebedürftigkeitsbegriff festgestellt wird, dass in 4% aller Fälle ein Rehabilitationsbedarf vorliegt, dann kann das ein Ausdruck mangelnder Qualifikation der Prüfer sein, aber auch fehlende Rehabilitationsperspektiven. Dies wäre aus Sicht der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege zukünftig genauer zu prüfen. Die Weiterentwicklung der Transparenz darf sich nicht darauf beschränken, pflegebedürftige Menschen über Leistungen und Qualität von Einrichtungen zu informieren. Das Ergebnis der MDK-Prüfungen und damit auch der empfohlene Pflegeplan ist unserer Ansicht nach grundsätzlich dem Versicherten zuzuleiten und nicht nur - wie bisher - auf Antrag. Pflegebedürftige Menschen können den ihnen im Gesetz auferlegten Verpflichtungen zu Eigenverantwortung und Mitwirkung (§ 6 SGB XI) nur dann entsprechen, wenn sie alle notwendigen Informationen zur Verfügung haben.
G 2 Formulargutachten
Formular Widerspruchsbegutachtung
· Das Ergebnis des Vorgutachtens wird bestätigt
· Ja, aktuell wird die gleiche Pflegestufe empfohlen
· Ja, aber aufgrund einer zwischenzeitlich eingetretenen Veränderung des Hilfebedarfs wird eine andere Pflegestufe empfohlen
· Nein, zum Zeitpunkt der Vorbegutachtung bestanden bereits die Voraussetzungen für die aktuell empfohlene Pflegestufe
Die Ergebniskategorien 1 und 3 sind eindeutig. Für das 4. Item bleibt offen, von wann bis wann welche Pflegestufe galt bzw. gilt. Da die Pflegekasse auf der Grundlage des Formulars eine Finanzierungsentscheidung trifft, sind hier Probleme vorauszusehen. Entsprechend schlagen die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege vor, zu diesem Punkt Ergänzungen im o. b. Sinne vorzunehmen.
Anlage 3: Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Anwendung der Härtefallregelungen (Härtefall-Richtlinien – HRi) vom 10.07.1995, geändert durch Beschlüsse vom 19.10.1995, vom 03.07.1996 und vom 28.10.2005
Die Rechtsänderungen durch das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz machen auch zwingend einer Änderungen bei Ziffer 5 erforderlich. Aus Sicht der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege ist die Ziffer 5 wie folgt zu fassen:
" 5. Anerkennung des Härtefalls bei pflegebedürftigen Menschen in vollstationären Pflegeeinrichtungen
Voraussetzung für die Anerkennung eines Härtefalls ist, dass stationär versorgte Schwerstpflegebedürftige mit außergewöhnlich hohem Pflegeaufwand (Ziffer 4) zur Deckung ihres Pflegebedarfs zusätzliche Kosten aufbringen müssen. Dies ist immer der Fall wenn
· vollstationäre Pflegeeinrichtungen oder selbständige Abteilungen von vollstationären Pflegeeinrichtungen, die sich konzeptionell auf einen Personenkreis mit außergewöhnlich hohem Pflegeaufwand spezialisiert haben und einen Pflegesatz der Pflegeklasse III berechnen, der den damit verbundenen personellen Mehraufwand einkalkuliert hat,
· vollstationäre gem. § 84 Abs. 2 Satz 2 zweiter Halbsatz SGB XI einen Zuschlag zum Pflegesatz für pflegebedürftige Menschen, die als Härtefall anerkannt sind, vereinbart haben. "